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»Nein«, sagte ich mit fester Stimme, obwohl mein Onkel nickte.»Es gibt keine Sklaven in Hurog. So wahr ich der Hurogmeten bin, der Hüter dieses Landes, gibt es hier keine Sklaven. Alle, die nach Hurog kommen, sind frei, in Frieden hier zu leben. Hurog ist eine Zuflucht für alle.«Ich brauchte eine ganze
Weile, um das herauszubringen, da ich kein besonders schneller Redner war.
Mein Onkel erkannte das Lied, das ich zitierte, eine der bekannteren Sagas über meinen Helden, den Hurogmeten Seleg. Dabei war es nicht einmal Seleg gewesen, der die Tradition der Zuflucht vor der Sklaverei begonnen hatte, sondern ein früherer Hurogmeten, der Leute gebraucht hatte, die ihm halfen, das Land zu bebauen. Aber Seleg hatte sie wiederbelebt. Die beiden anderen Männer, die keine Hurogs waren, starrten mich an, als hätte ein Ochse plötzlich angefangen zu sprechen.
»Ward, das ist nur eine Geschichte«, sagte Duraugh vorsichtig. Er wollte herausfinden, dachte ich, wie er mich überreden konnte.
Ich lächelte.»Mutter hat mir gesagt, ich solle wie Seleg sein.«Ich konnte die Verzweiflung in den Augen meines Onkels deutlich erkennen.
Jeder, der auf Hurog-Land lebte, kannte die Geschichten, und es gab hier niemanden, der den alten Seleg nicht verehrte. Sobald sie sich erinnerten, wie stolz Seleg darauf gewesen war, dass Hurog Flüchtlingen Zuflucht bot, würden sie alle auf meiner Seite stehen, ob mein Onkel zustimmte oder nicht, und das wusste er. Landislaw würde ohne seine Sklavin nach Hause zurückkehren müssen. Armer Landislaw.
Duraugh starrte mich mit finsterer Miene an.»Meine Herren, lasst mir ein wenig Zeit, um mit Ward zu sprechen...«
»Sollte eingesperrt werden...«, murmelte Landislaw.
Mein Onkel hob die Stimme.»Ich bin sicher, Ihr und Eure Gefolgsleute seid sehr müde. Ich werde ein paar Männer der Blauen Garde an dem Abflusstunnel stationieren, damit Ihr alle Euch ausruhen könnt. Nach einem guten Essen und ein wenig Schlaf werdet Ihr Euch besser fühlen. Ward, du solltest dich umziehen. Ich werde bald nachkommen, um mit dir über etwas zu sprechen, das geschehen ist, nachdem du heute Früh ausgeritten bist.«
Oreg schrie plötzlich auf, und ich konnte nicht vermeiden, dass ich zusammenzuckte.
Garranon erstarrte, einen seltsamen, lauschenden Ausdruck auf seinen Zügen.»Was war das? Dieses Geräusch. Als stürbe jemand...«Seine Stimme verklang, als ihm klar wurde, dass sonst niemand reagierte.
»Ein Gespenst«, sagte ich lässig.»Ich gehe und ziehe mich um.«Ich verbeugte mich vor allen und sprang die Treppe hinauf, wie es zu meiner Rolle als Idiot passte. Sobald alle gegangen waren, wollte ich zurückkehren und nach Oreg sehen.
In meinem Zimmer wartete Axiel auf mich. Stumm half er mir, mich auszuziehen und zu waschen. Er machte nicht einmal mehr eine Bemerkung über die neuen, von Oreg genähten Kleidungsstücke, die auf dem Bett bereitlagen, sodass ich sie beim Essen tragen konnte. Ich würde mit Oreg über diese Dinge reden müssen. Es störte mich nicht, dass Axiel etwas über das >Familiengespenst< wusste, aber es wäre nicht angemessen, wenn es zu einem Thema für die Klatschmäuler würde.
Meine Zimmertür ging auf, gerade als Axiel die Schnüre an meinem linken Arm zurechtzog - der rechte war bereits fertig.
»Könnte ich einen Augenblick mit dir allein sprechen?«, fragte mein Onkel.
