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Die realistische Epik dagegen führt alle Charaktere ohne Ausnahme vor: Weise und Narren, Böse und Gute, Gerechte und Ungerechte, leidenschaftliche und passive Naturen, und der realistische Epiker wird jeder Individualität gerecht.
Am vollkommensten spiegelt sich der Mensch im Drama. In diesem reden und handeln die Personen selbst und entschleiern ihre verstecktesten Charakterzüge. Nicht wie gedacht, empfunden und gehandelt werden soll, sondern wie thatsächlich in der Welt gehandelt, empfunden und gedacht wird, – das soll das gute Drama zeigen: den Triumph des Bösewichts und den Fall des Gerechten; die Reibung der Individuen, ihre Noth, ihre Qual und ihr vermeintliches Glück; den Gang des allgemeinen Schicksals, das sich aus den Handlungen aller Individuen erzeugt, und den Gang des Einzelschicksals, das sich bildet aus dem Zufall einerseits und den Trieben des Dämons andererseits. Shakespeare wird für alle Zeiten der größte realistische Dramatiker bleiben.
Der ideale Dramatiker dagegen wählt sich diejenigen Personen aus, welche vom Ideal der schönen Seele nicht allzu weit entfernt sind. Er zeigt sie uns in der Ruhe und in der Bewegung, schuld|voll
i162 und unschuldig, aber immer verklärt, nicht leblos oder unsinnig rasend, nicht excentrisch und ausschweifend. Unter den älteren Dramatikern hat namentlich Sophokles uns solche Menschen vorgeführt. Unter den jüngeren idealen Dramatikern ist unser großer Goethe allein zu nennen. Man kann den Tasso und die Iphigenie nicht lesen, ohne die tiefste Befriedigung zu empfinden. Die Prinzessin und Iphigenie sind die wahren und echten Urbilder der schönen Seele. Und wie wußte der Dichter, innerhalb der Grenzen der idealen Poesie, die anderen Charaktere so klar von einander abzuheben. Wo der Eine oder der Andere, wie Tasso oder Orest, ausschreiten wollte, da hielt er das magische Geflecht der Schönheit über die Flamme und sie trat zurück. –
Es ist klar, daß die Gesetze des Subjektiv-Schönen für den realistischen Dichter sowohl, als für den idealen gelten; sie sind verbindlich für beide und können nicht verletzt werden.
Im Gefolge der Poesie finden wir die Deklamations- und Schauspielkunst, welche den Werken der Dichtkunst ein erhöhtes Leben einhauchen und ihren Eindruck wesentlich verstärken.
32.
Wie wir gesehen haben, zeigt uns die Dichtkunst die Idee des Menschen einerseits als Ding an sich vollständig und andererseits als Objekt, indem sie das Subjekt, durch treffende Beschreibung, zwingt, ein Bild von ihr zu entwerfen, und sagte ich deshalb, daß sie die ganze Idee spiegele, das Innere und Aeußere; außerdem zieht sie durch Schilderung die sämmtlichen anderen Ideen in ihren Bereich, und sagte ich deshalb, daß sie die ganze Natur abspiegele und die höchste Kunst genannt werden müsse. Die Musik nun hat es nur mit dem Menschen zu thun, sämmtliche anderen Ideen sind ihr fremd, und zwar behandelt sie nur das Innere des Menschen und davon nur die Zustände. Sie ist demnach eine wesentlich unvollkommenere Kunst als die Poesie. Aber da ihr Material der Ton ist, nicht das tönende Wort, so redet sie eine für Alle verständliche Sprache und ist diejenige Kunst, welche uns am leichtesten in den aesthetischen Zustand versetzt, weshalb sie die mächtigste Kunst genannt werden muß.
Wir haben oben erkannt, daß die Töne nichts weiter sind, als die hörbar gewordenen inneren Bewegungen des Menschen oder Fort|setzungen
i163 der inneren Vibrationen in einem fremden Stoffe. Jedoch muß man wohl merken, daß der Ton nicht identisch mit der Gemüthsbewegung, sondern Objekt ist, ebenso wie die Farbe eines Objekts nicht mit der Beschaffenheit des Dinges an sich, die sie verursacht, identisch ist.
Der seelenbestrickende Zauber des menschlichen Gesanges besteht nun darin, daß die Töne den Willen des Zuhörers in denselben Zustand, aus dem sie entsprungen sind, versetzen, aber so, daß wir trauern und doch nicht trauern, jubeln und doch nicht jubeln, hassen und doch nicht hassen, lieben und doch nicht lieben, und ist dies nicht anders zu erklären, als daß die Töne uns nur theilweise die eigene Bewegung nehmen und uns die ihrige dafür geben. Wir verwandeln gleichsam nur an der Oberfläche unsere Bewegung, wie das Meer im heftigsten Sturme in der Tiefe ruhig ist. Dieselbe Wirkung üben auch die Töne von Instrumenten auf uns aus, wenn ihnen der Künstler, so zu sagen, seine Seele, seinen Willenszustand, eingehaucht hat, denn sonst ist ihre Wirkung mehr eine mechanische und erwärmt nicht.
