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Wir können nur aus dem Standpunkte eines Menschen vom Raum, von ausgedehnten Wesen reden,
und
Das handelnde Subjekt würde nach seinem intelligibelen Charakter unter keinen Zeitbedingungen stehen; denn die Zeit ist nur die Bedingung der Erscheinungen, nicht aber der Dinge an sich selbst. In ihm würde keine Handlung entstehen oder vergehen, mithin würde es auch nicht dem Gesetze aller Zeitbestimmung, alles Veränderlichen unterworfen sein.
(Kk. 421.)
i455 weniger in’s Auge. Dagegen feiern sie bei Schopenhauer, der sich mit dem Dinge an sich (Wille) unaufhörlich beschäftigen mußte, fast auf jeder Seite seiner Werke ihre Saturnalien. Die geleugnete Individualität und die geleugnete reale Entwicklung des Dinges an sich rächten sich auf das Furchtbarste; denn sie zerbrachen das Gedankenwerk des genialen Mannes in tausend Stücke und warfen sie ihm hohnlachend vor die Füße. Ein philosophisches Gebäude muß so beschaffen sein, daß jede Zwischenwand im 2., 3., 4., 5. Stockwerke auf einem unerschütterlichen Grundpfeiler beruht, sonst kann es keinem einigermaßen starken Windstoße trotzen und fällt zusammen. Die streng auseinander gehaltenen Formen des Subjekts und des Dinges an sich sind aber das Fundament aller Philosophie. Findet hier ein Fehler statt, so ist der prächtigste Bau nichts werth. Deshalb hat auch jedes redliche System mit der scharfen, obgleich sehr mühevollen Untersuchung des Erkenntnißvermögens zu beginnen.
In dieser Abtheilung meiner Kritik werde ich die Widersprüche, in welche sich Schopenhauer durch die erwähnte Ableugnung nothwendig verstricken mußte, noch nicht berühren. Dies wird später geschehen und werden wir alsdann auch sehen, wie oft er die lästigen Ketten der reinen Anschauungen, Raum und Zeit, abschüttelte und sich ganz auf realen Boden stellte. Jetzt will ich nur kurz zeigen, wie Schopenhauer den ausdehnungs- und bewegungslosen Punkt des Einen Dinges an sich (Wille) zur
objektiven, realen, den Raum in drei Dimensionen füllenden Körperwelt,
vermöge der subjektiven Formen, werden läßt.
Vorher muß ich erwähnen, daß er sogar das Dasein der Welt vom Subjekt abhängig gemacht hat. Er sagt:
Unter dem Vielen, was die Welt so räthselhaft und bedenklich macht, ist das Nächste und Erste Dieses, daß, so unermeßlich und massiv sie auch sein mag, ihr Dasein dennoch an einem einzigen Fädchen hängt: und dieses ist das jedesmalige Bewußtsein, in welchem sie dasteht.
(W. a. W. u. V. II. 4.)
An Stelle von Dasein sollte Erscheinung stehen. Er hatte ganz vergessen, daß er Vierfache Wurzel 87 gesagt hatte:
i456 Man begeht einen Mißbrauch, so oft man das Gesetz der Causalität auf etwas Anderes, als auf Veränderungen, in der uns empirisch gegebenen, materiellen Welt anwendet, z.B. auf die Naturkräfte, vermöge welcher solche Veränderungen überhaupt erst möglich sind; oder auf die Materie, an der sie vorgehen; oder auf das Weltganze, als welchem dazu ein absolut objektives, nicht durch unseren Intellekt bedingtes Dasein beigelegt werden muß.
Hieran knüpfe ich die Bloßlegung eines schreienden Widerspruchs bezüglich des Objekts. Schopenhauer sagt:
Wo das Objekt anfängt, hört das Subjekt auf. Die Gemeinschaftlichkeit dieser Grenze zeigt sich eben darin, daß die wesentlichen und daher allgemeinen Formen des Objekts, welche Zeit, Raum und Causalität sind, auch ohne die Erkenntniß des Objekts selbst, vom Subjekt ausgehend, gefunden und vollständig erkannt werden können.
(W. a. W. u. V. I. 6.)
Dagegen lehrt der älter gewordene Philosoph im 2. Bande, gleichfalls auf Seite 6:
Das Objektive ist bedingt durch das Subjekt und noch dazu durch dessen Vorstellungsformen, als welche dem Subjekt, nicht dem Objekt anhängen.
Was soll man hierzu sagen?!
Und jetzt zur Sache!
Der Leib liegt wie alle Objekte der Anschauung in den Formen alles Erkennens, in Raum und Zeit, durch welche die Vielheit ist.
(W. a. W. u. V. I. 6.)
Die Zeit ist diejenige Einrichtung unseres Intellekts, vermöge welcher Das, was wir als das Zukünftige auffassen, jetzt gar nicht zu existiren scheint.
(Parerga II. 44.)