Ich nickte. Axiel beendet die Verschnürung und verbeugte sich kurz.»Ich bin in meinem Quartier, wenn Ihr mich braucht.«
Duraugh wartete, bis der Diener gegangen war, dann begann er auf und ab zu gehen.»Aus dem Mund von Kindern und.«Seine Stimme verklang, bevor er >Narren< hinzufügen konnte.»Woher hast du deinen Sinn für Recht und Unrecht, Ward? Sicher nicht von Fen. So gern ich ihn hatte, er war wie unser Vater, und der hätte sich krank gelacht, wenn jemand ihn daran erinnert hätte, dass Hurog eine Zuflucht sein sollte.«
Ich blieb stehen, wo ich war, und folgte seinem Hin und Her mit dem Kopf - was besonders dumm aussah. Ich hörte auf, als ich mich daran erinnerte, dass ich ihm die Wahrheit sagen wollte.
Er blieb mitten im Schritt stehen, als wären es nur meine Bewegungen gewesen, die ihn antrieben.»Ich bin hierhergekommen, um dir zu widersprechen. Wenn diese Geschichte öffentlich wird, werden alle geflohenen Sklaven in den Fünf Königreichen hierher kommen. Man wird bei Hof über uns lachen.
Aber das wäre dir egal, oder?«Er klang nicht, als ob er wirklich eine Antwort hören wollte, also antwortete ich ihm nicht direkt.
»Es gibt keine Sklaven in Hurog.«
Duraugh seufzte, aber es klang beinahe wie Erleichterung. Er starrte an mir vorbei, und als er wieder sprach, war es, als rede er mit sich selbst.»Es gibt keine Sklaven in Hurog. Das alte Gesetz, das vom ersten Hochkönig in unsere Urkunde aufgenommen wurde, besagt: Wenn Sklaven ihren Fuß auf Hurog-Land setzen, sind sie von diesem Zeitpunkt an frei. Dass mein Vater und dessen Vater sich entschieden, das zu vergessen, macht es nicht weniger wahr. Landislaw und Garranon werden sich bei Ciernack eben auf ihr Glück verlassen müssen. Selegs Wort gilt in Hurog noch immer.«
»Garranon ist in Ordnung«, sagte ich.»Landislaw kann verrotten.«
Duraugh runzelte die Stirn.»Du magst ihn nicht? Warum nicht?«
Dies war meine Gelegenheit, ihm zu sagen, dass ich klüger war, als er wusste, aber meine Zunge war nie besonders flink gewesen, und am Ende zuckte ich nur die Achseln. Ich würde warten, bis Garranon weg war.
»Wenn du ihn mögen würdest, hättest du die Sklavin dann ebenfalls für frei erklärt?«, fragte mein Onkel.
Ich sah ihn stirnrunzelnd an. Das war eine gute Frage. Beruhte der größte Teil meiner Entscheidung auf Bosheit? Hätte ich mich an die alten Gesetze erinnert, wenn die Sache nicht mit Landislaw zu tun gehabt hätte? Ich dachte an Oreg, der in der großen Halle klagte, und an den angeketteten Drachen irgendwo unter der Burg. Zu viele Hurogs hatten im Lauf der Jahrhunderte ihre Gesetze vergessen.
»Es gibt keine Sklaven in Hurog«, wiederholte ich.
Mein Onkel bedachte mich mit einem seltsamen Lächeln und verbeugte sich halb in einer Geste des Respekts.»In der Tat.«Er schloss die Tür hinter sich.
Der einzige Sklave, der in Hurog verblieben war, fragte:»Ward? Du wirst sie ihnen also nicht ausliefern?«
Als ich mich umdrehte, stand Oreg vor dem Paneel in der Wand, das sich zu den Geheimgängen hin öffnete. Die Schnitte, Schwellungen und Peitschenspuren waren weg, und er schien wieder vollkommen klar zu sein, obwohl er die Arme um den Oberkörper geschlungen hatte und nervös von einem Fuß auf den anderen trat.
Ich wünschte mir plötzlich, dass ich wüsste, wie ich auch ihn befreien könnte. Vielleicht sollte ich das nächste Mal, wenn ich am Hof war, mit einem der Zauberer des Königs reden, obwohl ich nicht sicher war, ob ich einem anderen wirklich unsere Familiengeheimnisse verraten sollte. Ich bezweifelte auch, dass einer dieser Zauberer einen Bann lösen konnte, der so viele Jahre bestanden hatte. Alle wussten, dass die Zauberer zuzeiten des Kaiserreichs mächtiger gewesen waren.
