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Innerhalb einer Wortart lassen sich vom grammatischen Gesichtspunkt aus bestimmte strukturell-semantische Subklassen von Wörtern unterscheiden. Es handelt sich dabei nicht um eine rein semantische Klassifizierung von Wörtern in Bedeutungsgruppen oder Bedeutungstypen, sondern um die Berücksichtigung solcher semantischer Merkmale, die sich auf die grammatischen Beschaffenheiten der betreffenden Subklassen von Wörtern inner-
halb einer Wortart auswirken. Beim Verb heben sich die einzelnen strukturell-semantischen Klassen so scharf gegeneinander ab, dass jede Schulgrammatik sie so oder anders unterscheidet. Man teilt die Verben von jeher in Vollverben und Hilfsverben, in persönliche und unpersönliche, transitive und intransitive, subjektive und objektive Verben ein.
1. Nach dem Anteil des Verbs an der Geschehens- oder Seinsbeziehung werden die Verben in Vollverben, Hilfsverben, Modalverben, Verben der Aktionalität, Funktionsverben und kopulative Verben eingeteilt (vgl.: [110]; die Verfasser berücksichtigen nicht die kopulativen Verben).
VoHverben bezeichnen Handlungen und Zustände {sprechen, bauen, laufen, schlafen) und fungieren im Satz selbstständig als ein verbales Prädikat.
Hilfsverben {haben, sein, werden) sind Funktionswörter mit morphologischer Funktion, sie dienen zur Bildung der analytischen Formen des Verbs, worin ihre lexikalische Bedeutung völlig in den Hintergrund tritt, und haben keine syntagmatische, sondern eine paradigmatische Funktion,
Kopulative Verben {sein, werden, bleiben) verbinden sich mit einem Nomen, Pronomen oder Adverb zu einem mehrgliedrigen nominalen Prädikat, haben also eine syntagmatische Funktion, indem sie die betreffenden Wörter prädizierbar machen [85].
Modalverben {dürfen, können, mögen, lassen, wollen, sollen, müssen) verbinden sich regelmäßig mit Vollverben zu einem mehrgliedrigen verbalen Prädikat. Sie haben also eine syntagmatische Funktion und bringen modale Bedeutungen zum Ausdruck.
Verben der Aktionalität {beginnen, anfangen, aufhören, pflegen, versuchen) verbinden sich mit Vollverben zu einem mehrgliedrigen verbalen Prädikat, haben also auch eine syntagmatische Funktion. Sie nennen nicht die Handlung selbst, sondern charakterisieren den Geschehensablauf und verleihen dem Gefüge einen aktionsartigen Charakter.
Funktionsverben verbinden sich mit Substantiven zu festen Wortverbindungen zur Umschreibung von Verbalbegriffen {einen Einfluss ausüben, Maßnahmen treffen, Bericht erstatten, in Erfüllung gehen). Das semantische Gewicht liegt auf dem Nomen, das Funktionsverb dient oft zur Überführung des Verbalbegriffes in eine andere strukturell-semantische Subklasse. Vgl. blicken — einen Blick werfen (durativ/punktuell), ausdrücken —zürn Ausdruck kommen (aktivisch/passivisch), sich bewegen — in Bewegung geraten (durativ/inchoativ). Viele Verbindungen dieser Art stehen synonymen einfachen Verben lediglich als Streckformen zur Seite {helfen — Hilfe leisten, sich erfüllen — in Erfüllung gehen).
2. Nach dem Geschehensablauf (Aktionsart) unterscheidet man imperfektive, perfektive, durative, punktuelle, inchoative, iterative, imitative und resultative Verben.
Die Charakteristik des Vorgangs nach dem Geschehensablauf erfolgt im Deutschen auf lexikalischem Wege, während die grammatische Kategorie des Aspekts nur im System der Pattizipien ausgeprägt ist (s. 59). Es handelt sich aber auch hier um Bedeutungsmerkmale, die vom grammatischen Gesichtspunkt aus relevant sind.
