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Analytik des Erkenntnißvermögens. 11 страница

Lehren Kant’s und Schopenhauer’s. | Analytik des Erkenntnißvermögens. 1 страница | Analytik des Erkenntnißvermögens. 2 страница | Analytik des Erkenntnißvermögens. 3 страница | Analytik des Erkenntnißvermögens. 4 страница | Analytik des Erkenntnißvermögens. 5 страница | Analytik des Erkenntnißvermögens. 6 страница | Analytik des Erkenntnißvermögens. 7 страница | Analytik des Erkenntnißvermögens. 8 страница | Analytik des Erkenntnißvermögens. 9 страница |


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(W. a. W. u. V. I. 210.)

Hieraus erhellt, daß in der aesthetischen Contemplation der Wille gänzlich aus dem Bewußtsein eliminirt ist und der Intellekt sich völlig vom Willen, zur Führung eines selbständigen Lebens, losgerissen hat. Schopenhauer drückt dieses Verhältniß noch schärfer in dem Satze aus:

Die Idee schließt Objekt und Subjekt auf gleiche Weise in sich, da solche ihre einzige Form sind: in ihr halten sich aber beide ganz das Gleichgewicht: und wie das Objekt auch hier nichts als die Vorstellung des Subjekts ist, so ist auch das Subjekt, indem es im angeschauten Gegenstande ganz aufgeht, dieser Gegenstand selbst geworden, indem das ganze Bewußtsein nichts mehr ist, als dessen deutlichstes Bild.

(ib. 211.)

Es ist mit einem Worte eine mystische intellektuale Gemeinschaft.

Vom Standpunkte meiner Philosophie aus muß ich den geschilderten Vorgang verwerfen und kann nur den Ausgangspunkt richtig finden, den schon Kant gewählt hatte:

Geschmack ist das Beurtheilungsvermögen eines Gegenstands, oder eine Vorstellungsart durch ein Wohlgefallen oder Mißfallen, ohne alles Interesse.

(Kritik der Urtheilskraft 52.)

Die Bedingung der Möglichkeit einer aesthetischen Auffassung überhaupt ist, daß der Wille des erkennenden Subjekts in keiner interessirten Beziehung zum Objekt steht, d.h. schlechterdings kein Interesse an ihm hat, es weder begehrt, noch fürchtet. Es ist dagegen nicht nöthig, daß das Objekt aus seinen sonstigen Relationen herausgetreten sei. Ich halte die oben angeführte erste Erklärung Schopenhauer’s, welche die zweite ganz aufhebt, nämlich, daß die Idee, als das Resultat der Summe aller Relationen, der eigentliche Charakter des Dinges sei, fest. In seinen Relationen offenbart sich das Wesen eines Dinges an sich am klarsten. Der Charakter eines Tigers z.B. ist zwar in seiner ruhenden Gestalt ausgedrückt, aber nur theilweise. Weit vollkommener erkenne ich ihn, wenn ich das Thier in seiner Erregtheit, namentlich im Kampf mit anderen Thieren, sehe, kurz, in seinen Relationen zu anderen Dingen.

i502 In Betreff des willenlosen Erkennens habe ich nun Folgendes zu sagen. Ich erinnere daran, daß der Intellekt, meiner Philosophie gemäß, nichts Anderes ist, als die Function eines Organs, also ein Theil der dem Willen wesentlichen Bewegung. Die ganze Bewegung eines Dinges ist sein Leben und ist das dem Willen wesentliche Prädicat. Wille und Leben sind nicht zu trennen, nicht einmal in Gedanken. Wo Leben ist, ist Wille, wo Wille, da ist Leben. Die Bewegung des Willens ist nun eine unbedingt rastlose. Er will immerfort das Dasein auf seine individuelle Weise, aber die gerade Richtung wird immer abgelenkt durch den Einfluß der übrigen Individuen, und jeder Lebenslauf einer höheren Individualität ist eine Linie im Zickzack. Jeder befriedigte Wunsch erzeugt einen neuen Wunsch; kann dieser nicht befriedigt, werden, so entsteht sofort ein neuer neben ihm, dem, wenn er befriedigt wird, wieder ein anderer folgt. So eilt jedes Individuum, in unstillbarer Begierde nach Dasein, rast- und ruhelos weiter, herumgeworfen zwischen Befriedigung und Begierde, immer wollend, lebend, sich bewegend.

