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Morgenflut auslaufen würde, und ich musste mich beeilen, um den Schreiber des Schiffs zu finden, bevor er die offizielle Passagierliste im Hafenbüro einreichte.
Ich zahlte für unsere Überfahrt, und er warnte mich, dass der Kapitän nicht auf Passagiere warten würde, die zu spät kämen. Ich versicherte ihm, das sollte kein Problem sein; wenn wir das Schiff verpassten, würden wir eben das nächste nehmen. Der Schreiber hielt mich für einen reichen Dummkopf, was mich nicht störte. Ward von Hurogs Name und pro Passagier sechs Silberstücke wurden auf der Liste festgehalten, wo Garranon sie finden würde.
Von den Docks aus ging ich zur Südseite der Stadt. Die Straßen waren hier ein wenig ungepflegter, die Häuser kleiner. Ich kam an drei Schänken, sieben Krämern und einer Schmiede vorbei, bevor ich kurz einen Küferladen betrat. Dann kehrte ich zu einer ärmlichen kleinen Schänke zurück, die nach dem Gehörnten benannt war. Der Name stellte entweder eine Blasphemie dar (der gehörnte Gott war eine viel geschmähte Gestalt aus alten Zeiten) oder ein Wagnis (ein Gehörnter konnte auch einer sein, dessen Frau mit anderen Männern schlief). Wie auch immer, der Name würde den Seeleuten sicherlich gefallen.
Wie um diese Tageszeit zu erwarten, befand sich niemand im Schankraum bis auf einen abgerissenen Bänkelsänger, der sich zu sehr auf das Lied konzentrierte, das er auf seiner alten Harfe spielte, um auf mich zu achten. Ich fand einen sauberen Krug auf dem Regal direkt hinter der Küchentür und nahm mir ein Bier aus dem offenen Fass.
Dann setzte ich mich hin und lauschte der Musik. Der Harfner war besser, als ich erwartet hätte, denn er war noch jung, aber er hätte gut daran getan, seine alte Harfe gegen ein besseres Instrument einzutauschen.
»Der Wirt wird erwarten, dass du für dieses Bier bezahlst«, sagte er schließlich und strich sich das hellblonde Haar aus den Augen.
»Ich habe ein paar Kupferstücke«, erwiderte ich.
»Ich habe gehört, der Hurogmeten sei tot.«Er spielte ein paar traurige Akkorde und beobachtete mich dabei.
Ich nickte und trank einen Schluck.»Ich glaube nicht, dass du zu seinem Grab pilgern solltest.«
Er schwieg.
Schließlich setzte ich den leeren Krug ab.»Ich hatte angenommen, dass du beim Küfer arbeitest, Tosten, und nicht hier für betrunkene Seeleute spielst.«
Mein Bruder reckte trotzig das Kinn vor.»Ich bin nicht für die Arbeit mit Holz geeignet. Aber ich kann Harfe spielen. Es mag keine echte Arbeit sein...«
Ich unterbrach ihn.»Du kannst es gut genug. Verwechsle mich nicht mit Vater. Ein guter Musiker wird wahrscheinlich besser bezahlt als ein Küferlehrling.«Er wandte den Blick ab, also nahm ich an, dass ich mich geirrt hatte. Ich räusperte mich.»Dass ich dich beim Küfer gelassen habe, hatte mehr mit deiner Sicherheit als mit deiner Begabung zu tun. Ein hübscher Junge wie du muss mit Seeleuten vorsichtig sein.«Er erstarrte ein wenig, denn er wusste inzwischen, was ich meinte - das war, als ich ihn in Tyrfannig gelassen hatte, nicht der Fall gewesen.
»Du bist der neue Hurogmeten«, wechselte er dann abrupt das Thema. Ich konnte ihm nicht ansehen, was er gerade dachte.
Tosten war immer zurückhaltend gewesen. Ich glaubte nicht, dass er mich besonders mochte. Mein lärmendes Dummkopf-Theater hatte ihn nervös gemacht, wie ein lauter Hund ein hochgezüchtetes Pferd. Das Toben und die Schläge meines Vaters -obwohl Tosten sie seltener erlebte als ich - waren noch schlimmer gewesen. Er hatte sich ungeheuer angestrengt, um das zu sein, was Vater wollte, und nicht erkannt, dass Vater nie zufrieden sein würde.
