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Analytik des Erkenntnißvermögens. 3 страница

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(Cap. 35.)

Der freie unbegrenzte Blick durch das absolut durchsichtige Element ist also die Ursache, daß Jeder, der genialste, wie der beschränkteste Mensch,

sich niemals eine Vorstellung davon machen kann, daß kein Raum sei, ob er sich gleich ganz wohl denken kann, daß keine Gegenstände darin angetroffen werden.

Indessen, wir wollen nicht voreilig urtheilen. Sollten die Luft und die perverse Vernunft wirklich hinreichen, den unendlichen Raum zu erzeugen? Gewiß nicht! Nur auf Grund einer apriorischen Form können sie es. Welche ist aber diese? Wir werden sie gleich finden.

Jetzt müssen wir erst zur Frage zurückkehren, ob der Raum die Verbindung eines Mannigfaltigen a priori sein könne? Wir haben bereits gesehen, daß uns Kant völlig im Unklaren darüber läßt, welche Theile des Raumes a priori zu verbinden sind. Wir fragen also: Kann überhaupt vor aller Erfahrung die Vorstellung irgend einer Räumlichkeit in uns sein, oder mit anderen Worten, können wir zur Anschauung irgend einer Räumlichkeit gelangen, ehe wir Gegenstände gesehen oder befühlt haben? Die Antwort hierauf ist: nein! es ist nicht möglich. Der Raum liegt entweder als reine unendliche Anschauung, vor aller Erfahrung, in mir, oder er wird a posteriori, auf empirischem Wege, gefunden; denn es ist ebenso schwer die allerkleinste Räumlichkeit, als reine Anschauung a priori, in die Sinnlichkeit zu legen, wie den unendlichen Raum. Ist dies aber der Fall, so wäre es die thörichteste Quälerei, erst durch Synthesis gleichartiger Theile mühevoll zu erlangen, was ich als Ganzes sofort haben kann.

i392 Hierin liegt auch der Grund, warum Kant den Raum in der transscendentalen Aesthetik ohne Weiteres als reine Anschauung hinstellt und ihn nicht erst durch eine Verbindung von Räumen entstehen läßt, wodurch außerdem die Synthesis in die Sinnlichkeit gekommen wäre, während sie nur eine Function des Verstandes, resp. der blinden Einbildungskraft sein soll.

Ist nun der unendliche Raum nur durch die Synthesis eines a priori gegebenen Mannigfaltigen zu erzeugen; ist es dagegen ebenso unmöglich einen Theilraum vor aller Erfahrung in uns vorzufinden, wie den ganzen Raum, so folgt, daß der unendliche Raum a priori gar nicht erzeugt werden kann, daß es keinen Raum, als reine Anschauung a priori, giebt.

Ich fasse zusammen: Es giebt, unseren Untersuchungen gemäß, weder einen unendlichen Raum außerhalb meines Kopfes, in welchem die Dinge eingeschlossen wären, noch giebt es einen unendlichen Raum in meinem Kopfe, der eine reine Anschauung a priori wäre. Ebenso giebt es keine Einschränkungen des Raums, Räumlichkeiten, außerhalb meines Kopfes. Dagegen giebt es einen unendlichen Raum in meinem Kopf (erlangt durch Synthesis eines a posteriori gegebenen Mannigfaltigen, von dessen Wirksamkeit abstrahirt wurde), welcher nach außen verlegt wird. Ich habe also einen auf empirischem Wege, von der perversen Vernunft gewonnenen unendlichen Phantasieraum. Ebenso habe ich dessen Einschränkungen, also Räumlichkeiten von beliebiger Größe, Phantasieräume.