»Ich werde sie ihm nicht ausliefern«, sagte ich.
Oreg hob das Kinn.»Wirklich nicht?«
»Wirklich nicht.«Ich hoffte, dass meine entschlossene Stimme genügte, um ihn zu überzeugen.»Hast du dafür gesorgt, dass sie Bettzeug und Essen hat?«
»Ja«, flüsterte er,»aber sie hat immer noch Angst. Sie ist in der Höhle mit den Drachenknochen.«Mit sanfterer Stimme fügte er hinzu:»Sie hat mich nicht gesehen. Ich habe einfach nur warme Sachen und Essen in die Höhle gebracht. Ich hätte es dir gleich heute Früh sagen sollen.«
»Du hast sie in der Höhle eingeschlossen?«, fragte ich.»Sie war den ganzen Tag dort?«
Er nickte.
»Ich werde mit ihr sprechen«, sagte ich.»Sie sollte in der Burg sicher sein, selbst wenn Garranon und Landislaw noch hier sind. Oder sie kann in der Höhle warten, wenn sie will und wenn du nichts dagegen hast.«
Oreg hatte sich um Hilfe an mich gewandt. Gestern hatte Blümchen leise gewiehert, als ich zu seiner Koppel kam. Es gab tatsächlich so etwas wie Wunder. Nun starrte Oreg mich unsicher an - er sah so jung aus wie mein Bruder an diesem letzten Tag. Manchmal konnte ich vergessen, was Oreg war, aber nicht nach der Szene in der großen Halle vor ein paar Minuten. Er hatte Hilfe gesucht, aber er traute mir noch nicht genug, um sie wirklich anzunehmen.
»Sie ist bei uns in Sicherheit«, erklärte ich.
Er rührte sich nicht, aber das Paneel hinter ihm öffnete sich. Er drehte sich auf dem Absatz um und ging hindurch. Ich folgte ihm, und das Paneel schloss sich wieder hinter mir. Diesmal war der Weg in die Drachenhöhle sehr kurz, als befände sie sich direkt neben meinem Zimmer und nicht tief im Herzen von Hurog. Als ich in die Höhle kam, bemerkte ich zwei Dinge: das Erste war ein seltsames, summendes Geräusch und das Zweite war die Magie, die die Höhle füllte wie dicke Suppe einen Topf. Ich konnte ein leichtes Glitzern zwischen den Steinen erkennen, und meine Nackenhaare sagten mir, dass ich aus den Schatten beobachtet wurde.
Als ich stehen blieb, drehte Oreg sich zu mir um und sagte:»Sie versucht, Magie zu wirken, aber sie ist nicht stark genug, um die Schutzzauber zu brechen, die ich um die Knochen gelegt habe.«
Wir waren nicht leise gewesen, als wir hereinkamen, aber sie schien uns nicht zu bemerken, als wir durch das Geröll zu dem sandigen Bereich gingen, wo die Drachenknochen lagen. Sie saß vor dem Schädel. Ihr Haar hing in verfilzten, schmutzigen Strähnen bis halb zur Taille hinab. Sie war so schmutzig, dass man kaum etwas über sie sagen konnte, selbst in dem Licht, das die Zwergensteine spendeten. Das Summen, das ich gehört hatte, war ihr Gesang, obwohl es anders klang als alles Singen, das ich je vernommen hatte.
Ich beobachtete sie so gebannt, dass ich einen Augenblick brauchte, um festzustellen, dass die Ketten nicht mehr an dem Skelett befestigt waren. Ich hatte selbst daran gedacht, war aber zu dem Schluss gekommen, dass es zu sehr danach roch, die Schuld meiner Familie verbergen zu wollen. Die Überreste eines Drachen tief in Hurog wären nicht überraschend - dass er gefesselt war, machte unsere Schuld für jeden deutlich. Also hatte ich es so gelassen, wie es war.
»Willkommen, Reisende, an der Feuerstelle von Hurog.«Das war die traditionelle Begrüßung, die ihre Stellung als mein Gast bestätigte, ob sie das nun erkannte oder nicht.
