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Estian: Beckram, Erdrick, Garranon 2 страница

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Beckram rutschte vom Pferd und fiel weiter, bis er auf dem kühlen Boden kniete.

»Ich bin Beckram«, sagte er klar.»Erdrick ist tot. Mein Fehler.«Er starrte seinen Vater an, wartete darauf, dass dieser die Nachricht verstand, wartete darauf, bestraft zu werden, wie er es verdient hatte.

»Der König hat Erdrick also umgebracht, weil du mit der Königin geschlafen hast? Nachdem er dir das so gut wie befohlen hatte?«

Beckram fragte sich, wieso die Stimme seines Vaters so ruhig klang. Sie saßen in einem kleinen Nebenzimmer, wo sie niemand hören konnte.

Er war immer noch müde, aber er hatte geschlafen, betäubt von heißem Gewürzwein und Erschöpfung, bis die Träume ihn wieder aus dem Bett getrieben hatte. Zum dritten Mal sagte er:»Der König hat Erdrick getötet, weil er ihn für mich hielt. Wenn ich Erdrick nicht überredet hätte, meinen Platz einzunehmen, wäre er noch am Leben.«

Duraugh schloss die Augen.»Ich habe diesem jungen Narren Jakoven einmal das Leben gerettet, wusstest du das? Damit er meinen Sohn umbringen konnte.«Er seufzte.»Wir werden Erdrick morgen begraben. Deine Mutter ist hier.«

»Sie wird ihn in Iftahar begraben wollen.«

Sein Vater hörte die Qual in seiner Stimme.»Er wird hier begraben werden, es sei denn, du willst es anders.«

»Hier. Hurog wird ihn vor Mördern und Narren beschützen.«Er hatte das nicht sagen wollen - es klang albern, wenn man es laut aussprach.

Sein Vater nickte nur.

Beckram entspannte sich ein wenig.»Ich breche morgen nach Estian auf.«

»Du willst dich Haverness immer noch bei diesem wahnwitzigen Unternehmen anschließen?«

Beckram zupfte an der Tischdecke.»Ich muss etwas tun. Wenn ich nicht gehe, werde ich ihn umbringen.«

Duraughs Lippen wurden schmaler.»Glaube nicht, dass ich nicht auch schon daran gedacht habe. Vor fünfzehn Jahren hätte ich es tun können. Der junge Alizon war beliebt, und die Welt war an Krieg gewöhnt. Aber Jakoven hatte die meisten Männer beseitigt, die sich gegen ihn hätten stellen können, und Alizon ist außerhalb des Schlachtfelds ein nutzloser Geck.«Er seufzte.»Also gut, geh. Aber ich werde dich nicht allein schicken. Ich spreche mit Stala. Sie und fünfzig Männer werden dich begleiten und unter deinem Befehl kämpfen.«

»Das geht nicht«, sagte Beckram.»Haverness hat nur die Erlaubnis für hundert Männer. Ich glaube, ich bin der fünfundachtzigste.«

»Du wirst sie mitnehmen«, sagte Duraugh und stand auf.»Das Motto der Blauen Garde ist: >Wir kämpfen wie ein einziger Mann.< Du wirst nur einer sein.«

»Der König wird das nicht akzeptieren.«

Duraugh lächelte kalt.»Ich werde mit ihm reden. Überlass das mir.«

WARDWICK

 

Tod ist ein elendes Geschäft, und der Regen machte es nur noch schlimmer. Mehrere Wochen später sah es sehr danach aus, als werde meine Suche nach Ruhm fruchtlos bleiben. Wir hofften, auf Vorsag zu treffen, als wir uns den südlichen Bereichen von Oranstein näherten, aber wir fanden nur ein paar weitere jämmerliche Räuberbanden und niedergebrannte Dörfer, wo die Vorsag bereits gewesen waren. Es regnete die ganze Zeit, außer, wenn Hagel oder Schneeregen niederfielen. Oregs Wallach und eins der Packpferde entwickelten trotz des Öls, das wir benutzten, Huffäule. Alle waren gereizt, weil sie ununterbrochen froren und nass wurden.

