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Die kommunikative Funktion des Satzes

Dass erst der Satz sprachlicher Ausdruck einer Mitteilung sein kann, ist im § 79 an einem Beispiel gezeigt worden (s. S. 214). Eine Mitteilung kann auch die Form einer Satzfolge haben.

Die moderne Sprachforschung identifiziert aber nicht die Begriffe mit­teilen und kommunizieren. Unter Kommunikation versteht man eine sprachliche Interaktion, an deren Verlauf sich beide Gesprächspartner ak­tiv beteiligen. Indem der Sprecher seinen Gedanken in Form eines Satzes oder einer Satzfolge zum Ausdruck bringt und ihn seinem Gesprächspart­ner mitteilt, informiert er den Gesprächspartner nicht nur über einen Sach­verhalt, sondern er ruft eine verbale oder nichtverbale Reaktion des Ge­sprächspartners hervor. Seine Mitteilung ist also ein Stimulus für den Ge­sprächspartner. In der sprachlichen Interaktion wechseln auch oft die Rol­len der Gesprächspartner, so dass von beiden verbaler Stimulus ausgehen kann.

Vgl. folgende Dialoge:

(1) „Die Leute hungern wohl", sagte Agnes schüchtern.,£s sind ja auch Menschen".
„Menschen!" Diederich rollte die Augen. „Der innere Feind sind sie".
(H.Mann)

(2) „Schluss jetzt", sagte Kosten Wir wuschen uns.

„Weißt du, was ick hier habeT fragte er und klopfte auf seine Brieftasche,

,№?"

„Karten zum Boxen heute abend. Zwei: Du gehst doch mit, wasT

Ich zögerte. Er sah mich erstaunt an. „Stilling boxt", sagte er, „gegen Walker. Wird ein guter Kampf."

»Nimm Gottfried mit", schlug ich vor und fand mich lächerlich, dass ich nicht mit­ging. (Remarque)

Jeder Kommunikationsakt ruft also zwei Arten von Reaktion des Ge­sprächspartners hervor — eine seelische Reaktion, wobei der Kommunika­tionsakt beim Gesprächspartner bestimmte Gefühle auslöst und eine bestimm­te Stellungnahme zum Gehörten hervorruft. Die zweite Art ist eine Hand-fongsreaktion: Der Gesprächspartner reagiert dabei entweder durch verbale Handlungen auf den Stimulus (er stimmt zu, widerspricht, gibt eine Aus­kunft usw.) oder er führt nichtverbale Handlung aus, die er als seine Stel­lungnahme zum Gehörten darstellt.

Die moderne Sprachforschung berücksichtigt die pragmatische Wirkung der Rede und nennt die kommunikative Komponente der geistigsprachli­chen Tätigkeit der Menschen kommunikativ-pragmatische Komponente. Auch betrachtet sie das Kommunizieren nicht isoliert, sondern als einen Be­standteil der gesamten Tätigkeit der Menschen im gesellschaftlichen und privaten Lebensbereich, Das Kommunizieren wird dementsprechend als Sprechhandlungen verstanden, die die Tätigkeit der Menschen in verschie­denen Bereichen mitsteuern.

Der Satz als die kleinste kommunikative bzw. kommunikativ-pragmati­sche Einheit besitzt ein System von Formen (Satzformen), die das Ausfüh-


ren verschiedenartiger Sprechhandlungen ermöglichen: 1) die Aussageform, 2) die Frageform, 3) die Aufforderungsform. Diese Satzformen gehen in das Satzparadigma ein und haben jede eine entsprechende äußere Struktur und eine grammatische Bedeutung.

Der kommunikativ-pragmatischen Funktion von Sätzen und Satzfolgen entspricht auch die Tatsache, dass jeder Satz eine bestimmte kommunikative Satzperspektive aufweist. Das wesentliche Merkmal der kommunikativen Satzperspektive ist die Zweiteilung des Satzes in Thema und Rhema. Die kommunikative Satzperspektive wird durch ein System von grammatischen Mitteln ausgedrückt und ist eine grammatische Kategorie mit Form, Bedeu­tung und Funktion.