Tritt mithin während des Lebens nie ein Stillstand ein, so ist doch ein großer Unterschied zwischen den Bewegungen; nicht nur zwischen der Bewegung des einen und des anderen Individuums, sondern auch zwischen den Bewegungen eines und desselben Individuums. Kann auch kein Wesen dem allgemeinen Weltlauf voraneilen, so erfüllt es doch den Uebergang von Gegenwart zu Gegenwart mit einer verschiedenartigen Intensität des Wollens. Bald ist es leidenschaftlich erregt, bald müde, schlaff, träge.

In diesen letzteren Zuständen ist die Bewegung des Willens nach außen fast Null und nur die innere geht ihren stetigen Gang fort. Trotzdem liegt in solchen Zuständen kein Glück; denn der erschlaffte Wille beschäftigt sich unaufhörlich mit seinen Beziehungen zur Außenwelt, kurz, tritt aus seinen Relationen zu den Dingen, die irgend ein Interesse für ihn haben, nie ganz heraus.

Wie mit einem Schlage ändert sich aber das Verhältniß und der herrlichste Friede, die reinste Freude durchdringt die ruhig fließende Woge des Willens, wann das Subjekt, veranlaßt durch ein einladendes Objekt, in die aesthetische Betrachtung fällt und sich ganz interesselos in das Wesen des Objekts versenkt.

Es ist der schmerzenslose Zustand, den Epikuros als das höchste Gut und als den Zustand der Götter pries; denn wir sind, für |

i503 jenen Augenblick, des schnöden Willensdrangs entledigt, wir feiern den Sabbath der Zuchthausarbeit des Wollens, das Rad des Ixion steht still.

wie Schopenhauer wunderschön sagt. (W. a. W. u. V. I. 231.) Der Wille ist nicht aus dem Bewußtsein eliminirt; im Gegentheil, sein durch den Gegenstand hervorgerufener seliger Zustand erfüllt es ganz. Der Wille ruht auch nicht: er lebt ja, folglich bewegt er sich, aber alle äußere Bewegung ist gehemmt und die innere fällt nicht in’s Bewußtsein. So glaubt der Wille, er ruhe ganz, und aus dieser Täuschung entspringt seine unaussprechlich beglückende Befriedigung: ihm ist wohl wie den Göttern.

Der Intellekt an und für sich kann kein selbständiges Leben führen, wie Schopenhauer will; er empfindet weder Lust, noch Unlust, sondern durch ihn wird sich der Wille nur seiner Zustände bewußt. Es giebt nur Ein Princip und dieses Eine ist der individuelle Wille. Der Wille ist in der aesthetischen Contemplation ebenso Alles, wie im höchsten Zorn, der leidenschaftlichen Begierde. Der Unterschied liegt in seinen Zuständen allein.

Dieser glückliche Zustand des Willens in der aesthetischen Relation hat nun zwei Stufen.

Die erste ist die reine Contemplation. Das Subjekt, das sich seines Fortgangs in der Zeit nicht bewußt wird, betrachtet das aus der realen Entwicklung gleichsam herausgehobene Objekt. Das Objekt ist für das Subjekt und das Subjekt sich selbst, durch Täuschung, zeitlos. Dagegen wird das Subjekt weder zum Objekt (wie Schopenhauer lehrt), noch ist das Objekt frei von Raum und Materie. Die reine Contemplation wird am häufigsten hervorgerufen durch die Natur. Ein Blick in sie, und träfe er nur Felder, Wälder und Wiesen, erhebt sofort ein Individuum mit zarten Nerven über die schwüle Atmosphäre des gewöhnlichen Lebens. Ein Mensch von derberem Schlage wird seine persönlichen Zwecke durch einen solchen Blick schwerlich vergessen; aber ich wage zu sagen: stellt den rohesten und begehrlichsten Menschen auf das Felsenufer von Sorrento und die aesthetische Freude wird über ihn kommen wie ein schöner Traum. –

