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Der Gebrauch des Infinitivs. Die Infinitivgruppen

Читайте также:
  1. Bedeutung und Gebrauch der Kasus
  2. Bedeutung und Gebrauch des Konjunktivs
  3. Der Gebrauch des Adjektivs im Satz
  4. Der Gebrauch des bestimmten Artikels
  5. Der Gebrauch des unbestimmten Artikels
  6. Gebrauch der Zeitformen des Indikativs

§ 177. Der Infinitiv wird mit bzw. ohne die Partikel zu gebraucht und tritt im Satz als unabhängiger bzw. abhängiger Infinitiv auf. Zum Infinitiv treten häufig nähere Bestimmungen, das sind Wörter bzw. Wortgruppen, die vom Infinitiv abhängig sind. Der Infinitiv bildet mit seinen näheren Bestimmungen eine Infinitivgruppe und steht in dieser meist mit zu. Es gibt auch Infinitivgruppen, in denen der Infinitiv stets abhängig ist und mit zu gebraucht wird; sie werden durch die Konjunktionen um, (an) statt bzw. ohne eingeleitet.

Steve ging zurück zu Johanna, um Abschied zu nehmen. (L. Frank)

Statt Nachricht zu schicken, kam sein Freund Wu selbst am Nachmittag in die angegebene Herberge. (A. Seghers)

Sie bewegte in einem fort die Lippen, ohne ein Wort zu sagen. (A. Seghers)

Hat das Verb im Infinitiv einen trennbaren Bestandteil, so steht die Partikel zu zwischen diesem und dem zweiten Bestandteil.

„Was hat er sich da hereinzumischenl “ (J. R. Becher)

Sie... wird sich freuen, daß mir einmal etwas schiefgegangen ist, und vielleicht hoffen, mich dadurch kleinzukriegen. (E. Claudius)

§ 178. Der unabhängige Infinitiv. Der unabhängige Infinitiv erfüllt im Satz die Funktion des Subjekts. Steht er an der ersten Stelle, so wird er meist ohne zu gebraucht.

Leugnen ist völlig unsinnig.“ (W. Bredel)

„Wir werden alt... Ach, Johann, alt werden ist etwas Schreckliches. Etwas ganz Schreckliches.“ (W. Bredel)

Die Tür abzuschließen war verboten. (J. R. Becher)

Häufig beginnt ein Satz, in dem ein Infinitiv als Subjekt auftritt, mit einem Nebenglied oder dem Korrelat es (vgl. § 103); der Infinitiv selbst wird dann mit zu gebraucht und bildet den Schluß des Satzes.

Es war jetzt den Schiffern verboten, die Bucht zu verlassen. (A. Seghers)

...der weißgepuderten Perücke gelang es nicht, diese Physiognomie zu verschönern. (W. Bredel)

Der unabhängige Infinitiv (ohne zu) dient auch zur Bildung eingliedriger Sätze, um einen Befehl, zuweilen auch einen Wunsch auszudrücken.

Antreten! Abzählen!“ Achtzig Moorsklaven waren in zwei Gliedern angetreten. (W. Bredel)

„Den Gehrock gleich herausrichten, Christine, und die guten Schuhe! Mein Mann muß früh aufstehen!“ (J. R. Becher)

Adrienne folgte ihm dösig. „Ruhig bleiben “, redete sie sich zu, „nur ruhig bleiben! Schnell von hier wegkommen und Robert oder jemand anders von den Genossen aufsuchen, damit sie erfahren, was hier vorgeht.“ (F. C. Weiskopf)

§ 179. Der abhängige Infinitiv. Der abhängige Infinitiv tritt im Satz als ein Teil des zusammengesetzten verbalen Prädikats auf; er erfüllt auch die Funktionen einiger Satzglieder (Objekt, Attribut, Adverbialbestimmung). Er wird mit bzw. ohne zu gebraucht. Ohne zu steht der abhängige Infinitiv:

1. als Teil des zusammengesetzten verbalen Prädikats

a) mit den Modalverben;

Inzwischen war es Nacht geworden, und ich wollte in mein Zimmer hinaufgehen. (E. E. Kisch)

In einigen Betrieben soll schon wieder gut gearbeitet werden... (W. Bredel)

b) mit den Verben haben, heißen (befehlen), nennen;

...bald hieß er ihn einen Ankömmling an der Bahn abholen... (A. Seghers)

„Warum eilst du denn so, Liesel?“ — „ Nennst du das eilen?“ (A. Seghers)

Das Verb haben bildet mit dem Infinitiv ohne zu stehende Redewendungen: du hast gut reden (lachen, spotten usw.), vgl. mit dem Russischen: тебе хорошо говорить (смеяться, насмехаться и т. д.).