§ 82. Die Kategorie der Prädikativität und die Referenz

Der Vergleich zwischen der Wortgruppe Die Ankunft der Delegation und dem Satz Die Delegation ist angekommen, den wir im § 79 angestellt haben, soll nun weiter verfolgt werden. Wir wollen feststellen, welche grammati­schen Kategorien den Satz als eine Einheit der Rede bestimmen.

Zwischen den von uns behandelten Wortgruppe und Satz besteht eine unverkennbare Ähnlichkeit, da sie ein und dieselbe Proposition (Argument-Prädikat-Verbindung) zum Ausdruck bringen. Die Wortgruppe nennt aber bloß den betreffenden Sachverhalt, wobei die Nennung des Sachverhalts das Ergebnis einer bereits vollzogenen geistig-sprachlichen Operation der Ver­bindung der Abbilder von Gegenstand und Merkmal (semantisches Prädi­kat) ist. Der Satz vollzieht oder nachvollzieht die entsprechende geistig­sprachliche Operation und gestaltet sie als eine Mitteilung über einen Sach­verhalt, indem er wesentliche Merkmale des mitgeteilten Sachverhalts zum Ausdruck bringt, die im Erkenntnisprozess zugegen sind und auch das ge­naue Verstehen der Mitteilung durch den Hörer steuern.

Ein grammatisches Mittel der Gestaltung einer Proposition als Äußerung, denen bestimmte Denkkategorien entsprechen, sind die Verbalkategorien der Personalität, der Zeit und der Modalität. Sie kennzeichnen die Äußerung 1) vom Standpunkt der Personalität (Beziehung zwischen Argument und wahr­nehmender und sprechender Person), 2) vom Standpunkt der zeitlichen Be­ziehung des Sachverhalts zum Redemoment, 3) vom Standpunkt der Wirk­lichkeit / NichtWirklichkeit. Diese drei Kategorien wurden von uns als Ver­balkategonen, also als Kategorien der Wortartebene betrachtet, da sie in den Hexionsformen des Verbs ihren Ausdruck finden. Zusammen bilden sie aber eine grammatische Kategorie der Satzebene, die Kategorie der Prädikativi­tät, die für den Satz bestimmend ist.

Die Kategorie der Prädikativität bezieht die Äußerung auf die Wirklich­keit und steuert das Verstehen der Äußerung durch den Hörer. Sie zeigt, ob von dem Sprecher, dem Angesprochenen oder von einer dritten Person bzw, einem Gegenstand die Rede ist, wie sich der Sachverhalt zeitlich zum Mo­ment der Äußerung verhält, ob das Geäußerte die Wirklichkeit darstellt oder m den Bereich des Hypothetischen bzw. des Irrealen gehört


Vgl.: Wortgruppe Satz

Die Ankunft der DelegationDie Delegation ist angekommen

unbestimmt hinsichtlich der bestimmt hinsichtlich der

Wirklichkeit, der Zeit, Wirklichkeit, der Zeit, variabel

invariabel hinsichtlich der Person. hinsichtlich der Person.

Vgl.: Die Delegation wird (bald) ankommen.

Wäre die Delegation (schon) angekommen1. Wann sind Sie \ bist du gekommen"} usw.

Die konstitutive Bedeutung des Wirklichkeitsbezugs der Äußerung für den Satz hat bereits Ries in seiner Satzdefinition betont: „Ein Satz ist eine grammatisch geformte kleinste Redeeinheit, die ihren Inhalt im Hinblick auf sein Verhältnis zur Wirklichkeit zum Ausdruck bringt" [209]. Ries verstand unter Wirklichkeitsbezug vor allem die Modalität. Er schrieb, dass jeder Satz durch seine grammatische Form Auskunft darüber gibt, ob der Inhalt des Satzes ein bloßes Denkgebilde ist oder eine reale Existenz in der Außenwelt besitzt.