In zweiter Linie wird die aesthetische Contemplation erzeugt durch die Werke der Baukunst, Skulptur und Malerei, vorzugsweise durch monumentale Bauten und durch solche Bilder und plastische |

i504 Werke, die, als Ganzes, rasch erfaßt werden können und keine heftige Erregung ausdrücken. Sind die Figuren eines Bildes oder einer plastischen Gruppe zahlreich, oder dramatisch bewegt, so wird sich das Subjekt seiner Synthesis bewußt und dadurch selbst leicht unruhig, so daß die reine Contemplation nicht lange anhalten kann. Den Zeus von Otricoli, die Venus von Milo, die Danaide im Braccio Nuovo des Vaticans, oder eine Raphael’sche heilige Familie, kann man stundenlang betrachten, den Laokoon nicht.

Der Wille, im Zustand der reinen Contemplation, athmet so leise, wie das glatte, sonnige Meer.

Auf der zweiten Stufe wird der Wille durch einen Vorgang in der Welt, oder durch die Kunst, in entsprechende Schwingungen versetzt: es ist der Zustand der Mitempfindung, des Mitvibrirens. Wohnen wir einer erschütternden Scene in einer Familie bei, ohne unmittelbar von ihr berührt zu werden, ist sie für uns interesselos, aber interessant, so werden wir die Ausbrüche der Leidenschaft, das innige Flehen um Schonung etc. in uns nachempfinden. Ebenso wirkt Poesie und Musik, jedoch viel reiner als die realen Vorgänge, und man kann sagen: bei der Contemplation hat die Natur, bei dem aesthetischen Mitgefühl die Kunst den Vorrang.

Auf dieser Stufe ist das Objekt (Willensqualitäten und Zustände, dargestellt in Worten und Tönen) dem Raum und der Materie enthoben, aber ganz in der Zeit, und Mitempfindung ist ganz Succession.

Ich muß sonach das willenlose Erkennen geradeso verwerfen, wie die Ideenlehre Schopenhauer’s. Der aesthetische Zustand betrifft lediglich den Willen, der in diesem Zustand das Objekt, seinem individuellen Wesen nach, erkennt.

Hierdurch wird auch eine Schwierigkeit gelöst, welche Schopenhauer’s feinem Geiste nicht entgangen ist, welche er aber nicht aus dem Wege räumen konnte.

Zu jener postulirten Veränderung im Subjekt und Objekt ist nun aber die Bedingung, nicht nur, daß die Erkenntnißkraft ihrer ursprünglichen Dienstbarkeit entzogen und ganz sich selbst überlassen sei, sondern auch, daß sie dennoch mit ihrer ganzen Energie thätig bleibe, trotzdem, daß der natürliche Sporn ihrer Thätigkeit, der Antrieb des Willens, jetzt fehlt.

(Parerga II. 449.)

i505 Er fügt hinzu:»Hier liegt die Schwierigkeit und an dieser die Seltenheit der Sache.«Wäre der Wille gar nicht betheiligt, so würde überhaupt ein aesthetisches Erkennen nie möglich sein. – Die Seltenheit der Sache muß ich in Abrede stellen. Eine einigermaßen gut ausgestattete Natur versinkt leicht und oft in die aesthetische Contemplation.

—————

Das dritte Gebrechen der Aesthetik Schopenhauer’s entspringt aus der falschen Eintheilung der Natur, deren verklärte Spiegelung der Zweck aller Kunst ist. Wie wir wissen, löschte er alle besonderen Wirkungsarten der unorganischen Kräfte gewaltsam aus und erschlich sich auf diese Weise eine objektive Materie, an der sich die untersten Objektivationen des Willens offenbaren. Diese wechseln in der Aesthetik nur den Namen und heißen jetzt die untersten Ideen. Er spricht von der Idee der Schwere, der Starrheit, der Cohäsion, der Härte u.s.w. und legt der Baukunst, als schöner Kunst, keinen anderen Zweck unter, als einige von jenen Ideen zu deutlicher Anschauung zu bringen.

