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Schopenhauer. 8 страница

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Ferner läßt sie den Menschen durch die dramatische Poesie einen Blick in sich und auf das unerbittliche Schicksal werfen und klärt ihn über das unselige Wesen auf, das in Allem, was ist, wirkt und kämpft.

 

18.

Als Alexander der Große Griechenland unterworfen hatte, trat er als siegreicher Eroberer im Orient auf und trug hellenische Cultur in die Reiche mit despotischer Verfassung: nach Aegypten, Persien und Indien. Es fand eine großartige Verschmelzung von Orientalismus und Hellenismus statt; der starre Formelkram, das erdrückende Ceremoniell wurde durchbrochen, und ein reiner frischer Luftzug strömte in die abgeschlossenen düsteren Länder. Dagegen ergoß sich orientalische Weisheit reichlicher als vorher in das Abendland und befruchtete die Geister.

i258 Neben diesem geistigen Befruchtungsproceß ging der physische Verschmelzungsproceß her. Beide entsprachen den bestimmten Absichten des jugendlichen Helden. Er selbst heirathete eine Tochter des Perserkönigs und ließ in Susa 10,000 Macedonier mit Perserinnen ehelich vereinen.

Wenn auch das von ihm gegründete große Weltreich nach seinem Tode wieder zerfiel, so blieb doch in den einzelnen Theilen die hellenische Bildung, als die kräftigste und edelste von allen, vorherrschend und modelte die Menschen allmählich um. Die große Masse des Volks hatte entschieden gewonnen. Der Grieche war ein milder Herr, und die Menschlichkeit wurde zur strengen Sitte, vor welcher sich auch der orientalische Herr beugen mußte. Der Druck der eisernen Hand ließ nach, und die durch das Gesetz zermürbte rohe, wilde Individualität konnte zur strebenden Persönlichkeit werden; wenigstens hatte sie die dazu nöthige größere Beweglichkeit gewonnen, die Möglichkeit, sich aus der Masse herauszuheben.

 

19.

In ähnlicher Weise wie in Griechenland verhinderte auch in Italien die wohlwollende Natur, daß die Religion der eingewanderten Völker arischen Stammes zu einer Alles gefangen nehmenden und lähmenden Macht wurde. Es konnten die Freien, wie dort, die Persönlichkeit erringen und dadurch Staaten von großer Lebenskraft und mit civilisatorischem Berufe gründen.

Der Kampf des niederen Volks um Rechte, welche den Pflichten entsprachen, ein Kampf, der sich nach dem Gesetze der Verschmelzung durch Umwälzung im Innern vollzieht, war bei den Römern hartnäckiger als bei den Griechen, weil jene einen schrofferen und härteren Charakter hatten als diese. Stückweise mußten sich die Plebejer den Antheil an der Regierung des Staates erringen und es vergingen beinahe fünf Jahrhunderte, bis ihnen endlich alle Aemter zugänglich wurden. Als die Verfassungsstreitigkeiten beendet waren, welche auf beiden Seiten die segensreichsten Folgen hatten, da die Intelligenz geschärft wurde, begann die Blüthezeit des römischen Staates, das Zeitalter der echten Bürgertugend.

Jetzt fiel das Wohl des Individuums mit dem Wohl des Ganzen zusammen, und dieser Einklang mußte dem Bürger großen inneren Frieden und außerordentliche Tapferkeit geben. Der Gehorsam |

i259 gegen die Gesetze erhob sich zur wärmsten Vaterlandsliebe; Jeder hatte nur das eine Bestreben: die Macht des Gemeinwesens zu starken und den Staat auf seiner Höhe zu erhalten. Hierdurch mußte, nach dem Gesetze der Völkerrivalität, Rom in die Bahn der Eroberung, die es auch mit Nothwendigkeit nicht eher verlassen konnte, als bis es zur Weltherrschaft gelangt war; denn jeder neue Zuwachs zum Reiche brachte den Staat mit neuen Elementen in Berührung, deren Macht er aus Selbsterhaltungstrieb nicht neben sich dulden durfte. Und so entstand allmählich das große römische Weltreich, welches fast sämmtliche Culturstaaten des Alterthums in sich vereinigte. In dem ungeheuren Staate wogten die verschiedenartigsten Völker mit den verschiedenartigsten Sitten und religiösen Anschauungen und im verschiedenartigsten Culturzustand durcheinander. Nun traten wieder die Gesetze der geistigen Befruchtung und der Verschmelzung in den Vordergrund und erzeugten theils neue Charaktere, theils Abschleifung und Umbildung der alten, unter dem Einfluß der nach und nach sich gestaltenden allgemeinen Cultur.

