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i137 Das Abstrakt-Komische zerfällt in:
1) die Ironie,
2) die Satire,
3) den Witz,
4) die närrische Handlung,
5) das Wortspiel.
In der Ironie wird ein Mensch, wie er wirklich ist, zum Maßstab genommen. Neben denselben zeichnet der Spötter, im vollsten Ernste, mit Worten eine Copie, welche nun, es sei in der Gestalt oder im Charakter, wesentlich vom Original abweicht, und zwar entschieden zu seinen Gunsten abweicht. Jeder Aufmerksame erkennt sofort den Hohn, resp. die Diskrepanz zwischen Original und Copie, und muß lachen. Diejenigen werden natürlich am meisten die Ironie herausfordern, welche sich entweder wirklich für besser halten, als sie sind, oder doch besser, schöner, edler, talentvoller scheinen wollen, als sie sind. Der Spötter geht auf ihre Einbildung ein, verschönert oder veredelt sie auf geschickte, anscheinend harmlose Weise, bis endlich ein Ideal neben einer tristen Wirklichkeit steht: zwei Vorstellungen, welche, mit Ausnahme vielleicht des Verspotteten, kein Mensch unter einen Hut bringen kann.
Auch sind Meinungen, Ansichten, Hypothesen, Vorurtheile u.s.w. ein guter Boden für die Entfaltung der Ironie. Der Spötter geht scheinbar auf die Ansicht des zu Verspottenden ein, entwickelt sie nach allen Richtungen und zieht die Consequenzen. Da versinkt sie im Sumpfe des logischen Widerspruchs und der Absurdität, zum großen Ergötzen aller Anwesenden.
In der Satire werden faule politische oder sociale Zustände einer Nation, einer Provinz, einer Stadt, auch faule Zustände in Familien, an einem Ideal gemessen, dieses sei nun der guten alten Zeit oder dem Leben eines anderen Volks oder gar der fernen Zukunft der Menschen entlehnt, und dann wird die Diskrepanz schonungslos vom Satiriker bloßgelegt. Auch hier wird gelacht, aber es ist ein zorniges Hohngelächter, das erschallt.
Im Witze werden zuerst entweder zwei Vorstellungen durch passenden Vergleich unter einen Begriff gebracht, oder zwei unter einem Begriffe bereits stehende Vorstellungen in’s Auge gefaßt. Dann wird der Begriff realisirt, und von jeder der beiden Vorstellungen das Gleiche ausgesagt, wodurch aber beide sofort |
i138 auseinandertreten. Die Diskrepanz ist eine totale: der Maßstab und das Gemessene berühren sich nur an den Endpunkten.
In der sehr witzigen Grabschrift eines Arztes:»Hier liegt er, wie ein Held, und die Erschlagenen liegen um ihn her«, wird durch treffenden Vergleich zunächst der Arzt mit dem tapferen Heerführer unter den Begriff»Held«gebracht. Dann wird aber von Beiden das Selbe prädicirt, nämlich: daß sie unter den von ihnen Erschlagenen ruhten, was Beide wieder vollständig trennt; denn die Erschlagenen gereichen dem Einen zur Ehre, dem Anderen zur Schande. (Maßstab: der Held im engeren Sinne).
In der bekannten Anekdote vom Gascogner in der Sommerkleidung bei großer Winterkälte, über den der König lacht, und welcher darauf antwortet:»Hätten Sie angezogen, was ich angezogen habe, nämlich Ihre ganze Garderobe, so würden Sie nicht lachen«, stehen bereits zwei sehr verschiedene Objekte unter einem Begriffe: ganze Garderobe. Dann wird von Beiden das Gleiche ausgesagt, und sofort gehen die Objekte weit auseinander. (Maßstab: die große Garderobe des Königs).
