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Es müssen demnach, in den nächsten Perioden der Zukunft, zuvörderst die Hindernisse im Wege der Menschheit fortgeschafft werden.
Das Hinderniß auf rein politischem Felde ist der Ausschluß der besitzlosen Volksclassen von der Regierung des Staates. Es wird durch die Gewährung des allgemeinen und direkten Wahlrechts beseitigt.
Die Forderung dieses Wahlrechts ist in mehreren Staaten bereits gewährt worden, und alle anderen müssen mit der Zeit dem Beispiele folgen: sie können nicht zurückbleiben.
Die Forderung konnte von den conservativen Elementen im Staate erfüllt werden, erstens, weil, in Folge der bestehenden Theilung der Staatsgewalt, der Volkswille kein absoluter ist, Beschlüsse deshalb nicht immer ausgeführt werden müssen; zweitens, weil eben die Unwissenheit der Massen das Recht vorläufig zu einer stumpfen Waffe macht. Die Gefahr, daß jetzt sofort das Volk alle Staatsinstitutionen gesetzlich umstoßen werde, war also gar nicht vorhanden. Man befriedigte auf der anderen Seite das Volk vollständig, weil in der That kein höheres rein politisches Recht verlangt werden kann, und konnte ruhig der Entwicklung der Dinge das Weitere überlassen. Jede gesetzgebende Versammlung, die auf dem allgemeinen und direkten Wahlrecht beruht, ist der adäquate Ausdruck des Volkswillens, denn sie ist es auch dann, wenn ihre Majorität dem Volke feindlich gesinnt ist, da die Wähler Furcht, Mangel an Einsicht u.s.w. verrathen und bekunden, daß sie einen getrübten Geist haben.
Ein besseres Wahlgesetz kann also dem Volke nicht gegeben |
i296 werden. Aber seine Anwendung kann eine ausgedehntere werden. Halten wir uns an Deutschland, so werden nach dem Gesetze nur die Wahlen zum Reichstag bewerkstelligt. Es sollten aber sämmtliche Wahlen darnach stattfinden: die Wahlen für die Landtage, für die Provinzial- und Kreistage, für die Gemeindevorstände, für die Schwurgerichte u.s.w. Eine solche Ausdehnung hängt aber von der Bildung der Einzelnen ab.
Hier stehen wir vor dem ökonomischen Hinderniß, durch welches das wahre Wesen der socialen Frage bereits ganz deutlich zu erkennen ist. Der gemeine Mann soll seine politischen Aemter verwalten können.
Zu diesem Zwecke muß er Zeit gewinnen. Er muß Zeit haben, um sich bilden zu können. Hier liegt der Quellpunkt der ganzen Frage. Der Arbeiter hat jetzt thatsächlich nicht die Zeit dazu, sich auszubilden. Er muß, weil ihm nicht der ganze Ertrag seiner Arbeit zufällt, indem das herrschende Capital den Löwenantheil davon nimmt, lange arbeiten, um überhaupt leben zu können, so lange, daß er, Abends zurückkehrend, keine Kraft mehr hat, seinen Geist zu cultiviren. Die Aufgabe des Arbeiters ist also: sich einen kürzeren Arbeitstag bei auskömmlicher Existenz zu erringen. Hierdurch aber steigert sich nicht nur der Preis der von ihm erzeugten Produkte, sondern auch der Preis aller Lebensbedürfnisse, da in der ökonomischen Kette ein Glied von dem anderen abhängt, und er muß deshalb mit Nothwendigkeit Lohnerhöhung, bei gleichzeitiger Verkürzung der Arbeitszeit, fordern; denn die Lohnerhöhung wird von den allgemein gestiegenen Preisen absorbirt, und es bleibt ihm nur die verkürzte Arbeitszeit als einziger Gewinn.