Dies und der immer mehr sich aufhäufende Reichthum bewirkten dann den größten Fäulnißproceß, von dem die Geschichte berichtet. Die Sitten der alten Republikaner: Zucht, Einfachheit, Mäßigkeit und Abhärtung verschwanden immer mehr, und Faulheit, Genußsucht und Zügellosigkeit traten an ihre Stelle. Fortan gab es keine Unterordnung mehr des Einzelnen unter das Ganze.

Die zum großen Leben

Gefügten Elemente wollen sich

Nicht wechselseitig mehr mit Liebeskraft

Zu stets erneuter Einigkeit umfangen.

Sie fliehen sich, und einzeln tritt nun Jedes

Kalt in sich selbst zurück.

(Goethe).

Jeder dachte nur an sich und seinen niedrigsten Vortheil und war nicht mit seinem Antheil an der Summe von Gütern zufrieden, die, wie in einem Bienenstock, die Hingabe des Einzelnen an die Gesammtheit erzeugt. Die gewachsene Intelligenz hatte ferner die sichere Bewegung des Menschen zerstört, denn je mehr ganze Bewegung sich spaltet, d.h. je größer Sensibilität und Irritabilität werden, desto schwankender wird der Wille. Die sicherste Bewegung hat der Flachkopf.

i260 Es gab nichts Heiliges mehr: weder der Wille der Gottheit, die verlacht wurde, noch das Vaterland, dessen Schutz man den Söldnern überließ, war noch heilig. Jeder glaubte, für seine Person die ehrwürdigen Verträge aufheben zu dürfen. Nur ein Ziel gab es noch, das wenige Römer zur inneren Sammlung und ihr Herz zum Erglühen bringen konnte: die Herrschaft. Die Meisten ergriffen bald dies, bald das, wollten bald dies, bald das, und haschten nach Allem. Sie hatten allen Ernst verloren und waren am Abhang angekommen, der zur Vernichtung führt. Die Reibung erreichte ihren Höhepunkt und zermürbte mit ihren eisernen Händen die in der tollsten Leidenschaftlichkeit sich austobenden Menschen. Die blutigsten Bürgerkriege brachen aus; denselben folgte totale Ermattung des Volks, welche zur Errichtung des despotischen Kaiserreichs führte.

 

20.

Wer sich in den Fäulniß- und Absterbungsproceß der asiatischen Militärdespotieen, Griechenlands und Rom’s vertieft und lediglich die Bewegung auf dem Grunde im Auge hat, der gewinnt die unverlierbare Erkenntniß, daß der Gang der Menschheit nicht die Erscheinung einer sogenannten sittlichen Weltordnung, sondern die nackte Bewegung aus dem Leben in den absoluten Tod ist, die, überall und immer, auf ganz natürlichem Wege aus den wirkenden Ursachen allein entsteht. In der Physik konnten wir zu keinem anderen Resultat kommen, als dem einen, daß aus dem Kampfe um das Dasein immer höher organisirte Wesen hervorgehen, daß sich das organisirte Leben immer wieder erneuere, und es war ein Ende der Bewegung nicht zu entdecken. Wir befanden uns im Thale. In der Politik dagegen befinden wir uns auf einem freien Gipfel und erblicken ein Ende. Allerdings sehen wir dieses Ende in der Periode des Untergangs der römischen Republik noch nicht klar. Noch haben sich die Morgennebel des Tages der Menschheit nicht ganz verzogen und das goldene Zeichen der Erlösung Aller blitzt nur hie und da aus dem Schleier, der es verhüllt; denn nicht die ganze Menschheit lag in der Form des babylonischen, assyrischen und persischen Staates, auch nicht im griechischen und römischen Staate. Ja, nicht einmal sämmtliche Völker dieser Reiche sind abgestorben. Es waren gleichsam nur die Spitzen von Zweigen des großen Baumes, welche verdorrten. Aber |