In der närrischen Handlung geht der Handelnde von einem gegebenen Begriffe aus, wie z.B. Don Quixote von der allgemeinen Maxime: ein guter Christ soll allen Bedrängten helfen. Hiernach handelt er nun, absichtlich oder unabsichtlich, auch in solchen Fällen, die nicht mehr ganz unter der Regel stehen. So befreite Don Quixote Galeerensklaven, die allerdings Bedrängte waren, aber nicht solche, welchen ein Christ helfen soll. Hier ist der Maßstab der vernünftige Gedanke: Bedrängte soll man aus ihrer drückenden Lage befreien, aber nicht Verbrecher.
Im Wortspiel endlich werden gleich oder ähnlich lautende Begriffe (im vollendeten Wortspiel nur gleichlautende) von verschiedener Bedeutung nach Laune vertauscht. Hier ist das Wort in seiner gewöhnlichen Bedeutung der Maßstab und das Wort in seiner ferneren Bedeutung das Gemessene. Die Diskrepanz ist eine totale.
19.
Wir haben uns, behufs Bestimmung des Komischen, auf den höchsten Standpunkt stellen müssen. Dort haben wir die philosophischen Maßstäbe für das Sinnlich-Komische gefunden und können beruhigt sein. Wir wollen aber doch nicht schließen, ohne |
i139 einen Blick auf die schon erwähnten falschen Maßstäbe zu werfen, welche im gewöhnlichen Leben coursiren und sich darin behaupten.
Die Grundlage des Komischen: Maß und Gemessenes, darf natürlich nicht angetastet werden. Die Diskrepanz, die sich nur an einem bestimmten Maaßstab zeigen kann, ist conditio sine qua non des Komischen. Die Willkür kann sich nun nicht am Objekt geltend machen, denn wie es erscheint, so ist es. Es sind also die Maßstäbe allein, welche verändert werden können.
Für ihre Herstellung im Volke ist nun das Gewöhnliche die Richtschnur. Was einem Menschen ungewöhnlich vorkommt, nennt er ohne Weiteres komisch. So sagt man: du kommst mir heute so komisch vor, d.h. du giebst dich heute anders wie gewöhnlich. Ja, ich habe schon oft hören müssen: der Wein schmeckt komisch, die Uhr schlägt komisch, womit nur eine bestehende Diskrepanz angedeutet werden sollte.
So wird auch ein Bauer, der zum ersten Mal nach einer großen Stadt kommt, Alles daselbst komisch, d.h. ungewöhnlich finden und wird, wenn er, in der aesthetischen Relation stehend, eine große Diskrepanz entdeckt, herzlich lachen. Ein Chinese wird in Europa noch komisch befunden, in San Francisco nicht mehr, denn bei uns durchbricht er noch den engen Kreis des Gewöhnlichen, dort steht er in demselben.
Man spricht ferner oft von komischen Charakteren und versteht darunter excentrische Leute, Charaktere, deren Thun und Treiben eben ein anderes ist, als das des gewöhnlichen Menschen. Solche Individuen werden selten gerecht beurtheilt, da man sich nicht die Mühe giebt, in ihr Wesen einzudringen, meist aber auch, weil man überhaupt nicht die Fähigkeit hat, es zu thun. So wird dann immer derselbe kurze Maßstab an Alle gelegt, welche die große Heerstraße verlassen haben und eigene Wege wandeln. Der Spießbürger wird Manchen lächerlich finden, der einen edlen, freien Charakter hat, ja die tristen Geister sterben nicht aus, welche einen Weisen oder einen weisen Helden für einen Narren halten.
Die falschen Maßstäbe, wenn sie vom Individuum in der aesthetischen Relation angelegt werden, rufen natürlich denselben komischen Zustand hervor, wie die richtigen. Deshalb wird aber auch in der Welt mehr und weniger belacht, als belacht werden sollte.
i140 Es ist klar, daß fast nur der Mensch komisches Objekt sein kann. Es giebt sehr wenig komische Thiere (wie z.B. ein als Reitpferd benutztes Droschkenpferd). Sie werden hauptsächlich erst dann komisch, wenn man sie absichtlich in menschliche Situationen bringt (Reinecke Fuchs) oder sie mit dem Menschen geradezu vergleichen muß, wie die Affen.