Auf dieser Erkenntniß beruhen alle Strikes unserer Zeit. Man darf sich nicht dadurch beirren lassen, daß die gewonnene Zeit, wie das gewährte Wahlrecht, von den Meisten nicht richtig angewandt wird. Der erkannte Vortheil wird allmählich Jeden zur Sammlung drängen, wie schon jetzt Viele, deren Namen (wie in den Katakomben Neapel’s zu lesen ist) Gott allein kennt, die gewonnene Zeit gehörig benutzen. (Die schöne und zugleich erhabene Inschrift lautet: Votum solvimus nos quorum nomina Deus scit.)
i297 Nehmen wir nun an, die Arbeiter hätten ihre Aufgabe ganz allein, ohne irgend eine Hülfe, zu lösen, so würde die Folge von Allem sein, daß Alt und Jung eine klare Einsicht in ihre Interessen gewönnen und so allmählich dahin gelangten, eine starke Minorität in die gesetzgebenden Körper zu senden, die immer und immer wieder zwei Forderungen zu stellen hätten:
1) freie Schule;
2) gesetzliche Aussöhnung zwischen Capital und Arbeit.
Durch die gewonnene Zeit kann der Einzelne jetzt eine umfassende Geistesbildung nicht erlangen. Nur hie und da kann er ein Körnchen einheimsen. Die Hauptsache ist und bleibt, daß er sich an seinem Interesse entzündet, sich klar über die gesellschaftlichen Verhältnisse wird, Andere darüber aufklärt, fest an der Gesammtheit hält und so durch würdige Vertreter bestimmenden Einfluß auf den Staatswillen erhält. Diese Vertreter haben nun zunächst die Verpflichtung, das Uebel an der Wurzel anzufassen und laut die freie Schule zu verlangen, d.h. unentgeltlichen wissenschaftlichen Unterricht für Jeden. Es giebt kein größeres Vorurtheil, als die Annahme, daß Jemand kein guter Bauer, Handwerker, Soldat u.s.w. sein könne, welcher englisch und französisch spricht, oder den Homer in der Ursprache lesen kann.
Damit aber diese Forderung, wenn gewährt, durchführbar sei, müssen die Eltern in ihrem Erwerb so gestellt sein, daß sie nicht nur die Arbeit der Kinder entbehren, sondern auch den Unterhalt derselben bis zur völligen Ausbildung bestreiten können, d.h. die Lohnverhältnisse müssen durchgreifend verändert werden.
Lassalle, dieses, in theoretischer und praktischer Hinsicht, großartige Talent, aber ohne eine Spur von Genialität, hat vorgeschlagen, durch Gewährung von Staatscredit Arbeiterassociationen nach Gewerken zu ermöglichen, welche mit dem Capital in Concurrenz treten könnten. Das bestehende Kapital bleibe unangetastet, und es werde nur die Concurrenz mit demselben dadurch gestattet, daß sich die Arbeiter durch den Credit in den Besitz der unbedingt nothwendigen Arbeitsinstrumente setzen könnten.
So unbestreitbar es ist, daß das Mittel helfen würde, so sicher ist, daß der Staat nicht die Hand dazu reicht (denn wie oben:»die Welt soll nicht so rasch zum Ziele, als wir denken und wünschen«). |
i298 Was kann man nun Anderes vom Staate fordern, der jedenfalls verpflichtet ist, gerechte Forderungen seiner Steuerzahler zu bewilligen?
Das Aufgehen der kleinen Werkstätten in große Fabriken ist eine Folge des großen Capitals. Es liegt im Zuge unserer Zeit, der vom kleinen Capital verstärkt wird (die Krisis von 1873 und ihre Folgen haben diesen Zug nur vorübergehend geschwächt), daß die Fabriken in Actiengesellschaften umgewandelt werden. Es ist nun zunächst vom Staate zu verlangen, daß er diese Umbildung der Fabriken begünstige, jedoch die Bedingung stellend, daß der Arbeiter am Gewinn des Geschäfts betheiligt werde. Ferner kann man vom Staate fordern, daß er selbständige Fabrikanten zwinge, gleichfalls die Arbeiter am Gewinn zu betheiligen. (Mehrere Fabrikanten, in der richtigen Erkenntniß ihres Vortheils, haben dies bereits gethan.) Das Actiencapital werde zum landesüblichen Zinsfuße verzinst und andererseits der Lohn der Arbeiter nach Verdienst ausgezahlt. Der Reingewinn wäre dann in gleichen Hälften unter Capital und Arbeiter zu vertheilen; die Vertheilung unter die Arbeiter hätte nach Maßgabe ihres Lohnes zu geschehen.