In Wahrheit ist das beständige Entstehen neuer Wesen und Zunichtewerden der vorhandenen anzusehen als eine Illusion, hervorgebracht durch den Apparat zweier geschliffenen Gläser (Gehirnfunctionen), durch die allein wir etwas sehen können: sie heißen Raum und Zeit und in ihrer Wechseldurchdringung (!) Causalität.
(ib. 287.)
i457 Durch unser optisches Glas Zeit stellt als künftig und kommend sich dar, was schon jetzt und gegenwärtig ist.
(ib. I. 281.)
Unser Leben ist mikroskopischer Art: es ist ein untheilbarer Punkt, den wir durch die beiden starken Linsen: Raum und Zeit auseinandergezogen und daher in höchst ansehnlicher Größe erblicken.
(ib. II. 309.)
Wenn man die Erkenntnißformen, wie das Glas aus dem Kaleidoskop, wegziehen könnte, so würden wir das Ding an sich, zu unserer Verwunderung, als ein einziges und bleibendes vor uns haben, als unvergänglich, unveränderlich und, unter allem scheinbaren Wechsel, vielleicht sogar bis auf die ganz einzelnen Bestimmungen herab, identisch.
(ib. I. 91.)
Eine andere Folgerung, die sich aus dem Satze, daß die Zeit dem Wesen an sich der Dinge nicht zukommt, ziehen ließe, wäre diese, daß, in irgend einem Sinne, das Vergangene nicht vergangen sei, sondern Alles, was jemals wirklich und wahrhaft gewesen, im Grunde auch noch sein müsse, indem ja die Zeit nur einem Theaterwasserfall gleicht, der herabzuströmen scheint, während er als ein bloßes Rad, nicht von der Stelle kommt; wie ich diesem analog, schon längst, den Raum einem in Facetten geschliffenen Glase verglichen habe.
(ib. I. 92.)
So mußte es kommen! Was Kant nur leicht skizzirt hatte, mußte von seinem größten Nachfolger in einem deutlichen Gemälde ausgeführt werden, damit auch selbst Blöde die Ungeheuerlichkeit der Sache sofort erkennen könnten. Man vergegenwärtige sich den Vorgang. Das Eine Ding an sich, dem alle Vielheit fremd ist, existirt im Nunc Stans der Scholastiker. Das ihm gegenüberstehende, übrigens zu dem Einen Ding an sich gehörende Subjekt, öffnet die Augen. Jetzt tritt zunächst im Intellekt der Raum, welcher einem in Facetten geschliffenen Glase zu vergleichen ist, in Thätigkeit (vom Causalitätsgesetz ist zur Abwechselung nicht die Rede, sondern von der Causalität, die zur Wechseldurchdringung von Raum und Zeit gemacht wird). Dieses Glas verzerrt den Einen untheilbaren Punkt des Dinges an sich nicht etwa zu Millionen Gestalten von gleicher Beschaffenheit und Größe – nein! zu Bergen, Flüssen, Menschen, Ochsen, Eseln, Schafen, Kameelen u.s.w. Alles aus |
i458 eigenen Mitteln bewerkstelligend, denn im Einen Punkt ist kein Platz für Unterschiede. Nachdem dies vollbracht ist, tritt die Linse Zeit in Thätigkeit. Dieses Glas zerrt die Eine That des in ewiger, absoluter Ruhe liegenden Einen Dinges an sich, nämlich zu sein, in unzählige successive Willensakte und Bewegungen auseinander, aber – wohl verstanden – aus eigenen Mitteln läßt es einen Theil davon bereits vergangen sein, während es einen anderen Theil dem Subjekt ganz verbirgt. Von diesen verborgenen Willensakten rückt nun die wundervolle Zauberlinse unübersehbar viele immer in die Gegenwart, von wo aus sie in die Vergangenheit hinabgeschleudert werden.
Wie wird hier die Natur zu einer verlogenen Circe gemacht von demselben Manne, der nicht müde wurde zu erklären:
Die Natur lügt nie: sie macht ja alle Wahrheit erst zur Wahrheit.
(Parerga II. 51.)
Was zeigt aber die Natur? Nur Individuen und reales Werden. Hier darf man übrigens nicht fragen: wie war es möglich, daß ein hervorragender Geist so etwas schreiben konnte? denn die ganze Absurdität ist nur eine natürliche Folge aus den Kant’schen reinen Anschauungen, Raum und Zeit, welche auch Schopenhauer’s Philosophie zu Grunde liegen.
Also aus eigenen Mitteln liefert das Subjekt die vielgestaltete Welt. Indessen, wie ich oben anführte, dem älter gewordenen Idealisten stellte sich die Sache doch in einem anderen Lichte dar. Er mußte bekennen:»die Welt als Vorstellung kann nichts aus eigenen Mitteln liefern, kann kein eitles, müßig ersonnenes Mährchen auftischen.«Den bedeutungsvollsten Widerruf hat er aber bezüglich der so hartnäckig abgeleugneten Individualität gethan. Den vielen Stellen wie:
Die aus den Formen der äußeren, objektiven Auffassung herrührende Illusion der Vielheit.
(W. a. W. u. V. II. 366.)