i261 wir erkennen klar in den Vorgängen die wichtige Wahrheit: daß die Civilisation tödtet. Jedes Volk, welches in die Civilisation eintritt, d.h. in eine schnellere Bewegung übergeht, fällt und wird in der Tiefe zerschmettert. Keines kann sich in seiner männlichen Kraft erhalten, Jedes muß altersschwach werden, entarten und sich ausleben.

Es ist ganz gleich, wie seine dem absoluten Tode geweihten Individuen in die Vernichtung sinken; ob nach dem Gesetze der Fäulniß: verlottert, sich wälzend im Schlamme und Koth raffinirter Wollust; oder nach dem Gesetze des Individualismus: mit Ekel fortwerfend alle köstlichen Früchte, weil sie keine Befriedigung mehr geben, sich verzehrend in Ueberdruß und Langeweile, hin- und herschwankend, weil sie den festen Willen und klare Ziele verloren haben,

Nicht erstickt und ohne Leben;

Nicht verzweifelnd, nicht ergeben.

(Goethe).

oder durch Moralität: im Aether der Seligkeit ihr Leben verhauchend. Die Civilisation ergreift sie und tödtet sie. Wie gebleichte Gebeine die Wege durch die Wüste, so bezeichnen die Denkmäler zerfallener Culturreiche, den Tod von Millionen verkündend, die Bahn der Civilisation.

Aber Erlösung haben alle Zerschmetterten gefunden und sie haben sie verdient. Denn welcher Vernünftige hätte den Muth zu sagen: Erlösung wird nur Demjenigen zu Theil, welcher sie sich erworben hat durch Menschenliebe oder Keuschheit? Alle, die das Schicksal hinabstürzt in die Nacht der völligen Vernichtung, haben sich die Befreiung von sich selbst theuer erkauft durch Leiden allein. Bis zum letzten Heller haben sie das ausbedungene Lösegeld dadurch entrichtet, daß sie überhaupt lebten: denn Leben ist Qual. Durch Tausende von Jahrhunderten mußten sie, als hungriger Wille zum Leben, bald in dieser, bald in jener Gestalt, ruhelos vorwärts, immer die Peitsche im Nacken fühlend, gestoßen, getreten, zerfleischt; denn es fehlte ihnen das befreiende Princip: die denkende Vernunft. Als sie endlich in den Besitz des kostbaren Gutes gelangt waren, da wuchs erst recht die Reibung und Noth mit der wachsenden Intelligenz. Und immer kleiner wurde die lodernde Willensflamme, bis sie zu einem unstät flackernden Irrlicht herabsank, das der leiseste Windhauch verlöschte. Die Herzen wurden ruhig, |

i262 sie waren erlöst. Reines echtes Glück hatten die Meisten von ihnen auf ihrer langen Bahn nur für kurze Zeit gefunden, damals nämlich, als sie sich ganz dem Staate hingaben und ihre Vaterlandsliebe alles Gemeine in ihnen gebunden auf den Grund ihrer Seele hinabwarf. Ihr ganzes übriges Leben war blinder Drang und, im Bewußtsein des Geistes, Zwang, Mühsal und Herzeleid.

 

21.

In diesen Auslösungs- und Absterbungsproceß, der in der historischen Form des Kaiserreichs verlief, fiel, wie Oel in’s Feuer, zunächst die frohe Botschaft vom Reiche Gottes.

Was lehrte Christus?

Die alten Griechen und Römer kannten keine höhere Tugend als die Gerechtigkeit. Außerdem gingen ihre Bestrebungen im Staate auf. Sie klammerten sich an das Leben in dieser Welt. Wenn sie an die Unsterblichkeit ihrer Seele und das Reich der Schatten dachten, wurden die Augen trübe. Was war das schönste Leben in der Unterwelt gegen das Treiben im Licht der Sonne?

