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Das auf immanentem Gebiete uns so bekannte, so intime eine Grundprincip, der Wille, und das ihm untergeordnete, secundäre, uns gleichfalls so intime Princip, der Geist, verlieren, wie die Kraft, sobald wir sie auf das transscendente Gebiet übertreten lassen, alle und jede Bedeutung für uns. Sie büßen ihre Natur völlig ein und entziehen sich ganz unserer Erkenntniß.
So sind wir denn zu der Erklärung gezwungen, daß die einfache Einheit weder Wille, noch Geist, noch ein eigenthümliches |
i108 Ineinander von Willen und Geist war. Auf diese Weise verlieren wir die letzten Anhaltspunkte. Umsonst drücken wir auf die Federn unseres kunstreichen, wundervollen Apparats für die Erkenntniß der Außenwelt: Sinne, Verstand, Vernunft, erlahmen. Vergeblich halten wir die in uns, im Selbstbewußtsein, gefundenen Principien, Willen und Geist, als Spiegel dem räthselhaften, unsichtbaren Wesen auf der jenseitigen Höhe der Kluft entgegen, hoffend, es werde sich in ihnen offenbaren: sie strahlen kein Bildniß zurück. Aber jetzt haben wir auch das Recht, diesem Wesen den bekannten Namen zu geben, der von jeher Das bezeichnete, was keine Vorstellungskraft, kein Flug der kühnsten Phantasie, kein abstraktes noch so tiefes Denken, kein gesammeltes, andachtsvolles Gemüth, kein entzückter, erdentrückter Geist je erreicht hat: Gott.
38.
Aber diese einfache Einheit ist gewesen; sie ist nicht mehr. Sie hat sich, ihr Wesen verändernd, voll und ganz zu einer Welt der Vielheit zersplittert. Gott ist gestorben und sein Tod war das Leben der Welt.
Hierin liegen für den besonnenen Denker zwei Wahrheiten, die den Geist tief befriedigen und das Herz erheben. Wir haben erstens ein reines immanentes Gebiet, in oder hinter oder über welchem keine Kraft wohnt, man nenne sie, wie man wolle, die, wie der verborgene Direktor eines Puppentheaters die Puppen, die Individuen bald dieses, bald jenes thun lasse. Dann erhebt uns die Wahrheit, daß Alles, was ist, vor der Welt in Gott existirte. Wir existirten in ihm: kein anderes Wort dürfen wir gebrauchen. Wollten wir sagen: wir lebten und webten in ihm, so würde dies falsch sein, denn wir würden Thätigkeiten der Dinge dieser Welt auf ein Wesen übertragen, das total unthätig und bewegungslos war.
Ferner sind wir nicht mehr in Gott; denn die einfache Einheit ist zerstört und todt. Dagegen sind wir in einer Welt der Vielheit, deren Individuen zu einer festen Collectiv-Einheit verbunden sind.
Aus der ursprünglichen Einheit haben wir bereits auf das Zwangloseste den dynamischen Zusammenhang des Weltalls abgeleitet. Auf gleiche Weise leiten wir jetzt aus ihr die Zweckmäßigkeit in der Welt ab, die kein Vernünftiger leugnen wird. Wir |
i109 bleiben vor dem Zerfall der Einheit in die Vielheit stehen, ohne jetzt darüber zu grübeln, warum und wie er sich vollzog. Die Thatsache genügt. Der Zerfall war die That einer einfachen Einheit, ihre erste und letzte, ihre einzige That. Jeder gegenwärtige Wille erhielt Wesen und Bewegung in dieser einheitlichen That, und deshalb greift Alles in der Welt ineinander: sie ist durchgängig zweckmäßig veranlagt.