Tosten war wie immer der Schlimmste und sprach kaum ein Wort, es sei denn, man stellte ihm eine direkte Frage. Das feuchtkalte Wetter bewirkte, dass eine alte Wunde an Penrods Schulter sich wieder meldete und er bei den Übungskämpfen sichtliche Schmerzen hatte, aber er wollte nicht zulassen, dass ich ihn davon befreite. Als Axiel ihn zwang aufzuhören, hätte Penrod sich beinahe mit ihm geschlagen -nur Bastillas Einmischung verhinderte das. Axiel, Sohn des Zwergenkönigs, beobachtete mich, wie ein Hütehund den Hirten beobachtet, sagte aber wenig. Selbst Oreg schien bedrückt zu sein.

Eines Nachmittags machten wir an einem Dorf Halt, um Lebensmittel zu kaufen. Es war nicht viel, aber ich schickte Penrod, um den Dorfvorsteher zu finden und mit ihm zu sprechen. Oreg nutzte die Gelegenheit, um davonzuschlendern und sich die Umgebung anzusehen.

»Sie sagen, sie haben keine Banditen gesehen und auch von keinen gehört«, berichtete Penrod, als er zurückkehrte.»Sie sagen auch, dass sie weder Getreide noch andere Lebensmittel zu verkaufen haben.«

Das hatten wir schon oft gehört. Ohne Luavellets Vorräte und das, was wir jagten, wären wir verhungert. Oransteiner hatten ein gutes Gedächtnis.

»Hast du ihnen gesagt, dass das Dorf östlich von hier niedergebrannt war, als wir daran vorbeikamen?«, fragte Tosten.

»Ja«, sagte Penrod.»Ich bin ziemlich sicher, sie glauben, dass wir dahinterstecken. Wo ist Oreg?«

»Er wollte sich den Tempel der Meron ansehen«, sagte er.»Ich glaube, er will um ein Ende des Regens beten.«

»Dann gibt es doch nur Schneeregen«, sagte Axiel mürrisch.

Dieses Dorf hatte mehr Einwohner als das letzte, in dem wir gewesen waren, aber das war auch schon alles, was sich darüber sagen ließ. Als wir eintrafen, waren Leute unterwegs gewesen. Sobald sie uns sahen, suchten sie Zuflucht in den kleinen Steinhütten mit den Strohdächern, die in Kreisen um den Weg standen, der als Hauptstraße diente.

Der Tempel von Meron der Heilerin, der Göttin von allem, was wächst, war ein wenig größer als die anderen Gebäude, und vor einiger Zeit hatte ihn jemand angestrichen; es gab immer noch ein paar blaue und weiße Flecken auf dem orangefarbenen Stein. Anstelle einer Tür hing nur ein Stück zerlumptes Öltuch am Türrahmen.

»Er wollte sich die Artefakte ansehen. Die Tempel der Meron sind voll davon«, erklärte Bastilla.»Ich kann allerdings nicht viel Magie von diesem Tempel spüren.«

Wir waren also von Söldnerkriegern, die Oranstein vor den bösen Vorsag retten wollten, zu unerwünschten Reisenden geworden. Ich verdrehte bei dem Gedanken daran die Augen.

»Es gibt nicht viel Magie in den Tempeln der Meron«, erklärte ich ihr.»Nicht wirklich. Die meisten Adligen beten zu Vekke, dem Gott des Krieges. Die Priester der Meron mögen Magie als Tribut verlangen, aber das sind für gewöhnlich hausgemachte Amulette von irgendwelchen Dorfhexen. Bauern können sich keine echte Magie erlauben.«

»Silbermoor liegt nicht weit von hier«, sagte Axiel.»Ich erkenne diese Felsformation dort.«Er zeigte auf einen Felsvorsprung an einem Hügel.»Ich glaube, wir sind das letzte Mal nur ein kleines Stück westlich von hier vorbeigekommen. Wenn ihr ungewöhnliche magische Gegenstände sucht, könnte es von Bedeutung sein: Silbermoor hat einen Stein, der angeblich einmal ein Drache war.«

Penrod schnaubte.»Als wir das letzte Mal dort waren, sagte der Hurogmeten, dieser Stein sei ebenso sehr ein Drache, wie er ein Pferd ist.«

Axiel schüttelte den Kopf.»Ich weiß es nicht. Es ging deutlich Magie von ihm aus, das habe ich gespürt.«Ich hatte nicht gewusst, dass er Magie wahrnehmen konnte.