Man könnte dann allmählich, nach bestimmten Perioden, die Verzinsung des Capitals immer mehr herabsetzen; auch den Vertheilungsmodus des Reingewinnes allmählich immer günstiger für die Arbeiter feststellen; ja, durch allmähliche Amortisation der Actien mit einem bestimmten Theil des Reingewinns, die Fabrik ganz in die Hände aller am Geschäft Betheiligten bringen.
Ingleichen wären Banken und Handelsgesellschaften und der Ackerbau ähnlich zu organisiren, immer nach dem Gesetze der Ausbildung des Theils verfahrend, denn mit Einem Schlage können die socialen Verhältnisse nicht umgestaltet werden.
Daß die jetzige Bewirthschaftungsmethode des Bodens unhaltbar ist, geben alle Einsichtigen aller Parteien zu. Ich erinnere nur an den vortrefflichen Riehl, der die Formen des Mittelalters, allerdings umgemodelt, conservirt haben möchte. Er sagt:
Man hat die Frage aufgeworfen, wie lange wohl die landwirthschaftlichen Voraussetzungen der Art bleiben würden, daß ein Stand der kleinen Grundbesitzer, der von uns geschilderte Bauernstand, möglich sei? Denn das Unvollkommene, Mühselige und wenig Ausgiebige der Bewirthschaftungsmethode – – – muß doch bei den riesigen Fortschritten der Agriculturchemie, des ratio|nellen
i299 Landbaus und bei dem zu der immer noch oberflächlichen Ausnützung des Bodens bald in keinem richtigen Verhältnisse mehr stehenden Wachsthum der Bevölkerung, über kurz oder lang, einem gleichsam fabrikmäßigen, in’s Große gearbeiteten Landbau weichen, der alsdann den kleinen Bauernstand in der gleichen Weise trocken legen würde, wie das industrielle Fabrikwesen den kleinen Gewerbestand bereits großentheils trocken gelegt hat. Daß diese Eventualität einmal eintreten muß, bezweifeln wir durchaus nicht.
Wäre dies erlangt, so könnten die Actiengesellschaften eines Arbeitszweiges in Verbindung mit einander für bestimmte Zwecke treten; es könnten Gruppen ihr Genossenschaftsbankhaus, ihre Versicherungsgesellschaft für die verschiedenartigsten Fälle (Krankheit, Invalidität, Todesfall, Verlust aller Art etc.) haben u.s.w.
Ferner könnten sämmtliche Verkaufsläden einer Stadt, eines Stadttheils, nach ähnlichen Grundsätzen organisirt werden, kurz, der jetzige Verkehr würde im Ganzen derselbe bleiben und nur außerordentlich vereinfacht werden. Die Hauptsache aber würde sein, daß eine thatsächliche Versöhnung zwischen Capital und Arbeit eintreten und die Bildung das Leben Aller wesentlich veredlen würde.
Eine andere gute Folge dieser Vereinfachung würde eine veränderte Steuergesetzgebung sein; denn der Staat hätte jetzt einen klaren Einblick in das Einkommen Aller, und indem er die Gesellschaften besteuerte, hätte er den Einzelnen besteuert.
41.
Auf diese Weise könnte die sociale Frage in einem friedlichen, langsamen Entwicklungsgange der Dinge gelöst werden, wenn die Arbeiter beharrlich und ohne Ausschreitungen ihre Ziele verfolgten. Aber ist dies anzunehmen? An den gesellschaftlichen Zuständen, die das Gepräge des Capitals tragen, rütteln die Arbeiter ingrimmig und begierig, wie die halbwilden germanischen Völker an den Grenzen des Römerreichs gerüttelt haben. Die Ungeduld legt sich, wie ein Schleier, über das klare Auge des Geistes, und fessellos wogt die Begierde nach einem genußreicheren Leben.