Allan hatte gut reden. Es war ja gar nicht möglich, vorläufig einen einzigen Zug in den Tunnel zu bringen... (B. Kellermann)

Lenore fand ihre Schwägerin, als sie ins Nachbarhaus lief, gesund und frisch, aber beinahe beschämt. „Du hast gut trösten “, sagte die Wöchnerin, „du hast einen Sohn.“ (A. Seghers)

2. als prädikatives Attribut mit dem Verb haben und in der Konstruktion accusativus eum infinitivo mit den Verben hören, fühlen, sehen, machen und (selten) finden.

Bereits am darauffolgenden Dienstagmorgen hatte der Vorsitzende des Gewerkschaftsausschusses, Louis Schönhusen, ein großes Schriftstück auf seinem Schreibtisch liegen... (W. Bredel)

...da hörte ich im Schlaf unsere Tür gehen. (A. Seghers)

Karlchen fühlte sein Herz vor Glück und Stolz anschwellen. (B. Balazs)

Da sahen wir Hartinger gehn, drüben, auf einem Weg, in der Ferne... (J. R. Becher)

Die Erinnerung an dieses Lachen machte mich selbst lachen... (J. R. Becher)

Johanna fand die kalte Wand einschmelzen zwischen ihm und ihr. (L. Feuchtwanger)

Anmerkung. Die Konstruktion accusativus cum infinitivo läßt sich nicht wörtlich ins Russische übersetzen; ihr entspricht meist ein Nebensatz (Objektsatz), oder der Infinitiv wird durch ein attributives Partizip bzw. ein Substantiv wiedergegeben. Vgl.:

...da hörte ich im Schlaf unsere Tür gehen.     Da sahen wir Hartinger gehn, drüben, auf einem Weg, in der Ferne... ...затем сквозь сон я услышал, как открывали нашу дверь (затем я сквозь сон услышал шум открываемой двери). Вдруг мы увидели вдали Хартингера, идущего по дороге...

§ 180. Mit zu steht der abhängige Infinitiv:

1. als Teil des zusammengesetzten verbalen Prädikats:

a) mit den Verben, die in Verbindung mit dem Infinitiv modale bzw. eine andere Bedeutung haben: sein, haben, brauchen, glauben, scheinen, vermögen; verstehen, wissen; vgl.:

Anna Quangel sah ängstlich zögernd zu ihrem Mann hinüber. „Sie haben mich anzusehen! Nicht diesen Hochverräter!“ (H. Fallada) Ein Mädchen schrie auf. Oben am Rand des Hoteldachs hatte sie etwas gesehen oder zu sehen geglaubt. (A. Seghers) Johannes erhielt wohl ebenfalls von seinen Altersgenossen hie und da eine Einladung, aber er hatte nicht viel Freude an dem Verkehr mit ihnen. Er vermochte an ihren Spielen nicht teilzunehmen... (Th. Mann) Da er gewöhnlich auch in irrigen und ihm wiedersprechenden Auffassungen immer etwas fand, was zutraf, wußte er goldene Brücken zu bauen und verstand es vortrefflich, Streitendezu versöhnen. (W. Bredel) Анна Квангель в робкой нерешительности взглянула на мужа. „ Не смейте смотреть на этого преступника! На меня смотрите!“ Какая-то девушка вскрикнула. Там, на краю крыши, она что-то заметила или ей показалось, что заметила. Иоганнеса иногда приглашали к себе его сверстники, но он не испытывал радости от общения с ними. Участвовать в их играх он не мог.   Выискивая всегда „зерно истины“ даже в ошибочных, неприемлемых для него взглядах, он прекрасно умел находить золотую середину и мирить спорщиков.

In Verbindung mit dem Infinitiv bezeichnen die obengenannten Verben verschiedene Schattierungen der modalen Bedeutung: haben und sein drücken die Notwendigkeit bzw. Möglichkeit aus, dabei hat haben + zu + Infinitiv aktive Bedeutung und sein + zu + Infinitiv passive; diese beiden Konstruktionen drücken die Möglichkeit aus, wenn der Satz eine Negation bzw. einige Adverbien oder Modalwörter (leicht, kaum, schwer, schwerlich u. a.) enthält; brauchen drückt die Notwendigkeit aus, steht aber nur in Sätzen, die eine Negation bzw. eine Einschränkung (nur) enthalten; glauben bezeichnet eine Annahme, die vom Subjekt des Satzes ausgeht; scheinen eine Annahme des Redenden bzw. Schreibenden; verstehen, wissen und vermögen bezeichnen eine Möglichkeit, ein Können (bzw. Nichtkönnen);

b) mit den Verben, die den Beginn, die Fortdauer, den Abschluß eines Vorgangs sowie einen regelmäßig wiederkehrenden Vorgang bezeichnen: anfangen, beginnen, fortfahren, fortsetzen, aufhören, pflegen u. a.;