Oreg duckte sich unter der Stofftür des Tempels durch und stapfte durch den Schlamm zu seinem Pferd.»Wohin gehen wir jetzt?«

»Nach Silbermoor.«Dann sind wir eben Reisende, dachte ich verbittert.

Blümchens große Hufe ließen das Wasser aus den Pfützen hoch genug aufspritzen, um meine ohnehin klatschnassen Stiefel mit Schlamm zu überziehen. Es war schwer zu sagen, ob ein Bach über den Weg floss oder der Weg durch einen Bach verlief.

Zumindest Blümchen war zufrieden. Ich ritt an der Spitze, und das gefiel ihm besser, als bei den anderen zu sein. Als ich das letzte Mal versucht hatte, Tosten aufzuheitern, hatte er nur mit bösen Bemerkungen reagiert, und ich war zu dem Schluss gekommen, dass ich lieber für mich bleiben sollte, bis ich imstande war, meine Zunge zu beherrschen.

Der Regen störte den Hengst nicht so sehr wie die anderen Pferde. Blümchen ignorierte ihn, als wäre er zu arrogant, um sich an etwas so Banalem wie dem Wetter aufzureiben.

Ich fragte mich, ob ich die anderen nicht nach

Hause schicken sollte. Penrod brauchte das trockenere Klima von Shavig, wo seine Schulter nicht wehtat. Ciarra war zu jung für dieses Unternehmen und Tosten zu weich: Nicht, was den Körper anging, aber den Geist. Er spürte den Tod jeder Leiche, die wir verbrannten, ob es ein Bandit war, den wir getötet hatten, oder ein Dorfbewohner, der den Banditen zum Opfer gefallen war. Selbst Bastilla würde anderswo besser dran sein. Sie hatte behauptet, eine schlechte Zauberin zu sein. Ich kannte mich mit diesen Dingen nicht besonders gut aus, aber obwohl sie sicher nicht so gut war wie Oreg, schlug sie Licleng, Vaters Magier, um Längen. Sie zündete jeden Abend ein Feuer mit feuchten Zündspänen und noch feuchterem Holz an, während Oreg unser Bettzeug trocknete. Sie würde sich problemlos im Haushalt eines Adligen ihren Lebensunterhalt verdienen können, besonders in feuchtem Klima. Sie brauchte mich nicht.

Oreg gehörte nach Hurog, wo er und Hurog sicher waren. Es tat beinahe weh, in seiner Nähe zu sein; er erinnerte mich täglich daran, dass Hurog mir nicht gehörte und, wie ich inzwischen dachte, mir auch niemals gehörten würde.

Damit blieb nur noch Axiel, der Kammerdiener meines Vaters, der Sohn des Zwergenkönigs. Von uns allen war er am besten geeignet, etwas anderes zu tun, als ziellos durch diesen götterverlassenen Sumpf zu stapfen: Jeder Adlige hätte ihn als Waffenmeister eingestellt. Aber wenn man Aethervon glauben durfte, war Axiel hier, um sein Volk zu retten, weil sein Vater einen Traum gehabt hatte. Er war mindestens sechzehn Jahre bei meinem Vater gewesen, vielleicht länger, aber er glaubte, ich sei der Grund, wieso man ihn nach Hurog geschickt hatte.

Blümchen schnaubte plötzlich und sammelte sich: ein Kampfross, bereit, in die Schlacht zu ziehen. Die Veränderung riss mich abrupt aus meinen Gedanken. Mit laut klopfendem Herzen spähte ich in den Wald, um herauszufinden, ob wir beobachtet wurden.

Eine leichte Berührung meines Knies und eine Verlagerung meines Gewichts lenkten Blümchen in einen engen Kreis. Aber ich konnte nichts erkennen, außer dass der Rest meiner Gruppe ein wenig zurückgefallen war, mit Axiel an der Spitze und Oreg ganz hinten. Tosten und Bastilla waren in ein lebhaftes Gespräch verstrickt. Penrod rieb sich unter Ciarras besorgtem Blick die Schulter. Axiel beobachtete mich, die Hand am Schwert.

