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Blümchen tänzelte auf der Stelle. Er war als Streitross ausgebildet, und der Geruch von Blut erregte ihn eher, als dass er ihn ängstigte. Für mich roch es wie zur Schlachtzeit im Herbst, und ich ignorierte angestrengt, dass es Menschen gewesen waren, die wir getötet hatten, und keine Rinder. Man musste lernen, das zu tun, oder es wurde einem bei jedem Kampf schlecht.
»Bastilla, hast du Ciarra gesehen?«
»Nicht, seit sie einen in diese Richtung verfolgt hat.«Sie deutete mit dem blutigen Schwert auf die Hütten.
Ich brachte Blümchen wieder zurück zu der Reihe von Hütten und zur Hauptstraße. Feder stand vor einem stabil aussehenden Gebäude und schnaubte, als wir näher kamen. Aus der Hütte drangen keine Kampfgeräusche.
Rohe Angst ließ das Blut in meinen Ohren rauschen und verwandelte sich dann in Zorn. Ich hatte ihr doch gesagt, sie solle auf dem Pferd bleiben! Langsam stieg ich ab. Tempo half nicht, denn was immer sich in dieser Hütte ereignet hatte, war bereits vorüber.
Ich öffnete die Tür und trat auf die Schwelle. Zunächst sah ich überhaupt nichts, da meine Augen noch ans Tageslicht gewöhnt waren. Dann griff mich etwas an, traf mich fest in die Rippen.
Mein Angreifer war zu nah für ein Schwert, also ließ ich meines fallen und griff nach dem Dolch, aber dann erkannte ich, dass es Ciarra war, die ich festhielt und die ihren Kopf an meiner Brust vergrub. Ich riss sie aus der Hütte und sah sie mir schnell an. Ihr Schwert war mit trocknendem Blut bedeckt, ebenso wie ihre Kleidung von der Brust abwärts. Sie zitterte am ganzen Körper, und mir ging es nicht viel besser: Ich hätte sie beinahe erstochen.
»Bist du verletzt?«, fragte ich, meine Stimme zornig und rau.
Sie schüttelte den Kopf und zeigte dringlich auf die Hütte.
Ich hob mein weggeworfenes Schwert wieder auf und betrat die Hütte vorsichtig. Sie war ein wenig größer als eine der Pferdeboxen in Hurog. Ein Bett aus Seilen war in der linken Ecke angebracht, die Feuerstelle befand sich rechts. Auf so engem Raum war der Gestank nach durchtrennten Eingeweiden deutlich wahrzunehmen, aber ich musste warten, bis meine Augen sich an die Dunkelheit angepasst hatten, bevor ich ihn sah.
Der Bandit hatte sich um seine Bauchwunde zusammengerollt, aber seine Augen standen offen, und er lebte noch. Ciarra hatte ihm diese Wunde verabreicht, und sie würde tödlich sein. Der Mann sah unterernährt aus und war vielleicht in Tostens Alter, aber sein bartloses, tränenüberströmtes Gesicht wirkte jünger.
Mein Zorn über Ciarras Waghalsigkeit verschwand viel zu schnell, und plötzlich war ich schwach vor Entsetzen.
»Bitte«, keuchte er in einem schweren oransteinischen Dialekt.
Ich sah es in seinen Augen - er wusste, dass die Wunde tödlich war. Er wusste, was ihn erwartete, wenn mein Mut nicht ausreichen würde. Seleg, dachte ich, Seleg hätte ihn nicht leiden lassen. Ich hob den Dolch, dann ließ ich die Hand sinken. Seleg hätte ihn gerettet. Kinder zu töten, das war etwas für brutale Männer wie meinen Vater... und mich.
Ich packte den Dolch fester und ließ die scharfe Klinge von unten in sein Hirn gleiten, genau, wie Stala es mir beigebracht hatte. Für einen Mann mit meiner Kraft und meinem Tempo war das der sicherste, schnellste Weg, jemanden zu töten. Er hatte nicht einmal Zeit zusammenzuzucken.