»Nein, ich bin nicht der Hurogmeten.«Dann hielt ich inne, um darüber nachzudenken. Tatsächlich hatte ich keine Ahnung, was das Dekret des Königs bezüglich des Titels vorsah.»Zumindest herrsche ich derzeit nicht in Hurog.«
Das erweckte seine Neugier.»Warum nicht?«
»Es sieht so aus, als hätte Vater beschlossen, mich für untauglich zu erklären, und die Politik hilft ihm dabei auch noch nach dem Tod. Solange unser Onkel nicht zu gierig wird, gehört Hurog dir.«
Das Schweigen dauerte so lange, bis mein Nacken von der Anspannung kribbelte. Wenn Tosten Hurog haben wollte, würde es ihm gehören. Ich glaubte nicht, dass er es tun würde, aber es war immerhin möglich.
Er war mein Bruder; ich würde nicht mit ihm kämpfen. Tosten starrte die dunkle Mauer der Schänke an, während seine Finger, lang und schlank wie die von Oreg, sich auf dem Tisch langsam zur Faust ballten.
»Wie kann das sein?«Seine Stimme brach, als wäre sein Hals sehr trocken.
»Nach mir bist du der Erbe unseres Vaters«, sagte ich.
»Das ist mir klar«, sagte er gereizt.»Aber niemand außer dir weiß, wo ich bin. Ich meinte, wie willst du es anfangen?«
Ich sah ihn stirnrunzelnd an. Er hatte das letzte Wort besonders betont.»Was anfangen?«
Er schnaubte.»Glaubst du denn, ich hätte dich und Vater all diese Jahre beobachten können«- er klang, als wäre er uralt -,»ohne zu wissen, was Hurog dir bedeutet? Nachdem du mir herausgeholfen hattest, dachte ich darüber nach, wieso du dich so dumm stellst, obwohl du es nicht bist, und ich erkannte, dass du vorhattest, alles zu vernichten, was zwischen dich und Hurog geriet. Vater hat seine Kinder zerstört, und du wolltest ihn zerstören.«Er setzte die Harfe ab, stand auf und kam auf mich zu.»Und jetzt hast du mich hier allein. Du solltest dich lieber beeilen. Der Wirt wird bald zurückkommen; er ist unterwegs, um ein neues Fass Bier zu holen.«
Ich starrte ihn an und kam mir ebenso dumm vor, wie ich zuvor getan hatte. Ich hatte keine Ahnung, wovon er redete. Warum sollte mich interessieren, dass der Wirt auf dem Rückweg war?
»Sieh mal«, sagte ich.»Ich muss verschwinden, egal wie, oder man steckt mich ins Asyl des Königs für unerwünschte Adlige und peinliche Verwandte. Wenn du nach Estian gehen und dich dort in der Halle der Bänkelsänger ausbilden lassen willst, kann ich dir das Geld dafür geben. Der Küfer kennt viele Leute, er wird eine Eskorte für dich finden. Wenn du Hurog willst... nun, ich glaube, Duraugh ist in Ordnung, aber du solltest eine Weile in der Nähe von Stala bleiben. Ich werde Penrod mit dir zurückschicken...«Und Oreg, wenn das möglich war.»Vielleicht auch Axiel.«Wenn er Hurog wollte, würde ich kein Heer brauchen. Ich sah mich um.»Aber ich möchte dich nicht hier lassen, das wäre gefährlich. Wenn du irgendwo anders hin willst...«Ich hielt mitten im Satz inne, denn plötzlich dämmerte mir, was er zuvor wirklich gemeint hatte.»Du glaubst, ich bin hier, um dich umzubringen.«
Ich musste wirklich dumm sein, dass ich so lange gebraucht hatte, um das zu verstehen. Aber der Gedanke, meinen Bruder umzubringen, war so weit von der Wahrheit entfernt, dass ich nie gedacht hätte, er könnte so etwas glauben.
Tosten, der mir ins Gesicht sah, begriff das nun ebenfalls.
»Es tut mir leid«, flüsterte er. Er bewegte die Hand, als wolle er sie mir entgegenstrecken, aber dann riss er sie zurück und packte die Harfe so fest, dass es wehtun musste.