Winogradow entwickelte in seiner Satzdefinition den Begriff des Wirk­lichkeitsbezuges als konsumtives Merkmal des Satzes weiter, schuf den Be­griff und Terminus Kategorie der Prädikativität und erweiterte den Wirk­lichkeitsbezug durch die Einbeziehung der Kategorien der Personalitätund der Zeit [6, II/I).

Träger der Kategorie der Prädikativität im zweigliedrigen Satz ist das finite Verb, das die Modalität, den Zeitbezug und die Personalität der Äuße­rung zum Ausdruck bringt:

^^-- Realität

Vater schlaft <^-- Gegenwart ^"^3. Person

Es unterliegt keinem Zweifel, dass auch die Einwortsätze wie Fcuerl Die­bel Fort] Aufpassend1. Stillgestanden*, eine bestimmte Modalität, einen Zeit­bezug und eine Person aufweisen und somit die Kategorie der Prädikativitat besitzen. Doch ist diese nur implizit in jedem Satz enthalten. Sie ist aus der lexikalischen Bedeutung eines konkreten Satzes, aus dem Kontext und aus der Situation zu entnehmen, wobei der entsprechende, sehr oft formelhafte Satz ausgesprochen wird. So gehören zum Beispiel die Einwortsütze Feuerl und Achtung*, scheinbar zu einem Satzmodell, Wir sehen jedoch aus dem konkreten Inhalt dieser Sätze und aus den möglichen Situationen oder Kon­texten, dass sie verschiedene modale Bedeutung und verschiedenen Zeitbe­zug haben. Vgl:

<

Realität ^^-* Aufforderung

Gegenwart Aehtung!<<r ' Gegenwart
3. Person ^""""-a, Person


Satzkonstituierende Bedeutung hat auch der Ausdruck der Referenz, Eine Äußerung hat immer einen konkreten Gegenstand oder eine Gattung von Gegenständen zum Objekt und ohne die einen oder die anderen Referenzan­weisungen bliebe sie für den Hörer unverständlich, so dass das Ziel der Kom­munikation verfehlt wäre.

_ Die Kategorie der Prädikativität fungiert in erster Linie im verbalen Be­reich des Satzes, obwohl die Kategorie der Personalität auch das Subjekt des Satzes erfasst. Referenzanweisungen fungieren im nominalen Bereich des Satzes. Die Kategorie der Bestimmtheit und Unbestimmtheit des Sub­stantivs, der der Ausdruck der Referenz zugrunde liegt, spielt also eine dop­pelte Rolle bei der Bildung des Satzes: 1) sie trägt zusammen mit der Kate­gorie der Prädikativität dazu bei, den Wirklichkeitsbezug der Äußerung her­zustellen, 2) sie ist eines der Ausdrucksmittel der kommunikativen Satzper­spektive.

§ 83. Die grammatische Form des Satzes

Die grammatische Form des Satzes steht in enger Verbindung mit seiner Bedeutung und Funktion.

_ Dem Wesen des Satzes als Ausdracksform unserer Gedanken und Mit-
teilungsemheit entspricht die Gestaltung des Satzes durch die abschlie­
ßende
oder terminale Tonführung. Es ist die fallende Tonführung (I), die
den Abschluss eines Aussagesatzes bzw. eines Aufforderungssatzes signa­
lisiert: ö

2 3 U 2 3 II 2 3 U
Ich habe Angst. Wir sind hier. Komm schneller.

Die terminale Tonführang ist das universellste Gestaltungsmittel des Sat­zes. Bei Einwortsätzen ist sie das einzige formale Ausdrucksmittel der Satz­wertigkeit.

3 U 3 U 3 U 3 U
Feuer] Diebel Halt! Fort\

Auch bei der Gestaltung von zweigliedrigen Sätzen spielt die Stimmfüh­rung eine sehr große Rolle.