Die meisten der oben genannten aktionalen Subklassen von Verben lassen sich vom grammatischen Gesichtspunkt aus unter zwei allgemeinere Bedeutungstypen zusammenfassen, und zwar:
1) terminative Verben (Tenra'nata) — ihre lexikalische Bedeutung im
pliziert die Vorstellung von einem Endziel der Handlung. Als Endziel kön
nen der Übergang in eine neue Seinsphase (mutative Verben: erwachen, ster
ben, er(ver)blühen) oder die Gipfelung der Tätigkeit im erstrebten Resultat
und damit ihr Abbruch (perfektive und resultative Verben: kommen, stellen;
verbessern, öffnen, finden, gewinnen, erraten) gedacht sein;
2) kursive Verben (imperfektive Verben) — sie stellen den Vorgang in
seinem Verlauf dar, ohne Hinweis auf ein voraussichtliches Endziel (einen
Endpunkt).
Während den kursiven Verben jegliche aspektuelle paradigmatische Formen fehlen, setzt die Semantik der terminativen Verben die Möglichkeit aspek-tueller Gegenüberstellungen im Formensystem des Verbs voraus (s. dazu: [69]). Freilich sind die Aspekte im Deutschen eine schwache Kategorie. Die aspektuelle Opposition: unvollzogen / vollzogen kommt nur im System der Partizipien zum Ausdruck. Besonders krass tritt sie bei den intransitiven terminativen Verben zutage, Vgl:
der kommende Mensch /der gekommene Mensch der erwachende Mensch/der erwachte Mensch
Das erklärt auch die verschiedenen syntagmatischen Potenzen der Partizipien bei terminativen und kursiven Verben. Nur das L Partizip der terminativen und kursiven Verben hat einen uneingeschränkten Gebrauch, Für das 2. Partizip gilt folgende strenge Scheidung: Der selbstständige Gebrauch des 2. Partizips ist nur den transitiven und den intransitiven terminativen Verben eigen, während die 2. Partizipien der intransitiven kursiven Verben nur als Bildungskomponenten analytischer Formen fungieren. Vgl.:
[kommende Mensch / der gekommene Mensch
{gehende Mensch / —
{erwachende Mensch / der erwachte Mensch
(wachende Mensch / —
Im System der Partizipien der transitiven Verben überschneidet sich die Opposition: unvollzogen / vollzogen mit der starken Opposition; aktivisch / passivisch und wird daher zuweilen neutralisiert. Doch in der Regel tritt die Opposition: unvollzogen / vollzogen auch bei den Partizipien der transitiven Verben klar zutage. Vgl. die aspektuelle Bedeutung beim 2. Partizip eines terminativen transitiven Verbs: das gefundene Gepäck und die aspektfreie Bedeutung beim 2. Partizip eines kursiven transitiven Verbs: das gesuchte Gepäck,
Die Aussonderung von mutativen Verben ist speziell für die Perfekt- bzw. Plusquamperfektbildung relevant. Wie die Verben der Bewegung bilden auch die mutativen Verben ihr Perfekt bzw. Plusquamperfekt mit dem Hilfsverb sein. Vgl.; Er hat gewacht / ist erwacht; die Rose hat geblüht / ist erblüht,
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Die Unterscheidung von durativen und punktoellen, inchoativen (die Eingangsphase eines Geschehens bezeichnenden) und iterativen (die Wiederholung eines Geschehens angebenden) Verben ist ihrerseits besonders relevant für die Auseinanderhaltung einzelner Präsensbedeutungen, vgl. § 18.