Auch der Alte begann aus dem Fenster zu sehen. (E. Strittmatter)

Ich habe diese Tage fortgefahren, die Ilias zu studieren. (J. W. Goethe)

Sie... schlüpfte in einen kleinen Laden, der eben geöffnet wurde. Hier pflegte sie gewöhnlich ihre Handschuhe zu kaufen. (B. Kellermann)

2. als Objekt bei vielen Verben sowie bei prädikativen Adjektiven bzw. Partizipien, die den Adjektiven nahe stehen: behaupten, bitten, sich erinnern, erlauben, sich freuen, fürchten, versprechen, verbieten, wünschen u. a.; bereit, begierig, (un)fähig, froh, stolz, wert u. a.; betrübt, erfreut, entzückt, erstaunt, gerührt, überrascht u. a.;

Ja, zu siegen erlaubte der König seinen Generalen. (W. Bredel)

Er erinnerte sich, in seinem Leben nur einmal ein ähnliches Gefühl tiefer Besorgnis empfunden zu haben. (B. Uhse)

Marion war von Herzen froh, nicht allein zu sein. (B. Kellermann)

Mein Begleiter war entzückt, einen Gleichgestimmten gefunden zu. haben... (H. Heine)

3. als Attribut zu einem abstrakten Substantiv;

Er fühlte die Kraft in sich, auf andere Menschen zu wirken. Er wagte sogar den Versuch, seine Meinung aufzuschreiben. (A. Seghers)

Endlich kam sie auf den Gedanken, den spanischen Dolch ihres Vaters mitzunehmen. (B. Kellermann)

4. als Adverbialbestimmung der Folge, wenn der Satz ein prädikatives Adjektiv (seltener Substantiv) mit den verstärkenden Adverbien und Partikeln so, zu (allzu, zu sehr) bzw. genug enthält;

„Immer muß ich daran denken, daß er so liebenswürdig war, mir ein Flugzeug nach Wien zur Verfügung zu stellen! “ (B. Kellermann)

Ludwig war schließlich im siebenundzwanzigsten Jahr und alt genug, über sein Leben selbständig zu entscheiden. (W. Bredel)

5. in Infinitivgruppen, die durch die Konjunktionen um, (an) statt bzw. ohne eingeleitet werden. (Mit diesen Konjunktionen tritt zuweilen auch ein Infinitiv ohne nähere Bestimmungen auf.) Die Infinitivgruppe mit um erfüllt meist die Funktion einer Adverbialbestimmung des Zieles.

Sie müssen weiterleben, Sie müssen sich hinkämpfen, um weiterzuleben. (H. Mann)

Tony blieb ein bißchen stehen, um auf ihre Nachbarin Julchen Hagenström zu warten... (Th. Mann)

Manchmal (selten) kann um auch ausbleiben.

Beide setzten sich nieder zu schreiben... (J. W. Goethe)

Die Damen standen noch, dem Hause abgekehrt, bei dem Postwagen, die Niederholung ihres übrigens bescheidenen Gepäcks zu überwachen... (Th. Mann)

Enthält der Satz ein prädikatives Adjektiv (seltener Substantiv) mit den verstärkenden Adverbien zu (allzu, zu sehr) bzw. genug, so erfüllt die Infinitivgruppe die Funktion einer Adverbialbestimmung der Folge.

Jules war zu alt, um die Ereignisse um ihn herum zu verstehen. (W. Bredel)

Anmerkung. Die Infinitivgruppe mit um bezeichnet zuweilen weder Ziel noch Folge, sondern einen Vorgang, der später stattfindet als der durch das Prädikat ausgedrückte.

Würz fuhr alle Augenblicke zusammen, raffte sich auf, um gleich wieder zusammenzufahren. (A. Seghers)

Still und bescheiden fließt die Alster durch Wiesen und Wälder des hamburgischen Landgebiets,... um mit einem Male inmitten des Häusermeeres der Großstadt sich zu einem breiten, kilometerlangen See auszudehnen. (W. Bredel)

Die Infinitivgruppe mit (an) statt erfüllt die Funktion einer Adverbialbestimmung der Art und Weise, dabei bezeichnet sie einen nicht eingetretenen Vorgang. Dieser Vorgang wird dem durch das Prädikat ausgedrückten gegenübergestellt.

Er lief, statt den Schienen nachzugehen, ein Stück in die Anlage. (A. Seghers)

Die Infinitivgruppe mit ohne erfüllt gleichfalls die Funktion einer Adverbialbestimmung der Art und Weise, aber stets mit verneinender Bedeutung.