Der Fragesatz, der ja immer eine Antwort voraussetzt und mit ihr eine satzübergreifende dialogische Einheit bildet, hat eine steigende Tonflih-

2 1 3T

Ist Ihr Bruder hier!

Die fallende und die steigende Tonführung stehen in Opposition zur wei­terweisenden (progredienten) Tonführung (|). Letztere ist dadurch gekenn­zeichnet, dass die Stimme in ein und derselben Höhe ist, bis sie ausklingt, oder sogar etwas ansteigt, was den Eindruck der Nichtabgeschlossenheit des Gesagten hervorruft.


2 3 II 2 3 3| 2

Ygl. Ich habe Angst. Ich habe Angst, dass...

2 3 2 U

(wir zu spät kommen).

Das zweitwichtigste Gestaltungsmittel des Satzes ist die Subjekt-Prädi­kat-Struktur des Satzes. Sie ist der absoluten Mehrheit aller Sätze eigen und stellt den Grundtyp der Sätze in der deutschen Sprache dar — die zwei­gliedrigen Sätze. Die Subjekt-Prädikat-Struktur des Satzes widerspiegelt die semantische Struktur desselben, und zwar die Argument-Prädikat-Verbin­dung, die einer Äußerung zugrunde liegt.

Das Subjekt nennt das Argument oder eines der Argumente, und zwar dasjenige, das als Ausgangspunkt für die Äußerung dient. Dieses Argument ist durch die Nominativform gekennzeichnet.

Das Prädikat nennt das semantische Merkmal des Arguments und ist eine finite Form des Verbs. Das Prädikat ist Träger der Kategorie der Prädi-kativität. Je nach dem Charakter und der Valenz des Prädikats folgen dem Subjekt und dem Prädikat weitere Satzglieder.

§ 84. Aus der Geschichte der Satzdefinition

John Ries hat in seiner Schrift „Was ist ein Satz?" 140 Satzdefinitionen zusammengestellt, die in der Grammatikforschung einander ablösten oder gleichzeitig in Umlauf waren. Diese Sammlung ist von Seidel um weitere 83 Definitionen erweitert worden, so dass die Zahl der wichtigsten Satzdefini­tionen schon im Jahre 1935 auf über 220 angewachsen war [209, 234].

Wenn man aber berücksichtigt, dass sich unter den zusammengestellten Satzdefinitionen viele fast gleich lautende Definitionen befinden und dass nicht selten verschiedene Formulierungen auf dasselbe hinauslaufen und ein Tribut des abgewandelten Systems linguistischer Termini sind, so lassen sich in der Geschichte der Syntaxforschung zwei Grundtendenzen verfolgen. Die eine Tendenz besteht darin, dass der Satz, wenn sich die Satzdefinition auf die Begriffe der Logik oder auf die Psychologie des Denkens und die Rede-psychologie stützt, hauptsächlich von der denkinhaltlichen und funktiona­len Seite her bestimmt wird. Die entgegengesetzte Tendenz ist durch das Bestreben gekennzeichnet, sämtliche „außersprachlichen" Charakteristiken des Satzes auszuklammern und eine strenge innersprachliche Definition «es Satzes auf Grund seiner Strukturzüge zu geben.

Die erste Tendenz findet ihren Ausdruck sowohl in der sog. logischen Satztheorie als auch in der psychologischen Satzlehre, die sich allmählich zur kommunikativen Satztheorie entwickelt.