Christus dagegen lehrte Nächstenliebe und Feindesliebe und verlangte die unbedingte Abwendung des Menschen vom Leben: Haß gegen das eigene Leben. Er verlangte mithin die Aufhebung des innersten Wesens des Menschen, welches unersättlicher Wille zum Leben ist, er ließ Nichts mehr im Menschen frei; er band und schnürte den natürlichen Egoismus ganz ab, oder, mit anderen Worten: er verlangte langsamen Selbstmord.

Da aber der Mensch, eben weil er hungriger Wille zum Leben ist, das Leben als das höchste Gut preist, so mußte Christus dem Drange nach dem irdischen Leben ein Gegenmotiv geben, welches die Kraft hatte, von der Welt abzuziehen, und dieses gewaltige Gegenmotiv war das Reich Gottes, das ewige Leben voll Ruhe und Seligkeit. Die Wirksamkeit dieses Gegenmotivs wurde erhöht durch die Drohung mit der Hölle; doch trat die Hölle sehr in den Hintergrund: sie hatte nur die Bestimmung, die allerrohesten Gemüther zu schrecken, das Herz zu durchfurchen, damit die Hoffnung auf ein reines Lichtleben von Ewigkeit zu Ewigkeit Wurzel fassen könne.

Es läßt sich nichts Verkehrteres als die Behauptung denken, Christus habe nicht die volle und ganze Ablösung des Individuums von der Welt verlangt. Die Evangelien lassen über seine |

i263 Forderung gar keinen Zweifel aufkommen. An der Hand der gepredigten Tugenden will ich zunächst den indirekten Beweis dafür geben.

Ihr habt gehört, daß gesagt ist: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst, und deinen Feind hassen.

Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde, thut wohl denen, die euch hassen, bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen.

(Matth. 5, 43-44.)

Kann Der seinen Feind lieben, in dem noch der Wille zum Leben mächtig ist?

Dann:

Das Wort faßt nicht Jedermann, sondern denen es gegeben ist.

Denn es sind Etliche verschnitten, die sind aus Mutterleibe also geboren, und sind Etliche verschnitten, die von Menschen verschnitten sind, und sind Etliche verschnitten, die sich selbst verschnitten haben um des Himmelreichs willen. Wer es fassen mag, der fasse es.

(Matth. 19, 11-12.)

Kann Der die Tugend der Virginität ausüben, welchen auch nur noch ein einziges dünnes Fädchen an die Welt fesselt?

Der direkte Beweis ergiebt sich aus folgenden Stellen:

Also auch ein Jeglicher unter euch, der nicht absaget Allem, das er hat, kann nicht mein Jünger sein.

(Luc. 14, 33.)

Willst du vollkommen sein, so gehe hin, verkaufe was du hast, und gieb es den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach.

(Matth. 19, 21.)

Es ist leichter, daß ein Ankertau durch ein Nadelöhr gehe, denn daß ein Reicher in das Reich Gottes komme.

(ib. 19, 24.)

In diesen Stellen wird zunächst die Ablösung des Menschen von allem äußeren Besitz, der ihn so sehr an die Welt fesselt, verlangt. Der Schwere der Forderung gaben die Jünger Christi den naivsten und beredtesten Ausdruck, als sie den Meister, in Bezug auf den letzteren Ausspruch, entsetzt fragten:

Ja, wer kann denn selig werden?

Aber Christus verlangt viel, viel mehr.

Und ein Anderer sprach: Herr ich will dir nachfolgen, aber |

i264 erlaube mir zuvor, daß ich einen Abschied mache mit denen, die in meinem Hause sind.

Jesus aber sprach zu ihm: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt zum Reich Gottes.

(Luc. 9, 61-62.)

So Jemand zu mir kommt, und hasset nicht seinen Vater, Mutter, Weib, Kinder, Brüder, Schwestern, auch dazu sein eigenes Leben, der kann nicht mein Jünger sein.