Kant hat demnach in der transcendentalen Aesthetik, wie ich auf der ersten Seite dieser Kritik gleich bemerkte, nichts weiter gethan, als den nach außen verlegten Phantasieraum, der gewöhnlich für einen unabhängig vom Subjekt existirenden objektiven Raum gehalten wird, definitiv in unseren Kopf versetzt. Hierdurch hat er die Dinge an sich vom Raume befreit, was eben sein unsterbliches Verdienst ist. Sein Fehler war, daß er bestritt, der unendliche Raum sei empirischen Ursprungs, und daß er ihn, als reine Anschauung, vor aller Erfahrung, in unsere Sinnlichkeit legte. Ein zweites Verdienst ist, daß er in der transscendentalen Analytik den Raum als Form vom Raume als Gegenstand (reine Anschauung) unterschied. Verwickelte er sich auch dadurch in einen unlösbaren Widerspruch mit der Lehre der transscendentalen Aesthetik, so zeigte |

i393 er doch, daß er das Problem des Raumes bis zum Grunde durchschaut hatte und gab etwaigen Nachfolgern einen unschätzbaren Hinweis auf den richtigen Weg. Diesem Hinweise wollen wir jetzt folgen.

Was ist der Raum, als Form der Anschauung, die (wir bleiben einstweilen noch im Gedankengange Kant’s) a priori in unserer Sinnlichkeit liegt?

Negativ ist die Frage bereits beantwortet: der Raum, als Form der Anschauung, ist nicht der unendliche Raum. Was ist er nun? Er ist, allgemein ausgedrückt, die Form, wodurch Gegenständen die Grenze ihrer Wirksamkeit gesetzt wird. Dadurch ist er die Bedingung der Möglichkeit der Anschauung und seine Apriorität über allen Zweifel festgestellt. Wo ein Körper aufhört zu wirken, da setzt ihm der Raum die Grenze. Zwar könnte auch die specielle Wirksamkeit eines Körpers (seine Farbe) ihm die Grenze setzen (vom Getast sehe ich ab), aber dies würde nur nach der Höhe und Breite geschehen können, und alle Körper würden nur als Flächen erkannt, sowie auch alle diese in meinem Gesichtsfeld befindlichen Flächen nebeneinander rücken würden und ihr Abstand von mir =0 wäre. Sie lägen gleichsam auf meinen Augen. Vermittelst der Tiefendimension des Raumes aber bestimmt der Verstand (nach Schopenhauer’s meisterhafter Darstellung), auf Grund der minutiösesten Daten, die Tiefe der Gegenstände, ihren Abstand von einander u.s.w.

Diese Form ist unter dem Bilde eines Punktes zu denken, der die Fähigkeit hat, sich nach den drei Dimensionen in unbestimmte Weite (in indefinitum) zu erstrecken. Es ist ihr ganz gleich, ob die Sinnlichkeit sie um ein Sandkorn legt oder um einen Elephanten, ob ihre dritte Dimension zur Bestimmung der Entfernung eines 10 Fuß von mir stehenden Objekts oder des Mondes benutzt, ob sie nach allen Dimensionen gleich weit, oder gleichzeitig, oder sonst wie angewendet wird. Sie ist selbst keine Anschauung, vermittelt aber alle Anschauung, wie das Auge sich selbst nicht sieht, die Hand sich selbst nicht ergreifen kann.

Hierdurch wird klar, wie wir zum Phantasieraum kommen. Durch Erfahrung lernen wir den Punkt-Raum gebrauchen – sonst würde er wie todt in uns liegen – und es ist in das Belieben des Subjekts gestellt, ihn nach drei Dimensionen, ohne ihm einen Gegenstand zu geben, so weit es will, auseinander treten zu lassen. Auf |

i394 diese Weise durchstiegen wir»unendliche Himmelsräume«ohne Inhalt, und dringen immer ungehindert weiter vor. Ohne diese stets bereit liegende Form, würde die perverse Vernunft nie, auf Grund des unbegrenzten Blicks in die Weite, den unendlichen Raum herstellen können. Beruht ja doch die Möglichkeit des unbegrenzten Blicks schon auf der apriorischen Form Raum (Punkt-Raum). – Ich will noch bemerken, daß die richtige Anwendung des Raumes ein langes ernstes Studium erfordert. Kleine Kinder greifen nach Allem, nach dem Mond, wie nach Bildern an der Wand. Alles schwebt dicht vor ihren Augen: sie haben eben noch nicht den Gebrauch der dritten Dimension erlernt. Das Gleiche hat man, wie bekannt, an operirten Blindgeborenen beobachtet.