Sie war wohl sehr in ihren Zauber versunken gewesen, denn als sie meine Stimme hörte, hörte sie auf zu summen und sprang auf wie ein erschrockenes Kaninchen. Bevor ich noch mehr sagen konnte, machte sie mit der rechten Hand eine Wurfgeste, und ein flammendes, knisterndes Etwas löste sich mit blendender Geschwindigkeit von ihrer Hand und sauste auf mich zu.
Dann verharrte es mehrere Fuß vor uns und ging aus.
»Frieden, kleine Schwester«, sagte Oreg leise.»Es tut mir leid, dass ich Euch hier zurückgelassen habe, aber ich musste zunächst herausfinden, was der Hurogmeten wünschte, bevor ich wusste, was ich für Euch tun konnte.«
Sie hob den Kopf.»Ich bin nicht Eure Schwester.«Ihre Stimme bebte, und das machte alles an ihrem
Akzent undeutlich, bis auf die Tatsache, dass sie einen hatte.
»Warum seid Ihr nach Hurog gekommen?«, fragte ich ruhig.
»Ich dachte, Hurog wäre ein Ort der Zuflucht, wo Drachen und Sklaven in Sicherheit sind. Die anderen haben mich ausgelacht. Dann kam ich hierher und stellte fest, dass sie recht hatten.«Sie zeigte auf die Ketten des Drachen, die neben ihr lagen.
Ich kam zu dem Schluss, dass sie wahrscheinlich aus Avinhelle stammte, obwohl Ilanders Akzent sehr viel ausgeprägter war. Die Leute aus Avinhelle hielten häufig Sklaven, also wäre das verständlich. Aber etwas an ihr wirkte irgendwie falsch; sie war nicht so untertänig, wie man es von einer Sklavin erwartete.
»Ihr seid hier in Sicherheit«, sagte ich ernst.»Ihr könnt in Hurog bleiben, wenn Ihr möchtet. Es wäre vielleicht klüger, hier unten zu warten, bis Garranon und Landislaw weg sind, aber auch das ist Euch überlassen.«
»Wer seid Ihr, der das sagt?«, fragte sie höhnisch, nachdem sie uns beide einen Augenblick angestarrt hatte.»Ihr seid beide kaum mehr als Kinder.«Die Wirkung dieser Worte verlor irgendwie ein wenig, als ihre Stimme brach.
Die Müdigkeit war ihr um Mund und Augen deutlich anzusehen. Garranon und Landislaw waren ebenfalls müde gewesen, aber sie hatten den Weg hierher zu Pferd zurückgelegt. Sie war... Ich schaute nach unten und verschluckte einen Ausruf. Sie war barfuß gewesen.
»Oreg«, sagte ich und ignorierte ihre Frage.»Siehst du ihre Füße?«
Er schaute nach unten.»Ich hole einen Eimer Wasser und etwas von Penrods Hamamelis-Gebräu aus dem Stall«, sagte er und verschwand.
Die Frau riss die Augen auf und setzte sich abrupt hin.»Wer seid Ihr?«Diesmal lag keine Anklage ihrer Stimme.
»Ich heiße Ward«, sagte ich freundlich.»Mein Vater, Fenwick von Hurog, ist vor ein paar Wochen gestorben, also bin ich jetzt der Hurogmeten - obwohl mein Onkel über Hurog herrscht, bis ich einundzwanzig bin.«
»Und er?«Sie deutete vage dorthin, wo Oreg gestanden hatte.
»Oh, Oreg?«Ich überlegte, was ich ihr sagen könnte.»Er ist ein Freund.«
»Er ist ein Zauberer«, sagte sie beinahe zu sich selbst.
»Nun«, gab ich zu, immer noch in meiner Rolle als Idiot versunken, denn das war nun einmal meine Art, mit anderen umzugehen.»Ich glaube nicht, dass er wirklich ein Zauberer ist. Wir haben einen Zauberer hier, aber er sieht kein bisschen aus wie Oreg.«
»Zauberer sehen nicht alle gleich aus«, sagte sie überrascht.
»Onkel Duraughs Zauberer und Vaters Zauberer tun das schon«, widersprach ich.