Ich wischte Schwert und Messer an seinem Hemd ab und steckte sie ein. Dann hob ich ihn hoch und trug ihn aus der Hütte. Ciarra warf mir einen Blick zu, dann drehte sie das Gesicht zu Feders Mähne. Ihre Schultern zuckten von ihrem Schluchzen. Ich ließ sie zurück.
Bastilla versuchte gerade, mit den Frauen zu sprechen, als ich aus der Hütte kam. Ich entnahm ihrer frustrierten Miene, dass sie nicht besonders weit gekommen war; offenbar beherrschte sie die Landesprache nicht, und die Frauen weigerten sich, Tallve-nisch zu verstehen. Drei Leichen lagen bereits auf einem Haufen, und ich legte den Jungen, den ich trug, neben ihnen ab.
»Lass sie gehen, Bastilla«, sagte ich in klarem, wenn auch schlichtem Oransteinisch. Mein Vater war stets verblüfft darüber gewesen, wie schnell ich
Sprachen lernte, obwohl er behauptete, ich höre mich in einer so dumm an wie in der anderen.»Sie werden sich beruhigen, wenn wir weg sind, ohne ihnen wehgetan zu haben. Wenn du jemanden umgebracht hast, musst du die Leiche herbringen. Wir verbrennen sie, damit sie diesen Ort nicht heimsuchen.«Ich wiederholte, was ich gesagt hatte, noch einmal auf Tallve-nisch, damit Bastilla mich verstand. Meine Stimme klang in meinen Ohren seltsam heiser.
Nun kehrten auch Oreg und Tosten zurück. Tostens Pferd triefte vor Schlamm und zitterte.
»Es ist in ein Sumpfloch gefallen«, sagte Tosten knapp.
»Wir müssen die Leichen sammeln«, sagte ich.
Tosten sah mich gereizt an.»Mein Pferd ist nicht in der Verfassung dazu.«
»Ich hole sie«, bot Oreg an, schaute von mir zu Tosten und schüttelte leicht den Kopf.
Ich verkniff mir, was ich hatte sagen wollen. Es war ungerecht, mein Entsetzen an Tosten auszulassen. Er sah blass und erschüttert aus. Wenn das Schänkenleben in Tyrfannig nicht erheblich spannender war, als ich annahm, hatte er an diesem Tag wohl zum ersten Mal getötet.
Bastilla wirkte kühl und geschäftsmäßig, als hätte sie schon öfter Banditen umgebracht. Entweder hatte ihre Zeit als Sklavin sie gegenüber dem Tod abgehärtet, oder in den Tempeln der Cholyten geschahen Dinge, von denen ich lieber nichts wissen wollte. Oreg machte ebenso wie sie den Eindruck, als gehöre
Töten zu seinem Alltag. Die Anweisung, die Leichen der Banditen aufzulesen, störte ihn kein bisschen.
Tosten zog ein Bein über den Rücken seines Pferdes und rutschte herunter. Er versetzte mir einen ge-demütigten Blick, gab mir die Zügel in die Hand und eilte dann auf ein Gebüsch zu. Ich tätschelte seinem Pferd den Hals und führte es ein wenig herum, um mich zu überzeugen, dass es nicht lahmte. Die entsetzten Blicke der Dorffrauen bewirkten, dass ich mich sehr unbehaglich fühlte.
Tosten sah blasser aus, als er zurückkehrte, um sein Pferd wieder zu nehmen, und wollte mir nicht ins Gesicht schauen.
»Stala sagt, einige der abgebrühtesten Soldaten, die sie kennt, müssen sich nach jeder Schlacht übergeben«, meinte ich. Das schien nicht zu helfen, also gab ich ihm etwas zu tun.»Ciarra braucht dich. Sie hat einem Mann eine Bauchwunde zugefügt. Ich habe ihn getötet, aber es war schlimm. Sie ist da drüben.«Ich deutete auf die andere Seite der Hütten.