Schließlich leiten wir indirekt aus der ursprünglichen Einheit und direkt aus der ersten Bewegung den Entwicklungsgang des Weltalls ab. Der Zerfall in die Vielheit war die erste Bewegung, und alle Bewegungen, die ihr folgten, sie mögen noch so weit auseinandertreten, sich verschlingen, scheinbar verwirren und sich wieder entwirren, sind nur ihre Fortsetzungen. Die immer und immer, continuirlich, aus den Handlungen sämmtlicher in dynamischem Zusammenhang stehenden Individuen resultirende eine Bewegung der Welt ist das Schicksal des Weltalls.
Es wurde also Gott zur Welt, deren Individuen in durchgängiger Wechselwirkung stehen. Da nun aber der dynamische Zusammenhang darin besteht, daß jeder individuelle Wille auf das Ganze wirkt und die Wirksamkeit des Ganzen erfährt, Wirksamkeit aber Bewegung ist, so ist das Schicksal nichts Anderes, als das Werden der Welt, die Bewegung der orphischen Conjunktur, die Resultirende aus allen Einzelbewegungen.
Mehr kann ich hier über das Schicksal nicht sagen. Dagegen haben wir jetzt die in der Analytik offen gehaltenen Fragen mit dem Schicksal zu verbinden.
Die Sätze, welche wir einer weiteren Prüfung vorbehielten, lauteten:
1) Die einfachen chemischen Kräfte sind unzerstörbar;
2) Die reale Bewegung hatte einen Anfang, aber sie ist endlos.
Aus allem Vorhergehenden erhellt, daß die Physik nicht im Stande ist, die Sätze umzustoßen, oder mit anderen Worten: in der Physik können die beiden offen gehaltenen Fragen nach der Vernichtung der einfachen chemischen Ideen und nach dem damit zusammenhängenden Ende der Welt nicht beantwortet werden. Das Schicksal der Welt stellt sich uns demgemäß hier zunächst noch dar als eine endlose Bewegung der Welt: im unorganischen Reich |
i110 sehen wir eine endlose Kette von Verbindungen und Entbindungen, im organischen eine endlos fortschreitende Entwickelung von niederen zu höheren Lebensformen (Organismen).
Aber dies muß modificirt werden durch das gewonnene wichtige Moment der Schwächung der Kraft. Wir haben sonach obige Sätze in einen zusammenzufassen, welcher lautet:
Die Welt ist unzerstörbar, aber die in ihr enthaltene Summe von Kraft schwächt sich, im Fortgang einer endlosen Bewegung, continuirlich.
Diesen Satz werden wir erst in der Metaphysik wieder vornehmen, um zu versuchen, mit Hülfe der inzwischen auf dem ausschließlichen Gebiete der Menschheit gewonnenen Resultate, die wichtige Frage nach dem Ende der Welt definitiv zu beantworten.
39.
Ich schließe hier die Physik mit der wiederholten Bemerkung, daß sie der erste Versuch ist, mit der Thatsache der inneren und äußeren Erfahrung, dem individuellen Willen zum Leben allein (ohne Hülfe irgend einer übersinnlichen Kraft) die Natur zu erklären. Hiermit ist zugleich die Wahrscheinlichkeit gegeben, daß ich an manchen Stellen zu zag gewesen und wichtige Einzelheiten übersehen habe.
Man bedenke auch, was es bei dem gegenwärtigen Stande der Naturwissenschaft sagen will: alle Disciplinen zu beherrschen. Die Last des empirischen Materials ist geradezu erdrückend, und nur mit dem Zauberstabe eines klaren, unumstößlichen philosophischen Princips läßt sich die Sichtung einigermaßen bewerkstelligen, wie sich nach den Tönen der orphischen Leyer die chaotischen Steinmassen zu symmetrischen Bauten ordneten.
Ein solches unumstößliches Princip ist der individuelle Wille zum Leben. Ich drücke ihn, gleichsam als ein Geschenk, jedem treuen und redlichen Naturforscher mit dem Wunsche in die Hand, daß er ihm die Erscheinungen auf seinem abgegrenzten Felde besser erkläre als seither. Im Allgemeinen aber hoffe ich, daß dieses Princip der Wissenschaft eine neue Bahn eröffne, auf welcher sie so erfolgreich sei wie auf jener, welche ihr Baco durch seine induktive Methode erschloß.