33.
Das Material des Tonkünstlers ist also der Ton. Der Ton erklingt und verklingt. Er hat demnach eine Dauer, und man unterscheidet ganze, halbe, Viertel-, Achtel- etc. Töne. Das Formal-Schöne der Zeit zeigt sich nun im Rhythmus, der den Takt, den Accent, die Pause und das Tempo verbundener Töne umfaßt. Der Takt ist die regelmäßige Wiederkehr eines Zeitabschnittes, in dem sich ein Ton oder mehrere, die, zusammengefaßt, die Dauer des einen Tones haben, bewegen. Um die regelmäßige Wiederkehr deutlich zu markiren, bedient man sich des Accents, d.h. es wird immer der erste Ton eines Taktes hervorgehoben. Die ganze Bewegung verbundener Töne kann eine langsame, schnelle, gedehnte, schleppende, feurige u.s.w. sein und heißt Tempo.
Von der mächtigen Wirkung des Rhythmus allein überzeugt am besten der Trommelschlag.
Das Formal-Schöne der Substanz zeigt sich im reinen Klang des Tons, in den Klangfarben und in der Harmonie.
Die Höhe und Tiefe der Töne wurzelt in der Anzahl ihrer Schwingungen. Das eingestrichene c macht doppelt so viele Schwin|gungen
i164 als das c der kleinen Octave, die Sekunde 9 / 8, die Terz 5 / 4, die Quarte 4 / 3, die Quinte 3 / 2, die Sexte 5 / 3, die Septime 15 / 8mal so viele, oder in einfachen Zahlen ausgedrückt, macht
c d e f g a h c
24 27 30 32 36 40 45 48
Schwingungen in der gleichen Zeit. Wenn nun auch der Ton auf der Bewegung, resp. der Zeit beruht, so fallen seine Schwingungen doch nicht in das Bewußtsein, sie werden als eine Einheit objektivirt, die nur durch ihre Dauer unter die Zeit zu stehen kommt, folglich zum Rhythmus gehört. Der Klang als solcher und seine Reinheit fallen unter das Formal-Schöne der Substanz.
Die Harmonie ist das gleichzeitige Ertönen mehrerer Töne, d.h. die Töne geben gleichsam ihre Individualität auf, und es entsteht, wie bei der chemischen Verbindung, eine neue Individualität, eine höhere Einheit. Die Harmonie ist vollkommen rein in der Consonanz. Sind die einzelnen Töne nicht ganz in ihr aufgehoben, sondern streitet noch der eine oder der andere mit ihr, so entsteht die Dissonanz. Consonanz und Dissonanz stehen sich gegenüber wie Befriedigung und Verlangen, welche Zustände durch die Musik ja auch dargestellt werden sollen, und müssen nothwendig abwechselnd hervortreten, da eine Folge konsonanter Akkorde nicht zu ertragen wäre.
Das Formal-Schöne der Substanz tritt dann noch in Dur und Moll hervor.
34.
Die Musik kann, abgesehen von idealer und realistischer Musik, nur eingetheilt werden in Instrumental- und Vocal-Musik, da sie, vom philosophischen Standpunkte aus, lediglich die Zustände der Menschen offenbart und deshalb an sich untheilbar ist. Ob ich ein einfaches Lied oder polyphonen Gesang, Duette, Terzette, oder eine Sonate, Cantate, Missa, Motette, große Hymne, ein Requiem, Oratorium, eine Sinfonie höre, immer und immer erzählt mir die Musik vom Wohl und Wehe, von der Trauer, der Liebe, der Sehnsucht, der Freude, der Verzweiflung, dem Frieden der Menschen.
Die ideale oder classische Musik behandelt vorzugsweise die Zustände der schönen Seele: die gemessene Freude, den gebundenen Jubel, die maßvolle Leidenschaft. Weil alle diese Willensbewegungen ohne Ueberstürzung stattfinden, so kann der ideale Tonkünstler das |
i165 Formal-Schöne vollkommen zur Geltung bringen. Seine Compositionen werden durchsichtig, klar, einfach, voll Adel und meistens in Dur, welches kräftig und gesund ist, sein.