20.
Blicken wir von hier aus zurück, so finden wir durchaus bestätigt, was ich am Anfang sagte, nämlich, daß die Aesthetik nur von einem einzigen besonderen Zustand des Menschen handelt, in den ihn eine besondere Auffassung der Ideen versetzt. Der Zustand, der aesthetische Zustand, zeigte uns zwei Hauptarten: die Contemplation und das aesthetische Mitgefühl.
Alle anderen Zustände, welche wir berührten, sind zusammengesetzte, entstanden aus der Verbindung des aesthetischen Zustands mit den in der Physik behandelten, welche ich, der Kürze wegen, hier physische nennen will. Nur im Humor fanden wir einen moralischen Zustand des Willens, das Mitleid (Mitleid mit sich selbst, Mitleid mit Anderen), das wir in der Ethik näher zu betrachten haben werden. Die aesthetische Begeisterung, der erhabene und komische Zustand sind also physisch- aesthetische Doppelbewegungen und der Humor eine physisch- aesthetisch- ethische Bewegung des Willens.
Der aesthetische Zustand beruht nicht auf einer Befreiung des Geistes vom Willen, was widersinnig und ganz unmöglich ist, sondern auf der Begierdelosigkeit des Dämons, die immer dann vorhanden ist, wann, physiologisch ausgedrückt, das Blut ruhig fließt. Dann actuirt es vorzugsweise das Gehirn, der Wille versenkt sich gleichsam ganz in eines seiner Organe und ihn umfängt hier, da das Organ alle Bewegungen spürt, nur nicht die eigene, die Täuschung, er ruhe vollständig. Erleichtert wird dem Dämon der Eintritt in die aesthetische Relation und er wird in ihr erhalten durch Objekte, welche ihn nicht aufstacheln. Begegnet ihm in der aesthetischen Relation ein Objekt, das seine Begierde weckt, so ist auch sofort alle Sammlung hin.
Ist der Wille nicht ganz befriedigt, so wird er nur sehr schwer contemplativ, ja die meisten Menschen werden alsdann die gewöhn|liche
i141 Betrachtungsart der Dinge nicht ablegen können. Bringt Jemanden, den es friert, der Schmerzen hat oder dessen Magen knurrt, vor das schönste Bild, in die herrlichste Natur, – sein Geist wird kein reiner Spiegel sein können.
Auf der anderen Seite gilt, daß, je entwickelter der Geist, namentlich je ausgebildeter der Schönheitssinn ist, desto häufiger der Wille die aesthetische Freude genießen wird; denn der Geist ist der aus dem Willen geborene Berather desselben, und je größer sein Gesichtskreis ist, desto größer ist auch die Anzahl mächtiger Gegenmotive, die er dem Willen vorlegen kann, bis er ihm zuletzt ein Motiv giebt, das ihn, wenn gluthvoll erfaßt, ganz gefesselt hält und alle anderen Begierden in ihm erstickt, wovon die Ethik handeln wird.
21.
So wären wir denn vor der Kunst und dem Künstler angelangt. Ehe wir denselben jedoch unsere Aufmerksamkeit schenken, wollen wir ein Feld betreten, wo der Mensch aesthetisch, d.h. den Gesetzen des Subjektiv-Schönen gemäß, auf natürliche Objekte einwirkt und sie gleichsam aesthetisch erzieht.
Zuerst begegnen wir dort dem Gärtner. Er trägt zunächst Sorge, durch Abhaltung aller schädlichen Einflüsse und Erhöhung der Reize, daß sich die Pflanzen ungehindert entwickeln und ihre innere harmonische Bewegung kraftvoll entfalten können. Er veredelt auf diese Weise den natürlichen Wuchs. Dann veredelt er, durch Einwirkung auf die Befruchtung, die Blüthen und auch die Früchte.