Ich betrachte ferner das reine, vom Spuk transscendenter Wesenheiten total befreite immanente Gebiet als ein zweites Ge|schenk,
i111 das ich den Naturforschern mache. Wie ruhig sich darauf arbeiten lassen wird!
Ich sehe es voraus (und ich darf es aussprechen, weil das Endergebniß meiner Philosophie das einzige Licht ist, das meine Augen erfüllt und in ihnen meinen ganzen Willen gefesselt hält): die vollzogene Trennung des immanenten vom transscendenten Gebiete, die Trennung Gottes von der Welt und der Welt von Gott wird von der segensreichsten Wirkung auf den Entwicklungsgang der Menschheit sein. Sie war nur auf dem Boden des ächten transscendentalen Idealismus zu bewerkstelligen: der richtige Schnitt durch das Ideale und Reale mußte vorhergehen.
Ich sehe die Morgenröthe eines schönen Tags.
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Aesthetik.
i113
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Est enim verum index sui et falsi.
Spinoza.
i115
1.
Die Aesthetik handelt von einem besonderen Zustande des menschlichen Willens, den eine besondere Auffassungsart der Ideen hervorruft, und ist eine Wissenschaft, weil sie unzählige Fälle unter bestimmte Gesichtspunkte und feste Regeln bringt. Indem wir sie aufbauen, wollen wir uns stets gegenwärtig halten, daß es in der Natur nur Ein Prinzip giebt: den individuellen Willen zum Leben, und daß er, unabhängig vom Subjekt, Ding an sich, abhängig von ihm, Objekt ist.
2.
Jeder Mensch will das Leben in einer bestimmten Weise, weil er einen bestimmten Willen und einen bestimmten Geist, d.h. eine bestimmte Bewegung hat. Faßt er nun die Dinge in gewöhnlicher Weise auf, so sind sie ihm entweder gleichgültig, oder sie erwecken in ihm ein Begehren, oder sie stoßen ihn ab, kurz sein Interesse ist der Maßstab für sie, und er beurtheilt sie nach der Relation, in der sie zu seinem Willen stehen. Von einer deutlichen und klaren Spiegelung des Objekts kann keine Rede sein; ebenso wenig erkennt der Mensch alsdann die volle und ganze Wirksamkeit eines Dinges oder die Summe seiner Relationen, weil er nur eine davon und diese durch sein Interesse gefälscht, entstellt, übertrieben oder unterschätzt auffaßt.
Soll er nun das Objekt rein abspiegeln, dessen Relationen richtig erfassen, so muß seine Relation zum Objekt eine Veränderung erfahren, d.h. er muß zu ihm in eine vollkommen interesselose Beziehung treten: es darf nur interessant für ihn sein.
Es handelt sich also in der Aesthetik, wie bemerkt, um eine ganz besondere Beziehung des Menschen zur Welt, welche einen besonderen Zustand seines Willens begründet. Die Beziehung nenne |
i116 ich die aesthetische Relation und den Zustand den aesthetischen Zustand oder die aesthetische Freude. Sie ist wesentlich von der gewöhnlichen Freude verschieden.
Jeder Mensch hat die Fähigkeit, in die aesthetische Relation einzutreten; doch findet der Uebergang in dieselbe bei dem Einen leichter, bei dem Anderen schwerer statt, und ist das, was sie bietet, bei dem Einen vollständiger und reicher, bei dem Anderen beschränkter und ärmer.