Ständen die Arbeiter demnach allein, so wäre mit Gewißheit |
i300 vorauszusagen, daß eine friedliche Lösung der socialen Frage nicht möglich sei. Diese aber haben wir jetzt allein im Auge, und wir haben deshalb diejenigen Elemente ausfindig zu machen, welche gleichsam ein Gegengewicht für die Ungeduld der niederen Classen sind und die sociale Bewegung derartig beeinflussen können, daß ihr Gang ein stetiger bleibt.
Diese Elemente liefern die höheren Classen.
Wir haben die Bewegung der Menschheit, als Civilisation, mit dem Sturze einer Kugel in den Abgrund verglichen, und wer aufmerksam dem Vorhergehenden gefolgt ist, der wird erkannt haben, daß der Kampf und Streit, im Fortschreiten der Menschheit, immer intensiver wird. Der ursprüngliche Zerfall der Einheit in die Vielheit gab allen folgenden Bewegungen die Tendenz, und so vermehrten sich continuirlich die Gegensätze auf allen Gebieten. Man betrachte nur oberflächlich das geistige Feld der Gegenwart. Während im ersten Mittelalter nur geglaubt und äußerst selten von einem muthigen, freien Einzelnen ein Versuch gemacht wurde, das Bestehende anzugreifen, steht jetzt, wohin man blickt, Meinung gegen Meinung. Auf keinem Felde des geistigen Gebiets herrscht Friede. Auf religiösem Felde findet man tausend Sekten; auf philosophischem tausend verschiedene Fahnen; auf naturwissenschaftlichem tausend Hypothesen, auf aesthetischem tausend Systeme; auf politischem tausend Parteien; auf merkantilem tausend Meinungen; auf ökonomischem tausend Theorieen.
Jede Partei nun auf rein politischem Gebiete sucht die sociale Frage zu ihrem Vortheil auszubeuten und verbündet sich mit den Arbeitern bald zu diesem, bald zu jenem, von ihr erstrebten Zweck. Hierdurch wird zunächst die sociale Bewegung in einen rascheren Fluß gebracht.
Dann haben Ehrgeiz, Ruhmbegierde und Herrschsucht von jeher bedeutende Männer aus den höheren Gesellschaftsschichten veranlaßt, ihr faules Leben zu verlassen und die Sache des Volkes zu der ihrigen zu machen. Der Stoff ist außerordentlich spröde: die Finger bluten, und ermattet sinken oft die Arme herab, – aber rollt dort nicht das Glück, hochhaltend den Lorbeerkranz, oder die Zeichen der Macht?
Aber die immanente Philosophie gründet ihre Hoffnung hauptsächlich auf die Einsicht der vernünftigen Arbeitgeber und auf die |
i301 Guten und Gerechten aus den höheren Ständen. Die Unhaltbarkeit der socialen Zustände drängt sich jedem Denkenden und Vorurtheilslosen auf. Sie wird selbst in den»allerhöchsten«Schichten der Gesellschaft erkannt, und führe ich zum Beleg die Worte des unglücklichen Maximilian von Habsburg an:
An was ich mich noch immer nicht gewöhnen kann, ist zu sehen, wie der reiche aussaugende Fabrikbesitzer in Masse herstellt, was den unmäßigen Luxus der Reichen befriedigt und ihre Prachtliebe kitzelt, während die Arbeiter, durch sein Gold geknechtet, blasse Schatten wirklicher Menschen sind, die, in gänzlicher Seelenverdummung, ihren Körper seinem Geldsacke, zur Stillung der Bedürfnisse des Magens, in maschinenmäßigem Takte opfern.
(Aus meinem Leben.)