Die Consequenzen, welche der Punkt-Raum gestattet, sind außerordentlich wichtig. Ist nämlich der unendliche Raum eine reine Anschauung a priori, so ist ganz zweifellos, daß dem Ding an sich keine Ausdehnung zukommt. Um dies einzusehen, bedarf es nur eines ganz kurzen Besinnens; denn es ist klar, daß in diesem Falle jedes Ding seine Ausdehnung nur leihweise vom alleinen unendlichen Raum hat. Ist der Raum dagegen keine reine Anschauung, sondern nur eine Form für die Anschauung, so beruht die Ausdehnung nicht auf dem Raume, sondern nur die Wahrnehmbarkeit, die Erkenntniß der Ausdehnung hängt von der subjektiven Form ab. Giebt es also irgend einen Weg zum Ding an sich (was wir jetzt noch nicht zu untersuchen haben), so ist es sicherlich auch ausgedehnt, d.h. es hat eine Wirksamkeitssphäre, obgleich der Raum a priori, als subjektive Form, in uns liegt.

—————

In Betreff der Zeit sind die Fragen dieselben.

1) Wird die Zeit durch die Synthesis des Mannigfaltigen, welches die Sinnlichkeit in ihrer ursprünglichen Receptivität darbietet, erzeugt? oder

2) entsteht sie durch die Synthesis eines Mannigfaltigen, welches die Sinnlichkeit a posteriori darbietet?

Kant sagt:

Die Zeit bestimmt das Verhältniß der Vorstellungen in unserem inneren Zustande.

(Kk. 72.)

i395 Der innere Zustand ist es also, den wir zum Stützpunkte nehmen müssen. Blicken wir in uns, unter der Voraussetzung, daß uns die Außenwelt noch gänzlich unbekannt sei und keinen Eindruck auf uns mache, sowie auch, daß unser Inneres uns gar keinen Wechsel darböte, so würden wir so gut wie todt, oder im tiefsten traumlosen Schlafe befangen sein, und eine Vorstellung der Zeit würde nie in uns entstehen. Die ursprüngliche Receptivität der Sinnlichkeit kann uns also auch nicht das allergeringste Datum zur Erzeugung der Zeit geben, wodurch die erste Frage verneinend beantwortet wird.

Denken wir uns jetzt einen Wechsel von Empfindungen in uns, ja nur die Wahrnehmung unserer Athmung, die regelmäßig auf die Einziehung der Luft folgende Ausstoßung, so haben wir eine Menge erfüllter Momente, die wir miteinander verbinden können. Also nur eine erfüllte Zeit ist wahrnehmbar, und eine Erfüllung der Momente ist nur durch Daten der Erfahrung möglich. Es wird Niemandem einfallen, zu sagen, daß unsere inneren Zustände nicht zur Erfahrung gehörten und nicht a posteriori gegeben würden.

Wie entsteht aber die unendliche Zeit, die doch wesentlich inhaltslos gedacht wird? In ähnlicher Weise wie der unendliche Raum. Das denkende Subjekt abstrahirt vom Inhalt jedes Augenblicks. Der seines Inhalts beraubte Uebergang von Gegenwart zu Gegenwart ist die Einheit, welche der Einbildungskraft zur Synthesis übergeben wird. Da aber ein leerer Augenblick in keiner Weise ein Gegenstand der Anschauung ist, so borgen wir vom Raume

und stellen die Zeitfolge durch eine in’s Unendliche fortgehende Linie vor, welche das Mannigfaltige einer Reihe ausmacht, die nur von einer Dimension ist, und schließen aus den Eigenschaften dieser Linie auf alle Eigenschaften der Zeit, außer dem einigen, daß die Theile der ersteren zugleich, die der letzteren aber jederzeit nach einander sind.

(Kk. 72.)