Ich hob die Hand und bedeutete ihm zu warten. Als er nickte, lenkte ich Blümchen weiter auf dem schmalen Weg, der sich durch die Hochgebirgssümp-fe zog. Der Hengst tänzelte vorwärts, und seine Ohren zuckten. Ich wollte gerade umkehren, als der Weg sich durch ein Weidengehölz zu den Überresten eines Dorfs zog.

Dem Schicksal sei Dank, dass ich die anderen ferngehalten habe, war alles, was ich denken konnte. Ich wollte nicht, dass Ciarra oder Tosten das hier sahen. Es ähnelte in nichts den Überfallenen Dörfern, in die wir zuvor gekommen waren.

Die Vorsag hatten die Dorfhäuser zerstört und das Holz und die Strohdächer an der Straße aufgehäuft. Die Leichen der Dorfbewohner waren sehr sorgfältig darauf aufgebahrt. Jemand hatte versucht, die Toten zu verbrennen, aber der Regen hatte das Feuer gelöscht, bevor die Leichen mehr als nur angesengt gewesen waren. Es war der Gestank nach nasser Holzkohle und Blut, der Blümchen alarmiert hatte.

Ich stieg ab und führte den Hengst hinter mir her.

Wir hatten schon zuvor die Ergebnisse von Angriffen der Vorsag zu sehen bekommen, aber nicht so etwas. In allen anderen Dörfern hatte es Überlebende gegeben, die beim ersten Anzeichen von Ärger geflohen waren. Wenn die Vorsag hier nicht jeden einzelnen Bewohner des Dorfs getötet hatten, dann hatten sie sich zumindest angestrengt, genau das zu tun. Die Vorsag begruben ihre Toten ebenso wie wir in Shavig, aber bisher hatte sie die Möglichkeit, dass die unruhigen Geister der Oransteiner ihre Dörfer heimsuchen würden, nicht gekümmert, und sie hatten keinen Versuch unternommen, die Toten zu verbrennen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie damit jetzt plötzlich angefangen hatten.

Mein Vater hatte immer gesagt, er habe am meisten über seine Feinde gelernt, wenn sie von ihrem üblichen Verhalten abwichen. Was war hier in Silbermoor anders?

Sie hatten einen Tempel mit einem Steindrachen.

Ich wandte mich von dem Scheiterhaufen ab und suchte nach dem Tempel - oder dem, was einmal ein Tempel gewesen war. Die Vorsag hatten das Dorf für ihren Scheiterhaufen geplündert, nicht viele hölzerne Gebäude waren stehen geblieben. Am Ende gab es vier Möglichkeiten, aber ich konnte nicht sicher sein. Und es gab keine Spur von Axiels Steindrachen, es sei denn, er war kleiner als meine Faust.

Wer befehligte die Vor sag? Kariarn war nur ein paar Jahre älter als ich. Gewöhnlich hätte das bedeutet, dass er entweder von seinen Beratern beherrscht oder zumindest angeleitet wurde. Aber ich hatte ihn kennengelernt. Wenn bei ihm andere die Fäden zogen, dann waren diese Leute tückischer als ich. Möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich.

Als Kariarn in Estian gewesen war, hatte er seine Leute die Umgebung nach Artefakten durchsuchen lassen, die angeblich magischer Natur waren. Was, wenn er das auch jetzt tat? Was, wenn die Vorsag Dörfer mit Tempeln der Meron überfielen, die Artefakte nahmen und dann die Dörfer niederbrannten, um zu verbergen, was sie getan hatten?

Die meisten Tempel besaßen nichts als Plunder, aber das traf nicht immer zu. Oranstein war ebenso wie die anderen Königreiche ein altes Land. Es gab Ruinen, die unerwartete Schätze enthielten. Einige Tempel verfügten über machtvolle Magie. Ich durchsuchte die Umgebung genau, aber es gab kein Anzeichen dafür, dass ein großer Gegenstand bewegt worden war: keine Wagenspuren, keine tiefen Hufspuren. Die Vorsag waren allerdings eindeutig hier gewesen, mehr als fünfzig, vielleicht sogar hundert. Der Regen verbarg etliche Spuren.