»Das liegt daran, dass sie Brüder sind, Ward«, murmelte Oreg, der zurückgekehrt war, sanft.
Ich blinzelte ihn an. Es fiel mir leichter als sonst, dumm zu tun - ich war nicht daran gewöhnt, dass er vor mir plötzlich verschwand und wieder erschien.»Ach ja, das hatte ich vergessen.«
Ich bedeutete der Frau, sich auf eine zerbrochene Steinplatte zu setzen, die ein bisschen zu niedrig war, um bequem zu sein.
»Ich kann das ziemlich gut«, sagte ich, nahm Oreg den Eimer ab und stellte ihn in bequemer Entfernung vor sie.»Meine Schwester hat sich dauernd die Füße aufgerissen, weil sie keine Frauenschuhe tragen wollte. Ich habe ihr ein paar gute Holzfällerstiefel besorgt. Mutter mochte die Stiefel nicht, aber sie brauchte auch ihre Füße nicht zu verarzten.«Als ich mit dieser kleinen Ansprache fertig war, wirkte sie ein wenig ruhiger.
Ich nahm die Steingutflasche mit Penrods Gebräu und zog den Korken heraus. Dann goss ich eine großzügige Portion in den Eimer. Vorsichtig steckte sie die Füße ins Wasser und schnappte nach Luft, als das Desinfektionsmittel die Schnitte berührte. Ich tauchte die saubere Gemüsebürste, die Oreg mir gegeben hatte, in den Eimer, und zog einen Fuß heraus.
Sie hatte sich ziemlich wehgetan. Ihre gesamte Fußsohle war wund, und Dreck hatte sich tief eingegraben. Da ich wusste, dass ich nichts tun konnte, um die Schmerzen des Schrubbens zu verringern, machte ich mich daran, es gleich beim ersten Mal richtig zu erledigen, damit ich es nicht noch einmal tun musste. Als ich überzeugt war, alle kleinen Steine und allen Dreck aus dem Fuß geholt zu haben, schob ich ihn wieder ins Wasser und griff nach dem anderen.
Alles in allem war sie eine seltsame Sklavin. Zum einen hatte sie gezeigt, dass sie über Magie verfügte, als sie uns dieses Ding entgegengeschleudert hatte. Sicher, vielleicht konnten auch Magier Sklaven werden, aber ich hatte noch nie von einem gehört. Zum anderen war sie zwar müde, hatte aber nichts von der matten Hilflosigkeit an sich, die ich bei allen Sklaven bemerkt hatte, denen ich je begegnet war.
»Was wird Euer Onkel tun, wenn er erfährt, dass ich hier bin?«, fragte sie angespannt.
»Er weiß es schon«, antwortete ich stirnrunzelnd. Eine Stelle am zweiten Fuß war bereits infiziert.
»Ward?«, fragte Oreg mit distanzierter Miene.»Dein Onkel sucht nach dir. Das Essen ist fertig.«
»Kannst du das hier zu Ende bringen?«, fragte ich.
Er nickte, den Blick immer noch ins Weite gerichtet.»Wenn du dich beeilst, wirst du ihn in deinem Zimmer antreffen.«
Man hatte Garranon und Landislaw zu beiden Seiten meiner Mutter platziert, gegenüber von meinem Onkel und dem Racker, während ich am Kopf des Tisches saß. Garranon war höflich wie immer, aber Landislaw schwieg finster.