Die Jogische Satztheorie betrachtet den Satz als Ausdruck des logischen Urteils. Sie geht auf die antike Grammatik zurück, insbesondere auf die Lehre von Aristoteles, wird später in der rationellen universellen Grammatik von Port-Royal (1660) erneuert: „Das Urteil, das wir über die Dinge fällen, wie zum Beispiel, wenn ich sage,,die Erde ist rund', nennt man Satz" [199];


(Übers, der Verfasserin). Auf deutschem Boden wurde sie von K. F. Becker entwickelt: „Der Ausdruck eines Gedankens, d. h. eines prädizierenden Ur­teils wird ein Satz genannt [22]. Ähnlich nach ihm [28, II, 269, /, auch: Engelienu. a. Mit diesen Definitionen wurde die kognitive Funktion des Satzes richtig erfasst, und die moderne syntaktische Semantik entwickelt die Lehre von der logisch-semantischen Grundlage einer Äußerung weiter. Der logischen Schule wurde von ihren Gegnern, vor allem von den Anhän­gern der psychologischen Satztheorie (s. u.) in erster Linie vorgeworfen, dass die Definition des Satzes als Ausdruck des logischen Urteils zu allge­mein sei und dass die Regeln der klassischen Logik zu eng für die Vielfalt und den Reichtum der reellen Satzgestaltung seien. Beide Vorwürfe waren berechtigt, da die klassische logische Satzlehre zu einseitig an den Satz her­anging.

Die psychologische Satztheorie, die seit den 70er- Jahren des 19. Jahr­hunderts weite Verbreitung fand, strebte vor allem danach, die starren Re­geln der klassischen Logik durch die Erschließung der Psychologie des Den­kens und des Sprechens zu ersetzen und in der Satzdefinition diese psycho­logischen Prozesse widerzuspiegeln. Innerhalb der psychologischen For­schungsrichtung wurden zwei verschiedene Modelle der Psychologie der Satzgestaltung vorgeschlagen. Das eine Modell, entwickelt von Hermann Paul auf Grand der psychologischen Assoziationstheorie, erklärte den Satz als sprachlichen Ausdruck der Verbindung zweier Vorstellungen in der See­le des Sprechenden: „Der Satz ist der sprachliche Ausdruck, das Symbol dafür, daß die Verbindung mehrerer Vorstellungen oder Vorstellungsmassen in der Seele des Sprechenden sich vollzogen hat, und das Mittel dazu, die nämliche Verbindung der nämlichen Vorstellungen in der Seele des Hören­den zu erzeugen" [191, Ш]. Das andere Modell, vorgeschlagen von Wil­helm Wundt, dem Begründer der Apperzeptionstheorie in der Psychologie. deutete den Satz als das Ergebnis der Aufgliederung eines im Bewusstsein vorhandenen Ganzen in seine Teile: „Der Satz ist der sprachliche Ausdruck für die willkürliche Gliederung einer Gesamtvorstellung in ihre in logische Beziehung zueinander gesetzten Bestandteile" [291, //]. Wenn wir den von der modernen Psycholinguistik längst überholten Streit über den Charakter der psychischen Vorgänge, die dem Sprechakt zugrunde liegen, beiseite las­sen, bleibt an der Satzdefinition Pauls das Bemerkenswerte, dass sie zum ersten Mal in der Geschichte der Syntaxforschung den kommunikativen Charakter des Satzes hervorhob und die Notwendigkeit der Berücksichti­gung von Sprecher und Hörer für das Verständnis des Wesens eines Satzes betonte. Diese Satzdefinition sowie Pauls Lehre vom psychologischen Sub­jekt und vom psychologischen Prädikat (s. u. S. 254 f.) waren die ersten Ansätze zur Entwicklung der kommunikativen Satztheorie, wie sie uns, be­freit vom Psychologismus, später in den Schriften des tschechischen Sprach­forschers Mathesius, der deutschen Sprachforscher Drach, Boost und vieler moderner Sprachforscher entgegentritt, Mit der Entwicklung der kommuni­kativen Satztheorie wurde auch die kommunikative Funktion des Satzes er­schlossen,