Es war lange her, seit Axiel und Penrod mit meinem Vater hier Halt gemacht hatten. Seit dieser Zeit mochte der Stein an einen anderen Ort gebracht worden sein, aber ich war überzeugt, dass es Kariarn gewesen war, der ihn genommen hatte.

Wie viel Macht konnte sich Kariarn auf diese Weise verschaffen? Man hatte mir gesagt, die Tage der großen Magie seien mit dem Untergang des Kaiserreichs vergangen. Die Theorie besagte, dass es nur eine gewisse Menge von Magie auf der Welt gab, die nach und nach verbraucht wurde. Mein Vater hingegen hatte behauptet, es habe nie ein Zeitalter der großen Magie gegeben, nur große Geschichtenerzähler.

Aber was, wenn die Magie sich in Tausenden von Artefakten verbarg? Was, wenn eine Person sie alle sammelte und eine Möglichkeit fand, diese Magie freizusetzen? Ich musste mit Oreg sprechen.

Ich ritt zurück, zügelte Blümchen aber wieder, als ich erneut zu den Leichen kam. Wenn die Vorsag versucht hatten, sie zu verbrennen, hatte das nichts mit Respekt für ihre Feinde zu tun. Sie hatten etwas verbergen wollen, was die Leichen der Dorfbewohner vielleicht verraten könnten.

Auf dem Holzhaufen lagen zweiundsiebzig Männer, Frauen und Kinder. Die meisten waren nackt, lagen mit dem Gesicht nach unten, und man hatte ihnen Hände und Füße gefesselt und die Augen verbunden, alles mit Stoffstreifen, die wahrscheinlich von ihrer eigenen Kleidung stammten. Die, die nicht gefesselt waren, sahen aus, als wären sie beim ersten Angriff im Kampf umgekommen. Es gab keine Fliegen - das war einer der wenigen Vorteile des Regens.

Ich war dazu geboren und erzogen worden, solche Dinge zu verhindern. Hurogmeten zu sein bedeutete mehr, als Land zu besitzen - es ging darum, sich um die Menschen zu kümmern, die auf diesem Land lebten. Verantwortung war mir angezüchtet, und das Versagen des Hochkönigs, diese Menschen zu beschützen, machte mich wütend.

Wenn dieses Land einen Herrn hätte, der sich richtig um es kümmerte, hätte keine vorsagische Truppe von dieser Größe hier eindringen und so etwas tun können. Aber der rechtmäßige Herr dieser Region war bei der Rebellion getötet worden, und König Jakoven hatte sich nicht dazu herabgelassen, ihn zu ersetzen. Silbermoor war ungeschützt gewesen.

Ich drehte die Leiche eines kleinen Mädchens um. Sie hatte ein schmuddeliges Kindergesicht mit Tränenspuren, die der Regen wegwusch. Sie fühlte sich kalt an. Die einzige Wunde, die ich entdecken konnte, war ein zwei Finger breiter Schlitz in ihrer Kehle. Auf ihren Torso waren Runen gezeichnet. Einige waren mit Farbe aufgemalt und verliefen, sobald der Regen sie berührte, aber andere waren in ihre Haut geschnitten worden. Zweiundsiebzig Oransteiner, dachte ich und sah den Rest der Leichen an. Das hier muss ziemlich lange gedauert haben.

Ich untersuchte die Haut unter den Fesseln an ihren Handgelenken und Fußknöcheln. Die Handgelenke waren wund, aber die Fesseln an ihren Füßen hatten sich beinahe bis auf die Knochen eingeschnitten. Das und der Mangel an Blut, wo sie gelegen hatte, sagte mir, dass man sie an den Füßen aufgehängt hatte, sodass das Blut vollständiger aus ihrem Körper lief - wie bei einem Schwein, das geschlachtet wurde.