Von der Lösung der socialen Frage hängt die Erlösung der Menschheit ab: das ist eine Wahrheit, an der sich ein edles Herz entzünden muß. Die sociale Bewegung liegt in der Bewegung der Menschheit, ist ein Theil des Schicksals der Menschheit, das die Wollenden und Widerstrebenden mit gleicher Gewalt in seinen unabänderlichen Gang zwingt. Hierin liegt die Aufforderung für Jeden, der nicht ganz gebannt ist in den engen, öden Kreis des natürlichen Egoismus, mit Gut und Blut, mit seiner ganzen Kraft sich dem Schicksal als Werkzeug anzubieten, sich einzustellen in die Bewegung und dafür das höchste Glück auf dieser Erde zu erlangen: den Herzensfrieden, der aus der bewußten Uebereinstimmung des individuellen Willens mit dem Gange der Gesammtheit, mit dem, an die Stelle des heiligen Willens Gottes getretenen Entwicklungsgang der Menschheit entspringt. Wahrlich, wer dieses Glück nur vorübergehend in sich empfindet, der muß aufglühen in moralischer Begeisterung, dem muß der klare Kopf das kräftige Herz entzünden, daß unwiderstehlich aus ihm die Lohe der Menschenliebe hervorbricht, denn
die Frucht des Geistes ist Liebe.
(Galater 5, 22.)
Sursum corda! Erhebt euch und tretet herab von der lichtvollen Höhe, von wo aus ihr das gelobte Land der ewigen Ruhe mit trunkenen Blicken gesehen habt; wo ihr erkennen mußtet, daß das Leben wesentlich glücklos ist; wo die Binde von euren Augen fallen mußte; – tretet herab in das dunkle Thal, durch das sich der trübe Strom der Enterbten wälzt und legt eure zarten, aber |
i302 treuen, reinen, tapferen Hände in die schwieligen eurer Brüder.»Sie sind roh.«So gebt ihnen Motive, die sie veredeln.»Ihre Manieren stoßen ab.«So verändert sie.»Sie glauben, das Leben habe Werth. Sie halten die Reichen für glücklicher, weil sie besser essen, trinken, weil sie Feste geben und Geräusch machen. Sie meinen, das Herz schlage ruhiger unter Seide als unter dem groben Kittel.«So enttäuscht sie; aber nicht mit Redensarten, sondern durch die That. Laßt sie erfahren, selbst schmecken, daß weder Reichthum, Ehre, Ruhm, noch behagliches Leben glücklich machen. Reißt die Schranken ein, welche die Bethörten vom vermeintlichen Glück trennen; dann zieht die Enttäuschten an eure Brust und öffnet ihnen den Schatz eurer Weisheit; denn jetzt giebt es ja nichts Anderes mehr auf dieser weiten, weiten Erde, was sie noch begehren und wollen könnten, als Erlösung von sich selbst. –
Wenn dies geschieht, wenn die Guten und Gerechten die sociale Bewegung reguliren, dann und nur dann kann der Gang der Civilisation, der nothwendige, bestimmte, unaufhaltbare, nicht über Berge von Leichen und durch Bäche von Blut stattfinden.
42.
Blicken wir von hier aus zurück, so sehen wir, daß das Nationalitätsprincip, der Kampf des Staates mit der Kirche und die sociale Bewegung große Umwälzungen hervorbringen werden, welche sämmtlich einen unblutigen Verlauf nehmen können.
Ist es jedoch wahrscheinlich, daß die Bedingungen hierfür einreten? Ist es wahrscheinlich, daß, durch Congresse und Schiedsgerichte, Staaten zertrümmert und Völker vereinigt werden, welche verbunden sein wollen? Ist es wahrscheinlich, daß der Kampf des Staates mit der Kirche durch Gesetze allein geschlichtet wird? Steht die höchste Gewalt in jedem Staate auf der Seite des reinen Staatsgedankens? Ist es schließlich wahrscheinlich, daß die Capitalisten einen Tag haben werden, wie der 4. August 1789 für die Feudalen einer war?