A posteriori läßt sich demnach eine unendliche Zeit construiren, d.h. wir haben keine bestimmte Anschauung derselben, sondern nur die Gewißheit, daß der Fortgang der Synthesis nirgends gehemmt sein wird. Aber wir fragen hier, wie beim Raume, sind wir zu einer solchen Synthesis befugt? Nicht die denkbar kleinste Zeit kann |

i396 uns von der Erfahrung unerfüllt geliefert werden. Versuche es doch Jeder einmal, sich einen leeren Moment zu verschaffen. Man werfe Alles aus dem raschesten Uebergang von Gegenwart zu Gegenwart heraus, so hat man wenigstens diese kleinste Zeitgröße denkend erfüllt.

Wir schließen jetzt wie beim Raume. Ist die unendliche Zeit nur durch die Synthesis eines a priori gegebenen Mannigfaltigen zu erzeugen; findet sich aber in unserer ursprünglichen Sinnlichkeit auch nicht die kleinste unerfüllte Zeit, so kann die unendliche Zeit a priori nicht erzeugt werden, sie kann also nicht, als reine Anschauung a priori, in unserer Sinnlichkeit liegen.

Es giebt hiernach weder eine unendliche Zeit außerhalb meines Kopfes, die die Dinge verzehrte, noch giebt es eine unendliche Zeit in meinem Kopfe, die eine reine Anschauung a priori wäre. Dagegen giebt es eine unendliche Zeit (Bewußtsein einer ungehinderten Synthesis) in meinem Kopfe, gewonnen durch Verbindung der a posteriori gegebenen erfüllten Momente, die ihres Inhalts gewaltsam beraubt wurden.

Wir haben also eine auf empirischem Wege erschlichene unendliche Phantasiezeit, deren Wesen durch und durch Succession ist, und die Alles, was lebt, die Gegenstände sowohl, wie unser Bewußtsein, in rastlosem Gange mit sich fortreißt.

Kant bannte diese unendliche Zeit in unseren Kopf, d.h. er nahm die Dinge an sich aus ihr heraus, er befreite sie von der Zeit. Diesem großen Verdienst steht die Schuld gegenüber, daß er die Zeit, als reine Anschauung a priori, in unsere Sinnlichkeit legte. Ein zweites Verdienst war, daß er die Zeit als Form von der Zeit als Gegenstand (unendliche Linie) unterschied.

Und jetzt stehen wir wieder vor der wichtigen Frage: Was ist die Zeit, als Form der Anschauung, die a priori in unserer Sinnlichkeit liegt? Negativ ist sie bereits beantwortet. Die Zeit, als Form der Anschauung, ist nicht die unendliche Zeit. Was ist sie nun? Als Form der Sinnlichkeit könnte sie nur die Gegenwart sein, ein Punkt, wie der Raum, ein Punkt, der immer wird und doch immer ist, ein fortrollender, ein fließender Punkt.

Als reine Gegenwart aber hat die Zeit gar keinen Einfluß auf die Anschauung oder, wie Kant sagt:

i397 Die Zeit kann keine Bestimmung äußerer Erscheinungen sein; sie gehört weder zu einer Gestalt noch Lage.

(Kk. 72.)

Ich spreche es deshalb auch unumwunden aus: die Zeit ist keine Form der Sinnlichkeit.

Wie wir uns erinnern werden, brachte sie Kant auf einem Umwege dahin, indem er erklärt:

Alle Vorstellungen, sie mögen nun äußere Dinge zum Gegenstand haben oder nicht, gehören doch, an sich selbst, als Bestimmungen des Gemüths, zum inneren Zustand,

welcher unter die formale Bedingung der Zeit fällt. Der innere Zustand ist aber niemals eine Anschauung, sondern Gefühl, und wo dieses, die innere Bewegung, den Geist berührt, da eben liegt der Punkt der Gegenwart.