(ib. 14, 26.)

Wer sein Leben lieb hat, der wird es verlieren und wer sein Leben auf dieser Welt hasset, der wird es erhalten zum ewigen Leben.

(Joh. 12, 24-25.)

Hier verlangt also Christus ferner: erstens die Zerreißung aller süßen Herzensbande; dann vom nunmehr ganz allein und vollständig frei und ledig dastehenden Menschen Haß gegen sich selbst, gegen sein eigenes Leben.

Wer ein echter Christ sein will, darf und kann mit dem Leben keinen Compromiß abschließen. Entweder – Oder: tertium non datur. –

Der Lohn für die volle Resignation war das Himmelreich, d.h. der Herzensfriede.

Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir; denn ich bin sanftmüthig und von Herzen demüthig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.

(Matth, 11, 29.)

Das Himmelreich ist Seelenruhe und durchaus nichts jenseit der Welt Liegendes, etwa eine Stadt des Friedens, ein neues Jerusalem.

Denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch.

(Luc. 17, 21.)

Der echte Nachfolger Christi geht durch den Tod in das Paradies, d.h. in das absolute Nichts: er ist frei von sich selbst, ist völlig erlöst.

Hieraus ergiebt sich auch, daß die Hölle nichts Anderes ist, als Herzensqual, Daseinspein. Das Weltkind geht nur scheinbar im Tode aus der Hölle heraus: es hatte sich schon vorher wieder ganz in ihre Gewalt begeben.

Solches habe ich mit euch geredet, daß ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst.

(Joh. 16, 33.)

i265 Das Verhältniß des Individuums zur Natur, des Menschen zu Gott, kann nicht tiefsinniger und wahrer aufgefaßt werden als es im Christenthum dargestellt ist. Es tritt nur verschleiert auf, und diesen Schleier abzuziehen, ist Aufgabe der Philosophie.

Wie wir gesehen haben, entstanden die Götter nur dadurch, daß einzelne Thätigkeiten der nicht abzuleugnenden Gewalt der Natur personificirt wurden. Die Einheit, Gott, entstand durch Verschmelzung der Götter. Immer aber wurde das Schicksal, die aus der Bewegung aller Individuen der Welt sich ergebende einheitliche Bewegung, entweder theilweise oder ganz erfaßt, und dem entsprechend personificirt. Diese Gestaltung eines abstrakten Verhältnisses lag in der Richtung des Geistes, in welchem die Einbildungskraft die Urtheilskraft überwog.

Und immer wurde der Gottheit die ganze Gewalt gegeben: das Individuum erkannte sich in totaler Abhängigkeit und hielt sich deshalb für Nichts.

Im Pantheismus der Inder tritt dieses Verhältniß des Individuums zur Einheit ganz nackt zu Tage. Aber auch im Monotheismus der Juden ist es unverkennbar. Das Schicksal ist eine wesentlich unbarmherzige, schreckliche Macht, und die Juden hatten vollkommen Recht, daß sie sich Gott als einen zornigen, eifrigen Geist vorstellten, den sie fürchteten.

Dieses Verhältniß änderte nun Christus mit fester Hand.

An den Sündenfall anknüpfend, lehrte er die Erbsünde. Der Mensch wird sündhaft geboren.

Aus dem Herzen des Menschen gehen heraus böse Gedanken, Ehebruch, Hurerei, Mord, Dieberei, Geiz, Schalkheit, List, Unzucht, Schalksauge, Gotteslästerung, Hoffart, Unvernunft.

(Marc. 7, 21-22.)

Demgemäß gestaltet sich sein individuelles Schicksal zunächst aus ihm selbst heraus, und alles Unglück, das ihn trifft, alle Noth und Pein, fällt allein der Sünde Adam’s, in welchem alle Menschen gesündigt haben, zu.