Nein! dies Alles ist nicht wahrscheinlich. Wahrscheinlich ist dagegen, daß die Umwälzungen alle gewaltsam sein werden. Die Menschheit kann nur in heftigen Geburtswehen, unter Blitz und Donner, in einer Luft voll Fäulnißgeruchs und Blutdunsts, die Form und das Gesetz einer neuen Zeit in das Dasein werfen. |
i303 So lehrt die Geschichte,»das Selbstbewußtsein der Menschheit.«Aber die Umwälzungen werden sich rascher vollziehen und von weniger Gräueln begleitet sein: dafür sorgen die Guten und Gerechten, oder, mit anderen Worten, die zu einer Großmacht gewordene Humanität.
Es ist die Aufgabe der philosophischen Politik, den Gang der Menschheit, unter weiten Gesichtspunkten, in großen Zügen zu entwerfen, weil sie allein es kann. Aber es wäre Vermessenheit, die einzelnen Ereignisse bestimmen zu wollen.
In dieser Richtung darf sie, wenn sie ihrer Würde keinen Eintrag thun will, nur allgemeine Andeutungen geben und, der Fülle wirkender Ursachen auf den Grund blickend, Gruppirungen als wahrscheinlich bezeichnen.
Zunächst ist klar, daß keine der in Rede stehenden Umwälzungen in der nächsten Zukunft sich ganz rein vollziehen wird. In den Kampf des Staates mit der Kirche werden Bestrebungen, die im Nationalitätsprincip wurzeln, eingreifen, und zugleich wird die Fahne der Socialdemokratie entfaltet werden.
Im Vordergrunde aber steht der Kampf des Staates mit der Kirche, der Vernunft mit der Unwissenheit, der Wissenschaft mit dem Glauben, der Philosophie mit der Religion, des Lichtes mit der Finsterniß, und er wird der nächsten Geschichtsperiode die Signatur geben.
Wir haben ihn deshalb vorerst in’s Auge zu fassen.
Welche europäischen Nationen sich in diesem Kampfe gegenüberstehen werden, kann Niemand voraussagen. Dagegen ist sicher, daß Deutschland den Staatsgedanken vertreten, Frankreich auf der Seite der Kirche stehen wird.
Wer siegen wird, ist fraglich; aber wie auch der Krieg ausfallen möge – die Menschheit wird einen sehr großen Fortschritt machen.
Dies haben wir zu begründen.
Führt Frankreich einen reinen Rache-Krieg unter der Fahne Rom’s, unterstützt von Allen, welche, unter den Scherben zersprungener historischer Kategorien, ein lichtscheues, verbissenes, rachsüchtiges, armseliges und bornirtes Leben führen, so kann mit Bestimmtheit vorausgesagt werden, daß es, es stehe allein oder es habe mächtige Verbündete, schließlich unterliegen muß; denn wie sollte es |
i304 siegen können über eine Macht, die, weil sie, unter den gegebenen Bedingungen, in der Bewegung der Menschheit steht, ihre Kraft vertausendfacht durch die moralische Begeisterung, in welcher ihre Heerschaaren erglühen werden? Wie wird es in Deutschland brausen, wenn die zündende Loosung ausgegeben wird: Letzte und definitive Abrechnung mit Rom, mit Pfaffenlug und Pfaffentrug? Würde es einen einzigen verständigen Socialdemokraten geben, der dann nicht das Schwert ergriffe und spräche: Erst Rom, dann meine Sache!? O, welch ein Tag wäre dieser!
Schreibt dagegen Frankreich die Lösung der socialen Frage auf seine Fahne, gleichfalls unterstützt von Rom und allen ränkeschmiedenden Romantikern, die in der Illusion befangen sind, sie könnten, nach dem Siege, die Geister bannen, welche sie heraufbeschworen, – so ist es nicht gewiß, aber sehr wahrscheinlich, daß Deutschland nicht erfolgreich sein wird; denn dann steht Frankreich in der Bewegung der Menschheit, während Deutschland eine fest zusammengehaltene Macht nicht sein wird.