Er ging schnell und besinnungslos, ohne aufzublicken. (Th. Mann)

Die Großmutter steckte das Geld, ohne es nachzuzählen, in ihr Portemonnais. (J. R. Becher)

Anmerkung. Im Russischen entspricht dieser Infinitivgruppe eine Wortgruppe mit dem Adverbialpartizip (деепричастный оборот), die eine Negation enthält. Vgl.:

Die Majorin sprach weiter, ohne auf Marianne zu achten. (B. Uhse) Жена майора продолжала говорить, не обращая внимания на Марианну.

§ 181. In manchen Fällen schwankt der Gebrauch der Partikel zu vor dem abhängigen Infinitiv:

1. vor dem Infinitiv als Teil eines zusammengesetzten verbalen Prädikats in unpersönlichen Sätzen mit es heißt;

„...jetzt heißt es, alles zu tun, was den Krieg verhindert.“ (A. Seghers)

„So, jetzt heißt's Abschied nehmen. “ (J. R. Becher)

2. vor dem Infinitiv in der Funktion eines Objekts bei den Verben lehren, lernen und helfen;

„Vater, lehr' mich lesen, man zu, Vater, lehr' mich lesen! “ — „Ja, ja, du sollst lesen lernen “, sagte der Vater. (O. Ernst)

...ich lernte „unerhörte Wortmischungen“ herstellen. (J. R. Becher)

Man muß lernen, eine Verfassung richtig zu lesen. (H. Mann)

Ich begrüßte ihn... und half ihm den Koffer tragen. (J. R. Becher)

Er half ihm, die Maschine aufzurichten. (B. Uhse)

3. vor dem Infinitiv in der Funktion einer Adverbialbestimmung des Ziels bei den Verben der Bewegung gehen, kommen, fahren, reiten, laufen, eilen u. a. sowie bei dem Verb schicken. Der Infinitiv ohne zu kommt häufiger vor.

„Kommen Sie, wir gehen zusammen essen. “ (B. Kellermann)

Da schlich ich mich in die Küche hinaus, das Küchenbeil holen. (J. R. Becher)

Cäsar ist nicht gekommen, an seiner Grammatik zu arbeiten. (B. Brecht)

Ich kam endlich wieder zu Sinnen und eilte, diesen Ort zu verlassen. (A. Chamisso)

Ein Wagen mit Männern der Volkswehr fuhr nach Uhlenhorst, den Geheimrat holen. (W. Bredel)

Das Partizip (Mittelwort)

§ 182. Das Partizip ist die zweite der beiden Nominalformen des Verbs. Als Nominalform steht es dem Adjektiv nahe und wird daher auch verbales Adjektiv genannt. Es gibt im Deutschen zwei Partizipien: das Partizip I und das Partizip II. Das Partizip II ist mit dem System des Verbs aufs engste verknüpft. Es ist eine seiner drei Grundformen. Als Grundform dient es zur Bildung zusammengesetzter Zeitformen (Perfekt, Plusquamperfekt, alle Zeitformen des Passivs) und des Infinitivs II.

§ 183. Bildung der Partizipien. Das Partizip I aller Verben wird vom Präsensstamm mit Hilfe des Suffixes -(e) nd gebildet: fieber-nd, wiss-end, steh-end, sag-end, schreib-end, lauf-end, wend-end. Das Suffix - nd bekommen die Verben mit - el, - er im Stammauslaut.

Das Partizip II wird vom Verbalstamm mit Hilfe des Präfixes ge - und des Suffixes -(e) t bzw. - en gebildet: ge-sam-mel-t, ge-sag-t, ge-lauf-en, ge-schrieb-en, ge-frühstück-t. Im Partizip II der Verben mit trennbaren Bestandteilen steht das Präfix ge- zwischen den beiden Bestandteilen: auf-ge-standen, mit-ge-bracht, weg-ge-gangen, teil-ge-nommen, statt-ge-funden, kennen-ge-lernt. Kein Präfix bekommt das Partizip II der Verben mit dem unbetonten, daher untrennbaren ersten Bestandteil sowie das Partizip II der Verben mit dem Suffix - ier: versammelt, entlaufen, übersetzt, vollbracht, studiert, marschiert.

Das Partizip II der Verben, die von zusammengesetzten Wörtern abgeleitet sind und die Betonung auf der ersten Silbe haben, bekommt das Präfix - ge -: 'frühstücken — gefrühstückt, 'rechtfertigen — gerechtfertigt, 'ratschlagen — geratschlagt, 'kennzeichnen — gekennzeichnet, 'wetteifern — gewetteifert. Das Partizip II der schwachen Verben bekommt das Suffix -(e) t. Der Stammvokal bleibt unverändert: sagen — gesagt, machen — gemacht, arbeiten — gearbeitet, studieren — studiert, bekunden — bekundet.