Auf diese Weise nahm Christus von Gott alle Grausamkeit und Unbarmherzigkeit und machte ihn zu einem Gott der Liebe und Barmherzigkeit, zu einem treuen Vater der Menschen, dem man vertrauensvoll, ohne Furcht, nahen kann.

i266 Und dieser reine Gott leitet nun die Menschen so, daß sie Alle erlöst werden.

Denn Gott hat seinen Sohn nicht gesandt in die Welt, daß er die Welt richte, sondern daß die Welt durch ihn selig werde.

(Joh. 3, 17.)

Und ich, wenn ich erhöhet werde von der Erde, so will ich sie Alle zu mir ziehen.

(Joh, 12, 32.)

Diese Erlösung Aller wird im ganzen Verlauf der Welt, den wir gleich berühren werden, sich vollziehen, und zwar allmählich, indem Gott nach und nach die Herzen aller Einzelnen gnädig erwecken wird. Dieses direkte Eingreifen Gottes in das durch die Erbsünde verstockte Gemüth ist die Vorsehung.

Kauft man nicht zwei Sperlinge um einen Pfennig? Noch fällt derselben keiner auf die Erde ohne euren Vater.

Nun aber sind auch eure Haare auf dem Haupte alle gezählet.

(Matth. 10, 29-30.)

Von der Vorsehung ist die Gnadenwirkung ein Ausschnitt, gleichsam die Blüthe.

Es kann Niemand zu mir kommen, es sei denn, daß ihn ziehe der Vater, der mich gesandt hat.

(Joh. 6, 44.)

Bleiben wir hier einen Augenblick stehen. Was war geschehen? War das Schicksal an sich, die Weltbewegung, plötzlich milde und friedvoll geworden? Trat fortan in der Welt kein Uebel mehr auf: keine Seuchen, keine Krankheiten, keine Erdbeben, keine Ueberschwemmungen, keine Kriege? Waren die Menschen alle friedfertig geworden? hatte der Kampf in der Gesellschaft aufgehört? Nein! das Alles war geblieben. Nach wie vor trug der Weltlauf das fürchterliche Gepräge. Aber die Stellung des Individuums zu Gott hatte sich total verändert. Der Weltlauf war nicht mehr der Ausfluß einer einheitlichen Macht; er entstand jetzt aus Faktoren, und diese Faktoren, aus denen er sich erzeugte, waren streng geschieden worden. Auf der einen Seite stand die sündhafte Creatur, welche die Schuld an ihrem Unglück allein trägt, aus eigenem Willen handelt, und auf der anderen Seite stand der barmherzige Gott-Vater, der Alles zum Besten lenkt.

Das Einzelschicksal war fortan das Produkt der Erbsünde und der Vorsehung (Gnadenwirkung): das Individuum handelte zur |

i267 Hälfte selbständig, zur Hälfte wurde es von Gott geleitet. Eine große, schöne Wahrheit.

So steht das Christenthum zwischen Brahmanismus und Budhaismus in der richtigen Mitte, und alle drei beruhen auf dem richtigen Urtheil über den Werth des Lebens.

Aber nicht nur lehrte Christus die Bewegung des Individuums aus dem irdischen Leben in das Paradies, sondern auch eine einheitliche Bewegung des Weltalls aus dem Sein in das Nichtsein.

Und es wird gepredigt werden das Evangelium vom Reich in der ganzen Welt, zu einem Zeugniß über alle Völker; und dann wird das Ende kommen.

(Matth. 24, 14.)

Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen. Von dem Tage aber und der Stunde weiß Niemand, auch die Engel nicht im Himmel, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater.

(Marc. 13, 32.)

Auch hier vereinigt das Christenthum die beiden einseitigen Wahrheiten des Pantheismus und Budhaismus: es verknüpft die reale Bewegung des Individuums (Einzelschicksal), welche Budha allein anerkannte, mit der realen Bewegung der ganzen Welt (Weltallschicksal), welche der Pantheismus allein gelten ließ.

Demnach hatte Christus den tiefsten Blick, der überhaupt möglich ist, in den dynamischen Zusammenhang des Weltalls geworfen, und dies stellt ihn hoch über die weisen Pantheisten Indien’s und über Budha.