Hierdurch fällt ein eigenthümliches Licht auf die ganze transscendentale Analytik. In ihr wird die Sinnlichkeit nicht abgehandelt; das besorgte die Aesthetik. Nur das Mannigfaltige der Sinnlichkeit, der Stoff für die Kategorien, wandert in die Analytik hinüber, um verbunden und verknüpft zu werden. Die Analytik selbst handelt lediglich vom Verstand, den Kategorien, der Synthesis, der Einbildungskraft, dem Bewußtsein, der Apperception und immer und immer wieder von der Zeit. Die transscendentalen Schemata sind Zeitbestimmungen, die Erzeugung extensiver und intensiver Größen geschieht im Fortgang in der Zeit, die Analogien der Erfahrung ordnen sämmtliche Erscheinungen nach ihrem Verhältnisse in der Zeit, deren modi Beharrlichkeit, Folge und Zugleichsein sein sollen. Darum sagte ich oben: wir mögen was immer für eine Seite der Analytik aufschlagen, so werden wir die Synthesis eines Mannigfaltigen und die Zeit antreffen, und nannte beide die unvergängliche Krone auf dem Leichnam der Kategorien. Wie kommt es, daß Kant die Analytik nicht ohne eine Form der Sinnlichkeit, ohne die Zeit, zu Stande bringen konnte? Eben weil die Zeit keine Form der Sinnlichkeit, überhaupt keine apriorische ursprüngliche Form, sondern einzig und allein eine Verbindung der Vernunft ist. Hiervon werde ich später ausführlich reden; denn die Stelle, wo wir jetzt stehen, ist die geeignetste, um Schopenhauer einzuführen, den einzigen geistigen Erben Kant’s.

—————

i398 Schopenhauer’s Stellung der transscendentalen Aesthetik und Analytik gegenüber ist: unbedingte Anerkennung jener, unbedingte Verwerfung dieser. Beides ist nicht zu billigen.

Der unendliche Raum und die unendliche Zeit, die reinen Anschauungen a priori, acceptirte er kritiklos, ohne Weiteres, als Anschauungsformen, und die strenge Unterscheidung Kant’s der Formen von den Anschauungen in der Analytik ignorirte er vollständig. Es war für ihn eine ausgemachte Sache, daß Raum und Zeit vor aller Erfahrung, als Anschauungsformen, in unserem Erkenntnißvermögen liegen. Er leugnete deshalb, mit Kant, die Erkennbarkeit des Dinges an sich, zwischen welchem und dem erkennenden Subjekt immer diese Formen stehen, denen gemäß die sinnlichen Eindrücke verarbeitet werden.

Trotzdem hat er, mit höchster menschlicher Besonnenheit, einen Theil der Erkenntnißtheorie Kant’s verbessert und seine Verbesserungen unwiderleglich begründet. Die erste Frage, die er sich vorlegte, war:»Wie kommen wir überhaupt zu Anschauungen äußerer Gegenstände? wie entsteht diese ganze, für uns so reale und wichtige Welt in uns?«Er nahm mit Recht Anstoß an dem nichtssagenden Ausdruck Kant’s:»das Empirische der Anschauung wird von Außen gegeben.«Diese Frage ist überaus verdienstvoll; denn Nichts scheint uns selbstverständlicher, als die Entstehung von Objekten. Sie sind gleichzeitig mit dem Aufschlag der Augenlider da; welcher complicirte Vorgang in uns soll denn stattfinden, um sie allererst zu erzeugen.

Schopenhauer ließ sich von dieser Gleichzeitigkeit nicht beirren. Wie Kant, ging er von der Sinnesempfindung aus, welche der erste Anhaltspunkt auf subjektivem Boden für die Entstehung von Anschauungen ist. Er betrachtete sie genau und fand, daß sie allerdings gegeben ist, aber die Anschauung nicht, wie Kant will, in den Sinnen entstehen kann; denn

die Empfindung jeder Art ist und bleibt ein Vorgang im Organismus selbst, als solcher aber auf das Gebiet unterhalb der Haut beschränkt, kann daher, an sich selbst, nie etwas enthalten, das jenseit dieser Haut, also außer uns läge.

(4fache W. 51.)