Es war dieses Bild, das den Deckel von meiner Wut riss. Tief in mir entfachte mein Zorn ein Feuer, das geschwelt hatte, seit Aethervon es in Menogue erweckt hatte. Es floss durch meine Brust, meine Arme und in meine Hände. Ich konnte die Magie nicht sehen, die durch meine Adern toste, aber das feuchte Holz und das Stroh begannen zu brennen, wo ich sie berührte. Blümchen schnaubte und wich so weit er konnte, ohne mir die Zügel zu entreißen, von der brennenden, qualmenden Masse zurück, als das Feuer sich rasch ausbreitete und die Geister der Toten für ihre Reise über das Leben hinaus aufsteigen ließ.

Als Sohn meines Vaters hatte ich mich nie einem Gott angeschworen und mich überhaupt nie sonderlich für Religion interessiert. Ich wusste wenig über Meron und noch weniger über den Kriegsgott Vekke. Und nach dem, was Aethervon mit Ciarra gemacht hatte, würde ich ihm diese Menschen nicht anvertrauen. Sie brauchen Gerechtigkeit. Ein Gebet, das meine Kinderfrau gesungen hatte, als ich klein gewesen war, kam mir ganz natürlich auf die Zunge. Ein Shavig-Gebet war in diesem Land fehl am Platz, aber ich schloss die Augen und sang zu Siphern, dem Gott der Gerechtigkeit und des Gleichgewichts, als die Flammen höher tosten.

Und er kam. Ich sah ihn nicht, nicht einmal, als ich die Augen wieder öffnete, aber ich spürte ihn: spürte seinen Zorn über den Tod des Dorfs, spürte, wie er die verängstigten Geister an seine Brust zog, spürte seine Berührung an meiner Stirn, als er wieder verschwand.

Als ich mit dem Lied fertig war, fühlte ich mich friedvoll, ja leer. Und in diese Leere drangen Klarheit und Ehrlichkeit. Der Grund für meine schlechte Stimmung in diesen letzten Tagen war nicht der Regen gewesen, es war das deutlicher werdende Wissen, dass Hurog für mich verloren war. Selbst wenn ich bei der Verteidigung von Oranstein Ruhm erwerben würde (und das war selbst unter besseren Umständen unwahrscheinlich), war klar, dass dieses Königreich den König nicht kümmerte. Man brauchte nur zu sehen, wie er diese Dorfleute beschützt hatte. Mein Onkel würde sich besser um Hurog kümmern, als mein Vater es je getan hatte, und seine Söhne würden ihm folgen.

Aber zum ersten Mal hatte ich ein Ziel, das ich wirklich erreichen konnte. Ich würde diesen Menschen helfen, denen sonst niemand half.

»Lord Wardwick?«Axiel klang atemlos, und als ich mich zu ihm umdrehte, lag er auf den Knien und hatte den Kopf gesenkt.

Seine Pose erschreckte mich, und ich streckte den

Arm aus und zog ihn auf die Beine.»Ich dachte, ich hätte euch allen befohlen zu warten.«

Hoffnung und Staunen zeichneten sich auf seinen Zügen ab, als er mich ansah.»Wir haben eine Viertelstunde gewartet, aber nichts gehört. Da ich ein bisschen besser auf mich aufpassen kann als Penrod und die jungen Leute, bin ich vorangegangen, während die anderen sich noch darüber stritten, was sie jetzt tun sollten. Ich nehme an, sie werden bald hier sein.«Er holte tief Luft.»Als ich aus den Bäumen kam, Herr, roch ich das Böse, wie es mir seit Jahrhunderten nicht mehr begegnet ist - Blutmagie. Dann hörte ich, wie Ihr Siphern den ganzen Weg aus dem Nordland herbeigesungen habt, damit er sich um diese Leute kümmert. Er hat dieses Tal für Euch von allem Bösen gereinigt, Herr. Mein Vater sagte, unsere Hoffnung liege in Hurog. Bis jetzt wusste ich nicht wirklich, dass sein Traum prophetisch war.«

Ich wand mich unter seinem Blick. Tatsächlich wusste ich nicht, was ich getan hatte, um so etwas heraufzubeschwören. Den Scheiterhaufen anzuzünden war etwas, was Bastilla oder Oreg mit der Hälfte meiner Anstrengung hätten tun können. Und... hatte er Jahrhunderte gesagt?