Dann gestaltet er die Bodenfläche um. Hier legt er kleine Hügel, dort Thäler an; er theilt das Terrain durch gerade oder schön geschwungene Wege ab und zeichnet auf die einzelnen Abschnitte Beete, welche regelmäßige Figuren: Kreise, Ellipsen, Sterne bilden.
Er benutzt auch das Wasser, indem er es bald in Teichen sammelt, bald von Felsen herabfallen, bald als Springbrunnen sich erheben läßt.
Dann bepflanzt er das vorbereitete Terrain. Hier zaubert er saftige, schöne Rasenflächen hervor, dort bildet er Alleen, hier Baumgruppen, deren Laub alle Abstufungen der grünen Farbe zeigt, dort wohlgepflegte Hecken. Er besetzt die Beete mit Blumen und Blattpflanzen nach Mustern (Teppichbeete) und bringt auf dem Rasen hie |
i142 und da einen seltenen, edlen Baum oder eine Gruppe größerer Pflanzen an. Auch zieht er von Baum zu Baum Guirlanden aus Schlingpflanzen, auf denen das Auge mit Vergnügen verweilt. –
Nur wenige Thiere können verschönert werden. Bei Einigen läßt sich Verschönerung indirekt durch Veredelung erreichen, dann direkt, in engen Grenzen jedoch, durch Dressur, wie beim Pferd, dessen Bewegungen man entschieden graziöser machen kann.
Dagegen ist der Mensch dasjenige natürliche Objekt, welches, nach verschiedenen Richtungen hin, sehr verschönerungsfähig ist. Der Mensch kann aesthetisch erzogen werden.
Durch Reinlichkeit und Pflege der Haut, sowie durch Mäßigkeit, kann man dem Körper zunächst eine Frische geben, die Wohlgefallen erweckt. Dann ist die geschmackvolle Anordnung des Haars bei beiden Geschlechtern und des Barts beim Manne ein wichtiges Verschönerungsmittel; denn oft giebt eine kleine Veränderung der Frisur, die veränderte Lage einer Locke, dem Gesicht einen anderen, viel ansprechenderen Ausdruck.
Das Hauptgewicht aber ist auf die Ausbildung des Körpers und auf die Verschönerung seiner Bewegungen zu legen. Jene wird durch fleißiges Turnen, Springen, Laufen, Reiten, Fechten, Schwimmen, diese durch Tanz und Erziehung im engeren Sinne erreicht. Grazie ist allerdings angeboren, aber sie läßt sich auch erlernen, wenigstens können eckige Bewegungen abgeschliffen und unnütze abgewöhnt werden. Die Leibesübungen geben dem Körper, außer der Geschmeidigkeit, oft noch eine veränderte Gestalt, weil sie ihn kräftigen und Muskelfülle, feste Abrundung der Fleischtheile, bewirken. Oft erhält auch das Gesicht einen gewinnenderen Ausdruck: der Mensch hat seine Kräfte kennen gelernt und vertraut ihnen.
Eine wichtige Institution für die aesthetische Erziehung des Mannes ist das Heer. Nicht nur wird der Körper des Soldaten durch die erwähnten Mittel ausgebildet, sondern es bildet sich auch sein Schönheitssinn an den regelmäßigen, schönen Bewegungen des Einzelnen und der Truppentheile; denn strammes Exerciren und fließendes Manövriren sind schön.
Der Mensch kann ferner den Klang seiner Stimme (a soft, gentle and low voice – an excellent thing in woman. Shakespeare.) und seine Sprache überhaupt verschönern; letzteres, indem er alles gedankenlose Geschwätz vermeidet, sich übt, fließend zu sprechen, |
i143 ohne in Wortschwall zu gerathen, und seinem Vortrage einen gewissen Adel verleiht.
Ferner verschönern den Menschen einfache Manieren.
Auch gehört eine deutliche Handschrift hierher.