Mir war schwindlig von dem plötzlichen Einblick in seine Vorstellung von mir als jemand, der so angestrengt um Hurog kämpfte und so darin verbissen war, dass er den Tod seines Vaters nur als den letzten Schritt zum Sieg betrachtete.
»Wenn du stirbst, wird der König Hurog für den Thron beanspruchen«, sagte ich und trat zurück. Ich brauchte einen Ort, an dem ich mich zusammenrollen und meine Wunden lecken konnte; ich musste die nagende Erschöpfung loswerden, die mich daran erinnerte, dass ich mich nicht mehr auf dem Boden von Hurog befand. Ich musste gehen.
»Du hast den Küfer verlassen, weil du dachtest, dass er mein Verbündeter ist«, sagte ich und wusste, dass dies zumindest ein Teil der Wahrheit war, obwohl Tosten auch die Musik immer geliebt hatte.»Nun, wie auch immer. Solange du Geld einbringst, sollte der Wirt dir Zuflucht gewähren.«Zu meiner Überraschung klang meine Stimme wie eh und je.
Ich griff nach dem schweren Beutel mit Münzen, den Oreg mir gegeben hatte, und teilte den Inhalt in zwei Hälften. Eine davon steckte ich wieder in den Beutel. Es würde nicht genügen, um eine Söldnertruppe anzuwerben, aber ich würde schon eine Möglichkeit finden. Die andere Hälfte sollte ausreichen, um Tosten eine Ausbildung zu bezahlen, wo immer er sie haben wollte.
Er sagte meinen Namen, als ich durch die Tür ging.
Ich traf mich mit den anderen im Gasthaus. Sie waren bereit aufzubrechen, und bald schon hatten wir
Tyrfannig hinter uns gelassen. Wir wagten nicht, die Hauptstraße nach Estian zu nehmen; die Gefahr, Garranon dort zu begegnen, war zu groß. Also wählten wir die raueren Wege. Wir ritten den ganzen Tag und machten Halt, bevor es zu dunkel war, um etwas sehen zu können.
Stalas Mahnung, die Leute, die für mich kämpften, so gut wie möglich kennenzulernen, hallte in meinen Ohren wider, und ich teilte Bastilla zur ersten Wache mit mir ein. Sie war so müde, dass sie kaum mehr aufrecht sitzen konnte, aber ich war immer noch frisch genug, um wach bleiben zu können, bis Penrod uns ablösen würde.
Direkt oberhalb unseres Lagerplatzes befand sich eine kleine Anhöhe, und ich bedeutete Bastilla, mir zu folgen, als die anderen sich niederlegten. Sie hinkte, aber sie fiel dennoch nicht zurück.
Als ich mich auf einen umgestürzten Baumstamm setzte, verschränkte sie die Arme und lehnte sich gegen einen Baum. Ich konnte sie im Schatten nicht genau sehen, aber ich hatte sie an diesem Tag während des Ritts beobachtet, mein Blick immer wieder angezogen von der makellosen Schönheit ihres Profils. Oreg hatte ihr die Möglichkeit zu einem Bad verschafft, und nun, da ihr dunkles Haar sauber war, zeigte es einen rötlichen Schimmer. Sie war älter als ich, vielleicht sogar ein paar Jahre älter als Mutter, aber ich bezweifelte, dass sie die vierzig überschritten hatte.
»Nun«, sagte ich.»Erzählt mir ein wenig über Euch.«
»Was wollt Ihr wissen?«
Ich lächelte.»Wir haben vielleicht keine Sklaven in Hurog, aber ich war schon am Hof. Sklaven benehmen sich nicht wie Ihr. Sklaven sind leise und zurückhaltend. Eine Sklavin hätte zum Beispiel nicht versucht zu verbergen, wie sehr ich ihr wehtat, als ich ihr die Füße wusch, denn Sklaven wissen, wenn man Schmerzen herunterspielt, lädt man nur mehr davon ein. Sagt mir, wer Ihr seid und warum der Schwarze Ciernack Euch unbedingt haben wollte.«
Sie schwieg.
»Sie ist eine Magierin«, sagte Oreg. Es war schwierig, ihn im Dunkeln zu sehen. Ich hatte nicht gehört, dass er näher gekommen war.