Soll die Empfindung Anschauung werden, so muß der Verstand in Thätigkeit treten und seine einzige und alleinige Funktion, das Gesetz der Causalität, ausüben:

i399 er nämlich faßt, vermöge seiner selbsteigenen Form, also a priori, d.i. vor aller Erfahrung (denn diese ist bis dahin noch nicht möglich), die gegebene Empfindung des Leibes als eine Wirkung auf (ein Wort, welches er allein versteht,) die als solche nothwendig eine Ursache haben muß.

(4fache W. 52.)

Das Causalitätsgesetz, die apriorische Funktion des Intellekts, die er so wenig erst zu erlernen braucht, wie der Magen das Verdauen, ist also nichts weiter, als der Uebergang von der Wirkung im Sinnesorgan zur Ursache. Ich bitte dies wohl zu merken, da Schopenhauer das einfache Gesetz, wie wir später sehen werden, nach verschiedenen Richtungen verbiegt und ihm offenbar Gewalt anthut, nur um Kant’s ganze transscendentale Analytik verwerfen zu können.

Schopenhauer fährt fort:

Zugleich nimmt er die ebenfalls im Intellekt, d.i. im Gehirn, prädisponirt liegende Form des äußeren Sinnes zu Hülfe, den Raum, um jene Ursache außerhalb des Organismus zu verlegen: denn dadurch erst entsteht ihm das Außerhalb.

Diese Verstandesoperation ist jedoch keine discursive, reflective, in abstracto, mittelst Begriffen und Worten, vor sich gehende; sondern eine intuitive und ganz unmittelbare. Denn durch sie allein, mithin im Verstande und für den Verstand, stellt sich die objektive, reale, den Raum in drei Dimensionen füllende Körperwelt dar, die alsdann, in der Zeit, demselben Causalitätsgesetze gemäß, sich ferner verändert und im Raume bewegt.

(4fache W. 52.)

Demnach hat der Verstand die objektive Welt zu erschaffen, und unsere empirische Anschauung ist eine intellektuale, keine bloß sensuale.

Im Weiteren begründet Schopenhauer die Intellektualität der Anschauung siegreich (Aufrechtstellung des auf der Retina befindlichen verkehrten Bildes; einfaches Sehen des doppelt Empfundenen, in Folge der getroffenen gleichnamigen Stellen; Doppeltsehen durch Schielen; Doppeltfühlen eines Objekts mit gekreuzten Fingern) und führt meisterhaft aus, wie der Verstand die bloß planimetrische Empfindung, mit Hülfe der dritten Dimension des Raumes, zur stereometrischen Anschauung umarbeitet, indem er zunächst, aus den |

i400 Abstufungen von Hell und Dunkel, die einzelnen Körper construirt und ihnen dann ihren Ort, d.h. ihre Entfernungen von einander, mit Benutzung des Sehewinkels, der Linearperspective und Luftperspective, bestimmt.

Nach Schopenhauer sind also die Kantischen reinen Anschauungen, Raum und Zeit, keine Formen der Sinnlichkeit, sondern Formen des Verstandes, dessen alleinige Funktion das Causalitätsgesetz ist. An diese Verbesserung der Erkenntnißtheorie Kant’s schließt sich die andere, daß er die intuitive Erkenntniß von der abstrakten, den Verstand von der Vernunft trennte; denn dadurch wurde unsere Erkenntniß von den reinen Begriffen a priori befreit, einem überaus schädlichen und verwirrenden, ohne Berechtigung hineingetriebenen Keil.

Bei Kant schaut die Sinnlichkeit an, denkt der Verstand (Vermögen der Begriffe und Urtheile), schließt die Vernunft (Vermögen der Schlüsse und Ideen); bei Schopenhauer liefern die Sinne nur den Stoff zur Anschauung (obgleich er auch den Sinnen Anschauungsfähigkeit zuspricht, wovon später), schaut der Verstand an, denkt die Vernunft (Vermögen der Begriffe, Urtheile und Schlüsse). Die Vernunft, deren alleinige Funktion die Bildung des Begriffs, nach Schopenhauer, ist, trägt Nichts zur Herstellung der phänomenalen Welt bei. Sie wiederholt diese nur, spiegelt sie nur, und es tritt neben die intuitive Erkenntniß die von ihr durchaus verschiedene reflektive.