Schließlich erwähne ich eine einfache, aber geschmackvolle und gutsitzende Kleidung, welche die Schönheit des Körpers hervortreten läßt, manchmal sogar erhöht. Die Farbe der Kleidung ist auch wichtig, namentlich für das Weib. Man sagt: diese Farbe kleidet eine Dame, steht ihr gut zu Gesicht. –
22.
Die Kunst ist die verklärte Abspiegelung der Welt, und derjenige, welcher diese Abspiegelung bewerkstelligt, heißt Künstler.
Die Erfordernisse für den Künstler sind: erstens die Fähigkeit, leicht in den aesthetischen Zustand überzugehen; zweitens der Reproductions- oder Schöpfungstrieb; drittens ein entwickelter Schönheitssinn; viertens eine lebhafte Einbildungskraft, eine scharfe Urtheilskraft und ein gutes Gedächtniß, d.h. die Hülfsvermögen der Vernunft müssen sehr ausgebildet sein.
Hiermit ausgerüstet, erfaßt er die Ideen als Erscheinungen (Objekte) und die Idee Mensch auch ihrem innersten Wesen nach, als Ding an sich, und bildet seine Ideale.
Die Ideen (die individuellen Willen zum Leben) sind in einem beständigen Flusse des Werdens begriffen. Bewegung ist Leben, und da wir uns den Willen ohne Bewegung nicht einmal denken können, so haben wir immer, wir mögen uns noch so weit in die Vergangenheit der Welt verlieren, oder noch so sehr ihre Zukunft anticipiren, den Fluß des Werdens. In ihm bekämpfen sich die Individuen unaufhörlich, tauchen unter und steigen zur Oberfläche wieder auf, als dieselben oder unmerklich modificirt. Diese Modifikationen können sich bei organischen Wesen vererben, können sich immer tiefer in das Wesen der Idee eingraben und ihr einen besonderen Charakter aufdrücken. Je tiefer die Idee auf der Stufenleiter steht, je einfacher ihr Wesen ist, desto constanter wird sie sein; je höher organisirt sie aber ist, desto weniger kann sie ihre Individualität im Kampfe behaupten, desto mehr muß sie den mannigfaltigsten Einflüssen nachgeben.
i144 Nirgends ist das Gedränge und die Reibung größer als im Staate der Menschen. Da ist immer schwere Noth und des Einen Tod ist des Anderen Leben. Wo man auch hinblicken mag, grinst uns der schamloseste Egoismus und die volle ganze Rücksichtslosigkeit an. Da heißt es aufpassen und Stöße, rechts und links, mit eingestemmten Armen geben, damit man nicht zu Boden gerissen und zertreten werde. Und so kommt es, daß kein Mensch dem anderen gleicht, und jeder einen besonderen Charakter hat.
Trotzdem ist Alles in der Natur nur individueller Wille zum Leben, und obgleich jeder Mensch einen eigenthümlichen Charakter hat, so spricht sich doch in jedem die allgemeine Idee des Menschen aus. Aber es ist ein großer Fehler – ein Fehler, der die Urtheilskraft mit einem Schleier umwindet und sie in ein phantastisches Traumleben versenkt – wenn man annimmt, daß, verborgen, hinter den ähnlichen Individuen eine Einheit ruhe, und daß diese Einheit die wahre und ächte Idee sei. Es heißt dies: Schatten für reale Dinge nehmen. Die Art oder Gattung ist eine begriffliche Einheit, der in der realen Wirklichkeit eine Vielheit von mehr oder weniger gleichen realen Individuen entspricht, – nichts weiter. Gehen wir an der Hand der Naturwissenschaft zurück und unterbrechen willkürlich den Fluß des Werdens, so können wir zu einer Urform gelangen, in der alle jetzt lebenden Individuen einer Art virtualiter praeexistirten. Aber diese Urform wurde zertrümmert, sie ist nicht mehr und auch keines der jetzt lebenden Individuen ist ihr gleich.