»Das wusste ich bereits«, sagte ich. Bastilla hatte sich bei seinen Worten umgeschaut, also war mir klar, dass er auch für sie zu sehen und zu hören war.
»Ich bin tatsächlich eine Sklavin, ob Ihr es glaubt oder nicht«, sagte sie schließlich.»Und keine besonders gute Magierin, aber ich bin die einzige Sklavin Ciernacks, die auch über Magie verfügt. Er findet mich nützlich.«Sie machte eine Geste, und eine kalte weiße Flamme erschien in ihrer Hand. Sie hielt sie hoch und starrte lange in mein Gesicht. Ihre Haut war sehr hell, aber das mochte auch an der Farbe des Lichts liegen. Ihre Augen glitzerten von der Anstrengung. Ich weiß nicht, was sie in meiner Miene suchte, und auch nicht, ob sie es fand, bevor sie das Licht wieder verlöschen ließ.
»Ich verstehe«, sagte ich.»Woher hat er Euch?
Aus Avinhelle?«Ihr Akzent mit den weichen Konsonanten klang nach dem Westen.
Sie zögerte, dann nickte sie.»Aus der Zuflucht der Cholyten.«
»Ihr wart Chole angeschworen?«Die Schutzgöttin von Avinhelle verlangte, dass Magier ihr in ihren Tempeln dienten - sie waren tatsächlich Sklaven, aber keine gewöhnlichen. Zum ersten Mal glaubte ich, was sie von sich gab.»Wie hat er Euch dort herausgeholt?«, fragte ich. Die Cholyten wurden gut verteidigt.
Ich konnte das bittere Lächeln in ihrer Stimme hören.»Mein Leben wurde teuer erkauft. Die Cholynn brauchte offenbar Geld, um sich mehr Macht beim Hochkönig zu verschaffen.«
»Sie hat Euch ihm verkauft.«
Bastilla nickte.
»Ihr solltet wissen, dass Ihr jederzeit gehen könnt. Wir sind so weit von Avinhelle entfernt, wie es innerhalb der Fünf Königreiche möglich ist, aber ich kann Euch eine Eskorte nach Hause bezahlen.«Und danach nicht viel mehr, wenn der Rest von uns es bis nach Oranstein schaffen wollte. Sie schüttelte den Kopf.»Meine Familie hat mich an die Cholynn verkauft. Sie wären verpflichtet, mich zurückzuschicken, und die Cholynn würde mich einfach wieder dem Mann aushändigen, an den sie mich verkaufte. Ich habe kein anderes Ziel. Wenn Ihr mich mitnehmt, werde ich mich nützlich machen.«Sie senkte den Kopf und ließ sich wieder gegen den Baum sinken.
»Woher wusstet Ihr von Hurog?«, fragte Oreg plötzlich.»Hurog ist sehr lange keine Zuflucht für geflohene Sklaven mehr gewesen. Wenn Ihr vor ein paar Monaten eingetroffen wäret, hätte der Vater meines Herrn Euch Eurem Besitzer sofort zurückerstattet.«
Sie lachte freudlos.»Ciernack hat einen Sklaven, dessen Aufgabe darin besteht, das Feuer im Raum am Brennen zu halten, wenn die Männer trinken. Er erzählte mir, dass einmal ein großer Herr vorbeikam und Geschichten über eine legendäre Festung erzählte, die man Hurog nannte. Der Junge muss sehr gut zugehört haben, denn er kannte drei oder vier Geschichten auswendig.«
Ich lachte und kam mir noch dümmer vor.»Nein, er hat sie wahrscheinlich einfach viel zu oft mit anhören müssen. Als ich das letzte Mal bei Hofe war, bin ich mehrmals in Ciernacks Haus gewesen und habe diese Geschichten jedem, der das Unglück hatte, sich in der Nähe zu befinden, wieder und wieder erzählt.«Ich hatte versucht, einem Freund aus Ciernacks Fängen zu helfen. Und versagt.
Es waren also meine Geschichten gewesen, die Bastilla nach Hurog geführt hatten. Selbst diese kleine Einzelheit meines Untergangs hatte ich selbst bewirkt.