Ich verwerfe das Eine und das Andere. Meine Philosophie kennt nur Ideen des Eisens, Marmors u.s.w. und hat gewiß die Wahrheit auf ihrer Seite. Zweitens ist das Material eines Gebäudes nicht die Hauptsache, sondern die Form, wie ich gleich ausführen werde.

Im Reich der Pflanzen und Thiere sind die Ideen bei Schopenhauer identisch mit dem Gattungsbegriff, was ich bereits gerügt habe. Nur die höheren Thiere haben, nach Schopenhauer, hervorstechende, dem Einzelnen eigenthümliche Eigenschaften und sind»in gewissem Sinne«besondere Ideen. Dagegen ist jeder Mensch als eine besondere Idee anzusehen.

Der Charakter jedes einzelnen Menschen kann, sofern er durchaus individuell und nicht ganz in dem der Species begriffen ist, als eine besondere Idee, entsprechend einem eigenthümlichen Objektivationsakt des Willens, angesehen werden.

(W. a. W. u. V. I. 188.)

Im Menschen tritt die Individualität mächtig hervor: ein Jeder hat einen eigenen Charakter.

(W. a. W. u. V. I. 141.)

Als er diese letzteren Resultate seiner Beobachtungen zog, war sein Blick frei und klar.

—————

i506 Ein viertes wesentliches Gebrechen der Aesthetik Schopenhauer’s, welches nicht aus seiner Physik, sondern aus seiner mangelhaften Erkenntnißtheorie hervorgegangen ist, ist die unterlassene Scheidung des Schönen in

1) das Subjektiv-Schöne,

2) den Grund des Schönen im Ding an sich,

3) das schöne Objekt.

Diese Sonderung habe ich sehr scharf in meiner Philosophie ausgeführt und glaube ich, daß erst durch meine Zurückführung des Subjektiv-Schönen auf ideale, auf Grund apriorischer Formen und Functionen bewerkstelligte Verbindungen unseres Geistes die Aesthetik zu einer Wissenschaft im strengen Sinne Kant’s geworden ist, welcher ihr bekanntlich diesen Charakter gänzlich absprach. Er sagt:

Die Deutschen sind die Einzigen, welche sich jetzt des Worts Aesthetik bedienen, um dadurch das zu bezeichnen, was Andere Kritik des Geschmacks heißen. Es liegt hier die verfehlte Hoffnung zum Grunde, die der vortreffliche Analyst Baumgarten faßte, die kritische Beurtheilung des Schönen unter Vernunftprincipien zu bringen und die Regeln derselben zur Wissenschaft zu erheben. Allein diese Bemühung ist vergeblich. Denn gedachte Regeln oder Kriterien sind ihren vornehmsten Quellen nach bloß empirisch und können also niemals zu bestimmten Gesetzen a priori dienen, wonach sich unser Geschmacksurtheil richten müßte.

(Kk. der reinen Vern. 61.)

Schopenhauer kennt nur das schöne Objekt und bestimmt es wie folgt:

Indem wir einen Gegenstand schön nennen, sprechen wir dadurch aus, daß er Objekt unserer ästhetischen Betrachtung ist, welches zweierlei in sich schließt, einerseits nämlich, daß sein Anblick uns objektiv macht, d.h. daß wir in der Betrachtung desselben nicht mehr unserer als Individuen, sondern als reinen willenlosen Subjekts des Erkennens uns bewußt sind; und andererseits, daß wir im Gegenstande nicht das einzelne Ding, sondern eine Idee erkennen.

(W. a. W. u. V. I. 247.)

i507 Die Folge hiervon würde sein, daß wir jedes Ding, da sich eine Idee in ihm offenbart, in unserer aesthetischen Betrachtung schön finden müßten, und spricht dies auch Schopenhauer geradezu aus:

Da einerseits jedes vorhandene Ding rein objektiv und außer aller Relation betrachtet werden kann; da ferner auch andererseits in jedem Dinge der Wille, auf irgend einer Stufe seiner Objektität, erscheint, und dasselbe sonach Ausdruck einer Idee ist; so ist auch jedes Ding schön.

(W. a. W. u. V. I. 247.)