Vielleicht konnten sie einander helfen.
Schließlich hatten wir alle toten Banditen gesammelt. Wenn man bedachte, wie unorganisiert wir durch meine Schuld gewesen waren, war es erstaunlich, dass wir sie tatsächlich alle erwischt hatten. Axiel, Penrod und Oreg durchsuchten sie und nahmen ihnen alles ab bis auf die Kleidung. Der Anführer hatte eine Nadel aus Silber und Bernstein an seinem Ärmel. Als Oreg sie auf den kleinen Beutehaufen legte, machte eine der Dorffrauen unwillkürlich einen halben Schritt auf sie zu, dann bremste sie sich.
Ich schickte Bastilla, um Tosten und Ciarra zurück in unser Lager zu bringen, bevor jemand es fand und sich mit unseren Packpferden und der Ausrüstung davonmachte. Sie kehrte zurück und führte Blümchen am Zügel - oder genauer gesagt wurde sie von ihm zurückgezerrt. Ich hatte vergessen, dass ich ihn bei Ciarra gelassen hatte.
»Das waren die Letzten«, sagte Axiel und wischte sich die blutigen Hände an einem zerfetzten Hemd ab.»Jetzt brauchen wir etwas, um sie zu verbrennen.«
»Nein«, sagte Oreg.»Ich kann das übernehmen.«Er deutete auf den Leichenhaufen, und die Leichen begannen zu schwelen, als bestünden sie aus Holz und nicht aus Fleisch.
Bastilla stellte sich neben ihn und berührte seinen Arm. Beinahe sofort schlug uns eine Hitzewelle entgegen. Magie, Hurog-Magie, traf mich, und ich taumelte einen Schritt zurück. Einen Augenblick kam es mir beinahe so vor, als wäre ich wieder zu Hause, und dieses schreckliche, leere Gefühl war verschwunden. Ich war wieder ganz. Es fühlte sich wunderbar an.
»Nicht so viel, Mädchen«, fauchte Oreg. Er warf mir einen besorgten Blick zu.»Tut mir leid«, sagte er. Dann verging die Magie.
Ich hätte beinahe aufgeschrien, so weh tat es. Zum Glück beobachtete mich niemand außer Oreg, also hatte ich Gelegenheit, mich zu erholen. Bis zu diesem Augenblick war mir nicht wirklich klar gewesen, das Hurog und Oreg tatsächlich ein und dasselbe waren. Er hatte es mir gesagt, aber ich hatte ihn mir dennoch als einen Menschen vorgestellt, der an die Burg gebunden war - so wie ich, nur enger. Doch es verhielt sich anders; das spürte ich jetzt in seiner Magie. Er war Hurog. Ich fragte mich, was geschehen würde, wenn er im Kampf fallen sollte; etwas, woran ich früher hätte denken sollen.
»Licleng hätte das an seinem besten Tag nicht tun können«, stellte Penrod ehrfürchtig fest.
Seine Stimme brachte meine Aufmerksamkeit wieder zu den Banditen zurück. Wo sie gelegen hatten, gab es nun nur noch verbrannte Erde. Es hatte weniger Zeit gebraucht, sie zu Asche zu verbrennen, als man für fünf tief Atemzüge benötigt hätte.
»Das will nichts weiter heißen«, stellte Axiel fest.»Licleng konnte keine Kerze anzünden, ohne dass ihm ein brennender Span dabei aushalf.«
»Es war Bastilla«, erwiderte Oreg und schaute mich weiterhin besorgt an.
»Gehen wir«, sagte ich.»Die Pferde sind müde. Und je eher wir aufbrechen, desto schneller kann das Dorf beginnen, sich zu erholen.«Ich nickte zu den Frauen und Kindern hin.