Ich rieb mir das Gesicht.»Seid Ihr sicher, dass Ihr bei uns bleiben wollt? Es könnte gut sein, dass Ihr Euch bald inmitten eines Kriegs in Oranstein befindet.«
»Besser bei Euch, Herr, als mich auf der Straße verkaufen zu müssen.«
»Also gut«, sagte ich mit lässiger Fröhlichkeit,»dann werdet Ihr eben bei einer Söldnertruppe anheuern müssen.«Ich beugte mich näher zu ihr und sagte leise:»Denn Ihr wisst, dass ein Söldnerführer gut daran tut, einen Zauberer zu haben, um die Magie, die gegen ihn gesandt wird, abzuwenden.«
Sie schwieg einen Augenblick, dann sagte sie:»Wie macht Ihr das? Einen Augenblick seid Ihr ein dummer Tölpel, im nächsten ein hoher Herr, und einen Augenblick später ein... ein.«
»Taveln Kirrete, zu Euren Diensten.«Ich verbeugte mich mit großer Geste, aber reichlich ungeschickt.
Oreg lachte leise.»Den hatte ich ganz vergessen. Er war ein Söldner, der vor ein paar Jahren nach Hurog kam, um mit der Blauen Garde zu kämpfen«, erklärte er Bastilla.»Er hatte eine sehr hohe Meinung von sich, und er verließ uns einen Tag nachdem Stala, Wards Tante, den Boden mit seinem Gesicht aufgewischt hatte. Er konnte den Gedanken, dass eine Frau ihn geschlagen hatte, nicht ertragen. Ward spielt ihn besser, als er es selbst könnte.«
Ich verbeugte mich leicht, um das Kompliment entgegenzunehmen. Selbst Oreg kannte nicht die ganze Wahrheit. Jeder, den ich darstellte, der adlige Herr eingeschlossen, war eine Rolle. Der Adlige stammte aus Geschichten über Seleg und aus Selegs Tagebüchern, die in der Bibliothek versteckt waren. Ich war seit meinem zwölften Lebensjahr keine wirkliche Person mehr gewesen.
»Ein jüngerer Sohn«, sagte ich laut.»Taveln kann ich nicht sein, den kennen zu viele.«
»Wie meint Ihr das, ein jüngerer Sohn?«, fragte Bastilla.
»Ich kann auch nicht Ward von Hurog sein; ihn würde man wahrscheinlich gleich nach Estian schicken. Jeder weiß, dass er ein Idiot ist, der eingesperrt gehört. Ich denke, ich werde ein jüngerer Sohn sein, der in Ungnade gefallen ist und versucht, sich seinen guten Namen zurückzugewinnen. Als ich floh, habe ich Pferde und Geld von zu Hause mitgenommen, zusammen mit meinem treuen Diener... Überlegen wir mal, sollte das Axiel oder Penrod sein? Ich denke Penrod, er sieht aus wie ein alter treuer Diener... und meinem Knappen Ciarra, die wir Ciar nennen werden, weil es sicherer ist, sie als Jungen auszugeben. Axiel wird ein mittelloser Mann sein, dem wir auf der Straße begegnet sind, ein Kämpfer, dessen Herr an einer Krankheit gestorben ist... der Seuche. Oreg ist mein Vetter oder Bastardbruder oder so etwas.«
»Ist er das wirklich?«, fragte Bastilla neugierig.
Das lenkte mich von dem Garn ab, das ich spann. Ich runzelte die Stirn.»Ja, aber er spricht nicht gern darüber.«
»Nein?«, fragte Oreg und zog die Brauen hoch.
»Nein«, erwiderte ich entschlossen.
»Und was ist mit mir?«, fragte Bastilla und beugte sich vor.
»Sie ist der Grund deiner Schande?«, schlug Oreg vor.
»Nein.«Ich schüttelte den Kopf.»Zu melodramatisch. Ich denke, wir sind Euch in Tyrfannig begegnet. Eine Zauberin aus Avinhelle, die in diesem Hafen im Norden festsaß.«
»Nach einem Schiffsunglück?«, fragte sie eifrig.»Zu weit von zu Hause entfernt, um mir die Rückreise leisten zu können, also nahm ich eine Stelle bei einer Söldnertruppe an?«
»Sicher.«Ich nickte. Ich mochte sie, und nicht nur wegen ihrer Schönheit.