Das Ideal des Künstlers ist nun allerdings eine einzige Form, aber nicht die wissenschaftliche Urform, welche ein phantasievoller Naturforscher, auf Grund der Paläontologie, für eine Gattung, mehr oder weniger genau, wohl zu entwerfen vermöchte, sondern eine Form, die im Mittel der jetztlebenden Individuen einer Art schwebt. Der Künstler beobachtet die Individuen genau, erfaßt das Wesentliche und Charakteristische, läßt das Unwesentliche zurücktreten, kurz, urtheilt, verbindet und läßt das Verbundene von der Einbildungskraft festhalten. Dieses Alles geschieht durch einen»dynamischen Effekt«, nicht durch ein mechanisches Aufeinanderlegen der Individuen, um ein Mittleres zu erhalten, und im Verbinden schon ist der Schönheitssinn thätig. So gewinnt der Künstler ein halbfertiges Ideal, welches er dann, bei der Reproduction, wenn er ein idealer Künstler ist, ganz nach den Gesetzen des Subjektiv-Schönen ummodelt, es völlig |
i145 in die reinigende Fluth des Formal-Schönen untertaucht, aus der er dasselbe verklärt und thaufrisch herausnimmt.
Hier ist nun der Wurzelpunkt, wo die Kunst in zwei große Stämme auseinander tritt, in:
1) die ideale Kunst,
2) die realistische Kunst.
Das erkennende Subjekt muß sich, im gewöhnlichen Leben, der Außenwelt anbequemen, d.h. es muß objektiviren, was sich ihm darbietet, und zwar genau und ohne die allergeringste willkürliche Abänderung: es kann nicht anders. Es kann ein Objekt, das schmutzig grün ist, nicht rein grün sehen; es kann nicht eine unregelmäßige Figur regelmäßig sehen; es kann eine steife Bewegung nicht graziös sehen; es muß den Vortrag eines sprechenden, singenden, musicirenden Menschen hören, wie er lautet; es kann die Ketten von ungleichen, unregelmäßig auf einander folgenden Zeittheilen nicht als Reihen von rhythmischer Gliederung hören; es muß auch die Ausbrüche der Leidenschaft objektiviren, wie sie sind, und mögen sie noch so abschreckend sein. Mit einem Wort: das Subjekt muß die Außenwelt spiegeln, wie sie ist: häßliche, wie schöne, abstoßende, wie anziehende Objekte, schnarrende, quiekende, wie wohlklingende Töne.
Nicht so der Künstler. Sein Geist ist nicht der Sklave der Außenwelt, sondern erschafft eine neue Welt: eine Welt der Grazie, der reinen Formen, der reinen Farben; er offenbart das Innere der Menschen in Zuständen, die maßvoll sind, und verbindet Töne und wohlklingende Worte zu Reihen, die der Rhythmus beherrscht: kurz, er führt uns in das wundervolle Paradies, das nach den Gesetzen des Subjektiv-Schönen allein gebildet ist.
Bildet nun der Künstler nur schöne einzelne Objekte, oder Gruppen von solchen, in harmonischer Anordnung um einen Mittelpunkt; offenbart er uns die schöne Seele, so steht er im Dienste der idealen Kunst und ist ein idealer Künstler.
Aber die Kunst würde nicht die ganze Welt spiegeln, was ihre Aufgabe doch ist, wenn sie nur das Schöne wiedergäbe. Sie soll das Wesen alles Lebendigen enthüllen in der ihr eigenthümlichen zauberischen Weise, d.h. sie soll dem Menschen die bittere Frucht vom Baume der Erkenntniß, die er nur selten und widerstrebend aus der Hand der Religion und Philosophie annimmt, verzuckert |
i146 und durch und durch versüßt darreichen, damit er sie gern genieße und ihm die Augen dann aufgehen, oder, wie der Dichter sagt:
Così all’egro fanciul porgiamo aspersi
Di soave licor gli orli del vaso;
Succhi amari ingannato intanto ei beve
E dall’ inganno suo vita riceve.
Tasso.