Unser Lager lag nicht weit von einem klaren Bach entfernt, und wir wuschen uns darin. Tosten und Ciarra hatten das Zelt fertig aufgeschlagen, also brauchten wir uns nur um die Pferde zu kümmern und das Essen vorzubereiten. Weder Tosten noch Ciarra aßen viel.
Ciarra mied mich und klebte an Tosten. Das tat weh, aber ich verstand sie. Wenn ich vor mir selbst hätte fliehen können, hätte ich es ihr nachgetan. Ich bedauerte nicht, den armen Jungen aus seinem Elend erlöst zu haben, nur, dass es überhaupt notwendig gewesen war - und der Vorfall hatte mich daran erinnert, dass ich, so sehr ich mich auch anstrengte, der Sohn meines Vaters war.
Die Leute fragten sich oft, wieso mein Vater, der die Bewohner von Tallven eindeutig noch weniger leiden konnte als Oransteiner (weil er den Oranstei-nern keinen Zehnten zahlen musste), bei der Rebellion so hart auf der Seite des Königs gekämpft hatte. Ich hatte das gewusst, seit ich meinen ersten Banditen getötet hatte. Sobald mein Schwert ins Fleisch drang, liebte ich es: Ich liebte es, mich gehen zu lassen und mit voller Kraft zuzuschlagen. Selbst den Jungen zu töten, hatte mir die Euphorie des Kampfes nicht vollkommen ausgetrieben. Manchmal fragte ich mich, wann ich wohl aufwachen und entdecken würde, dass ich mich in meinen Vater verwandelt hatte.
Ich teilte Tosten und Ciarra gemeinsam für die dritte Wache ein und übernahm selbst die zweite mit Oreg. Ich hatte nicht vor, sie für ihre Schicht zu wecken. Wenn sie schlafen konnten, würde ich sie schlafen lassen.
Ich blieb hellwach, bis Penrod kam, um mich für meine Wache zu wecken. Als es aussah, als schliefen er und Axiel, hockte ich mich neben Oreg, der im Feuerlicht sein Hemd flickte.
»Was passiert, wenn du im Kampf umkommst?«, fragte ich.
»Die Mauern von Hurog werden einstürzen, bis kein Stein mehr auf dem anderen steht.«Nachdem er diese Bardenzeilen in dramatischem Ton ausgesprochen hatte, verknotete er den Faden und sagte in ganz anderem Tonfall:»Glaubst du wirklich, wenn mein Vater mir einen so leichten Ausweg gelassen hätte, wäre ich ihn nicht schon längst gegangen? Man kann mich verwunden, aber nur der Träger des Rings kann mich töten.«
»Ah.«Ich schaute in die Dunkelheit hinaus, und dann fiel mir ein, dass er zuvor schon einmal etwas Ähnliches gesagt hatte.»Nur ich.«
»Sprich mit mir«, sagte er einen Augenblick später.»Du bist angespannter als Blümchen in Gegenwart einer Stute.«
Ich zögerte.»Kämpfe überraschen mich immer. Dass Menschen so leicht sterben. Und jedes Mal, wenn ich mein Schwert ziehe, erwarte ich, dass es diesmal anders ist. Dass es...«Ganz gleich, wie ich es formulierte, es würde sich dumm anhören.
»Wie in den Liedern ist? Voller Ruhm und Ehre?«
Ich hatte recht gehabt. Es klang dumm. Warum glaubte ich es also immer noch?
»Das hier war keine Schlacht«, sagte Axiel leise. Seine Haltung sagte mir, dass er wohl nur den letzten
Teil des Gesprächs gehört hatte.»Das hier war nichts als eine Jagd nach Ungeziefer.«
»Ich wollte dich nicht wecken«, entschuldigte ich mich.