Daß er Brahmanismus und Budhaismus einerseits und die abgelaufene Geschichte der Menschheit andererseits gründlich kannte, kann keinem Zweifel unterworfen sein. Immerhin reicht dieses bedeutende Wissen nicht hin, um die Entstehung der großartigsten und besten Religion zu erklären. Man muß den gewaltigen Dämon des Heilands zur Hülfe nehmen, der, in Form von Ahnungen, seinen Geist unterstützte. Für die Bestimmung des Einzelschicksals der Menschen lagen alle nöthigen Anhaltspunkte in der reinen, herrlichen Persönlichkeit Christi, nicht aber für die Bestimmung des Weltallsschicksals, dessen Verlauf er trotzdem ohne Schwanken feststellt, wenn er auch seine Unwissenheit, in Betreff der Zeit des Endes, offen bekennt.

Von dem Tage aber und der Stunde weiß Niemand – – auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater.

i268 Mit welcher apodiktischen Gewißheit spricht er dagegen von demjenigen Faktor des Schicksals, der, unabhängig vom Menschen, das individuelle Schicksal gestalten hilft!

Ich rede, was ich von meinem Vater gesehen habe.

(Joh, 8, 38.)

und dann die herrliche Stelle:

Ich aber kenne ihn. Und so ich würde sagen, ich kenne ihn nicht, so würde ich ein Lügner sein, gleich wie ihr seid. Aber ich kenne ihn, und halte sein Wort. (Joh. 8, 55.)

Man vergleiche hiermit das Urtheil des pantheistischen Dichters über die unerkennbare, verborgene Einheit in der Welt:

Wer darf ihn nennen?

Und wer bekennen:

Ich glaub’ ihn?

Wer empfinden

Und sich unterwinden

Zu sagen: ich glaub’ ihn nicht?

Der Allumfasser,

Der Allerhalter,

Faßt und erhält er nicht

Dich, mich, sich selbst?

(Goethe.)

Wer vorurtheilslos die Lehre Christi untersucht, der findet nur immanentes Material: Herzensfrieden und Herzensqual; Einzelwillen und dynamischen Zusammenhang der Welt; Einzelbewegung und Weltallsbewegung. – Himmelreich und Hölle; Seele, Satan und Gott; Erbsünde, Vorsehung und Gnadenwirkung; Vater, Sohn und heiliger Geist; – dieses Alles ist nur dogmatische Hülle für erkennbare Wahrheiten.

Aber diese Wahrheiten waren zur Zeit Christi nicht erkennbar, und deshalb mußten sie geglaubt werden und in solchen Hüllen auftreten, die wirksam waren. So hatte die Frage des Johannes:

Wer ist aber, der die Welt überwindet, ohne der da glaubet, daß Jesus Gottes Sohn ist?

volle Berechtigung.

 

22.

Die neue Lehre wirkte gewaltig. Die wunderschönen, ergreifenden Worte des Heilands:

i269 Ich bin gekommen, daß ich ein Feuer anzünde auf Erden; was wollte ich lieber, denn es brennete schon!

Aber ich muß mich zuvor taufen lassen mit einer Taufe, und wie ist mir so bange bis sie vollendet werde.

Meinet ihr, daß ich hergekommen bin, Frieden zu bringen auf Erden? Ich sage nein, sondern Zwietracht.

(Luc. 12, 49-51.)