Das Suffix - et bekommen die Partizipien der Verben mit d, t, chn, dn, ffn, gn, tm im Stammauslaut: geland-et, geleit-et, gerechn-et, geordn-et, geöffn-et, geleugn-et, geatm-et.

Das Partizip II der Verben mit dem Präsensumlaut lautet: gekannt, genannt, gedacht usw.; die Verben senden und wenden weisen im Partizip II Doppelformen auf: gesandt und gesendet, gewandt und gewendet.

Das Partizip II der starken Verben bekommt das Suffix - en; der Stammvokal verändert sich nach dem Ablaut: beginnen— begannbegonnen; zuweilen stimmt er mit dem des Infinitivs oder des Präteritums überein: laufen — lief — gelaufen; schreiben — schrieb — geschrieben.

Das Partizip II der Verben praeteritopraesentia weist Doppelformen auf. In der einen Form stimmt der Stammvokal mit dem des Präteritums überein und das Partizip bekommt das Suffix - t: können — konntegekonnt; müssen — mußte — gemußt; wissen — wußte — gewußt.

Die zweite Form des Partizips II dieser Verben stimmt mit dem Infinitiv überein: können, müssen, wissen usw. (Über den Unterschied im Gebrauch dieser beiden Formen s. § 135.)

Das Partizip II der unregelmäßigen Verben lautet: sein — gewesen, haben — gehabt, werden — geworden, tun — getan, gehen — gegangen, stehen — gestanden, bringen — gebracht.

Das Partizip II der Verben mit sich behält „sich“ bei.

Rochwitz blieb mitten auf der Truppe stehen... und sagte, den Blick forschend auf den sich abwendenden Kollegen gerichtet... (W. Bredel)

...Waldemar, sich vorbeugend von seiner Bank, begann jetzt, allerlei Figuren in den Sand zu zeichnen, ohne recht zu wissen, was er tat. (Th. Fontäne)

Das Partizip II der Verben mit sich wird als verbales Adjektiv ohne „sich“ gebraucht.

Noch lange saß sie aufgestützt und lauschte hinüber. (H...Mann)

Über die Wiege gebeugt, standen die beiden Alten nebeneinander und betrachteten das schlafende Kind. (Th. Mann)

§ 184. Die verbalen Eigenschaften der Partizipien. Die Partizipien drücken ein Genus aus und haben eine relative zeitliche Bedeutung; sie können gleich einem Verb nähere Bestimmungen (Objekte und Adverbialbestimmungen) bei sich haben und behalten die Rektion des entsprechenden Verbs bei. Das Partizip bildet mit seinen näheren Bestimmungen eine Partizipialgruppe.

Die zwei... Männer schlichen, vorsichtig, wiederholt aufmerksam um sich blickend, durch das Gewirr der Gassen. (W. Bredel)

Fabian hörte ihr zu, die Blicke ohne Unterbrechung auf sie gerichtet. (B. Kellermann)

§ 185. Das Partizip I bezeichnet einen nicht abgeschlossenen, dauernden Vorgang, es drückt die Gleichzeitigkeit in bezug auf das Prädikat des Satzes aus: ich sehe (sah, werde sehen) die aufgehende Sonne.

Kofferbehangene Gepäckträger bahnen sich schwitzend ihren Weg. (W. Bredel)

...ich ging weinend zu Bette... (H. Heine)

Das Partizip I hat stets aktive Bedeutung.

Ein Fuhrwerk rasselte ihm entgegen, auf dem lauter schwatzende Bäuerinnen saßen... (B. Kellermann)

Das Partizip I der transitiven Verben wird in attributiver Funktion zuweilen mit der Partikel zu gebraucht, dabei erhält es eine passive Bedeutung und bezeichnet eine Notwendigkeit bzw. Möglichkeit; vgl.: das zu lesende Buch — das Buch, das gelesen werden soll (das zu lesen ist); die nicht zu lösende Aufgabe — die Aufgabe, die nicht gelöst werden kann (die nicht zu lösen ist.)

Er gehörte dem Leben, dem kommenden, neuen und besseren, dem zu erkämpfenden Leben. (J. Petersen)

Das Partizip I mit zu bezeichnet die Möglichkeit, wenn eine Negation bzw. die Adverbien kaum, leicht, schwer, schwerlich und manche anderen hinzutreten.