Er zuckte die Achseln, setzte sich hin und schlang die Arme um die Knie.»Ich bin nach einem Kampf immer ruhelos.«
»Dieser Junge, den ich getötet habe.«Ich schluckte, denn meine Kehle war trocken.»Er sollte irgendwo mit seiner Familie Land bebauen und nicht Leute bestehlen, damit er überleben kann. Wo ist der Herr dieser Region?«
»Der Junge war eine Giftschlange, Ward«, sagte Axiel.»Es ist egal, wie groß sie sind, sie töten einen trotzdem. Er hätte gejubelt und Euch unter Schmerzen sterben lassen, wenn die Rollen anders verteilt gewesen wären. Echte Schlachten sind... nun, sie sind gleichzeitig besser und schlimmer. Sie nehmen einem alles, alles Getue, alles, was man an Fassade aufgebaut hat. In einer Schlacht kann man sich nicht vor sich selbst verstecken. Nimm Penrod: Er hat diese ruhige Selbstsicherheit auf dem Schlachtfeld gelernt. Für andere... Ihr kennt den Hochkönig?«
Ich nickte, obwohl es nicht wirklich eine Frage gewesen war.
»Sein Vater war ein solch großer Krieger, dass sein Name immer noch mit Ehrfurcht ausgesprochen wird. Euer Vater kämpfte unter seinem Befehl. König Jörn verfügte über eine seltene Mischung aus Mut und Weisheit, und sein Erbe, Jakoven, erwies sich als ausgesprochen klug. Er konnte ein Schlachtfeld ansehen und es abschätzen, wie es zu nutzen war, als wäre er ein doppelt so alter Mann. Er konnte mit einem Schwert umgehen. Er hätte ein guter Kommandant sein sollen, aber es steckte einfach nicht in ihm. In seiner ersten Schlacht führte er die meisten seiner Männer in den Tod, weil er den Mut verlor. Sein Vater gab ihm danach einen Kommandoposten an einem sicheren Ort, wo seine Begabung nützlich sein würde. Aber wir wussten alle, dass Jakoven versagt hatte. Ich glaube, das hat ihn verändert. Nicht nur, dass er den Mut verloren hatte, sondern dass wir es alle wussten.
Das hier war keine Schlacht«, wiederholte er.»Aber es war notwendig. Erstens haben wir dieses Dorf und all die anderen Dörfer gerettet, die diese Banditen zerstört hätten. Und zweitens, weil Ihr vorhabt, diese Gruppe in einen Kampf zu führen; es waren zu viele unter uns, die noch nie gekämpft hatten, um zu töten. Der Unterschied von einem Übungskampf zu einem echten ist gewaltig.«
»Niemand hat die Nerven verloren«, stellte ich fest.
»Niemand hat die Nerven verloren«, stimmte Axiel zu und schob sich eine dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht.»Ciarra wird sich erholen und Tosten ebenfalls.«
Der nächste Morgen war grau und elend. Alles war feucht. Es hatte in der Nacht nicht geregnet, aber über dem Land hing dichter Nebel. Auch das Feuerholz war feucht. Wenn Oreg nicht bei uns gewesen wäre, hätten wir nie ein Feuer haben können. Nach dem Frühstück begannen wir mit den Übungen.
Der Kampf des Vortags machte alle ernster als sonst - oder ich selbst war so finster, dass niemand es wagte, die Stimmung aufzuhellen. Selbst Oreg war ungewöhnlich schweigsam.
Axiel hielt die Kämpfe plötzlich abrupt auf. Ich nickte Penrod zu, meinem derzeitigen Gegner, und ging nachsehen, wieso er das getan hatte.
Ein hoch gewachsener, grobknochiger Mann wartete in vorsichtigem Abstand von unserem Lager, ein Packpferd an der Seite. Er hatte offenbar vor, uns zu sich kommen zu lassen, statt auf uns zuzugehen -was klug ist, wenn man sich Kämpfenden nähert. Jeder Bauer aus Hurog hätte einfach gegrüßt und wäre direkt auf uns zugestapft, aber Shavig war, solange sich jemand erinnern konnte, nicht mehr angegriffen worden. Auf meine Geste hin blieben die anderen zurück, während ich auf den Mann zuging.