Die anschauliche und, dem Stoffe nach, empirische Erkenntniß ist es, welche die Vernunft, die wirkliche Vernunft, zu Begriffen verarbeitet, die sie durch Worte sinnlich fixirt und dann an ihnen den Stoff hat zu ihren endlosen Combinationen, mittelst Urtheilen und Schlüssen, welche das Gewebe unserer Gedankenwelt ausmachen. Die Vernunft hat also durchaus keinen materiellen, sondern bloß einen formellen Inhalt.

(4fache W. 109.)

Den materiellen Inhalt muß die Vernunft, bei ihrem Denken, schlechterdings von außen nehmen, aus den anschaulichen Vorstellungen, die der Verstand geschaffen hat. An diesen übt sie ihre Funktionen aus, indem sie, zunächst Begriffe bildend, von den verschiedenen Eigenschaften der Dinge Einiges fallen läßt und Anderes behält und es nun verbindet zu einem Begriff. Dadurch |

i401 aber büßen die Vorstellungen ihre Anschaulichkeit ein, gewinnen jedoch dafür an Uebersichtlichkeit und Leichtigkeit der Handhabung. – Dies also, und dies allein, ist die Thätigkeit der Vernunft: hingegen Stoff aus eigenen Mitteln liefern kann sie nimmermehr.

(4fache W. 110.)

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Ehe wir weiter gehen, habe ich eine Bemerkung zu machen. Schopenhauer ist, von Kant abgesehen, meiner Ueberzeugung nach, der größte Philosoph aller Zeiten. Er hat der Philosophie eine ganz neue Bahn gebrochen und sie kräftig weitergeführt, beseelt vom redlichen freien Streben, das Menschengeschlecht der Wahrheit näher zu bringen. Aber in seinem System liegen die unvereinbarsten Widersprüche in solcher Menge, daß es schon eine große Aufgabe ist, sie nur flüchtig zu beleuchten. Wesentlich erschwert wird diese Arbeit dadurch, daß er sich nicht streng an seine eigenen Definitionen hält und dieselbe Sache erst richtig, dann falsch bezeichnet. Da wir jetzt wissen, was er unter Verstand und Vernunft versteht, und gerade bei diesen Erkenntnißvermögen sind, so wird es gut sein, ihre Functionen von ihren Formen zu sondern, welche Schopenhauer ganz willkürlich vermengt.

Vierfache Wurzel Seite 51 ist der Verstand selbst eine Function und das Causalitätsgesetz seine einzige Form; S. 57 ist dagegen das Causalitätsgesetz die einfache Function des Verstandes; W. a. W. u. V. I. 535 ist das Causalitätsgesetz Form und Function. Das Richtige ist, daß das Causalitätsgesetz die Function, Raum und Zeit die Formen (Schopenhauer’s Lehre gemäß) des Verstandes sind. Ebenso macht er es bei der Vernunft. W. a. W. u. V. I. 531 ist die einzige Function der Vernunft die Bildung des Begriffs, während es ebenda S. 539 heißt:

Die ganze reflektive Erkenntniß hat nur eine Hauptform und diese ist der abstrakte Begriff.

Nur das Erstere ist richtig, die Form der Vernunft fehlt in seinem System.

—————

Der Verstand also, vermittelst seiner Function (Causalitätsgesetz) und seiner Formen (Raum und Zeit) bringt, auf Grund der Veränderungen in den Sinnesorganen, die anschauliche Welt hervor, |

i402 und die Vernunft zieht aus diesen empirischen Anschauungen ihre Begriffe. Schopenhauer mußte hiernach die ganze Analytik Kant’s verwerfen. Vom Standpunkte des Verstandes aus durfte er die Synthesis des Mannigfaltigen nicht gelten lassen, weil der Verstand, ohne Hülfe der Vernunft, die Anschauung zu Wege bringt; vom Standpunkte der Vernunft mußte er die Kategorien angreifen, weil Begriffe nur auf der empirischen Anschauung beruhen und deshalb ein Begriff a priori eine contradictio in adjecto ist. Die Synthesis aber und die Kategorien bilden den Inhalt der Analytik.