»Ich dachte, du hättest etwas gegen Melodramen«, murmelte Oreg.
»Es ist wirklich seltsam«, sagte Bastilla, die plötzlich ernst geworden war.»Ich hätte nie geglaubt, dass ich einmal bis hierher kommen würde, so weit von zu Hause entfernt. Die Cholyten dürfen den Turm nicht verlassen. Einige von ihnen haben dieses Leuchten an sich, von ihrer Zwiesprache mit der Göttin. Aber ich konnte sie nie spüren. Die Tränke, die man uns gab, um diese Zwiesprache zu fördern, haben bei mir nie gewirkt. Die Cholynn war sehr verärgert, weil ich weder der Göttin noch dem Turm viel nützen konnte.«Unter ihrem Unbehagen hörte ich auch, dass sie sich schämte.
Oreg schnaubte.»Sie hat Euch allen Drogen versetzt, um Eure Kräfte abschöpfen zu können. Dabei sind Drogen absolut nicht notwendig, damit einen die Götter berühren. Ihr braucht nur die Asketen in Me-nogue zu fragen. Sie haben die Macht von Aether-von, genug davon, um den Turm der Cholynn zu braten, und sie sind nicht nach einem Jahr im Tempel schon eine erschöpfte Hülse.«
Ich räusperte mich und hoffte, das Bastilla, die immerhin aus Avinhelle kam, nicht viel über die tall-venische Geschichte wusste.
»Menogue? Die Ruinen vor Estian? Ich habe gehört, sie wären im Reformationskrieg zerstört worden.«Vor mehreren hundert Jahren.»Und der Orden von Aethervon mit ihnen.«
Das Schweigen dauerte einige Zeit, dann sagte Oreg:»Ich bin so etwas wie ein Historiker. Manchmal glaube ich, dass ich mehr in der Vergangenheit lebe als in der Gegenwart.«
Sie nahm ihm das selbstverständlich ab. Die Wahrheit war erheblich weniger glaubwürdig.
»Wie seid Ihr beiden einander begegnet?«, fragte Bastilla einen Augenblick später.»Axiel und Penrod kennen Euch nicht. Ihr seid zu jung, um ein so guter Zauberer zu sein; selbst die Cholynn konnte sich nicht teleportieren, ohne vorher eine komplizierte Zeremonie zu vollziehen, und Ihr tut es einfach so.«
Ich nahm an, dass sie mit Oreg sprach, da ich mich nirgendwohin teleportiert hatte.
»Oreg gehört zur Familie«, sagte ich.
»Ein Bastard«, bestätigte Oreg.»Ich bin älter, als ich aussehe. Ein Zauber...«Er brach ab, dann begann er erneut, und diesmal forscher:»Ich wollte den Familiensitz sehen. Es war einfach hineinzugelangen, ohne dass mich jemand bemerkte, aber dann haben Ward und seine Schwester mich entdeckt.«
Er log ebenso gut wie ich; er sagte dabei so viel die Wahrheit wie möglich, um einen falschen Eindruck zu vermitteln. Vielleicht lag es uns im Blut.
Es war immer noch dunkel, als ich erwachte, weil jemand meine Schulter berührte, und ich sah, dass Penrod neben mir kniete. So leise wie möglich stand ich auf und griff nach meinem Schwert. Ich folgte Penrod in den Wald und wieder auf die Anhöhe, auf der ich zuvor Wache gehalten hatte, wo Oreg bereits wartete.
Ich sah sofort, was er mir zeigen wollte. Keine halbe Meile entfernt zeichnete sich das unmissverständliche orangefarbene Glühen eines Lagerfeuers in der dunklen Nacht ab.
»Hast du nachgeschaut?«, fragte ich.
Penrod schüttelte den Kopf.
»Bleib hier, ich werde es mir einmal ansehen. Halte weiter Wache. Wenn du Kampfgeräusche hörst, weck die anderen.«
Es ist nicht einfach, sich im Wald leise zu bewegen. Im Dunkeln, nur mit dem Licht des Mondes, war es unmöglich. Ich war mir ziemlich sicher, dass die Leute im Lager, wenn sie nicht taub waren oder sehr tief schliefen, mich hören würden, lange bevor ich sie erreichte.
