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23. November 2012
Das düstere Orakeln über Frankreichs Wirtschaft hat etwas hochgradig Fahrlässiges. Als hätte manch einer noch immer nichts aus der Krise der vergangenen drei Jahre gelernt.
Es hat etwas Beschwörendes, wenn deutsche Allerweltsexperten plötzlich fast täglich die französische Wirtschaft abstürzen sehen. Oder Politbeobachter in Verklärung rot-grüner Jahre den vermeintlichen Schröder-Moment herbeiahnen, der Frankreichs Präsidenten nun mal endlich ereilen müsse, es aber irgendwie nicht tut (welch furchtbares Schicksal für unsere armen Nachbarn). Und deutsche Großkommentatoren wieder mal mit der „Grande Nation“ herumsynonymisieren, weil das so schön hämisch klingt – in Realität aber nur peinlich provinziell-deutsch ist, weil kein Franzose seit Jahrzehnten sein Land mehr „Grande Nation“ genannt, geschweige denn ernsthaft als solche empfunden hat.
Das Drama daran ist, dass es für so viel Endzeitfantasien nur sehr bedingten realökonomischen Anlass zu geben scheint – die Erfahrung der Euro-Krise aber erahnen lässt, wie schnell sich bei latenter Finanzpanik so eine Panik herbeiorakeln lässt.
Natürlich hat Frankreich ernste Probleme. Die Handelsbilanz ist im Minus. Die Industrie produziert weniger als vor der Finanzkrise. Und die Zahl der Arbeitslosen ist seit der Rezession 2009 gestiegen. Die Frage ist nur, ob das ein Grund ist, das Land zum nächsten Pleitekandidaten zu erklären.
Bei genauerem Hinsehen ist nicht so leicht erkennbar, weshalb sich der Befund gerade in den vergangenen Wochen verschlechtert haben sollte. Die Wirtschaft blieb zuletzt eher robust – viel mehr als die italienische oder spanische. Im vierten Quartal dürfte das Bruttoinlandsprodukt leicht zurückgehen, womöglich weniger als in Deutschland. Nach Umfragen unter Einkaufsmanagern hat sich die Stimmung im November im zweiten Monat in Folge verbessert.
Ähnliches gilt für den Staatshaushalt. Die neue Regierung hat entgegen allen Unkenrufen ein Kürzungs- und Steuererhöhungsprogramm angesetzt, das 2013 enormen 1,8 Prozent der Wirtschaftsleistung entsprechen wird, wie Xavier Timbeau vom Pariser Konjunkturforschungsinstitut OFCE schätzt. Das ist weit mehr, als der überschätzte Herr Schröder je in einem Jahr hinbekommen hat.
Für 2013 geht der ganze Bohei nun um die Frage, ob die Regierung ihr Ziel von drei Prozent Staatsdefizit erreichen kann – oder bei, Achtung, 3,5 Prozent landet, wie EU-Kommission, Internationaler Währungsfonds und unabhängige Prognostiker vermuten. Kein Drama. Zur Einordnung: In den USA und Großbritannien liegt das Staatsdefizit mehr als doppelt so hoch. Und da orakelt keiner.
Selbst beim Krisenherd Export lohnt es, näher hinzusehen. Wenn die Ausfuhrbilanz sich in jüngster Zeit noch verschlechtert hat, hat das auch damit zu tun, dass Frankreich rein geografisch einfach stärker von den Rezessionen in Italien und Spanien betroffen ist. Dazu komme, dass es den Unternehmen weit weniger als den deutschen gelungen sei, ausfallende Nachfrage in der Rezession 2009 durch Abbau von Überstunden oder Kurzarbeit aufzufangen, sagt Timbeau. Was wiederum zu entsprechend höheren Kosten beitrug. Auch das gilt es zu beheben, ist aber kein Grund für Endzeitfantasien.
Manch angelsächsischer und deutscher Levitenleser scheint da gerade von üblichen Reflexen getrieben, wonach Frankreich angesichts fürchterlicher Staatsgläubigkeit seit Jahrzehnten dahinsiechen müsste – was es einfach nicht tun will. Im Langfristvergleich wächst die Wirtschaft dort im Gegenteil stärker als die deutsche; der Staat ist weniger im Minus als im Königreich Britannien.
Das Schlimmreden hat etwas umso Absurderes, als es an den Finanzmärkten bislang keinen Hauch tieferer Sorge über Frankreich gab. Die Zinsen auf zehnjährige französische Staatsanleihen lagen Mitte November bei historisch niedrigen zwei Prozent. Jetzt gäbe es die ersten Warnsignale, fabulieren gagaeske Ratingagenturen über Frankreichs ausgeprägte Staatseinflüsse – ach nee. Alarm. Die Italiener haben Mitte 2011 erlebt, wie schnell wankelmütige Finanzmärkte ihre Meinung ändern, ohne dass es fundamental irgendetwas Neues gibt.
Die Folge ist bekannt: panische Austeritätsprogramme; eine dadurch ausgelöste, unnötige Rezession; eine angesichts einbrechender Wirtschaftsleistung steigende Staatsschuldenquote – und einbrechende deutsche Exporte dorthin. Eigentor. Das Tückische bringen Ökonomen mit dem etwas sperrigen Begriff der multiplen Gleichgewichte auf den Punkt. Heißt: Es gibt angesichts der Eigendynamik an Finanzmärkten für ein und dieselbe fundamentale Ausgangslage verschiedene mögliche Ergebnisse und entsprechende Zinsen. Hält sich die Zuversicht, dass die Lage einigermaßen unter Kontrolle ist, bleiben die Zinsen niedrig – was hilft, die Lage auch unter Kontrolle zu halten. Setzt dagegen (meist eher irrational) Panik ein, schießen bei denselben Rahmendaten plötzlich die Sätze hoch – und die Lage gerät allein deshalb in der Tat außer Kontrolle.
Es gibt im Fall Frankreich wenig Gründe, die fundamental für Panik sprechen. Was nicht heißt, dass das Land keine Probleme hat. Die Erfahrung spricht nur dafür, dass es in so bedingt aussichtsloser Lage aussichtsreicher ist, maßvoll zu reformieren – statt Großkrisen und Schröder-Momente zu beschwören. Auch um besagte Panikspiralen zu meiden.
Ob Deutschlands Ex-Kanzler den Franzosen als Vorbild helfen kann, ist ohnehin zu bezweifeln. Der Hopplakurs der Schröder-Jahre hat erst jahrelange Stagnation und fünf Millionen Arbeitslose gebracht. Geholfen hat dann vor allem, dass der deutsche Export sowieso dank weltweit überschwänglicher Ausgabenfreude prima lief, lange vor Hartz IV. So richtig besser wurde es erst, als Frau Merkel Ende 2005 zu reformieren und zu sparen aufhörte, sogar die Konjunktur anschob – obwohl damals in Deutschland, aufgepasst, 3,7 Prozent Staatsdefizit erwartet wurden. Na so was.
All das hat Frankreich heute nicht. Weder gibt es derzeit drumherum sehr viele, die sorglos Geld ausgeben. Noch darf Monsieur Hollande mehr als drei Prozent Defizit haben. Sonst gibt es Schimpfe. Das durfte halt nur Frau Merkel. Deutsche Konsequenz.
Auch das spricht dafür, jetzt keine Panikeinlagen zu riskieren und das wohlfeile Klischeegenöle schnell zu bremsen – vielleicht auch, damit aufzuhören, sich in Euroland ständig gegenseitig schlechter zu reden, als andere sind. Sonst sind auch wir bald in tiefer Rezession. Vive la résistance.
№ 29
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