Herr von Prackwitz hatte an diesem Tage einige nicht wieder gutzumachende Dummheiten hinter sich. (H. Fallada)

Zuweilen hat das Partizip I mit zu keine ausgesprochen modale Bedeutung.

Jetzt lebten sie nur noch für ihr häusliches Glück und genossen die Vorfreude auf das zu erwartende Kind. (H. Fallada)

Der Diener Ali kam, ein junger, gut anzusehender Araber in der Tracht seines Volkes... (L. Feuchtwanger)

Im Partizip I der Verben mit trennbaren Bestandteilen steht die Partikel zu zwischen den beiden Bestandteilen.

Er fährt in diese Stadt mit neugieriger Freude und — heimlicher Angst, mit einem nicht abzuschüttelnden Gefühl des Unbehagens. (W. Bredel)

Anmerkung. Es gibt keine entsprechende russische Wendung. Man übersetzt sie meinst durch einen Nebensatz, zuweilen auch durch eine Partizipialgruppe: das zu lesende Buch — книга, которая должна быть прочитана, которую надо (следует) прочесть; die nicht zu lösende Aufgabe — задача, которая не может быть решена, которую нельзя (невозможно) решить; der zu bearbeitende Rohstoff — сырье, подлежащее обработке, подлежащее обработке сырье, сырье, которое подлежит обработке, которое надо (следует) обработать.

§ 186. Seiner Bedeutung nach unterscheidet sich das Partizip II der transitiven Verben recht wesentlich von dem der intransitiven.

Das Partizip II der transitiven Verben hat stets passive Bedeutung: das gelesene Buch — das Buch, das gelesen worden ist.

Paris glich einer belagerten Festung. (W. Bredel)

Das Partizip II der intransitiven Verben mit begrenzter Bedeutung unterscheidet sich seinen Funktionen nach wesentlich von dem Partizip II der intransitiven Verben mit nichtbegrenzter Bedeutung (s. § 171). Das Partizip II der intransitiven Verben mit begrenzter Bedeutung hat stets aktive Bedeutung: die angekommene Delegation, die Delegation, die angekommen ist.

Frieda Brenten umarmte und streichelte ihren nach dreizehn Jahren heimgekehrten Sohn. (W. Bredel)

In der Gasse vor dem Hause drängten sich die zusammengelaufenen Menschen. (W. Bredel)

Das Partizip II der intransitiven Verben mit nichtbegrenzter Bedeutung dient nur zur Bildung zusammengesetzter Verbalformen, d. h. es existiert im System des Verbs ausschließlich als dritte Grundform. Es besitzt keinerlei verbale und nominale Eigenschaften, die die Partizipien anderer Verben aufweisen. Doch kommt es vor, daß auch das Partizip IL der letztgenannten Verben im Satz als eine Nominalform des Verbs auftritt. In diesem Fall wird das Partizip II durch nähere Bestimmungen konkretisiert und erhält dadurch die Eigenschaften des Partizips II eines Verbs mit begrenzter Bedeutung.

Den nur in Hemd und Hose auf die Straße geeilten Männern rief Brenten zu... (W. Bredel)

Der Unterschied zwischen den Verben mit begrenzter und denen mit nichtbegrenzter Bedeutung spielt bei den transitiven Verben hinsichtlich der Funktionen des Partizips II keine so entscheidende Rolle wie bei den intransitiven Verben. Jedoch ist er nicht unwichtig da, wo es sich um die zeitliche Bedeutung des Partizips II der transitiven Verben handelt. Das Partizip II der Verben mit begrenzter Bedeutung bezeichnet einen abgeschlossenen Vorgang und drückt die Vorzeitigkeit in bezug auf das Prädikat des Satzes aus: ich sehe (sah, werde sehen) die aufgegangene Sonne; ich schicke ab (schickte ab, werde abschicken] den geschriebenen Brief.

Seine Nerven waren gestählt durch die Prüfungen der vergangenen Stunde. (H. Mann)

Statt des verhafteten Holzklötzchens kam ein ganz junger Bub... (A. Seghers)

Das Partizip II der transitiven Verben mit begrenzter Bedeutung bezeichnet zuweilen eine Eigenschaft, die als Ergebnis einer Handlung entstanden ist.

Er sah sich in einem ziemlich großen, halbdunklen Gemach: die Fenster waren verhängt. (Th. Mann)

Ein Mann kam mit einer alten reparaturbedürftigen Spieluhr, ein andrer mit einem von einem Bastler gebauten Radioapparat... (A. Scharrer)

Das Partizip II der transitiven Verben mit nichtbegrenzter Bedeutung bezeichnet einen nicht abgeschlossenen Vorgang und drückt die Gleichzeitigkeit in bezug auf das Prädikat des Satzes aus.

