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Die Kategorie des Numerus

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  1. Die grammatische Kategorie der Genera verbi

Die Kategorie des Numerus ist vielen Wortarten eigen. Doch ist das We­sen dieser Kategorie beim Substantiv grundsätzlich anders als bei allen an­deren Wortarten.

So ist zum Beispiel der Numerus beim fmiten Verb auf die Zahlform des
Subjekts im Satz abgestimmt (das Kind schläft — die Kinder schlafen) also
synsemantisch nach seiner Bedeutung und syntaktisch nach seiner Funkti­
on. Auch der Numerus der Adjektive, der adjektivischen Pronomen und der
Ordnungszahlwörter hängt von der Zahlform des Substantivs in der attribu­
tiven Wortfügung ab {alter Mannalte Leute; dieses Gesprächdiese
Gespräche; der erste Versuch
die ersten Versuche), er ist also wiederum
synsemantisch und ein Mittel der Kongruenz in der Wortfügung. Beim Sub­
stantiv dagegen tritt uns der Numerus als eine autosemantische, dem Sub­
stantiv als solchem, außerhalb jeglicher syntaktischer Beziehungen anhaf­
tende und mit dem Begriff der Gegenständlichkeit eng verbundene Katego­
rie entgegen, vgl. der Menschdie Menschen, das Hausdie Häuser, der
Gedanke — die Gedanken,
,..

Die Kategorie des Numerus ist so charakteristisch für das Substantiv, sie entspricht so sehr seiner verallgemeinerten Wortklassenbedeutung, dass Gjmz sie als das Hauptkennzeichen des Substantivs betrachtet, das „direkt auf den Sachtem" der Substantive geht [81], und sie in die Charakteristik des Suo-


stantivs als Wortart aufnimmt: als Wesen, Größe, Einheit geprägt; ein Mo­ment der Zahl enthaltend" (ebenda).

Die Kategorie des Numerus ist mit den Begriffen der Gattung und der Zählbarkeit der Gegenstände innerhalb der Gattung verbunden. Sie beruht auf der Opposition: ein Gegenstand / viele Gegenstände von derselben Gat­tung.

Diese Opposition kennzeichnet vor allem Namen für konkrete Gegen­stände, und zwar Gattungsnamen: der Mensch I die Menschen, das Haus I die Häuser, der Baum I die Bäume, Auch viele Abstrakta haben die Fähig­keit zur Zählbarkeit: die Idee I die Ideen, die Bestrebung I die Bestrebungen, die Eigenschaft I die Eigenschaften, die Tugend/ die Tugenden u. Ä.

Es ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Bedeutung der Pluralform nicht um die Vielheit durchweg handelt, sondern um eine gegliederte Viel­heit, um eine Summe von Einheiten. Als Beweis dafür dienen die singula­risch gebrauchten Kollektiva, die auch eine Vielheit ausdrücken, aber „als eine undifferenzierte, unzerlegbare Ganzheit"; vgl. das Gebüsch (eine nicht­gegliederte Vielheit, eine undifferenzierte Ganzheit) und die Büsche (eine differenzierte Summe von Einheiten); ähnlich: das Laub und die Blätter, das Proletariat und die Proletarier, die Studentenschaft und die Studenten. Ei­nen weiteren Beweis für die Wichtigkeit der Gegenüberstellung von geglie­derter Vielheit und undifferenzierter Ganzheit liefern die Stoffnamen. Als Bezeichnungen einer undifferenzierten Ganzheit haben die Stoffnamen in der Regel nur die Singularform: das Wasser, der Wein, der Stahl, das Öl. Sobald aber der Stoff nach den Sorten oder Arten gegliedert wird, bekom­men die Stoffnamen die Pluralform: die Weine (= Weinsorten), z. B. alte Weine, starke Weine; die Stähle (= Stahlsorten), die Öle (= Ölsorten) u, a.

Die grammatische Bedeutung der Zahlformen bei den zählbaren Sub­stantiven ist also

 

Grammem Bedeutungskomponenten (Seme)
Singular „Zählbarkeit" \ „Einheit"
   
Grammem ' Bedeutungskomponenten (Seme)
Plural [ „Zählbarkeit" „gegliederte Vielheit"

Die grammatische Opposition: ein Gegenstand / viele Gegenstände von derselben Gattung wird manchmal neutralisiert. Ein typischer Fall der Neu­tralisation dieser Opposition ist die synonyme Verwendung von Singular und Plural bei der Bezeichnung der ganzen Gattung (die sog, Generalisierung):

Der Mensch ist sterblich. I {die) Menschen sind sterblich. Die Katze ist ein Haustier, l {Die) Katzen sind Haustiere.