»Nun«, sagte Duraugh,»was gibt es Neues am Hof? Ich war seit der Wintermesse nicht mehr dort.«
Garranon legte den Bissen, den er gerade hatte essen wollen, wieder zurück, und sagte:»König Jakoven macht sich immer noch wegen Vorsag Sorgen.«Vorsag lag direkt südlich der Fünf Königreiche, an der Südgrenze von Oranstein.»Kariarn, der neue Herrscher, soll wankelmütig sein, und es ist fraglich, ob er die Verträge einhalten wird, die sein Vater abgeschlossen hat.«
»Es war auch fraglich, ob sich Kariarns Vater an die Verträge halten würde«, erwiderte mein Onkel.»Ich bin dem jungen Mann bereits begegnet und würde sagen, was ihn angeht, lässt sich die Frage leichter beantworten. Er wird sich so lange daran halten, wie es ihm passt, und keinen Augenblick länger. Ich habe gehört, dass es bereits zu vorsagischen Grenzüberfällen in Oranstein kam.«
Garranon nickte.»Ich habe die meisten meiner Leute zusammen mit meinem Waffenmeister zurück zu meinem Besitz geschickt.«
»Aber Euer Besitz befindet sich mehr als sechs Wegstunden von Vorsag entfernt!«, rief mein Onkel verblüfft. Nun machte er nicht mehr nur höflich Konversation - sein Interesse war erwacht.»Wenn Banditen so tief ins Land eingedrungen sind, wieso schickt der König keine Soldaten?«
»König Jakoven akzeptiert Kariarns Behauptung, dass es sich nur um ein paar einzelne Banditenklane handelt, die aktiver geworden sind, oder sogar um Oransteiner, die selbst diese Überfälle begehen.«Ich hatte noch nie gehört, dass Garranon ein Wort gegen den Hochkönig geäußert hätte, aber nun lag in seiner Stimme ein bitterer Unterton.»Jakoven wird wegen ein paar Überfällen keinen Krieg erklären.«
»Krieg?«Ich versuchte, begierig zu klingen, wie man es von einem Idioten, der gut kämpfen konnte, erwarten würde.
Garranon zuckte die Achseln.»Der König wird wegen Oranstein keinen Krieg beginnen, solange die Vorsag nicht anfangen, sich Land zu nehmen statt Wohlstand und Leben.«Er sagte das so lässig, dass ich mich fragte, ob ich mir die Bitterkeit zuvor nur eingebildet hatte. Garranon war Oransteiner, aber seit nunmehr fünfzehn Jahren auch der Geliebte des Königs.
Äußerlich wandte ich meine Aufmerksamkeit dem Essen zu. Krieg würde bedeuten, Hurog in den Händen anderer zu lassen, während Duraugh, ich und die Blaue Garde quer durch die Fünf Königreiche nach Oranstein ziehen würden. Da eine schlechte Ernte drohte, würde das Hurog überhaupt nicht gut tun, wenn man einmal davon absah, dass weniger Bäuche zu füllen wären.
Wie mein Onkel hatte auch ich den vorsagischen König Kariarn am Hof bereits kennengelernt. Er gehörte zu diesen Männern, die nicht besonders begünstigt waren, was ihr Aussehen anging, einem aber das Gefühl gaben, dass es sich anders verhielt. Er war mit Knochenamuletten behängt gewesen und stets in Begleitung einer Handvoll Magier. Es hieß, er sei selbst ein Magier, aber das glaubte ich nicht.
Seine Haltung gegenüber der Magie war für einen Zauberer falsch: voller Furcht und Besessenheit, während die Zauberer, die ich kannte, sich daran freuten.
»Oder nicht, Ward?«, fragte Landislaw.
Ich blickte auf.»Was? Ich habe nachgedacht.«
Er lächelte.»Euer Onkel erzählte uns gerade vom Pferd Eures Vaters. Er sagte, es sei ein Mörder, aber es folge Euch überall hin wie ein Schoßhündchen.«
»Es ist nicht schwer, ein Pferd dazu zu bringen, dass es einem folgt«, verkündete ich vergnügt.»Aber eine ganz andere Sache, es zu reiten. Er hat mich diese Woche schon dreimal abgeworfen.«
»Hm«, murmelte Landislaw neutral.»Ich sagte gerade zu Eurem Onkel, dass Ihr offenbar seltsame Geschöpfe wie diesen Hengst sammelt. Ihr habt es auch am Hof getan. Erinnerst du dich an dieses ungeschickte Mädchen letztes Jahr, Garranon? Und selbst Eure Schwester... auch wenn eine Frau, die nicht sprechen kann, nichts Schlechtes ist. Und nun versucht Ihr, meine Sklavin dieser Sammlung hinzuzufügen.«
Duraugh und Garranon lächelten höflich; Ciarra wirkte nervös und bemühte sich, unsichtbar zu sein.