gingen in Erfüllung.»Jede große Idee, sobald sie in die Erscheinung tritt, wirkt tyrannisch,«sagt Goethe. Ihre Wahrheit hat deshalb die außerordentliche Macht, weil sie sofort in das Gewissen übergeht. Der Mensch weiß fortan ein höheres Wohl; es umklammert sein Herz und, wie er sich auch schütteln mag, es läßt ihn nicht mehr los. Und so war auch die Lehre Christi, einmal als neues Motiv in die Welt geworfen, nicht mehr zu vernichten. Sie ergriff zunächst die Niederen, die Verachteten, die Ausgestoßenen.»Alle Menschen sind Brüder, sind Kinder eines liebenden Vaters im Himmel und Jeder ist berufen an Gottes Herrlichkeit Theil zu nehmen.«Zum ersten Mal wurde im Occident die Gleichheit Aller vor Gott gelehrt, zum ersten Mal feierlich erklärt, daß vor Gott kein Ansehen der Person gelte, und zum ersten Mal neigte sich die Religion zu jedem Individuum herab, nahm es liebevoll in ihre Arme und tröstete es. Sie richtete seinen Blick von dem rasch verlaufenden Leben in dieser Welt auf ein ewiges Leben und setzte klar und bestimmt den Preis fest, um den es zu erlangen war:»Liebe deinen Nächsten wie dich selbst; willst du aber ganz sicher die unvergängliche Krone des Lebens erhalten, so berühre nie ein Weib.«Die Sehnsucht nach dem Himmelreich mußte in der Brust der in Ketten Schmachtenden um so größer werden, als gar keine Aussicht vorhanden war, daß durch innere Umwälzungen die persönliche, bürgerliche und politische Freiheit Aller je eine Wahrheit werden würde. Aber warum sollte sie denn überhaupt zur Wahrheit werden? Wie bald ist das kurze Leben vorbei und dann ist ja die Freiheit für ewig gesichert!

Die neue Lehre ergriff dann ganz besonders die Frauen. Der Charakter des Weibes ist durch die beständige Unterdrückung seit Jahrtausenden, auch theilweise durch Verzärtelung in der Civilisation, ein viel milderer als der des Mannes. Das Weib ist vorzugsweise barmherzig. Die Religion der Liebe mußte nun die größte Gewalt über das gleichsam prädisponirte Gemüth der in ihren Kreis ein|tretenden

i270 Frauen ausüben. Sie wurden die Hauptverbreiter des Christenthums. Ihr Beispiel, ihr Lebenswandel wirkte ansteckend. Und wie mußte die neue Generation den Adel ihrer Seelen zeigen. Ich erinnere nur an Macrina und Emmelia, die Großmutter und Mutter des Basilius, an Nonna, die Mutter von Gregor von Nazianz, an Anthusa, die Mutter von Chrysostomos, an Monica, die Mutter von Augustinus und an den Ausruf des Hellenisten Libanius: Welche Frauen haben doch die Christen!

Schließlich ergriff sie die Gebildeten, die eine entsetzliche Leere in sich empfunden haben und unsagbar unglücklich gewesen sein müssen. Sie warfen sich, um nicht ganz im Schlamme zu versinken, und weil der Geist Nahrung verlangt, wie der Körper, dem crassesten Aberglauben in die Arme, ließen ihrer Phantasie die Zügel schießen und haschten nach Phantomen in großer Angst und Beklommenheit. Das Christenthum gab ihnen ein festes Ziel und damit eine bestimmte Richtung. Es setzte an die Stelle der endlosen Entwicklungen Heraklit’s und der endlosen Wanderungen Plato’s, in deren Betrachtung dem Menschen zu Muthe ist, wie einem vom brennendsten Durste geplagten Wanderer in der Wüste, einen Abschluß: die herzerquickende Ruhe im Reiche Gottes. Der Unwissende, der Rohe, läßt sich, wie ein welkes Blatt vom Herbstwinde, immer vorwärts treiben und bringt sich seine Pein selten zum Bewußtsein. Wer aber der Noth entrissen ist und die mit dem Leben wesentlich verbundene Ruhelosigkeit erkannt und schmerzlich empfunden hat, in dem erwacht und wird immer heftiger die Sehnsucht nach Ruhe, nach Enthebung aus dem flachen, ekelhaften Treiben der Welt. Die Philosophie Griechenlands konnte aber den Durst nicht stillen. Sie schleuderte den Verschmachtenden, der Trost bei ihr suchte, immer wieder in den Proceß des Ganzen, dem sie kein Ziel zu setzen vermochte. Das Christenthum dagegen gab dem müden Wanderer einen Ruhepunkt voll Seligkeit. Wer nahm da nicht gern die unbegreiflichen Dogmen in den Kauf?


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