Im Lager war nur eine einzige Gestalt zu erkennen. Sie hatte sich in einen dünnen Umhang gehüllt und hockte auf einem großen Stein vor dem Feuer, mit dem Rücken zu mir. Es gab nur eine Rolle mit Decken.
»Ich dachte, es wäre sicherer, wenn du mich findest, als wenn ich einfach in euer Lager reite«, sagte mein Bruder lässig, obwohl ich ziemlich sicher war, dass er mich unter dem Baum, unter dem ich hockte, nicht sehen konnte.
»Ins Feuer zu starren ist schlecht für deine Nachtsicht«, stellte ich fest, ohne näher zu kommen. Ich hatte keine Ahnung, was Tosten hier wollte.
»Ich will nicht zu den Harfnern nach Estian gehen«, sagte er.»Und ich will auch kein Küfer werden. Ich will nicht in einer Schänke arbeiten. Und am allerwenigsten will ich Hurog.«Seine Stimme klang angespannt.»Es tut mir leid, Ward. Wenn du nicht wärst, läge ich längst am Hügel begraben, neben den anderen Ahnen, die den leichtesten Ausweg aus ihrem Leben wählten.«
Ich seufzte und trat in den Schein des Feuers, so-dass er mich ebenso gut sehen konnte wie ich ihn.
»Mach dir keine Gedanken«, sagte ich.»Du kennst mich eben nicht besonders gut. Nur genug, um zu wissen, dass ich nicht so dumm bin, wie du dachtest.«Ich schob einen kleinen Stock ins Feuer.
Tosten hatte nur gesehen, was ich ihm gezeigt hatte. Unser mitternächtlicher Ritt nach Tyrfannig vor ein paar Jahren war kaum weniger dramatisch gewesen als das Zusammentreffen am Vortag. Er war damals schwach vom Blutverlust gewesen, und ich hatte es eilig gehabt. Nicht die richtige Zeit für lange Gespräche.
Es war nicht seine Schuld, dass ich, wenn ich ihn anschaute, den fröhlichen Bengel sah, der er als kleiner Junge gewesen war, während er einen Fremden erblickte, der aussah wie unser Vater.
»Vater hätte es getan. Er hätte dich umgebracht, weil du ihm im Weg warst.«
»Wie er es bei dir versucht hat.«Tostens Stimme war leise und enthielt kein Urteil.»Ein paar Leute aus Oranstein kamen heute in die Schänke. Sie fluchten über ein Schiff, das bereits ausgelaufen war. Der Ältere, der Gefährlichere von beiden, sagte, er werde einen Mann nach Neurod schicken, aber wahrscheinlich wärest du - er erwähnte deinen Namen - längst entkommen. Er sagte, Ciernack werde eben Geld als Ersatz für seine Sklavin nehmen müssen. Das werde ihn mehr kosten, als er sich leisten könnte, und das Geld werde aus dem Erbe des jüngeren Bruders kommen. Kannst du damit etwas anfangen?«
Ich nickte, froh, mich weniger schmerzhaften Themen zuwenden zu können.»Was hast du getan -sie belauscht?«
»Nein, ich habe für sie gespielt. Wahrscheinlich konnte man sie bis auf die Straße hinaus hören - zumindest den Jüngeren. Er tat seinen Widerwillen dagegen, den Rest des Jahres in Buril verbringen zu müssen - wo immer das sein mag - sehr laut kund.«
»Buril ist Garranons Landsitz in Oranstein. Landislaw, sein jüngerer Bruder, ist jedoch am Hof aufgewachsen. Er wird es als das Ende der Welt betrachten.«Ich hatte ohnehin vorgehabt, Buril zu meiden, aber es war gut zu wissen, wohin diese beiden unterwegs waren. Schließlich umriss ich die Ereignisse, die zu meiner Flucht geführt hatten, so knapp wie möglich.
»Und was hast du jetzt vor?«, fragte Tosten. Das Feuerlicht flackerte, also konnte ich seine Miene nicht erkennen.