»Herr«, sagte er in brauchbarem Tallvenisch, sobald ich mich auf bequeme Hörweite genähert hatte.»Meine Frau sagte mir, dass wir Euch und Euren Leuten ihre Sicherheit schulden.«
Er sprach diese Worte ohne die Dramatik aus, die sie verlangten. Er hätte genauso gut über das Wetter reden können. Ich bemerkte, dass er ein Schwert hatte. Den Bauern von Oranstein war durch ein Gesetz, das nach der Rebellion erlassen worden war, das Tragen von Waffen mit scharfen Schneiden verboten. Aber es war sogar ein gutes Schwert, nicht nur die
Waffe eines durchschnittlichen Soldaten. Ich sah ihn mir näher an.
Er war etwa so alt wie Penrod, obwohl die Jahre nicht so freundlich mit ihm umgegangen waren. Er trug eine Wollmütze, die er bis auf die Ohren heruntergezogen hatte. Das mochte mit dem Wetter zu tun haben, aber die Mütze würde auch den leicht zu erkennenden Haarschnitt verbergen, den die Adligen von Oranstein trugen. Was ihn allerdings wirklich verriet, war das Packpferd. Diese kleinen Tiere mit den flachen Seiten und der schmalen Brust, die die oransteinischen Adligen bevorzugten, konnten zwei Wochen mit nur wenig Nahrung auskommen.
Das Pferd, das er führte, war alt. Ein anderer hätte es für halb verhungert gehalten und angenommen, dass es bald sterben würde. Aber mein Vater hatte eines dieser Tiere von einem seiner Feldzüge mitgebracht, also wusste ich, was ich vor mir hatte. Gerade Beine, hoch angesetzter Schweif und ein Schwanenhals sagten mir, dass es nicht für einen Bauern gezüchtet worden war.
Ein Adliger, dachte ich. Einer von denen, die sich am Ende des Krieges geweigert haben, sich zu ergeben. Wie schrecklich, das Leben seiner Frau dem Feind zu verdanken. Kein Wunder, dass er so ruhig wirkte. Ich hätte wetten können, dass er viel lieber sein Schwert genommen und es mir in den Hals gerammt hätte - aber er musste tun, als wäre er ein Bauer.
»Etwas amüsiert Euch?«, fragte er, dann fügte er rasch»Herr«hinzu.
»Ich dachte daran, dass Ihr wahrscheinlich froher wäret, wenn wir uns gegenseitig umgebracht hätten«, erklärte ich ganz offen.»Wenn es hilft - wir haben nicht einen einzigen Mann aus Tallven in unserer Gruppe. Die meisten von uns kommen aus Shavig -und wir sind hier, um gegen den vorsagischen Abschaum zu kämpfen.«Dann fügte ich ebenfalls»Herr«hinzu.
Er sah mich an, dann lächelte er dünn.»Es hilft. Es hilft auch, dass es meine Tochter war, die Ihr vor der Vergewaltigung bewahrt habt. Ich heiße Luavel-let.«Er bot mir die Hand, und ich nahm sie.»Meine Frau sagte, dass Ihr unterwegs seid und vielleicht Proviant eintauschen wollt. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir Euch zumindest versorgen sollten. Ich habe auch ein paar Ausrüstungsgegenstände mitgebracht, die Ihr vielleicht nicht habt, da Ihr aus einem trockeneren Klima kommt.«
»Ich danke Euch«, erwiderte ich ehrlich.»Ihr werdet uns selbstverständlich dafür bezahlen lassen.«
Er zog die Brauen auf eine Weise hoch, die mich an meinen Großvater erinnerte, wenn er besonders hochfahrend war.»Davon will ich nichts hören.«Wir hatten beide aufgehört, uns mit»Herr«anzureden.