Mutter blickte auf und sagte auf die zerstreut verträumte Weise, die sie um diese Tageszeit oft hatte:»Aber selbstverständlich tut er das. Wenn er nicht der Erbe wäre, hätte man ihn als Lehrling zu den Magiern geschickt, doch sein Vater wollte nichts davon hören. Hochkönig Jakoven persönlich hat es Fen befohlen. Wir haben nicht mehr annähernd genug Magier. Aber bevor Fen ihn schicken konnte, gab es diesen schrecklichen Unfall. Und danach war Ward nicht mehr geeignet, Magie zu lernen.«Sie wandte sich wieder ihrem Essen zu.
Landislaw starrte sie stirnrunzelnd an.»Was hat das mit Wards Streunern und Heimatlosen zu tun?«
Mutter kaute zimperlich und schluckte, dann spülte sie den Bissen mit einem kleinen Schluck Wein herunter.»Er kann andere auf magische Weise finden - wie die Leute, von denen die Geschichten erzählen. Er findet auch Dinge, die andere verloren haben - und sie finden ihn.«Ihre Pupillen waren Nadelspitzen, obwohl die mit Öltuch bedeckten Oberlichter die Halle nur trüb beleuchteten. Ich fragte mich, welches der Kräuter aus ihrem Garten sie diesmal genommen hatte. Traumwurzel wirkte sich nicht auf die Pupillen aus.
Ich hatte beinahe erwartet, dass es ihr nach Vaters Tod besser ginge, aber stattdessen schien sie sich in der Rolle der trauernden Witwe zu verlieren. Von der Frau, die dafür gesorgt hatte, dass meine Bauklötze sich quer durchs Zimmer bewegten, war nichts mehr übrig geblieben.
»Ich glaube nicht, dass es so funktioniert«, widersprach mein Onkel.»Wenn er immer noch mithilfe von Magie Personen und Dinge finden könnte - und Fen sagte mir, dass seine Fähigkeiten verschwanden, als...«Er warf mir einen Blick zu, aber ich kaute sorglos und recht laut weiter an einer rohen Möhre.
»Als er verletzt wurde. Wenn er immer noch ein Finder wäre, würde er Dinge finden, nicht sie ihn.«
»Ja, mein Lieber«, sagte Mutter, genau, wie sie es immer zu Vater gesagt hatte.»Ich bin sicher, du hast recht.«
Ich hüstelte, denn mein Onkel tat mir leid. Es ist schwer, sich mit jemandem zu streiten, der von einem Argument wegrutscht wie nasses Hafermehl von einem Löffel. Garranon wirkte besonders unbehaglich, und ich dachte mir, dass es wahrscheinlich kein Vergnügen war, am gleichen Tisch zu essen wie Mutter und ich.
Ich aß den letzten Rest Brot auf meiner Holzplatte und stand auf. Duraugh sah mich an und versuchte, mich mit einem Stirnrunzeln daran zu erinnern, dass es unhöflich für einen Gastgeber war, die Halle zu verlassen, wenn andere noch aßen. Aber ich wollte es ihm überlassen zu erklären, dass Hurog Landislaws Sklavin behalten würde.
»Blümchen«, sagte ich.»Er braucht ein paar Möhren.«Ich zeigte ihnen die Handvoll, die ich vom Tisch genommen hatte. Der Racker griff nach dem Rest des Brots und folgte mir rasch.
»Also gut«, sagte ich, bevor mein Onkel Ciarras Manieren bemängeln konnte.»Du kannst mitkommen. Aber halte dich zurück. Wenn Blümchen dir wehtut, wird er sich hinterher Vorwürfe machen.«
WARDWICK
Davonlaufen ist feige. Nicht, dass Feigheit unbedingt schlecht sein muss. Wie meinte Tante immer sagte:»Mäßigung in allen Dingen.« Nachdem ich mit Blümchen fertig war, folgte mir Ciarra zu meinem Zimmer und brachte mich dazu, eine Runde Diebe und Könige mit ihr zu spielen.
Dieses Spiel beruhte lediglich auf reinem Glück, und sie hatte immer gewaltiges Glück - oder sie wusste, wie man betrog.
Oreg sah uns von seinem Lieblingshocker aus zu und lachte leise oder verdrehte die Augen, wenn sie mich fertigmachte. Oreg verbarg sich nie vor Ciarra, solange sonst niemand anwesend war.