Im letzteren, wie im ersteren Falle ist aber Rom dem Untergang geweiht; denn ein Frankreich, das unter social-demokratischer Fahne gesiegt hat, muß die brüchige Form zu Boden werfen, daß sie in Splitter zerschellt, die nie mehr zusammengeleimt werden können.
Die große, gewaltige historische Form der römisch- katholischen Kirche ist reif für den absoluten Tod. Daß sie sich selbst hineintreibt und nicht hineingetrieben wird, daß sie mit eigener Hand das Zeichen der Vernichtung auf ihre Stirn gedrückt hat, das macht ihren Fall so tief tragisch und ergreifend. Sie hat, was man auch sagen möge, überaus segensreich für die Menschheit gewirkt. Sie hat, als politische Macht, den Streit vermehrt: ein großes Verdienst, und namentlich nach der Willensseite erfolgreich gehandelt. Den Geist verdüsterte sie nicht: sie ließ ihn nur verdüstert, aber die Herzen, die trotzigen, wilden und rebellischen, hat sie gebrochen mit ihren eisernen Händen und schneidigen Waffen. –
Erwägen wir beide Fälle aufmerksam, so werden wir finden, daß der erstere der wahrscheinlichere ist; denn wie sollte Frankreich unter social-demokratischer Fahne gegen Deutschland in den Kampf ziehen können? Die Verhältnisse des zerrissenen Landes in der Gegenwart geben keinen Anhaltspunkt dafür.
i305
43.
Wie nun auch der unabwendbare, in der Entwicklung der Dinge liegende neue Krieg mit Frankreich ausfallen möge, so ist gewiß, daß nicht nur die Macht der Kirche vernichtet, sondern auch die sociale Frage ihrer Lösung sehr nahe gebracht werden wird.
Siegt Frankreich, so muß es die Frage lösen. Siegt dagegen Deutschland, so sind zwei Fälle möglich.
Entweder entwickelt sich dann die sociale Bewegung machtvoll aus dem in sich vollständig zerrütteten Frankreich: es entsteht in ihm ein Brand, der alle Culturvölker ergreifen wird, oder Deutschland dankt großmüthig Denjenigen, deren Söhne den größten Theil seines siegreichen Heeres ausgemacht haben, indem es die schwersten Fesseln des Capitals von ihnen abstreift. Soll Deutschland nur berufen sein, geistige Probleme zu lösen? Ist es impotent auf ökonomischem Gebiete und kann es hier nur immer Anderen nachsinken? Warum soll das Volk, das Luther, Kant und Schopenhauer, Copernicus, Kepler und Humboldt, Lessing, Schiller und Goethe geboren hat, nicht zu dem Ruhmeskranz, Rom zum zweiten Male geschlagen und diesmal zerschlagen zu haben, nicht auch den anderen fügen können, die sociale Frage gelöst zu haben? –
Hier ist auch der Ort, den Kosmopolitismus und die moderne Vaterlandsliebe zu beleuchten und die gesunde Verbindung beider festzustellen. Ersterer ist, in unserer Zeit, nur im Princip festzuhalten, d.h. es darf nicht aus den Augen verloren werden, daß alle Menschen Brüder und berufen sind, erlöst zu werden. Aber es herrschen jetzt noch die Gesetze der Ausbildung des Theils und der Völkerrivalität. Die Grundbewegung ist noch nicht, als eine einheitliche, auf die Oberfläche gekommen, sondern legt sich hier noch in verschiedene Bewegungen auseinander. Diese müssen erst zusammengefaßt werden, um das Bild jener zu geben, d.h. jene muß sich aus den verschiedenartigen Bestrebungen der einzelnen Nationen erzeugen. Es hat sich demnach der Wille des Individuums, die ganze Menschheit im Auge behaltend, an der Mission seines Vaterlandes zu entzünden. In jedem Volke herrscht der Glaube an eine solche Mission, nur ist sie bald eine höhere, bald eine tiefere; denn das nächste Bedürfniß entscheidet, und die Gegenwart behält Recht. So ist die Mission eines Volkes, dem noch die Einheit fehlt, sich zunächst die Einheit zu erringen, und seine Bürger |
i306 mögen für das Nähere eintreten, im Vertrauen, daß ein günstiger situirtes Brudervolk inzwischen das höhere Ziel erreicht und die Befruchtung alsdann nicht ausbleiben kann.