Der realistische Tonkünstler dagegen schildert alle Zustände der Menschen: die Angst, die Verzweiflung, die kraftlose Ermattung, den ungemessensten Jubel, die jähen Uebergänge von Lust zu Unlust, die schrankenlose Leidenschaft, das zerrissene Gefühl. Um dies vollkommen bewerkstelligen zu können, muß er die Grenzen des Formal-Schönen sehr weit hinausrücken, doch wird sie der geniale realistische Componist, wie Beethoven, so oft er kann, wieder näher rücken. Er wird nicht oft den Rhythmus zerstören durch überlange Pausen, durch zu viele Syncopen, durch übermäßiges Aushalten der Töne, durch fortgesetzten Raub am Tempo; er wird nicht durch häufige Contraste wohlfeilen Effekt erzielen, den ganzen Sturm des Orchesters plötzlich in die Klänge einer Harfe fallen lassen, durch Verweilen auf wenigen Tönen in den höchsten Regionen geradezu physischen Schmerz erzeugen, er wird ferner die Klarheit der Harmonie nicht unaufhörlich verdunkeln durch Anhäufung von Septimen- und Nonenakkorden und die Auflösung der Dissonanzen nicht immer und immer wieder hinausschieben, sondern über dem wogendsten Meer der Empfindung das Schöne, ruhig und verklärend, hinschweben lassen.
In der Oper tritt die Musik ganz entschieden in den Dienst der Poesie, denn die Töne erleuchten gleichsam das Herz der handelnden Personen, enthüllen uns die Quellen, aus denen die Handlungen fließen, und lassen die Gemüthsbewegungen kräftiger auf uns einfließen, als bloße Worte es vermögen.
35.
Blicken wir zurück auf die Kunst, so zeigt sich uns zunächst, daß sie den Menschen leicht in den aesthetischen Zustand, den unaussprechlich glücklichen und seligen, versetzt. Sie läßt ihn das Brod und den Wein der reinsten sinnlichen Erkenntniß kosten und erweckt in ihm die Sehnsucht nach einem Leben voll ungestörter Ruhe. Und es lockert sich das Band, das ihn an die Welt der Rastlosigkeit, der Sorge und Qual kettet.
Sie weckt dann in ihm Liebe zum Maß und Haß gegen die Schrankenlosigkeit der Leidenschaft, denn was er sieht und hört, was ihn in Bild, Wort und Ton so hoch erfreut, das ist ja Alles nur |
i166 eitel Maß und Harmonie. Das Formal-Schöne entwickelt sich immer mehr in ihm, bis es sich zur Blüthe des vollkommenen Schönheitssinnes rein entfaltet.
Sie klärt ihn endlich auf über das wahre Wesen der Ideen, indem sie ihn auf geebneten, mit Blumen bestreuten Wegen, mit süßer Rede in sie hineinführt und den Schleier ihres Kerns vor ihm fallen läßt. Sie hält ihn lächelnd fest, wenn er entsetzt aus der Hölle zurückfliehen will, und führt ihn hart an den Rand der Abgründe, ihm zuflüsternd: es sind die Abgründe deiner Seele, du armes Menschenkind; hast du es nicht gewußt?
Und er weiß es fortan. Wohl wird die Fluth des Alltaglebens sich wieder über die Erkenntniß ergießen und die Begierde nach Leben trotzig wieder das Haupt erheben, aber die Erkenntniß hat unauslöschliche Spuren in seinem Herzen zurückgelassen; sie brennen wie Wunden und lassen ihm keine Ruhe mehr. Er verlangt sehnsüchtig nach einem anderen Leben; aber wo soll er es finden? Die Kunst kann es ihm nicht geben. Sie kann ihn nur, von Zeit zu Zeit, in den seligen aesthetischen Zustand versetzen, in dem kein dauerndes Verweilen ist. Da nimmt sich die Ethik seiner an.
36.
Die Geistesthätigkeit des Menschen, welcher in der aesthetischen Relation zu den Ideen steht, kann man aesthetisches Erkennen nennen, und da dieses nicht nur die Mutter der Kunst, sondern auch der Wissenschaft ist, so heißt es wohl am besten objektives oder geniales Erkennen.
Die Kunst bereitet das menschliche Herz zur Erlösung vor, aber die Wissenschaft allein kann es erlösen: denn sie allein hat das Wort, das alle Schmerzen stillt, weil der Philosoph, im objektiven Erkennen, den Zusammenhang aller Ideen und das aus ihrer Wirksamkeit continuirlich sich erzeugende Schicksal der Welt, den Weltlauf, erfaßt.
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Ethik.
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Zu erwarten, daß Einer etwas thue, wozu ihn durchaus kein
Interesse auffordert, ist wie erwarten, daß ein Stück Holz sich
zu mir bewege, ohne einen Strick, der es zöge.
Дата добавления: 2015-11-14; просмотров: 46 | Нарушение авторских прав
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