Er fuhr, von Erika begleitet, in geschlossenem Wagen zum Bahnhof... (Th. Mann)

Er hatte sich so stark an seine neue Frau gewöhnt, daß er kaum mehr darüber nachdachte, daß das erwartete Kind nicht seines war. (A. Seghers)

Anmerkung. Die deutschen Germanisten gebrauchen in ihren Werken die Bezeichnungen: participium praesentis (das Präsenspartizip) für das Partizip I und participium perfecti (das Perfektpartizip) für das Partizip II. Diese Bezeichnungen müssen jedoch abgelehnt werden, denn siegeben eine falsche Vorstellung von der zeitlichen Bedeutung der beiden Partizipien.

§ 187. Ihren nominalen Eigenschaften nach stehen die Partizipien dem Adjektiv nahe. Wie diese werden sie im Satz oft attributiv gebraucht und kongruieren dann mit dem Substantiv in Geschlecht, Kasus und Zahl: ein lesender Student, der lesende Student, die lesenden Studenten; ein gelesenes Buch, eines gelesenen Buches usw. Gleich den Adjektiven können die Partizipien substantiviert werden und behalten dabei die adjektivische Deklination bei. In ihrem grammatischen Geschlecht richten sie sich nach denselben Regeln, die für die substantivierten Adjektive gelten (s. § 91): der Verwundete, die Leidende, das Gewünschte.

...und er stand in Angst und Reue vor der Klagenden... (G. Keller)

Die Geladenen, die größtenteils auswärts wohnten, waren im Laufe des Tages und einige schon gestern eingetroffen. (B. Kellermann)

Er zerriß das Getippte in kleine Fetzchen. (H. Fallada)

Zwischen Partizip und Adjektiv läßt sich oft keine scharfe Grenze ziehen. Manche Partizipien haben sich von dem entsprechenden Verb losgelöst und sind in die Kategorie der Adjektive übergegangen. Damit ist meist auch ein Bedeutungswandel verbunden. Das sind z. B. folgende Wörter: reizend (vgl. das Verb reizen), dringend, entscheidend, entzükkend, auffallend, leidend, anziehend, spannend, drückend, schlagend; gebildet (vgl. das Verb bilden), verwandt, aufgeweckt, vertraut, besessen, geschickt, gewandt, verschwiegen, verlegen, angesehen, erfahren, bekannt, entzückt, gelehrt, gelernt, gedient. Vgl. mit dem Russischen: руководящая работа, знающий инженер, начинающий писатель, образованный человек.

Es war eins der auffallenden Mädchen gewesen. (H. Mann)

Sie hatten sich zwei kleine reizende Damen mitgebracht... (B. Kellermann)

Am folgenden Abend gab man im Stadttheater den „Lohengrin“, und alle gebildeten Leute waren anwesend. (Th. Mann)

„Ein geweckter Kopf, ein munterer Patron, der Schüler Buddenbrook.“ (Th. Mann)

Zuweilen hat sich in der Sprache nur die Form des Partizips erhalten, während das Verb selbst verschwunden ist: verdutzt (vgl. mhd verdutzen), betagt (vgl. mhd betagen), begabt (vgl. mhd begaben = beschenken, zur Hochzeit ausstatten), anwesend, abwesend, verschmitzt, entgeistert, berühmt, verhaßt.

Die Partizipien, die in die Kategorie der Adjektive übergehen, übernehmen dabei auch die Eigenschaften des Adjektivs, die das Partizip als verbales Adjektiv nicht besitzt. So bekommen die ehemaligen Partizipien die Steigerungsfähigkeit.

In Schweiß gebadet, völlig außer Atem, kam er wieder in belebtere Gegenden. (B. Kellermann)

Von der langwierigen Aufgabe... kehrten seine Gedanken zu der brennendsten Aufgabe zurück, an der vielleicht alles scheitern konnte. (A. Seghers)

Das ehemalige Partizip I kann prädikativ gebraucht werden (im Gegensatz zu dem Partizip I mit ausgesprochen verbalem Charakter).

Herr Schuhmann war nicht anwesend. (H. Mann)

Marx war leidend, müde, überanstrengt und übermäßig nervös, als er zum ersten Male in Karlsbad sein Heil suchte. (E. E. Kisch)

Glänzender, zugleich und rührender war nun Emmi. (H. Mann)

Anmerkung. Es gibt im Deutschen Adjektive, die sich ihrer Form nach an ein schwaches Partizip II anlehnen. Sie sind von Substantiven mittels der Präfixe be -, ge -, und (seltener) ver-, zer-, um-, ein- und des Suffixes - t abgeleitet: beringt, belaubt, bezopft, bestrumpft, beflaggt, beheimatet, bereift, geflügelt, geblümt, geädert, gestiefelt, verhaßt, eingefleischt, zerlumpt, umrankt, zerfurcht.