Der Bauer, welcher Abends, wann die Arbeit ruht, einen Blick in die Natur wirft und etwa die Form, die Farben und den Zug der Wolken betrachtet, ohne an die Nützlichkeit oder Schädlichkeit des Regens für seine Aussaat zu denken; oder sich am Gewoge der Kornfelder, der leuchtenden Röthe der Aehren beim Sonnenuntergang erfreut, ohne den Ertrag der Ernte zu erwägen, betrachtet die Dinge aesthetisch. Der Mäher, der ein Lerchennest freilegt und nun die schöngeformten und betupften Eierchen oder auch die pipenden Jungen und die Alten in ihrer großen Angst, die sich im verstörten Blick und dem unruhigen Hin- und Herflattern kund giebt, interesselos deutlich auffaßt, hat die gewöhnliche Erkenntnißart abgelegt und befindet sich im aesthetischen Zustande. Der Jäger, welcher beim plötzlichen Hervortreten eines prachtvollen Hirsches das Schießen vergißt, weil die Haltung, die Formen, der Gang des Wildes seinen Geist fesselt, ist in die aesthetische Relation zum Objekt getreten.
Es handelt sich hierbei allerdings um ein reines, gewissermaßen freies Erkennen, aber in keiner Weise um ein vom Willen abgelöstes, selbständiges Leben des Geistes. Der Wille ist immer und immer das Einzige, was wir vorfinden; wir mögen suchen, wo wir wollen, wir mögen die Natur durchwühlen so tief und so oft wir wollen: immer ist er da und nur seine Zustände wechseln.
3.
Die Ideen offenbaren ihr Wesen im Objekt auf sehr verschiedene Weise. Nehmen wir die höchste uns bekannte Idee, den Menschen, so offenbart er sein Wesen:
1) in der Form und Gestalt;
2) in der Gliederbewegung;
i117 3) im Mienenspiel und in den Augen;
4) in Worten und Tönen.
In dieser Reihenfolge tritt das Innere immer deutlicher im Aeußeren hervor; in Worten und Tönen ist es am deutlichsten objektivirt. Denn mit Objekten haben wir es immer in der Welt zu thun und nur wir selbst sind uns in unserem Inneren nicht Objekt. Diese Unterscheidung ist auch für die Aesthetik sehr wichtig. Ton und Wort haben den Grund ihrer Erscheinung in den Schwingungen des Willens, in seiner Bewegung, die sich der Luft mittheilt. Diese eigenthümliche Fortsetzung der Bewegung in einer fremden Idee wird von uns sinnlich wahrgenommen und substanziell objektivirt.
Töne und Worte sind mithin Objekte, wie alles Andere; und wenn auch der Zustand einer Idee in ihnen sich im leichtesten Schleier zeigt, so ist es doch nie das Ding an sich, das sich uns unmittelbar offenbart. Nur derjenige, welcher sich in den Zustand einer anderen Idee dadurch versetzt, daß er ihn in sich selbst willkürlich hervorruft, also namentlich der Künstler, erfaßt in seiner Brust den fremden Willen unmittelbar als Ding an sich und nicht als Objekt.
Die Objektivation einer Idee in Tönen und Worten ist aber so vollkommen, daß der Wille des objektivirenden Zuhörers von der Bewegung ergriffen wird und mitschwingt, während die einfache Betrachtung der Form und Gestalt eines Objekts dieselbe Wirkung nicht auf das aesthetisch gestimmte Subjekt ausübt.
Wir haben demgemäß zwei Hauptarten des aesthetischen Zustandes zu unterscheiden:
1) die aesthetische Contemplation und
2) das aesthetische Nachfühlen oder aesthetische Mitgefühl.
4.
In der tiefen aesthetischen Contemplation ist es dem Willen, als ob seine gewöhnliche Bewegung plötzlich aufgehört habe und er bewegungslos geworden sei. Er ist ganz in der Täuschung befangen, er ruhe vollständig, alle Begierde, aller Drang, aller Druck sei von ihm genommen und er sei nur noch ein rein erkennendes Wesen: ihm ist, als bade er in einem Elemente von wunderbarer Klarheit, ihm ist so leicht, so unaussprechlich wohl.
i118 In diesen echten Zustand der tiefen Contemplation können uns nur völlig ruhige Gegenstände versetzen. Weil sie keine äußere Bewegung haben, bringen wir sie schon gar nicht in ein Verhältniß zur Zeit. Zugleich werden wir zeitlos, weil die Bewegung unseres Willens ganz aus unserem Bewußtsein geschwunden und wir ganz im ruhigen Objekt versunken sind. Wir leben gleichsam in der Ewigkeit: wir haben durch Täuschung das Bewußtsein der absoluten Ruhe und sind unnennbar selig. Werden wir in der tiefsten Contemplation gestört, so erwachen wir in seltsamster Weise; denn unser Bewußtsein beginnt nicht, wie nach dem Schlafe, sondern die Bewegung erfüllt es nur wieder: wir treten aus der Ewigkeit in die Zeit zurück.