»Jahrhunderte?«, krächzte ich.

Er grinste verlegen und schaukelte auf die Fersen zurück. Die Ehrfurcht war aus seiner Miene verschwunden, aber sie hatte sein Gesicht dauerhaft verändert. Die Wachsamkeit, die seine Züge für gewöhnlich prägte, war einem albernen Grinsen gewichen, das angesichts von so viel Tod vollkommen fehl am Platze wirkte.

»Nun ja«, sagte er.»Das Volk meines Vaters lebt ein bisschen länger als die Menschen. Man hat mich vor einem halben Jahrhundert nach Hurog geschickt, um Hoffnung für mein Volk zu finden, damit die Zwerge gerettet werden.«

Rettung für die Zwerge?, wollte ich fragen. Statt-dessen sagte ich:»Du siehst nicht aus wie ein Zwerg.«

»Ich schlage meiner Mutter nach. Mein Vater ist so groß...«, er hob eine Hand an seine Schulter,»... und doppelt so schwer wie ich.«

Weißer, dampfender Rauch und der Geruch von brennendem Fleisch wogten von dem feuchten Holz heran. Der Geruch erinnerte mich wieder an das, was hier in Silbermoor geschehen war. Ich klammerte mich daran - eine Aufgabe, um die Leere zu füllen, die der Verlust von Hurog bewirkt hatte.

»Erinnerst du dich, wie groß dieser Steindrache war?«, fragte ich ihn.

»Ein bisschen größer als Blümchen«, antwortete er nach einem Augenblick.»Er sah nicht aus wie der Drache auf dem Hurog-Wappen, aber auch nicht wie irgendetwas anderes. Es war eher wie ein großer Stein, an dem ein guter Steinmetz angefangen hatte zu arbeiten, aber ohne die Meißelspuren.«

»Er ist nicht hier«, sagte ich.»Oder zumindest habe ich ihn nicht gefunden. Ich habe auch kein Anzeichen davon gesehen, dass man ihn bewegt hätte.«

Axiel hustete und ging ein Stück vom Feuer weg.»Seltsam. Allerdings könnte ihn jemand weggebracht haben, seit wir hier waren.«

»Ich weiß nicht viel über Magie«, sagte ich und konzentrierte mich auf die brennenden Leichen.»Was, wenn ich dir sage, dass die meisten Dorfbewohner ausgeblutet wurden wie geschlachtete Schafe und ich keine großen dunklen Stellen am Boden finden konnte, wohin so viel Blut geflossen sein müsste?«

Axiel runzelte die Stirn.»Dann würde ich annehmen, es war tatsächlich Blutmagie. Ich habe sie zuvor gerochen, und es würde starke Blutmagie brauchen, um so viel Blut aufzuzehren. Der beste Magier des Königs ist nicht mächtiger als Bastilla. Von allen menschlichen Zauberern, die ich gesehen habe, könnte nur Oreg die Art von Magie wirken, für die man so viel Blut braucht.«

Axiel hielt Bastilla für so mächtig wie die Magier des Hochkönigs? Ich wusste, dass sie besser war, als sie zugab. Aber ich konnte mich nicht erinnern, dass sie irgendetwas Spektakuläres getan hätte. Ich setzte dazu an zu fragen, aber Blümchen warf den Kopf hoch und rief einen Gruß, als der Rest unserer Gruppe aus dem Hain kam.

Oreg zügelte sein Pferd in meiner Nähe, stieg aber nicht ab.»Beeindruckend«, sagte er mit einem Blick zu dem Feuer.»Hast du den Scheiterhaufen selbst gebaut?«

»Nein«, erwiderte ich.»Die Vorsag. Oreg, Bastilla«, sagte ich, als sich die anderen um uns sammelten.»Der Drachenstein ist weg. Axiel sagt, er sei so groß wie Blümchen gewesen, aber ich konnte keine Spuren finden, dass jemand ihn weggeschleppt hat. Die Dorfleute wurden aufgehängt und ausgeblutet, und man hat ihre Leichen mit geheimnisvollen Runen bedeckt.«Ich hätte warten sollen, bevor ich den Scheiterhaufen anzündete, aber ich hatte mich von meinen Gefühlen leiten lassen, nicht von meinem Denken.