3. Nach dem Charakter des Geschehens unterscheidet man Handlungsverben, Vorgangsverben, Zustandsverben, Geschehensverben (Ereignisverben) und Witterungsverben. Diese Klassifizierung wurde von Brinkmann vorgeschlagen [38,40] und ist sowohl für die Paradigmatik als auch für die Syntagmatik des Verbs relevant. Auch diese Klassifizierung ist trotz der stark ausgeprägten semantischen Seite eine strukturell-semantische, d. h. lexikalisch-grammatische. Anliegen des Verfassers ist es, die Wechselwirkung von Semantik des Verbs und seinen grammatischen Beschaffenheiten zu erschließen und das gesamte Klassifikationsschema durch Angabe der Strukturmerkmale jeder Verbklasse zu objektivieren. Besonders wertvoll ist, dass diese Einteilung die Notwendigkeit aufhebt, an jedem Verb ein mehrstufiges Klassifikationsverfahren vorzunehmen. Dies wird erreicht, indem dichotome (zweiteilige) Gegenüberstellungen (transitiv / intransitiv; persönlich / unpersönlich) durch eine fünfteilige Gesamtopposition ersetzt wird.
Unter Handlungsverben versteht Brinkmann Verben, die eine direkte Einwirkung auf ein Objekt bezeichnen. Das sind die transitiven Verben der herkömmlichen Grammatik mit ihren prägenden Merkmalen, der Passivbildung, der Perfekt- bzw. Plusquamperfektbildung mit haben, der Fähigkeit des 2. Partizips zur attributiven Verwendung.
Die zwei weiteren Klassen, Vorgangsverben und Zustandsverben entsprechen der Hauptmasse der traditionellen intransitiven Verben mit uneingeschränkter Abwandlung nach Person und Numerus. Die Vorgangsverben „drücken eine Veränderung in der Verfassung von Menschen und Dingen aus" (laufen, steigen, fallen), die Zustandsverben bezeichnen „eine bleibende Lage von Menschen und Dingen" (schlafen, ruhen, liegen, sitzen). Scheidungsmerkmal zwischen den beiden Klassen ist vor allem der abweichende Gehalt des Perfekts: mit Gegenwartsbezug bei Vorgangs- und Handlungsverben: er ist angekommen, d. h. er ist jetzt da — ohne Bezug auf die Gegenwart bei den Zustandsverben: Die Rose hat geblüht; Er hat geschlafen [40].
Die Geschehens- und Witterungsverben berühren sich äußerlich darin, dass ihre Formenbildung auf die 3. Pers. eingeschränkt ist. In allem anderen divergieren sie von Grund aus. Die Geschehensverben stellen „das Leben als Geschehen dar", ihr Subjekt ist immer ein Vorgangsbegriff (gelingen, mis-slingen, sich ereignen, passieren). Die Witterungsverben haben überhaupt kein Subjekt (es regnet, blitzt, donnert, stürmt). Sie sind unpersönliche Verben und die Kategorien der Person und des Numerus sind bei ihnen neutralisiert.
Die Fähigkeit zur Passivbildung unterscheidet die Handlungsverben von allen anderen Verben und liegt zugrunde der Unterscheidung von transitiven und intransitiven Verben. Mit der Transitivität sind auch manche andere grammatische Regularitäten verbunden (s. o. S, 125 ff), Daher bleibt die Transiti-
vität auch angesichts der neuen Klassifizierungen ein wichtiges Charakteri-stikum der Verben.
Die einzelnen Klassifikationsaspekte der strukturell-semantischen Klassifikation überschneiden sich, so dass jedes Verb in mehrere Klassen zugleich eingereiht werden muss:
Vollverb intransitiv persönlich kursiv
§ 19. Die Valenz der Verben
Ein neuer Aspekt der Einteilung der Verben ist die Gruppierung der Verben nach der Valenz [120, 257]. Auch diese Einteilung ist eine strukturellsemantische, da sie die Semantik der Verben und ihre syntagmatischen Potenzen in Verbindung setzt.
Die Einteilung der Verben nach der Valenz widerspricht nicht den oben geschilderten Klassifikationen, überschneidet sich vielmehr mit ihnen, ist aber in erster Linie auf die Syntagmatik orientiert und bildet heute eine der Grundlagen der Theorie der Satzmodellierung.