Koschmieder beschreibt diese Verwendung wie folgt: „Singular und Plu­ral dienen der Unterscheidung von einem und mehreren gezählten oder zähl-


baren Individualitäten (Einzelbegriffen) einer „Klasse"; für den Gattungsbe­grifffehlt dem Deutschen eine grammatische Kategorie. Soll er ausgedrückt werden, so müssen, weil jede Form des betreffenden Wortes entweder im Singular oder im Plural steht, mangels einer anderen Kategorie Singular oder Plural verwendet werden" [147].

Die grammatische Kategorie des Numerus wird in diesem Fall nach dem Ausdruck von Koschmieder „im Leerlauf verwendet (ebenda).

Eine verwandte Erscheinung ist die stilistische Transposition eines Nu­merus auf die Ebene des anderen Numerus, und zwar die Transposition des Singulars auf die Ebene des Plurals in der dichterischen Sprache:

Im düstem Auge Die Welle wieget unser Kahn

Keine Träne, Im Rudertakt hinauf. (Goethe)

Sie sitzen am Webstuhl Und fletschen die Zähne, (Heine)

Über den Ausdruckswert dieser stilistischen Figur s.: [229].

Ähnliche Transposition ist in einigen festen Redewendungen zu beob­achten: ein gutes Ohr haben, ein scharfes Auge auf jemand haben, Hand und Fuß u.a. (ebenda).

Anders steht es um eine große Schicht von unzählbaren Substantiven, die nur die Singularform haben,— die sog. Singulariatantum. Es sind hier einige Bedeutungsgruppen und Wortbildungs typen zu nennen:

Nur die Singularform besitzen die sog. Unika, z. B. die Erde, der Mond.

Ähnlich die meisten Kollektive: das Proletariat, der Adel Personenbe­zeichnungen auf -tum und -schaff, die Studentenscliafi, die Mannschaft, das Bauerntum; weiter: das Laub, das Wild, das Vieh u. a.; eine Reihe von Sam­melnamen auf ge-\ das Geflügel, das Gefieder, das Geschirr, Vorgangsna­men: das Gerede, das Getue, das Geplätscher; Substantive wie: das Schuh­werk, das Backwerk u.a.

Eine bedeutende Anzahl von Singulariatantum bilden die Stottnamen: das Wasser, das Brot, die Milch, das Fleisch das Fett; das Kupfer, das Ei­se}!, die Wolle, der Gummi, der Sauerstoff, der Schwefel # _

Keinen Plural besitzen viele Namen für Naturprodukte, die nicht gezählt werden: das Korn, der Weizen, der Hafer, das Gras, das Heu, der Kohl, der Salat.

Eine besonders zahlreiche Gruppe von Singulariatantum bilden die un­zählbaren Abstrakta: das Bewusstsein, die Entschlossenhat, die Achtung, die Klarheit, die Wärme, die Freundschaft, die Ankunft u. A.

Niemals haben die Pluralform auch die durch Substantivierung entstan­denen Adjektiv- und Verbalabstrakta: das Gute, das Neue, das Schone, das Unendliche; das Laufen, das Wachen, das Kämpfen u. a._

Der Singular all dieser Substantive la'sst sich kaum auf eine Gesamtbe-deotung zurückführen. Er steht b gleicher Weise bei Urnka wie bei Koliek-tiva, bei Stoffnamen, die nicht durch das Zahlen gemessen werden, doch andere quantitative Charakteristiken haben können, wie bei Absüakta, cue keiner quantitativen Charakteristik unterzogen werden können. Entscheidende


Bedeutung bei der Beurteilung der Singularform von unzählbaren Substanti­ven hat für uns weiter, dass bei diesen Substantiven dem Singular kein Plural gegenübersteht, so dass ihnen die Opposition nach den Numeri fremd ist.

Aus dem Gesagten können wir schlussfolgern, dass die unzählbaren Sub­stantive keine Kategorie des Numerus besitzen und dass die Singularform bei ihnen, um mit Koschmieder zu sprechen, „im Leerlauf verwendet ist, aus dem einzigen Grande, dass jedes Substantiv entweder in der Singular­oder in der Pluralform gebraucht werden muss, „denn eine neutrale nicht grammatische Form besitzen wir nicht" [147].

Die Singularform wird, da sie die bei weitem häufigste ist, als die „allge­meine" Form [38] oder die „Grundform" [2] bezeichnet.

Bedeutend geringer ist die Anzahl der sog. Pluraliatantum. Die Plural­form ist hier bei einigen Kollektiva motiviert, so bei Personennamen: die Eltern, die Geschwister, die Gebrüder, die Zwillinge, die Drillinge; bei eini­gen Sachnamen: die Gliedmaßen, die Trümmer, die Briefschaften, die Geld­sachen, die Kurzwaren. Doch unmotiviert sind solche Pluralformen wie: die Ferien, die Einkünfte, die Kosten, die Spesen, die Machenschaften', geogra-fische Namen: die Alpen, die Vogesen, die Karpaten, die Dardanellen, die Apenninen, die Pyrenäen, die Sudeten, die Azoren, die Bälearen; die Namen einiger Feste: die Ostern, die Pfingsten, die Weihnachten; die Namen für einige Krankheiten: die Masern, die Blattern, die Röteln, die Pocken. Auch hier handelt es sich in erster Linie um den formalen Numerus.