Ferner sagt er:

Schöner ist aber Eines als das Andere dadurch, daß es jene rein objektive Betrachtung erleichtert, ihr entgegenkommt, ja gleichsam dazu zwingt, wo wir es dann sehr schön nennen.

(ib.)

Schopenhauer erging es bei dieser Betrachtung wie Kant bei der Causalität. Wie Dieser die Aufeinanderfolge zum einzigen Kriterium des Causalitätsverhältnisses machte, während zwar alles Erfolgen ein Folgen, aber nicht alles Folgen ein Erfolgen ist, so ist bei Schopenhauer alles schön, weil es aesthetisch betrachtet werden kann, während es heißen muß: Das Schöne kann nur im aesthetischen Zustande des Subjekts erkannt werden, aber nicht Alles, was in diesem Zustand betrachtet wird, ist schön.

Schopenhauer geht so weit, daß er auch jedem Artefakt unbedingt Schönheit zuspricht, weil sich in seinem Material eine Idee ausdrücke, welche das Subjekt objektiv machen könne, was grundfalsch ist. Denken wir uns z.B. zwei Gegenstände von Bronce, etwa zwei Gewichte, von denen das eine ein regelmäßiger, polirter, das andere ein rauher, ungenau gearbeiteter Cylinder ist. Beide drücken, nach Schopenhauer, die Ideen der Starrheit, Cohäsion, Schwere u.s.w. aus und können uns objektiv machen, folglich sind sie beide schön, was aber Niemand zu behaupten unternehmen wird. Hier entscheidet nur die Form, die Farbe, Glätte etc. und all’ dieses ist eben das Subjektiv-Schöne, das Schopenhauer nicht kennt.

Das Subjektiv-Schöne, welches auf

1) der Causalität,

2) dem mathematischen Raum,

i508 3) der Zeit,

4) der Materie (Substanz)

beruht, habe ich ausführlich in meinem Werke behandelt, und verweise ich darauf. Es ist das Formal-Schöne und der unerschütterliche apriorische Grund, von wo aus das Subjekt bestimmt, was schön ist, was nicht. Wie das Subjekt im Allgemeinen Nichts außer sich anerkennt, was keinen Eindruck auf seine Sinne macht, was es also seinen Formen gemäß weder gestalten, noch denken kann, so erkennt es auch nichts in der Natur als schön an, dem nicht erst von ihm die Schönheit zugesprochen worden ist.

Die Fähigkeit des Menschen, dem Formal-Schönen gemäß zu urtheilen, ist der Schönheitssinn. Jeder Mensch hat ihn, wie Jeder Urtheilskraft, Jeder Vernunft hat. Aber wie sehr viele Menschen nur sehr kurze mentale Verbindungen zu Wege bringen und ihren Gesichtskreis nur wenig erweitern können, während Einige die ganze Natur und ihren Zusammenhang mit ihrem Geiste gleichsam umschließen, so ist auch der Schönheitssinn in Vielen nur als Keim, in Anderen voll entwickelt vorhanden. Der gesetzgebende Schönheitssinn kann erworben werden, weil er als Keim Allen angeboren ist und deshalb bloß Pflege und Ausbildung verlangt. Man betrachte nur die kunstsinnigen Italiener und Franzosen, die ihren Geist täglich in einem Meer von Schönheit, resp. von Grazie, baden können.

Den Einen kann eine flache Seeküste, den Anderen eine andalusische Landschaft, einen Dritten der Bosporus individuell am meisten ansprechen. Weil dies der Fall ist, meinte Kant, aesthetische Urtheile enthielten so wenig Nothwendigkeit in sich, wie Geschmacksurtheile. Dies ist aber ein ganz einseitiger Standpunkt. In Sachen der Schönheit kann nur der mit entwickeltem Schönheitssinn Begabte Richter sein, und da die Urtheile solcher Richter nach Gesetzen gesprochen werden, welche apriorischen Grund in uns haben, so sind sie verbindlich für Alle. Es ist durchaus gleichgültig, ob der Eine oder der Andere dagegen protestirt und sich auf seine Persönlichkeit steift, die nicht zustimmen könne. Er bilde erst seinen Schönheitssinn aus, dann wollen wir ihm Stimmrecht geben.