Oreg legte den Kopf schief, starrte den Scheiterhaufen mit versunkenem Blick an, und ein seltsames Halblächeln umspielte seine Mundwinkel.»Ich rieche Drachen«, sagte er.

»Axiel glaubt, dass Blutmagie angewandt wurde.«

»Auf Blutmagie liegt ein Makel«, erwiderte Bastilla.»Und davon kann ich hier nichts wahrnehmen.«

Mir war nicht danach, die Sache mit Siphern zu erklären. Müdigkeit nach der Magie und das Wissen, dass die Leere in meinem Geist, die Hurog hinterlassen hatte, dauerhaft sein sollte, bewirkte den Wunsch nach Schlichtheit.»Könnte ein Magier oder eine Gruppe von Magiern die Magie aus einem Gegenstand nehmen und sie für sich selbst nutzen?«

»Ja«, sagte Oreg im gleichen Augenblick, als Bastilla verneinte.

Ich zog die Brauen hoch, und Bastilla zuckte schließlich die Achseln.»Ich nehme an, es ist möglich. Theoretisch. Aber der Stein würde immer noch da sein - nur ohne die Magie.«

»Nicht dieser Stein«, widersprach Oreg, immer noch in diesem seltsam versunkenen Zustand.»Ich rieche Drachen.«

»Hätten sie den Stein verwandeln können?«, fragte Penrod.

»Dieser Stein fühlte sich nach Drachenmagie an«, sagte Axiel.»Könnte etwas einen Drachen in einen Stein verwandelt haben, und dann haben die Vorsag ihn freigelassen?«

Ein Schauder lief mir über den Rücken, und im gleichen Augenblick schien der Nieselregen sich in einen Platzregen zu verwandeln.

»Kariarn hat einen Drachen?«, fragte Tosten.

»Jemand hat einen Drachen«, sagte Oreg gleichgültig.

Ein Teil von mir wiederholte immer wieder begeistert: Ich wusste, dass es immer noch Drachen gibt. Ich wusste es, ich wusste es, während der Rest versuchte darüber nachzudenken, was Kariarn tun würde, wenn er einen Drachen besäße.

»Wohin gehen wir jetzt?«, fragte Bastilla.

Gute Frage. Ich schob den Gedanken an einen Drachen einen Augenblick beiseite. Danach war die Frage ziemlich einfach. Ich brauchte nur noch ein paar weitere Informationen, um meine Theorie über die Angriffe der Vorsag zu überprüfen, und ich wusste, wo ich sie erhalten würde.

»Axiel«, fragte ich,»weißt du, wie man von hier nach Callis kommt?«

»Callis? Ja, das glaube ich schon. Warum Callis?«

»Weil ich Informationen brauche. Und wenn überhaupt jemand weiß, was hier los ist, dann der alte Fuchs Haverness. So viel ich weiß, herrscht er immer noch in Callis.«Haverness’ Leute würden wissen, ob die anderen Dörfer, die die Vorsag überfallen hatten, über machtvollere Artefakte verfügten als jene, die verschont geblieben waren. Sie würden wissen, wo sich weitere wahrscheinliche Ziele befanden. Mein Vater hatte gesagt, dass Haverness mehr darüber wusste, was das Heer des Königs tat, als der König selbst, auch wenn er bei Hofe immer so tat, als könne er kein Wässerchen trüben.

Der strömende Regen ließ nach etwa einer Stunde ein wenig nach. Da wir keinen besseren Platz finden konnten, schlugen wir das Lager an einer relativ geschützten Stelle unter ein paar Bäumen auf. Das Feuer qualmte und spuckte, aber es genügte, um das Essen zuzubereiten. An diesem Abend war es meine Aufgabe zu kochen.

Oreg war auf die Jagd gegangen und hatte zwei Kaninchen erbeutet. Ich hatte sie auf einen Spieß gesteckt und drehte sie über dem Feuer, als Ciarra sich neben mich setzte und einen der Spieße übernahm, mehr, weil sie vernünftiges Essen haben als weil sie mir helfen wollte.


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