Am leichtesten versetzt uns die ruhige Natur in die tiefe Contemplation, namentlich der Anblick des glatten südlichen Meeres, aus dem sich, träumerisch-still, vom blauen Hauch der Ferne oder der Gluth der untergehenden Sonne umsponnen, die Küsten oder kleine Inseln erheben.
Den echten Ausdruck des tiefen contemplativen Zustandes in den Gesichtszügen und Augen hat kein Maler so über alles Lob erhaben, so wahr und ergreifend dargestellt, wie Raphael in den beiden Engelsköpfen, zu Füßen der Sixtinischen Madonna. Man muß den Blick geradezu von ihnen losreißen: sie nehmen uns ganz gefangen.
Sind dagegen die Objekte mehr oder weniger bewegt, so ist die Contemplation auch weniger tief, weil wir die Objekte in ein Zeitverhältniß bringen und dadurch das Verfließen der Gegenwart in uns merken. So umfängt uns denn in einem geringeren Grade der Zauber des schmerzlosen Zustandes.
Im aesthetischen Nachfühlen schwingt, wie ich schon oben sagte, unser Wille mit dem bewegten Willen des Objekts. So lauschen wir dem Gesange eines Vogels, oder dem Ausdruck der Gefühle anderer Thiere; oder begleiten Liebesgeflüster, Ausbrüche der Wuth und des Zornes, Klagen der Trauer, der Wehmuth, den Jubel der Freude, wobei wir kein direktes Interesse haben, mit mehr oder weniger starken Schwingungen unseres eigenen Willens. Wir schwingen nicht so stark wie die handelnden Personen, denn tritt dies ein, was oft genug geschieht, so werden wir aus aesthetisch gestimmten Zuhörern active Individuen und fallen aus der aesthetischen Relation in die |
i119 gewöhnliche. Im aesthetischen Nachfühlen vibrirt unser Wille nur leise mit, wie die Saite, welche neben einer tönenden liegt.
An diese zwei Hauptarten des aesthetischen Zustandes schließt sich zunächst eine Doppelbewegung an: die aesthetische Begeisterung. Ihr erster Theil ist entweder die aesthetische Contemplation, oder das aesthetische Mitgefühl, ihr zweiter Theil dagegen entweder Freude, Jubel, oder Muth, Hoffnung, Sehnsucht, oder eine sehr leidenschaftliche Erregung des Willens.
Sie entsteht selten aus der Contemplation und ist alsdann auch die schwächste Bewegung. Man möchte mit den Wolken über alle Länder ziehen, oder, wie der Vogel, leichtbeschwingt in den Lüften sich wiegen.
Es singt ein Vöglein: Witt, witt, witt!
Komm mit, komm mit! –
O könnt’ ich, Vöglein, mit dir ziehn,
Wir wollten über die Berge fliehn,
Durch die blauen schönen Lüfte zumal,
Zu baden im warmen Sonnenstrahl.
Die Erde ist eng, der Himmel weit,
Die Erd’ ist arm, hat nichts als Leid,
Der Himmel ist weit, hat nichts als Freud’! –
Das Vöglein hat sich geschwungen schon,
Durchwirbelnd die Luft mit dem süßen Ton.
O Vöglein, daß Dich Gott behüt’!
Da sitz’ ich am Ufer und kann nicht mit.
(Volkslied.)