(So reichen wir Arznei dem kranken Kinde,
Des Kelches Rand benetzt mit süßem Naß;
Es trinkt nun so getäuscht die bittern Säfte,
Und Täuschung bringt ihm neue Lebenskräfte.)
Was der nüchterne Begriff und die trockene Lehre nicht vermag, das bewirkt das fesselnde Bild und der einschmeichelnde Wohllaut. Zeigt nun der Künstler die Welt, wie sie ist: den entsetzlichen Kampf ihrer Individuen um das Dasein; die Tücke, Bosheit und Verruchtheit der Einen, die Milde, Sanftmuth und Erhabenheit der Anderen; die Qual der Einen, die Lust der Anderen, die Ruhelosigkeit Aller; die verschiedenen Charaktere und ihr Hereinscheinen in die Leiblichkeit, hier den Reflex der unersättlichen Begierde nach Leben, dort der Entsagung, – so ist er der realistische Künstler und steht im Dienste der realistischen Kunst.
Jede dieser Kunstgattungen hat ihre volle Berechtigung. Während die Erzeugnisse der idealen Kunst uns ungleich leichter als wirkliche Objekte in die aesthetische Stimmung versetzen und uns die Seligkeit der Ruhe genießen lassen, nach welcher wir uns, im schalen Treiben der Welt, immer inniger und inniger zurücksehnen, – versetzen uns die Werke der realistischen Kunst in den bewegten aesthetischen Zustand: wir erkennen, was wir sind, und erschüttert weichen wir zurück. Was für ein Gebiet der Kunst wir auch betreten, – immer sehen wir, im blauen Duft der Ferne, die sehnsuchtserweckenden Höhen des ethischen Gebietes, und hier zeigt sich deutlich die nahe Verwandtschaft der Kunst mit der Moral.
Der Aesthetiker verlangt nur Eines vom realistischen Künstler, nämlich, daß er idealisire und nicht reiner Naturalist sei, d.h. er soll die Wirklichkeit verklären, nicht photographisch getreu copiren. Thut er das letztere, so haben seine Werke nur durch Zufall Reiz, weil zufällig, wie oft bei Landschaften, die Wirklichkeit schon |
i147 ganzes volles Ideal ist; gewöhnlich werden sie platt und abstoßend sein. Er soll hier mildern, dort erhöhen, hier dämpfen, dort verstärken, ohne den Charakter zu verwischen. Namentlich soll er eine Begebenheit da erfassen, wo sie am interessantesten ist, den Ausdruck eines Gesichts dann, wann es den Charakter am deutlichsten zeigt, und keine auseinanderfaltenden Gruppen geben.
23.
Man kann neben die ideale und realistische Kunst noch eine dritte Art stellen: die phantastische Kunst. In ihren Gebilden spiegelt sich nicht die Welt ab, sondern nur Theile von ihr, die der Künstler entweder läßt, wie sie sind, oder willkürlich verändert, und die er alsdann zu einem Ganzen verbindet.
Solche Gebilde können von außerordentlicher Schönheit sein; gewöhnlich aber haben sie nur einen kulturgeschichtlichen Werth und sind, als ganze Objekte aufgefaßt, meist häßlich und abstoßend.