Entspricht ein Gegenstand der Natur oder der Kunst allen Gestaltungen des Formal-Schönen, so ist er vollendet schön. Man |

i509 prüfe z.B. Goethe’s Iphigenie unter den Bedingungen des Subjektiv-Schönen, das bei einer Dichtung in Betracht kommt, also des Schönen der Causalität, der Zeit und der Substanz, immer ist sie makellos. Oder man blicke auf den Golf von Neapel, etwa von Camaldoli oder San Martino aus, und prüfe nach dem Formal-Schönen des Raums und der Materie, und wer würde an den Farben, an den Linien der Küste, am Duft der Ferne, an der Gestalt der Pinien im Vordergrund, kurz an irgend etwas auch das Geringste ändern wollen? Nicht der Schönheitssinn des genialsten Malers würde hier etwas fortnehmen, dort etwas hinzusetzen wollen.

Die vollendet schönen Natur- und Kunstwerke sind sehr, sehr selten; dagegen entsprechen viele einer oder zwei Arten des Formal-Schönen. Ein Drama kann allen Gesetzen des Subjektiv-Schönen der Zeit und Substanz entsprechen, aber in Hinsicht auf das Schöne der Causalität ganz verfehlt sein.

Schopenhauer hat die Nothwendigkeit des Subjektiv-Schönen gefühlt, da seinem feinen Kopfe nicht so leicht etwas entging, aber er versuchte vergeblich, der Sache auf den Grund zu kommen und versank (wie leider so oft!) im Mysticismus. Er sagt:

Woran soll der Künstler ihr (der Natur) gelungenes und nachzuahmendes Werk erkennen und es unter den mißlungenen herausfinden; wenn er nicht vor der Erfahrung das Schöne anticipirt? Hat überdies auch jemals die Natur einen in allen Theilen vollkommen schönen Menschen hervorgebracht? – – – Rein a posteriori und aus bloßer Erfahrung ist gar keine Erkenntniß des Schönen möglich: sie ist immer, wenigstens zum Theil, a priori, wiewohl von ganz anderer Art, als die uns a priori bewußten Gestaltungen des Satzes vom Grunde.

(W. a. W. u. V. I. 261.)

Daß wir Alle die menschliche Schönheit erkennen, wenn wir sie sehen, im echten Künstler aber dies mit solcher Klarheit geschieht, daß er sie zeigt, wie er sie nie gesehen hat, und die Natur in seiner Darstellung übertrifft; dies ist nur dadurch möglich, daß der Wille, dessen adäquate Objektivation, auf ihrer höchsten Stufe, hier beurtheilt und gefunden werden soll, ja wir selbst sind.

(ib. 262.)

i510 Hieran knüpfte er eine ganz falsche Erklärung des Ideals.

Diese Anticipation ist das Ideal: es ist die Idee, sofern sie, wenigstens zur Hälfte, a priori erkannt ist und, indem sie als solche dem a posteriori, durch die Natur Gegebenen ergänzend entgegenkommt, für die Kunst practisch wird.

Das Ideal erzeugt der Künstler in anderer Weise. Er vergleicht die lebenden ähnlichen Individuen, erfaßt das Charakteristische, scheidet das Unwesentliche und Zufällige aus und verbindet das gefundene Wesentliche. Das so entstandene Einzelwesen taucht er dann in das Subjektiv-Schöne, und es erhebt sich aus diesem Bade, wie die schaumgeborene Göttin, verklärt und in idealer Schönheit. Die griechischen Künstler hätten ihre idealen, für alle Zeiten mustergültigen Bildwerke nicht hervorbringen können, wenn sie nicht in ihrem Volke gute Modelle gefunden hätten und es gilt allerdings, was Kant gesagt hat:

Ganz anders verhält es sich mit denen Geschöpfen (Idealen) der Einbildungskraft, darüber sich Niemand erklären und einen verständlichen Begriff geben kann, gleichsam Monogrammen, die nur einzelne, ob zwar nach keiner angeblichen Regel bestimmte Züge sind, welche mehr eine im Mittel verschiedener Erfahrungen gleichsam schwebende Zeichnung, als ein bestimmtes Bild ausmachen.