»Ich werde in Oranstein gegen die Vorsag kämpfen.«
Tosten reagierte ähnlich wie Axiel. Er nickte einfach nur, was dazu führte, dass ich mich fragte, ob er noch richtig im Kopf war.»Das könnte funktionieren. Eines Kriegshelden kann man sich nicht so einfach entledigen.«Er schien keinen Zweifel daran zu haben, dass ich zum Helden werden würde.
»Das dachte ich auch«, stimmte ich zu.
Tosten senkte den Kopf, und das Haar fiel ihm ins Gesicht.»Ich würde gern mit euch kommen.«
Er fühlte sich schuldig. Er hatte mich gekränkt, und jetzt wollte er mich dafür entschädigen.
»Geh und lerne von den Bänkelsängern in Estian«, sagte ich.»Ich habe genug Kämpfer.«
»Ich bin gut, Ward. Das weißt du.«
Er hatte recht. Oh, er war nicht so gut wie Vater und ich. Seine Technik gründete auf Tempo und Beweglichkeit, nicht auf Kraft, aber das machte ihn nicht weniger tödlich, ganz gleich, was Vater gesagt hatte. Tosten würde unsere Gruppe stärker machen. Fünf Kämpfer und eine Zauberin, und nur Ciarra, die wir bewachen mussten.
»Wenn du mir helfen möchtest, könntest du das ebenfalls in Estian tun«, sagte ich.»Ich brauche einen sicheren Platz für den Racker.«
Er hob den Kopf, und ich sah die gleiche störrische Miene, wie Ciarra sie aufsetzen konnte.»Ich werde nicht nach Estian gehen. Du brauchst mich nicht mit dir kommen zu lassen, aber ich werde dir folgen. Vergiss nicht, ich habe viel Geld.«
Ich schloss die Augen. Es gab viele Gründe, ihn willkommen zu heißen, und nur einen, ihn wegzuschicken: Ich wollte meinen Bruder nicht in Gefahr bringen. Aber ich nahm mir vor, die Situation in Oranstein erst einmal ganz genau zu erkunden. Wenn es zu schlimm aussah, würde ich ihn zusammen mit Ciarra wegschicken. Er würde gehen, wenn es ihrem Schutz diente.
»Pack deine Decken«, sagte ich schließlich.»Komm mit in unser Lager.«
Dann half ich ihm, das Feuer zu löschen und seine Sachen zusammenzusuchen.
Als es hell wurde, rief ich alle zusammen. Ciarra saß neben Tosten und tätschelte ihm wieder und wieder die Wange, um sich zu überzeugen, dass er auch tatsächlich da war. Tosten warf unauffällige Blicke zu Oreg.
»Von jetzt an«, sagte ich,»gehören wir zusammen. Wir arbeiten zusammen und helfen einander so gut, wie wir können. Jeden Morgen werden wir uns im Kampf üben. Heute wird Axiel Oreg, Bastilla, Ciarra und Tosten unterrichten. - Axiel«, fuhr ich fort,»ich weiß nicht, wie viel Oreg und Bastilla können. Ciarra ist eine Anfängerin, und du wirst dich erinnern, dass Tosten sich sehr gut mit Messern und dem unbewaffneten Kampf auskennt. Ich arbeite mit Penrod. Am Abend arbeite ich mit Axiel und Penrod mit Tosten. Wenn wir erst besser sind, können wir das ändern, aber Übung bedeutet Überleben, also werden wir uns so anstrengen, wie es auf einer Reise möglich ist.«
Ich schlug ein mörderisches Tempo an, sowohl bei den Kampfübungen als auch bei den Ritten. Wir nahmen alle ab, sogar die Pferde. Eine Woche später befanden wir uns drei Tage vor Estian.
»Ellbogen nach innen, Bastilla«, rief ich, als ich sie beim Kampf mit meiner Schwester beobachtete.
Sie war keine schlechte Kämpferin, was bewies, dass der Ruf der Cholyten nicht ungerechtfertigt war, aber sie hatte nicht meine Tante als Ausbilderin gehabt. Vor allem ihre Fußarbeit ließ zu wünschen übrig, was zum Teil allerdings auch daran lag, dass ihre Wunden noch nicht vollkommen abgeheilt waren. Ciarra, kleiner und jünger, war eine erheblich bessere Schwertkämpferin.
Дата добавления: 2015-11-14; просмотров: 84 | Нарушение авторских прав
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