In der deutschen Grammatik ist heute die Bestimmung des Satzes als eine kommunikative Einheit sehr verbreitet. So bestimmen zum Beispiel Schmidt und Erben den Satz als die „kleinste relativ selbständige Rede­einheit", und sie weisen beide auf den kommunikativen Charakter der Rede hin. Vgl. Schmidt: „Unter Rede verstehen wir jede Anwendung sprachlicher Mittel zum Zwecke der gesellschaftlichen Kommunikation" [221]. Wir bringen noch einige ähnliche Satzdefinitionen. „Die Syntax befaßt sich mit dem Aufbau der zusammenhängenden Rede, wie sie im Kommunikationsprozeß auftritt, also mit dem Satz, der Haupteinheit die­ses Prozesses, mit den Wortgruppen und mit den Formmitteln, die zur Bildung der Sätze und Wortgruppeu dienen" [2]. „Der Satz ist eine kom­munikative Redeeinheit, mit deren Hilfe der Sprecher auf dem Hörer etwas mitzuteilen vermag" [99]; s. auch: [238, 150]. Die zweite Tendenz in der Satzforschung beruht auf dem Bestreben, die inhaltlichen Kriterien als „außersprachlich" beiseite zu schieben und nach „innersprachlichen", streng foraialgrammatischen, strukturbezogenen Kriterien zu suchen. Die älteren Generationen der Sprachforscher sahen das formelle Merkmal des Satzes in der finiten Verbalform. Ammann schreibt: „Eine Wortverbin­dung ohne Verb. fin. kann im Deutschen keinen vollständigen Satz dar­stellen." Vgl. auch Jung: „Der Satz ist eine durch das Verb gestaltete, grammatisch gegliederte Einheit" [137]. Dieses Merkmal kennzeichnet aber nur den regelmäßigen zweigliedrigen Satz (Vater schläft. Wir gelten ba­den. Heute ist Sonntag.), ohne dem eingliedrigen Satz (Feuerl Aufstehen1. Ja. Nein. Weg damitl) und den Sätzen mit idiomatischer syntaktischer Struktur (Und ob\ Ich ein Lügner! Sie und heiraten? u. Ä.) Rechnung zu tragen.

Bereits Delbrück hat auf ein anderes formelles Kriterium für die Aus­gliederung des Satzes aus dem Redestrom hingewiesen, nämlich auf die Stimmführung und Pausierang: „Von seiten einer Form betrachtet: dasjeni­ge, was von zwei Pausen eingeschlossen äst" [48, 111]. Dieses Merkmal wird auch von Glinz in den Vordergrund gestellt. Vgl. seine Definition des Satzes als „die Einheit des stimmlichen Hinsetzens, das in einem Zuge und unter einem Atem hervorgebrachte sprachliche Gebilde" [81]. Diese Satzdefini­tionen geben das wesentlichste Charakteristikum der grammatischen Form des Satzes, da die Stimmführung als Gestaltungsmittel des Satzes gewiss zu den grammatischen Formmitteln der Syntax gehört. Sie sagen aber nichts über das Wesen des Satzes und seine besondere Leistimg im Vergleich zu den anderen Grundeinheiten der Sprache.

Ries war einer der ersten deutschen Grammatikforscher, der bei der Satz­definition Inhalt und Form berücksichtigte. Ries betont vor allem die gram­matische Formung des Satzes, deren Zweck es ist, den Bezug des Ausge­sagten zur Wirklichkeit auszudrücken. Wir bringen Ries' Satzdefmition:»Ein Satz ist eine grammatisch geformte kleinste Redeeinheit, die ihren In­halt im Hinblick auf sein Verhältnis zur Wirklichkeit zum Ausdruck bringt" [209]. Diese Definition war ein Ansatz zur Entwicklung der Lehre von der Kategorie der Prädikativität (s. S. 220).

8 MocKIMIhCINM 225


§ 85. Die interne Struktur des Satzes. Darstellungsverfahren

Die Syntaxforschung entwickelte verschiedene Darstellungsverfahren der internen Struktur des Satzes.