§ 53. Die lexikalische Potenz des Numerus

Die Verwendung der Numerusformen hängt so eng mit der lexikalischen Bedeutung der Substantive zusammen, dass der Numerus sehr oft als diffe­renzierendes Merkmal der einzelnen Bedeutungen eines mehrdeutigen Wor­tes dient oder gar die Zerlegung des Wortes in Homonyme signalisiert und prägt. Das erklärt sich dadurch, dass das mehrdeutige Substantiv in einigen Bedeutungen zählbar, in den anderen dagegen unzählbar sein kann. Dassel­be gilt noch mehr für Homonyme.

So ist zum Beispiel das Substantiv der Gebrauch unzählbar und ein Sin­gulariatantum in der Bedeutung „Verwendung, Benutzung" (der Gebrauch von Messer und Gabel); die Pluralform die Gebräuche bedeutet „volkstüm­liche Sitten" (alte ländliche Gebräuche). Es ist klar, dass die Singularform der Gebrauch und die Pluralform die Gebräuche nicht als Formen eines Wortes gelten können, da sie in lexikalischer Hinsicht weit auseinanderge­gangen sind. Auch bei Substantiven, die nicht in Homonyme zerlegt werden, verhalten sich die einzelnen Bedeutungen unterschiedlich zum Numerus.

Das Substantiv die Industrie ist eigentlich ein Singulariatantum. Doch bei der Einengung der Bedeutung entwickeln sich die Formen die Industrie! die Industrien (= „Industriezweige").

Vgl. a) Von der Landwirtschaft lebten in Deutschland jener Jahre 14 373 000 Erwerbstätige mit ihrem Anhang. 25 781 000 von Handwerk und Indu­strie. (Feuchtwanger)


b) Die Kaugummi-Erzeugung ist die nationalste Industrie von den USA.

(Kisch)

Nun schüttete Taubenhaus ein wahres Füllhorn von Reichtümern über die Stadt aus. Neue Industrien, neue Gewerbe wollte er einbürgern, das Hand­werk sollte neu erstehen und vervollkommnet werden. Die Bürger saßen mit trunkenen Augen. (Kellermann)

Vgl. auch die unterschiedlichen Bedeutungen der mehrdeutigen Wörter und Homonyme, wie sie sich im Numerusgebrauch widerspiegeln und von ihm geprägt werden:

die Unruhe Sg. die Unruhen PL;

die Gesellschaft Sg. die Gesellschaft — die Gesellschaften;

die Süßigkeit Sg. die Süßigkeiten PL;

die Schönheit Sg. die Schönheiten Pl;

der Fortschritt Sg. die Fortschritte PL;

die Zärtlichkeit Sg. die Zärtlichkeiten PL;

die Wahl Sg. die Wahlen PL;

das Wesen Sg. das Wesen — die Wesen.

Nicht nur die Abstrakta weisen je nach dem Numerus unterschiedliche Bedeutungen auf. Einen Wandel der Bedeutung mit entsprechendem Wan­del der Numerusverhältnisse erfahren auch die Konkreta, indem sie übertra­gene und abstrakte Bedeutungen entwickeln.

Vgl.: das Brett I die Bretter die Bretter П.= а)»Schiert

b) „bunne;

der Kern I die Kerne der Kern Sg.

der Grund Sg. der Grund I die Gründe;

Unterschiedliche Numerusverhältnisse kennzeichnen auch den Stoffna­
men und den auf seiner Grundlage entstandenen Gattungsnamen.
Vgl.: das Brot Sg. das {ein) Brot — die Brote;

das Panier S 2 das (ein) Papierdie Papiere;

der sZtsl der (ein) Stahl - die Stähle (-Drehstahl);

der Karton Sg. der (ein) Karton - die Kartons;

das Glas Sg. das (ein) Glasdie Glaser.

Eine wortbildende Funktion hat der Numerus, und Z^M die Pluralform
bei der Bildung von Kollektiva durch Substantivierung von A^etavra. №■
tizipienundPronomen, z. B. die Versammelten, die Umstehenden, die Hauch­
dünnen, die Meinigen
[149]..., r,,,eQmni«n_

Ähnlich bei der Bildung von Pluraliatantum mit H№ te йиишма Setzung: die Gewissensbisse (zu der Biss I die Bisse), ^Кг°1оШга nen (zu die Träne I die Tränen); die Anfangsgründe, die Gebietsforderun

^Über'die doppelten Pluralformen und die differenzierende Rolle der Plu­ralform bei der Unterscheidung von Homonymen s.: [üb, aäij.


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