Der Verwerfung der Kategorien, als reiner Begriffe a priori, schließe ich mich unbedingt an: ein Begriff a priori ist unmöglich; dagegen ist es falsch, daß der Verstand, ohne Hülfe der Vernunft, die anschauliche Welt construiren kann.

Ehe ich diese Ansicht begründen kann, welche den unumstößlich richtigen Theil der transscendentalen Analytik, die Synthesis des Mannigfaltigen der Anschauung, auf ihrer Seite hat, muß ich die Vernunft und überhaupt sämmtliche Erkenntnißvermögen erklären.

Die Vernunft hat eine Function und eine Form. Schopenhauer giebt ihr keine Form und eine Function, welche ihr Wesen nicht ganz umfaßt. Er setzt ihre Function in die Bildung des Begriffs; ich sage dagegen: die Function der Vernunft ist schlechtweg Synthesis, ihre Form die Gegenwart.

Sie hat drei Hülfsvermögen. Erstens das Gedächtniß. Seine Function ist: Bewahrung aller Eindrücke auf den Geist, so lange als möglich. Das zweite Hülfsvermögen ist die Urtheilskraft. Ihre Function ist: Zusammenstellung des Zusammengehörigen. Wir haben also 1) Zusammenstellung der zusammengehörigen Theilvorstellungen des Verstandes, 2) Zusammenstellung gleichartiger Objekte, 3) Zusammenstellung von Begriffen, den Denkgesetzen gemäß. Das dritte Hülfsvermögen ist die Einbildungskraft. Ihre Function ist lediglich, das verbundene Anschauliche als Bild festzuhalten.

Sämmtliche Erkenntnißvermögen, also Sinn, Verstand, Urtheilskraft, Einbildungskraft, Gedächtniß und Vernunft laufen in einem Centrum zusammen: dem Geiste (von Kant reine ursprüngliche Apperception und von Schopenhauer Subjekt des Erkennens genannt) dessen Function das Selbstbewußtsein ist. Alles läuft in seinem Centrum zusammen, und dagegen durchkreist er alle seine Vermögen |

i403 mit seiner Function und giebt ihnen zu ihren Handlungen Bewußtsein. Die Tafel des Geistes ist hiernach:

Aus den verschiedenen Abstufungen des Geistes ergiebt sich, daß die Aufstellung einzelner Erkenntnißvermögen durchaus kein müßiges Verfahren ist. Wo Sensibilität ist, da ist auch Geist, aber wie will man denn den Unterschied zwischen dem Geiste eines Thieres und dem eines Menschen besser bezeichnen als dadurch, daß man ganz bestimmte Geistesthätigkeiten jenem abspricht? Ohne Zerlegung des Geistes in seine einzelnen Thätigkeiten (Vermögen) wäre man auf ganz nichtssagende allgemeine Ausdrücke beschränkt, etwa, daß die Intelligenz dieses Thieres geringer sei als die eines anderen. Adoptirt man die Zerlegung, so kann man das Fehlende viel genauer bezeichnen und, so zu sagen, den Finger auf den Quellpunkt des Unterschiedes legen. Kant hatte mithin Recht, den Geist zu zerlegen; auch ist die Zerlegung geradezu nothwendig für die kritische Philosophie.

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Die Vernunft schreitet nun auf dem Gebiete des Verstandes zu zwei ganz verschiedenen Arten von Verbindungen, was Schopenhauer ganz übersehen hat. Er kennt nur die eine Art: Bildung des Begriffs; er kennt nicht die andere: Verbindung von Theilvorstellungen zu Objekten und Verknüpfung der Objekte unter einander.

Die zweite Art ist ursprünglich die erste, wir wollen aber die Bildung des Begriffs zuerst betrachten.


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