»Ins Bett«, sagte ich streng, nachdem sie mich wieder einmal geschlagen hatte.
Sie lachte, küsste mich auf die Wange und tanzte aus dem Zimmer.
Ich wartete, bis sich die Tür fest hinter ihr geschlossen hatte, bevor ich mich Oreg zuwandte.»Wie geht es unserem Flüchtling?«
Er lächelte mir träge zu.»Sie schläft. Sie wird in der Höhle bleiben, bis die beiden weg sind. Sie mag Landislaw nicht besonders.«
»Ich ebenso wenig«, gab ich offen zu.»Ich werde froh sein, wenn sie von hier verschwunden sind.«
Jemand klopfe höflich an meine Tür.
»Ich sehe noch mal nach unserem schlafenden Gast und überlasse dich Garranon«, sagte Oreg und verschwand. Sein Hocker blieb noch kurz auf zwei Beinen stehen, bevor er mit lautem Klappern zurückkippte.
Ich hatte mich noch nicht umgezogen, also brauchte ich nicht einmal einen Morgenmantel überzustreifen, als ich die Tür öffnete. Garranon stand direkt vor der Tür.
»Hallo«, sagte ich mit einem unbeschwerten Grinsen und hielt die Tür für ihn auf.
Er nahm mir die Tür aus der Hand und schloss sie hinter sich. Dann kam er näher und sagte:»Ich brauche Eure Hilfe, Ward.«
Ich blinzelte dümmlich. Er brauchte meine Hilfe?
»Das hier habe ich heute Abend im Gepäck meines Bruders gefunden«, berichtete er und nahm ein kleines Tuchbündel aus dem Beutel, den er am Gürtel trug.»Ich frage mich, ob Ihr so etwas schon einmal gesehen habt.«
Als ich mich vorbeugte, um näher hinzusehen, hob er das Tuch und blies das graue Pulver, das es enthalten hatte, in mein Gesicht. Bevor ich zu Boden fiel, sah ich noch, wie er zurücktrat und sich die Nase zuhielt.
Ich erwachte und träumte, dass ich wieder zwölf war und mich nicht bewegen konnte. Leute unterhielten sich in meiner Nähe, aber ich verstand nicht, was sie sagten. Ich schrie und heulte und schnatterte vor Angst, aber nicht einmal ein Flüstern kam über meine Lippen. Schließlich wurde es draußen ruhiger, und einen Augenblick führte ich das darauf zurück, dass auch meine Ohren aufgehört hatten zu funktionieren.
Dann drang Oregs Stimme durch den Nebel, der mich umgab.
»Ich musste warten, bis sie weg waren, Ward«, sagte er eindringlich.»Sei nicht böse auf mich. Bitte, bitte nicht. Ich werde dich befreien. Es wird alles gut.«
Als die Fesseln der Magie, die Garranon benutzt hatte, zerbrachen, kam ich keuchend auf die Knie.»Ihr Götter«, flehte ich, und Tränen liefen mir über die Wangen.
»Still, still«, flüsterte Oreg und tätschelte mir nervös die Hand. Er hielt sich immer noch so weit wie möglich von mir fern, denn er fürchtete, dass ich ihn schlagen würde, weil er mich nicht früher gerettet hatte. Seine Angst und die Tatsache, dass ich mich wieder bewegen konnte, ließen mich zur Vernunft kommen.
»Schon gut«, sagte ich.»Danke.«Meine Stimme klang so heiser, als hätte ich geschrien.
Ich wischte mir das Gesicht mit zitternden Händen und erkannte, dass ich auf meinem eigenen Bett saß. Ich versuchte nachzudenken. Warum hatte Garranon mich mit einem Zauber gefangen und dann in meinem eigenen Zimmer gelassen?
Oreg hob den Kopf.»Sie kommen zurück. Was soll ich tun?«
»Nichts«, sagte ich.»Nicht, bevor ich dich bitte.«
Jetzt konnte ich draußen die Stimmen hören. Mein Onkel war sehr zornig.
»Lass sie dich nicht sehen.«
Ich streckte mich wieder auf dem Bett aus und schloss die Augen.
Дата добавления: 2015-11-14; просмотров: 56 | Нарушение авторских прав
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