(Kk. d. Vern. 442.)

Die Einbildungskraft läßt ein Bild gleichsam auf das andere fallen und weiß, durch die Congruenz der mehreren von derselben Art, ein mittleres herauszubekommen, welches Allen zum gemeinschaftlichen Maße dient. – – – Die Einbildungskraft thut dies durch einen dynamischen Effekt, der aus der vielfältigen Auffassung solcher Gestalten auf das Organ des inneren Sinns entspringt.

(Kk. d. Urtheilsk. 80.)

Hier möge auch folgende Schwierigkeit zur Sprache kommen. Schon Kant hatte richtig bemerkt, daß ein Neger nothwendig eine andere Normalidee der Schönheit der Gestalt haben müsse, als ein Weißer, der Chinese eine andere, als der Europäer (Kk. d. Urth. 80) und Schopenhauer sagte:

Die Quelle alles Wohlgefallens ist die Homogeneität: schon dem Schönheitssinn ist die eigene Species, und in dieser wieder die eigene Rasse, unbedenklich die Schönste.

(Parerga II. 492.)

i511 Dies steht fest. Aber es beweist Nichts gegen das Subjektiv-Schöne. Sollte je ein schwarzer Phidias in Africa geboren werden, so wird er Gestalten, die den Negertypus tragen, erschaffen; jedoch nicht anders können, als, innerhalb dieser Grenzen, ganz nach den für alle Menschen gültigen subjektiven Schönheitsgesetzen zu bilden. Er wird die volle Wade, die knappe, kräftige Rundung des Leibes, die gewölbte Brust, das ovale Gesicht, die regelmäßigen Züge, nicht eine flache Wade, magere oder aufgedunsene Glieder, ein Vollmondsgesicht u.s.w. bilden.

Wie mächtig überhaupt das Subjektiv-Schöne des Raumes, besonders die Symmetrie, die Plastik beherrscht, beweist mehr als alles Andere der Umstand, daß es keinem griechischen Künstler eingefallen ist, eine Amazone mit nur einer Brust zu bilden, obgleich jeder Grieche glaubte (ob mit Recht oder Unrecht, lasse ich dahingestellt) daß den Amazonen, behufs leichterer Handhabung der Waffen, eine Brust zerstört würde. Man denke sich eine Amazone mit einer Brust und der aesthetische Genuß wird wesentlich beeinträchtigt sein.

—————

Schopenhauer wurde also mystisch, als er das Subjektiv-Schöne, das er aus der Ferne sah, erklären wollte. Es ist übrigens sonderbar, daß er nicht bis zu demselben gelangt ist, denn seine Aesthetik enthält treffende schöne Gedanken in Menge, welche zur Sache gehören. Ich wähle die folgenden aus:

Wir sehen im guten antiken Baustil jeglichen Theil, sei es nun Pfeiler, Säule, Bogen, Gebälk oder Thüre, Fenster, Treppe, Balcon, seinen Zweck auf die geradeste und einfachste Weise erreichen, ihn dabei unverhohlen und naiv an den Tag legend.

(W. a. W. u. V. II. 472.)

Die Grazie besteht darin, daß jede Bewegung und Stellung auf die leichteste, angemessenste und bequemste Art ausgeführt werde und sonach der rein entsprechende Ausdruck ihrer Absicht, oder des Willensaktes sei, ohne Ueberflüssiges, was als Zweckwidriges, bedeutungsloses Handtieren, ohne Ermangelndes, was als hölzerne Steifheit sich darstellt.

(ib. II. 264.)

Mangel an Einheit in den Charakteren, Widerspruch derselben |

i512 gegen sich selbst, oder gegen das Wesen der Menschheit überhaupt, wie auch Unmöglichkeit, oder ihr nahekommende Unwahrscheinlichkeit in den Begebenheiten, sei es auch nur in Nebenumständen, beleidigen in der Poesie ebenso sehr, wie verzeichnete Figuren, oder falsche Perspektive, oder fehlerhafte Beleuchtung in der Malerei.

(ib. I. 297.)

Menschliche Schönheit drückt sich aus durch die Form: und diese liegt im Raum allein etc.