Unter Valenz (Fügungspotenz, Wertigkeit) des Verbs versteht man die Fähigkeit des Verbs, eine bestimmte Anzahl von Leerstellen um sich zu eröffnen, d, h. die Zahl und die Art der Aktanten („Mitspieler") zu bestimmen, die das notwendige Minimum des Satzes bilden. So enthalten z. B. die Sätze *kh heiße, +/сЛ gebe nicht das notwendige Satzminimum, sind falsch oder „ungrammatisch", daher mit+ gekennzeichnet. Das Verb heißen eröffnet im Satz zwei Leerstellen, die durch Aktanten besetzt werden müssen; die erste Leerstelle wird durch ein Substantiv bzw. Pronomen besetzt, z, B. Ich heiße Anna. Das Verb geben eröffnet im Satz entsprechend den an dem betreffenden Satzverhalt notwendigerweise beteiligten Personen und Gegenständen drei Leerstellen: Ich gebe es dir. In diesen Fällen ist die Besetzung der Leerstellen obligatorisch. Die Valenz des Verbs kann auch fakultativen Charakter haben, vgl. Alle singen (das Lied) vtit. Zum Verhältnis von Struktur und Semantik schreiben Heibig und Schenkel: „Es besteht kein Zweifel daran, daß... die Valenz- und Distributionsbeziehungen im Allgemeinen ein formaler Reflex semantischer Gegebenheiten sind" [120].
Als „Satzzentrum" besitzt das Verb eine zweifache Valenz: a) die sog. linksgerichtete Valenz (das Subjekt des Satzes), b) die sog. rechtsgerichtete Valenz (Objekte bzw. obligatorische Umstandsergiinzungen). Eine ähnliche Unterscheidung macht auch Erben: „Von der Art und Wertigkeit des Verbs... hängt es wesentlich ab, welche und wie viele Ergänzungsbestimmungen im Vor- und Nachfeld auftreten und das Satzschema ausgestalten" [60],
Erben zählt mit Recht zu den obligatorischen Ergänzungen des Verbs im Satz nicht nur das Subjekt und die Objekte, sondern auch die sinnnotwendigen Umstandsergiinzungen. Vgl. Er schleudert ihm den Handschuh ins Gc-
sieht. Dementsprechend unterscheidet er ein-, zwei-, drei- und vierwertige Verben (ebenda).
Die neueste, sowohl theoretische als auch auf den Fremdsprachenunterricht orientierte Untersuchung der Valenz deutscher Verben ist das von Heibig und Schenkel verfasste „Wörterbuch zur Valenz und Distribution deutscher Verben". Die Verfasser definieren die Valenz als „die Fähigkeit des Verbs, bestimmte Leerstellen um sich herum durch obligatorische oder fakultative Mitspieler zu besetzen" [120]. Bei der Charakteristik der Verben hinsichtlich der Valenz beschränken sie sich nicht auf die Bestimmung der Zahl der Aktanten, sondern sie entwickeln ein dreistufiges Beschreibungsmodell, das auch den Charakter der Aktanten erschließen hilft. Auf Stufe I wird die Anzahl der Aktanten festgelegt, z. B. erwarten2, гаиЪеп2щ^з- Das bedeutet, dass das Verb erwarten ein zweiwertiges Verb mit zwei obligatorischen Aktanten ist, das Verb rauben ein dreiwertiges Verb mit zwei obligatorischen Aktanten und einem fakultativen Aktanten. Auf Stufe II wird die syntaktische Form der Aktanten bestimmt, z. B. erwarten Sn, Sa. Auf Stufe П1 werden die Aktanten aus semantischer Sicht charakterisiert, es werden alle semantischen Umgebungen erschlossen, in denen das betreffende Verb vorkommen kann: „So kann Sa bei „trinken" nur das Merkmal „flüssig", Sn bei „fahren" •— wenn es nicht Hum (= menschlich) ist — nur das Merkmal „Fahrzeug", Sn bei „eingehen" (in der Bedeutung,kürzer werden') nur das Merkmal „Textilien" haben" [120].
Zur Wechselbeziehung von Lexikalischem und Syntagmatischem s. besonders die Theorie der logischen, semantischen und syntaktischen Valenz [257].
Дата добавления: 2015-08-05; просмотров: 603 | Нарушение авторских прав
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