Die phantastische Kunst wurzelt im fetten Boden der Religion und muß als die Mutter der beiden anderen Kunstarten angesehen werden; denn in der Jugend der Menschheit, wo das Individuum noch ganz in den Banden der Natur lag und aus dem Zittern vor der Allmacht und Allgewalt des Ganzen, das es nicht begreifen konnte, nicht herauskam, rang der Mensch darnach, die übersinnlich gedachten Mächte zu gestalten und sie dadurch seinem Gefühl näher zu bringen. Er wollte seine Götter sehen und, bebend vor ihnen stehend, ihnen sein Liebstes opfern können, um sie zu versöhnen. Da ihm nun nichts Anderes zur Gestaltung von Götzen zu Gebote stand, als die anschauliche Welt, so mußte er in ihren Formen bilden; aber weil er die Götter auf der anderen Seite nicht mit sich auf gleiche Stufe stellen durfte, so blieb ihm kein anderer Ausweg, als die Formen in’s Colossale zu steigern und außerdem das Ganze so zu bilden, daß ihm kein Wesen in der Natur entsprach. So entstanden die Götzen mit vielen Köpfen, unzähligen Augen, vielen Armen (womit zugleich die Allwissenheit und Allmacht symbolisch angedeutet wurde), die geflügelten Stiere und Löwen, die Sphinxe u.s.w. Später, als die Religion reiner und durchgeistigter geworden war, versahen die Künstler schöne Menschen mit Flügeln (Amor, Nike etc.). Die christlichen Künstler bildeten die schönsten phantastischen |
i148 Gestalten (wunderliebliche Kinder mit Flügeln), aber auch die häßlichsten (Teufel mit Hörnern, Pferde- und Bocksbeinen, Fledermausflügeln und thalergroßen Glasaugen).
Hierher gehören auch diejenigen Gebilde, welche nicht der Religion entsprossen sind, sondern die Sage und das Mährchen zum Boden haben, wie Lindwürmer, Centauren, Nixen, Kobolde u.s.w.
24.
Die Kunst umfaßt fünf einzelne Künste:
1) die Baukunst (Architektur),
2) die Bildnerkunst (Skulptur),
3) die Malerei,
4) die Dichtkunst (Poesie),
5) die Tonkunst (Musik), –
welche man die schönen Künste zu nennen pflegt, zur Unterscheidung von den nützlichen, welche im Gefolge der ersteren auftreten.
Die drei ersteren Künste haben es nur mit sichtbaren Objekten zu thun, und ihre Erzeugnisse sind mithin räumlich und materiell, aber frei von der Zeit. Poesie und Musik dagegen (erstere beschreibt und schildert nur nebenbei Objekte) befassen sich unmittelbar mit dem Ding an sich, indem der Tonkünstler in seiner eigenen Brust sämmtliche Zustände und der Dichter sämmtliche Zustände und Willensqualitäten des Menschen, mehr oder weniger deutlich, erfaßt; denn das Genie hat eben die Fähigkeit, vorübergehend Willensqualitäten, die ihm abgehen, in sich zu erzeugen und sich in jeden Zustand zu versetzen. Das Gefundene aber wird in substanziellen Objekten, in Worten und Tönen, niedergelegt, und sind mithin die Werke der Poeten und Tonkünstler frei von Raum und Materie, aber in der Zeit. (Die Substanz, das Gefäß, verschwindet vor dem Inhalt.)
25.
Die Architektur ist die subjektivste aller Künste, d.h. die von den Objekten unabhängigste; denn sie reproducirt nicht Objekte, sondern erschafft solche ganz frei. Der Architekt stellt nicht die chemischen Ideen dar, sondern er bildet nur in ihnen; sie sind bloßes Material, an dem er das Formal-Schöne des Raumes rein offenbart. Ein schönes Gebäude ist nichts Anderes, als das sichtbar |
i149 gewordene Formal-Schöne des Raumes nach einer bestimmten Richtung.
Die Ideen des Materials sind, wie gesagt, Nebensache. Sie sind nur insofern von Bedeutung, als ein Material mehr als ein anderes dem Formal-Schönen der Materie, durch seine Farbe, seinen Glanz u.s.w. entsprechen kann, was allerdings wichtig ist. Ein Tempel aus weißem Marmor wird wesentlich schöner sein als ein anderer, von derselben Form, aus rothem Sandstein. Betont man aber das Wesen des Materials, Schwerkraft und Undurchdringlichkeit, und setzt den Zweck der schönen Baukunst in die Darstellung des Spiels dieser Kräfte, macht man, mit anderen Worten, Stütze und Last zur Hauptsache und läßt die Form zurücktreten, so huldigt man einem großen Irrthum.
Дата добавления: 2015-11-14; просмотров: 45 | Нарушение авторских прав
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