(ib. 263.)

Der Rhythmus ist in der Zeit, was im Raume die Symmetrie ist.

(ib. II. 516.)

Das Metrum, oder Zeitmaß, hat, als bloßer Rhythmus, sein Wesen allein in der Zeit, welche eine reine Anschauung a priori ist, gehört also, mit Kant zu reden, bloß der reinen Sinnlichkeit an.

(ib. 486.)

Ein ganz besonderes Hülfsmittel der Poesie sind Rhythmus und Reim.

(ib. I. 287.)

Die Melodie besteht aus zwei Elementen, einem rhythmischen und einem harmonischen. Beiden liegen reine arithmetische Verhältnisse, also die der Zeit zu Grunde: dem einen die relative Dauer der Töne, dem anderen die relative Schnelligkeit ihrer Vibrationen.

(ib. II. 516.)

Die Farben erregen unmittelbar ein lebhaftes Ergötzen, welches, wenn sie transparent sind, den höchsten Grad erreicht.

(ib. I. 235.)

Gemaltes Obst ist zulässig, da es als weitere Entwicklung der Blume und durch Form und Farbe als ein schönes Naturprodukt sich darbietet.

(ib. I. 245.)

Der Malerei kommt noch eine für sich gehende Schönheit zu, welche hervorgebracht wird durch die bloße Harmonie der Farben, das Wohlgefällige der Gruppirung, die günstige Vertheilung des Lichts und Schattens und den Ton des ganzen Bildes. Diese ihr beigegebene, untergeordnete Art der Schönheit befördert den Zustand des reinen Erkennens und ist in der Malerei Das, was in der Poesie die Diktion, das Metrum und der Reim ist.

(ib. II. 480.)

i513 Es finden sich bei allen Völkern, zu allen Zeiten, für Roth, Grün, Orange, Blau, Gelb, Violett, besondere Namen, welche überall verstanden werden, als die nämlichen, ganz bestimmten Farben bezeichnend; obschon diese in der Natur höchst selten rein und vollkommen vorkommen: sie müssen daher gewissermaßen a priori erkannt sein, auf analoge Weise, wie die regelmäßigen geometrischen Figuren. – – Jeder muß also eine Norm, ein Ideal, eine Epicurische Anticipation der gelben und jeder Farbe, unabhängig von der Erfahrung, in sich tragen, mit welcher er jede wirkliche Farbe vergleicht.

(Ueber das Sehn 33.)

Mit diesen vortrefflichen Stellen vergleiche man nun die folgenden:

Causalität ist Gestaltung des Satzes vom Grunde: Erkenntniß der Idee hingegen schließt wesentlich den Inhalt jenes Satzes aus.

(W. a. W. u. V. I. 251.)

Für die Architektur sind die Ideen der untersten Naturstufen, also Schwere, Starrheit, Cohäsion, das eigentliche Thema; nicht aber, wie man bisher annahm, bloß die regelmäßige Form, Proportion und Symmetrie, als welche ein rein Geometrisches, Eigenschaften des Raumes, nicht Ideen sind, und daher nicht das Thema einer schönen Kunst sein können.

(W. a. W. u. V. II. 470.)

und man wird wieder nicht sonderbar finden, daß Schopenhauer das Subjektiv-Schöne nicht bestimmen konnte. Es sind immer und immer wieder dieselben alten Fehler aus der Erkenntnißtheorie die sich ihm entgegenwarfen und ihn auf falsche Bahnen drängten.

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Ich habe oben gesagt: schön sei nur, was den formalen Bedingungen des Subjektiv-Schönen entspreche. Hieraus ergiebt sich, daß dem Ding an sich, unabhängig von unserer Wahrnehmung, Schönheit als solche nicht beigelegt werden darf. Nur ein Objekt kann schön sein, d.h. der in die subjektiven Formen eingegangene Wille. Dies darf jedoch nicht mißverstanden und etwa dahin ausgelegt werden, daß das Subjekt aus eigenen Mitteln die Schönheit im Objekt producire. Hierdurch würde der empirische Idealismus – diese absurdeste, aber für die Entwicklung der menschlichen |


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