Die Analyse nach den Satzgliedern. Das klassische Analyseverfahren, das in der deutschen Grammatik auf K. F. Becker zurückgeht und in der normativen Grammatik sowie im Schulunterricht auch heute eine große Rolle spielt, ist die Aufgliederung des Satzes in Satzglieder.

Die Satzglieder werden in der modernen Grammatik relational interpre­tiert. Das bedeutet, dass jedes Satzglied durch die syntaktische Beziehung zu einem anderen Satzglied, das ihm zugeordnet, über- oder untergeordnet ist, konstituiert wird.

Man unterscheidet folgende Arten von syntaktischen Beziehungen:

1) die Subjekt-Prädikat-Beziehung als die grundlegende syntaktische
Beziehung im Satz. Die Verbindung zwischen Subjekt und Prädikat ist die
der Zuordnung. Beide Satzglieder sind aufeinander abgestimmt und konsti­
tuieren einander;

2) die Objektbeziehung, die durch die syntaktische Relation zwischen
dem Prädikat, einer infiniten Verbalform oder einem Adjektiv einerseits und
einem Objekt andererseits besteht. Die betreffenden Verben bzw. Adjektive
erscheinen als die Valenzträger, das Objekt besetzt die durch die Valenzträ­
ger eröffnete Leerstelle. Die Verbalform bzw. das Adjektiv erscheinen als
das übergeordnete, regierende Satzglied, das hinzutretende Objekt ist das
untergeordnete Satzglied;

3) die adverbiale Beziehung, der die Verbindung einer Umstandsergän-
zung mit einem verbalen, adjektivischen oder adverbialen Bezugswort zugrunde
Hegt. Die Gegenglieder der Relation sind durch die sog. schwache Rektion
verknüpft, d. h. ebenfalls durch die einseitige Beziehung der Unterordnung.

Diesen syntaktischen Beziehungen 1. Grades steht als die syntaktische Beziehung 2. Grades die attributive Beziehung zur Seite. Sie entsteht durch die Verbindung eines Substantivs mit einem Bestimmungswort. Die formale Abhängigkeit ist auch hier einseitig, d. h. es handelt sich in diesem Fall um die Unterordnung. Die Grammatiken betrachten das Attribut nicht als ein selbstständiges Satzglied, sondern als ein Gliedteil, da dieses fest an das Bezugswort geknüpft ist und sich nur zusammen mit dem letzteren im Satz verschiebe» lässt.

Wir gehen nicht näher auf einzelne Probleme der Satzglieder und auf die in den Grammatiken bestehenden terminologischen Divergenzen ein. S. dazu: [59J.

Die Analyse nach den unmittelbaren Konstituenten. Die UK-Analyse des Satzes ist eine andere Technik bei der Darstellung der syntaktischen Be­ziehungen im Satz. Sie wurde von der deskriptiven Linguistik entwickelt und besteht in der Zerlegung eines Satzes in seine Konstituenten und in die Konstituenten der Konstituenten.

Als unmittelbare Konstituenten des Satzes gelten die maximalen Satzseg­mente, in die der Satz bei binärer Teilung aufgegliedert werden kann, z. В.-


Das Auto lermann)


hielt vor dem Hause Wolfgang Fabians in Jakobsbühl. (Kel-


Der vorstehende Satz kann nicht gegliedert werden in: Das Auto hielt vor..., weil Das Auto hielt nicht Satzsegment, sondern ein Satz ist. Das erste maximale Satzsegment in diesem Satz ist: Das Auto...

Die weitere Zerlegung der unmittelbaren Konstituenten des Satzes ge­schieht wie folgt:


Das Auto Das Auto Das Auto Das Auto bühl


hielt hielt hielt hielt


vor dem Hause Wolfgang Fabians in Jakobsbühl, vor dem Hause Wolfgang Fabians \\\ in Jakobsbühl vor dem Hause Щ] Wolfgang Fabians \\\ in Jakobsbühl, vor dem Hause \\\\ Wolf gang


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