Es gilt also für die Geschichtsperiode, in der wir leben, das Wort: Aus Kosmopolitismus sei Jeder ein opferwilliger Patriot.
44.
Ich kann nicht oft genug wiederholen, und jeder Einsichtige, der die Fäden verfolgt, welche aus dem Dunkel des Alterthums bis in die Gegenwart reichen und die Richtung ihres Laufs in die Zukunft deutlich zeigen, wird zustimmen: daß die sociale Bewegung in der Bewegung der Menschheit liegt, und daß sie, sie vollziehe sich nun halbfriedlich, oder, wie die französische Revolution, unter den entsetzlichsten Gräueln und dem Gewimmer der gewaltsam vom Baume des Lebens in die Nacht des Todes Abgestoßenen, nicht aufzuhalten ist.
Wie es dem Marius gelungen ist, die Cimbern und Teutonen zu vernichten, so gelang es dem Bürgerthum, die Arbeiter 1848 zurückzuschlagen und andere socialistische Erhebungen, die inzwischen in mehreren Ländern stattfanden, zu unterdrücken. Können aber mindestens 4 / 5des Volkes auf die Dauer, durch die heutige Productionsweise, von den Schätzen der Wissenschaft ausgeschlossen bleiben? Gewiß nicht; so wenig als die Plebejer Rom’s auf die Dauer von den Aemtern fern zu halten waren, so wenig als das Bürgerthum selbst auf die Dauer von der Regierung des Staates ausgeschlossen bleiben konnte.
Die Civilisation tödtet, sagte ich oben. Naturgemäß schwächt sie die höheren Schichten der Gesellschaft mehr als die unteren, weil sich das Individuum jener rascher ausleben kann. Es steht unter dem Einflusse vieler Motive, welche viele Begierden erwecken, und diese verzehren die Lebenskraft.
Karger Mangel ist der beste Boden für die Menschenpflanze, sagt der conservative Staatsmann.
Treibhauswärme muß die Menschenpflanze haben, sagt der immanente Philosoph.
Die ältesten Urgeschlechter des hohen Adels sind gegen das Ende des Mittelalters fast alle ausgestorben. Wie der einzelne |
i307 Mensch von hinnen geht, wenn er seine Sendung erfüllt hat, so treten auch die Geschlechter und Familien ab, wenn das Maß ihres Wirkens voll ist. Das stolzeste Haus, dem zahlreiche Sprößlinge noch eine vielhundertjährige Dauer zu verheißen scheinen, erlöscht oft plötzlich.
(Riehl.)
Die Corruption und Verdorbenheit in den oberen Classen der heutigen Gesellschaft ist groß. Der Aufmerksame findet in ihnen alle Fäulnißerscheinungen wieder, welche ich am absterbenden römischen Volke gezeigt habe.
Ueberall nun, wo Fäulniß in der Gesellschaft auftritt, offenbart sich das Gesetz der Verschmelzung; denn die Civilisation hat, wie ich mich bildlich ausdrückte, das Bestreben, ihren Kreis zu erweitern, und sie schafft gleichsam die Fäulniß, damit wilde Naturvölker, angelockt, ihre langsame Bewegung aufgeben und sie mit der raschen der Civilisation vertauschen.
Wo sind aber die wilden Naturvölker, welche jetzt in die Staaten eindringen könnten?
Es ist wahr: die Lebenskraft der romanischen Nationen ist kleiner als die der germanischen, und die Kraft dieser geschwächter als die der slavischen Völker. Aber eine Völkerwanderung kann nicht mehr stattfinden; denn alle diese Nationen sind bereits in einem geschlossenen Kreise der Civilisation und in jeder dieser Nationen, in Rußland so gut als in Frankreich, ist die Fäulniß vorhanden.
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