Oder es taucht das sehnsüchtige Verlangen in uns auf: immer contemplativ sein, immer in der Seligkeit der Contemplation verweilen zu können.
Dagegen tritt sie sehr häufig als Verbindung eines Zustands mit dem aesthetischen Mitgefühl auf. Die Wirksamkeit der Nerven wird deutlich als kalte Ueberläufe empfunden; sie drängen gleichsam den Willen auf sich zurück, concentriren ihn; dann schlägt der zündende Funke in ihn ein und er lodert auf in heißer Gluth: es ist die Entflammung zur kühnen That. So wirken Reden, Kriegslieder, Trommelschlag, Militärmusik.
i120
5.
Wie jeder Mensch die Fähigkeit hat, in den aesthetischen Zustand versetzt zu werden, so kann auch jeder Gegenstand aesthetisch betrachtet werden. Jedoch wird der eine mehr, der andere weniger dazu einladen. Für viele Menschen ist es eine Unmöglichkeit, eine Schlange z.B. ruhig zu betrachten. Sie empfinden einen unüberwindlichen Abscheu vor diesem Thier und halten nicht Stand, selbst wenn sie es nicht zu fürchten haben.
6.
Jeder Mensch kann aesthetisch auffassen und jeder Gegenstand kann aesthetisch betrachtet werden, aber nicht jeder Gegenstand ist schön. Was heißt nun: ein Gegenstand ist schön?
Wir haben zu unterscheiden:
1) das Subjektiv-Schöne;
2) den Grund des Schönen im Ding an sich;
3) das schöne Objekt.
Das Subjektiv-Schöne, das man auch das Formal-Schöne nennen kann, beruht auf apriorischen Formen und Funktionen des Subjekts, resp. auf Verbindungen der Vernunft auf Grund apriorischer Formen, und theile ich es ein in das Schöne:
1) des (mathematischen) Raumes;
2) der Causalität;
3) der Materie (der Substanz);
4) der Zeit.
Das Formal-Schöne des Raumes drückt sich aus in der Gestalt der Objekte und im Verhältniß, in dem die Theile eines Objekts zum Ganzen stehen, und zwar in der regelmäßigen Gestalt und in der Symmetrie.
Die regelmäßige Gestalt ist zunächst ein Ganzes von Linien. Schöne Linien sind die gerade Linie, die runde Linie, die gerade runde Linie (Wellenlinie) und die gerade gewundene Linie (Spirale).
Das Schöne der Gestalt zeigt sich dann in den reinen Figuren der Geometrie und ihren Theilen, also namentlich im gleichseitigen Dreieck, im Quadrat, Rechteck, Sechseck, im Kreis, Halbkreis und in der Ellipse.
Ferner offenbart sich das Schöne der Gestalt in den Körpern der |
i121 Stereometrie, denen die reinen Figuren der Geometrie zu Grunde liegen, also namentlich in der Pyramide, dem Würfel, dem Pfeiler, der Kugel, dem Kegel und dem Cylinder (Säule).
Die Symmetrie schließlich zeigt sich in der harmonischen Anordnung der Theile eines Ganzen, d.h. im richtigen Verhältniß der Höhe zur Breite und Tiefe, im richtigen Abstand und in der genauen Wiederholung der Theile an den entsprechenden Stellen.
Das Formal-Schöne der Causalität enthüllt sich in der gleichmäßigen äußeren Bewegung, oder im fließenden Uebergang einer Bewegung in eine raschere oder langsamere und besonders in der Angemessenheit der Bewegung zum beabsichtigten Zweck, als Grazie.
Das Formal-Schöne der Materie, resp. der Substanz, tritt erstens in den Farben hervor und in der Zusammenstellung derselben, in der Farbenharmonie. Am deutlichsten offenbart es sich in den drei Grundfarben: Gelb, Roth und Blau und den drei reinen Mischungen derselben: Orange, Grün und Violett, welche sechs Farben die festen Punkte der langen Reihe von Farbennuancen sind, sowie in den Polen Weiß und Schwarz. Noch erfreulicher zeigt es sich, wenn die gedachten sechs Farben klaren Flüssigkeiten inhäriren.