»Wir haben Geld«, sagte ich.»Lasst uns mit Euch feilschen, dann könnt Ihr mir für den Rest Informationen geben. Ich bin hier, um herauszufinden, was die Banditen aus Vorsag bisher getan haben.«
»Wieso kümmert Euch das?«, fragte er. Es lag keine Feindseligkeit in seiner Stimme.
Ich spürte, dass ich ihm ehrlich antworten wollte.»Ich habe etwas gegen Banditen, aber ich wäre normalerweise nicht durch das halbe Königreich gereist, um sie zu bekämpfen. Ich muss meiner Familie meinen Wert beweisen, und das schien mir der beste Weg zu sein, es zu tun.«
»Es wird Krieg geben, Junge«, sagte er.
Ich nickte.»Ja, und ich werde schon eine Weile hier sein, bevor der König seine Leute schickt.«
Er lächelte zum Himmel auf, aber sein Blick war traurig.»Warum sind sie immer so jung? Der König wird keine Leute schicken. Er wird warten, bis die Vorsag uns alle niedergemetzelt haben. Dann greift er sie von den Flanken an und lässt sie von der falschen Seite der Berge aus kämpfen.«
Plötzlich begriff ich. Ich hatte gewusst, dass es Krieg geben würde, schon aus der Art, wie Garranon die Situation in Oranstein erklärt hatte. Und wenn ich es gesehen hatte, ginge es jedem mit einem Blick für Strategie ebenso. Axiel hatte König Jakoven als Strategen bezeichnet. Er war auch ein kaltblütiger Mistkerl.
Ich konnte es sogar noch weiterführen. Wenn Lu-avellet, isoliert in seinem Dorf, wusste, was der König vorhatte, dann wussten es wohl auch die Vorsag. Hatten sie es nur auf Oranstein abgesehen? Wenn das der Fall war, dann würden sie versuchen, die Bergpässe zu erobern und sich dort einzugraben. Wenn nicht, würden sie sich teilen und an zwei Fronten angreifen, wahrscheinlich an der Küste von Seefurt - es sei denn, König Kariarns war ein Narr. Was das für mich bedeutete, wusste ich noch nicht.
»Ihr habt Eure Schuld gerade abbezahlt«, sagte ich schließlich.»Jetzt müsst Ihr nur noch unser Geld für die Vorräte nehmen.«
An diesem Abend schützte uns ein geöltes Tuch, das Luavellet uns gegeben hatte, vor dem nassen Boden. In dem rutschigen Schlamm zu kämpfen war unmöglich. Wenn es so bliebe, würde ich mir etwas überlegen müssen, aber zunächst einmal hatten wir den Abend frei.
Axiel erzählte noch ein paar Geschichten von Kämpfen, und dann holte Tosten die Harfe heraus. Er bewies uns schnell, dass er recht gehabt hatte, als er die Küferei zugunsten der Harfe aufgab. Ciarra lehnte sich an seine Schulter. Seine Musik umgab mich bald wie eine warme Decke.
Penrod holte eine kleine Soldatentrommel aus dem Gepäck und machte mit. Bastilla sang mit angenehmer, wenn auch dünner Altstimme, aber es war die Mischung aus Axiels Bass und Tostens goldenem Tenor, die die Magie vervollständigte. Ich hatte so etwas nicht mehr gehört, seit ich das letzte Mal am Hof gewesen war. Ich lehnte mich gegen einen der Bäume, an die wir das Zeltseil gebunden hatten, entspannte mich und schloss die Augen. Jemand zog eine feuchte Decke um meine Schultern.
»Vorsichtig«, sagte Penrod leise.»Ich glaube, er hat seit vor dem Kampf kein Auge mehr zugetan.«
Дата добавления: 2015-11-14; просмотров: 81 | Нарушение авторских прав
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