In der weißlackierten Türe erschien das bebrillte fahle Gesicht eines Arztes im weißen Kittel, der laut auflachte. (B. Kellermann)

Ein zerlumpter Knecht näherte sich mit einer hochbeladenen Getreidefuhre der Scheune. (Th. Harych)

In den meisten Fällen besteht das aus dem Partizip entstandene Adjektiv neben dem gleichlautenden Partizip I bzw. II. Vgl.: eine dringende Botschaft — der in die Stadt dringende Feind; ein gebildeter Mannein richtig gebildeter Satz; ein verdienter Offizier — das verdiente Geld; die besorgte Mutter — der besorgte Brief; die fahrende Habe — das fahrende Auto.

Die Partizipien I und II erfüllen im Satz verschiedene syntaktische Funktionen; sie können als Attribut, Adverbialbestimmung, prädikatives Attribut usw. auftreten. (Näheres darüber siehe in den entsprechenden Paragraphen der Syntax.)

§ 188. Die Konstruktion sein + Partizip II. Das Partizip II der transitiven Verben bildet mit dem Verb sein eine besondere Konstruktion. Sie tritt im Satz als Prädikat auf und kennzeichnet den Zustand des Subjekts. Das Partizip II mit sein erfüllt die Funktion eines nominalen Prädikats und steht seiner Bedeutung nach dem nominalen Prädikat mit einem Adjektiv als Prädikativ nahe (s. § 249); vgl.: Das Land ist befreit. — Das Land ist frei.

Der Unterschied zwischen der Bedeutung des Prädikats im ersten und im zweiten Beispiel besteht darin, daß das prädikative Partizip II eine Eigenschaft ausdrückt, die das Ergebnis einer früheren Handlung (befreien) ist; die im Adjektiv ausgedrückte Eigenschaft steht dagegen in keinerlei Beziehung zur Handlung. Das Partizip II mit sein kommt im Satz meist in den beiden einfachen Zeitformen vor, im Präsens oder im Präteritum.

Meine Arbeit ist für heute beendet. (E. M. Remarque) Er konnte seine Augen nicht von dem schönen Gesicht wegwenden, das von einem grünen Halblichte verschönert war. (J. W. Goethe)

Zwischen den Häusern, war der Weg noch gepflastert... (A. Seghers)

Er war in zahllose Liebesgeschichten und Raufereien verwickelt gewesen. (A. Seghers)

Zuweilen treten im Partizip II seine verbalen Eigenschaften in den Vordergrund. Das hängt mit dem Gesamtinhalt des Satzes zusammen, d. h. damit, ob im Satz der Urheber oder die näheren Umstände der Handlung angegeben sind. In diesem Fall wird die ganze Konstruktion zu einem einfachen verbalen Prädikat und kommt ihrer Bedeutung nach dem Passiv nahe. Dabei entspricht das Partizip II mit sein im Präsens dem Perfekt Passiv, im Präteritum dem Plusquamperfekt Passiv.

...und er sagte, indes er sich in die Brust warf: „Jetzt bist du durch den Bach getragen vom Prinzen von Bearn. “ (H. Mann)

Unter Rosaliens energischem Antrieb war die Abmachung schnell und fest getroffen. (Th. Mann)

Nachdem unser Freund verbunden und angekleidet war, eilte der Chirurgus weg. (J. W. Goethe)

Anmerkung. Zuweilen überschneidet sich die Konstruktion des Partizips II mit sein im Präsens bzw. Präteritum ihrer Bedeutung nach mit den entsprechenden Zeitformen des Passivs. Dies ist der Fall, wenn das Partizip II von einem Verb mit nichtbegrenzter Bedeutung gebraucht wird (s. § 171).

„Madame“, sagte Henri mit ehrlicher Überzeugung, „Sie sind schuldlos verfolgt, wie ich wohl sehe.“ (H. Mann)

Das kleine „Residenzcafe“... bot einen schönen Ausblick auf die alte Lindenallee, war aber nur an Sonn- und Feiertagen während des Promenadenkonzertes stärker besucht. (B. Kellermann)

Solcher Gebrauch des Partizips II mit sein wird von deutschen Grammatikern und Stilisten als regelwidrig betrachtet und ist daher nicht zu empfehlen.

§ 189. Das System der Partizipien ist in der russischen Sprache reicher als in der deutschen. Der Hauptunterschied besteht darin, daß das russische Partizip vier Formen kennt und eine absolute zeitliche Bedeutung aufweisen kann.


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Tabelle| Kapitel VIII

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