Es offenbart sich dann noch in der Reinheit des Tons, im Wohlklang der Stimme.
Das Formal-Schöne der Zeit schließlich offenbart sich in der regelmäßigen Succession gleicher oder verschiedener Momente, d.h. im regelmäßigen Zeitmaß. Eine kurze Verbindung solcher Momente ist der Takt und eine Verbindung von Takten der Rhythmus.
Ich werde das Subjektiv-Schöne im Fortgang dieser Abhandlung noch öfters berühren müssen und alsdann seine weiteren Verzweigungen verfolgen. Hier war es mir nur darum zu thun, seine Hauptäste zu zeigen.
7.
Der Grund des Schönen ist nun dasjenige dem Ding an sich Inhärirende, was dem Subjektiv-Schönen entspricht, oder was das Subjekt zwingt, es als schön zu objektiviren.
Hieraus fließt von selbst die Erklärung des schönen Objekts. Es ist das Produkt des Dinges an sich und des Subjektiv-Schönen, |
i122 oder das schöne Objekt ist Erscheinung des im Ding an sich liegenden Grundes des Schönen.
Das Verhältniß ist dasselbe, wie das des Dinges an sich zum Objekt in der Vorstellung überhaupt. Das Subjekt bringt nicht allererst im Ding an sich etwas hervor, erweitert oder beschränkt sein Wesen in keiner Weise; sondern es objektivirt nur, seinen Formen gemäß, getreu und genau das Ding an sich. Wie aber die Süßigkeit des Zuckers oder die rothe Farbe des Krapps, obgleich sie auf ganz bestimmte Eigenschaften im Dinge an sich hinweisen, diesem nicht zugesprochen werden können, so hat zwar die Schönheit eines Objekts ihren Grund im Dinge an sich, aber das Ding an sich selbst darf nicht schön genannt werden. Nur das Objekt kann schön sein, weil nur in ihm der Grund des Schönen (Ding an sich) und das Subjektiv-Schöne (Subjekt) sich vermählen können.
Das Schöne wäre also so wenig ohne den Geist des Menschen vorhanden, wie ohne Subjekt die Welt als Vorstellung überhaupt. Das schöne Objekt steht und fällt mit dem Subjektiv-Schönen im Kopfe des Menschen, wie das Objekt steht und fällt mit dem Subjekt.»Schön«ist ein Prädicat, welches, wie materiell (substanziell), nur dem Objekt zukommt.
Dagegen ist ebenso richtig, daß, unabhängig vom Subjektiv-Schönen, der Grund des Schönen besteht; gerade so, wie unabhängig vom Subjekt, das Ding an sich, der Grund der Erscheinung, existirt. Aber wie hier das Objekt wegfällt, so dort das schöne Objekt.
Wenn nun, wie wir uns erinnern, das Ding an sich, unabhängig vom Subjekt, immateriell, nur Kraft, Wille, ist, was ist dann der Grund des Schönen, unabhängig vom Subjektiv-Schönen?
Hierauf giebt es nur eine Antwort: es ist die harmonische Bewegung.
Wir haben in der Analytik gesehen, daß vom individuellen Willen die Bewegung nicht zu trennen, daß sie sein einziges Prädicat ist, mit dem er steht und fällt. Weil dies der Fall ist, habe ich bisher manchmal von der Bewegung allein gesprochen; denn es verstand sich dabei stets von selbst, daß ihr der individuelle Wille zum Leben, die Idee, zu Grunde lag. Die Bewegung schlechthin ist Streben, innere Bewegung, die sich im Objekt sowohl äußert als |
i123 Gestalt und Form (objektivirte Kraftsphäre des Willens, die er, in unaufhörlicher Bewegung begriffen, erfüllt), wie auch in der äußeren Bewegung, die bei den höheren Ideen sich zeigt als Gliederbewegung, Mienenspiel, Augenleben, Sprache und Gesang.
Alles Streben, alle Bewegung in der Welt ist zurückzuführen auf die erste Bewegung, auf den Zerfall der einfachen Einheit in die Vielheit. Diese erste Bewegung war, weil sie die That einer einfachen Einheit war, nothwendig gleichmäßig und harmonisch, und da alle anderen Bewegungen nur Fortsetzungen von ihr waren und sind, so muß auch jedes Streben eines Dinges an sich im tiefsten Grunde harmonisch sein, oder, wie wir vorsorglich sagen wollen, sollte es im tiefsten Grunde harmonisch sein.
In der Mechanik des Himmels und in der unorganischen Natur liegt dies auch offen zu Tage. Wenn sich hier ein einheitliches Streben, oder eine resultirende aus gleichmäßig wirkenden Bestrebungen, rein, oder doch im Wesentlichen ungehindert, zeigen kann, haben wir es immer mit harmonischen oder, wenn objektivirt, mit schönen Gestalten oder schönen äußeren Bewegungen zu thun. So bewegen sich die Weltkörper in Ellipsen oder Parabeln um die Sonne; die Crystalle, wenn sie ungehindert anschießen können, sind durchaus schön; die Schneeflocken sind sechsseitige regelmäßige Sterne von den verschiedensten Formen; eine mit einem Fiedelbogen gestrichene Glasplatte ordnet den darauf liegenden Sand zu prachtvollen Figuren; fallende oder geworfene Körper haben eine schöne Bewegung.
Es ist gewiß bedeutungsvoll, daß, nach der Orphischen Philosophie, das Dionysoskind mit Kegeln, Kugeln und Würfeln spielte; denn Dionysos war der Weltbildner, der die Einheit in die Vielheit auseinander legende Gott, und es wurde auf diese Weise symbolisch die regelmäßige Gestalt des Weltalls und seine harmonische Bewegung angedeutet. Auch beruht die pythagoräische Philosophie auf der Uebereinstimmung des Weltalls mit dem Subjektiv-Schönen des Raumes und der Zeit. –
Aber schon im unorganischen Reich, wo doch das Streben des Willens einheitlich und außerordentlich einfach ist, ergiebt sich, daß im Kampf der Individuen mit einander (theilweise im Kampf um die Existenz) die harmonische innere Bewegung nur selten rein zum Ausdruck kommen kann. In dem organischen Reich, wo durchweg der Kampf um die Existenz und in viel größerer Intensität herrscht, |
i124 kann sich nun fast keine Bestrebung rein offenbaren. Bald wird dieser, bald jener Theil vorzugsweise gereizt, beeinflußt, und die Folge ist meist eine unharmonische Bewegung des Ganzen. Hierzu tritt, daß jedes Individuum schon bei der Zeugung eine mehr oder weniger verkümmerte Bewegung erhält; denn die innere Bewegung des Organismus ist keine einheitliche mehr, sondern eine resultirende aus vielen, und da die Organe virtualiter im befruchteten Ei enthalten sind, ein Organ aber auf Kosten des anderen stärker oder schwächer sein kann, so werden viele Individuen schon mit einer gestörten harmonischen Bewegung in die Welt treten.
Indessen finden wir gerade im organischen Reich die schönsten und die meisten schönen Objekte. Dies kommt daher, daß, theils auf natürlichem, theils auf künstlichem Wege, schädliche Einflüsse gerade dann vom Organismus abgehalten werden, wann er am empfindlichsten und in der wichtigsten Ausbildung begriffen ist. Namentlich auf den höheren Stufen des Thierreichs ist das neue Individuum für eine mehr oder weniger lange Zeit dem Kampfe um’s Dasein ganz entrückt, weil ihn die Eltern für dasselbe führen. Dann reibt und stößt sich fast Alles im unorganischen Reich, während die Organismen in nachgebenden Elementen (Wasser und Luft) sich entwickeln können.
Дата добавления: 2015-11-14; просмотров: 57 | Нарушение авторских прав
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