Die Vielheit der Dinge hat ihre Wurzel in der Erkenntnißweise des Subjekts.
(ib. 367.)
Das Individuum ist nur Erscheinung, ist nur da für die im Satz vom Grunde, dem principio individuationis, befangene Erkenntniß.
(ib. I. 324.)
i459 Die Individuation ist bloße Erscheinung, entstehend mittelst Raum und Zeit.
(Ethik 271.)
stehen vernichtend die anderen gegenüber:
Die Individualität inhärirt zwar zunächst dem Intellekt, der, die Erscheinung abspiegelnd, der Erscheinung angehört, welche das principium individuationis zur Form hat. Aber sie inhärirt auch dem Willen, sofern der Charakter individuell ist.
(W. a. W. u. V. II. 698.)
Ferner kann man fragen, wie tief, im Wesen an sich der Welt, die Wurzeln der Individualität gehen? worauf sich allenfalls noch sagen ließe: sie gehen so tief, wie die Bejahung des Willens zum Leben.
(ib. 734.)
Hieraus folgt nun ferner, daß die Individualität nicht allein auf dem principio individuationis beruht und daher nicht durch und durch bloße Erscheinung ist; sondern daß sie im Dinge an sich, im Willen des Einzelnen, wurzelt: denn sein Charakter selbst ist individuell. Wie tief nun aber hier ihre Wurzeln gehen, gehört zu den Fragen, deren Beantwortung ich nicht unternehme.
(Parerga II. 243.)
Ich kann hier nur ausrufen:
Magna est vis veritatis et praevalebit!
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Zum Schlusse muß ich nochmals auf die Ungerechtigkeit kommen, die Schopenhauer gegen Kant beging, als er die transscendentale Analytik kritisirte. Er verstand die Synthesis eines Mannigfaltigen der Anschauung nicht, oder besser, er wollte und durfte sie nicht verstehen. Kant hat ganz klar gelehrt, daß die Sinnlichkeit allein das Material zur Anschauung giebt, welches der Verstand durchgeht, sichtet, aufnimmt und verbindet, und daß ein Objekt erst durch die Synthesis von Theilerscheinungen entsteht. Dies verdrehte nun Schopenhauer dahin, daß zur Anschauung ein von ihr verschiedenes Objekt, durch die Kategorien, hinzugedacht werden müsse, damit allererst die Anschauung zur Erfahrung werde.
Ein solches absolutes Objekt, das durchaus nicht das angeschaute Objekt ist, wird durch den Begriff zur Anschauung hinzugedacht, |
i460 als etwas derselben Entsprechendes. – – Das Hinzudenken dieses direkt nicht vorstellbaren Objekts zur Anschauung ist dann die eigentliche (!) Function der Kategorien.
(W. a. W. u. V. II. 524.)
Der Gegenstand der Kategorien ist bei Kant zwar nicht das Ding an sich, aber doch dessen nächster Anverwandter: es ist das Objekt an sich, ist ein Objekt, das keines Subjekts bedarf, ist ein einzelnes Ding, und doch nicht in Zeit und Raum, weil nicht anschaulich, ist Gegenstand des Denkens, und doch nicht abstrakter Begriff. Demnach unterscheidet Kant eigentlich (!) dreierlei: 1) die Vorstellung, 2) den Gegenstand der Vorstellung, 3) das Ding an sich. Erstere ist Sache der Sinnlichkeit, welche bei ihm, neben der Empfindung, auch die reinen Anschauungsformen Raum und Zeit begreift. Das Zweite ist Sache des Verstands, der es durch seine 12 Kategorien hinzudenkt. Das Dritte liegt jenseit aller Erkennbarkeit.
(ib. 526.)
Von allem Diesem ist in Kant’s Analytik Nichts zu finden und Schopenhauer hat einfach phantasirt. Er geht sogar so weit, den tiefsinnigen Denker, den größten Denker aller Zeiten, eines unglaublichen Mangels an Besinnung zu beschuldigen, weil er erst durch den Verstand (Vernunft) Verbindung in die Anschauung habe bringen lassen, was gerade eines seiner unsterblichen Verdienste ist. Man höre:
Jener unglaubliche Mangel an Besinnung über das Wesen der anschaulichen und der abstrakten Vorstellung bringt Kanten zu der monströsen Behauptung, daß es ohne Denken, also ohne abstrakte Begriffe, gar keine Erkenntniß eines Gegenstands gebe.
(W. a. W. u. V. I. 562.)
Wie wir wissen, bringt die Vernunft nicht das Denken, sondern Verbindung in die Anschauung. Natürlich denken wir auch während wir anschauen, reflektiren die Anschauung in Begriffen und erheben uns zu der Erkenntniß eines Weltganzen, seines dynamischen Zusammenhangs, seiner Entwicklung u.s.w., doch dies ist ja etwas ganz Anderes. Die bloße Anschauung, die Anschauung der Objekte, Gegenstände, kommt ohne Begriffe zu |
i461 Stande und doch mit Hülfe der Vernunft. Weil Schopenhauer die Vernunft nur Begriffe bilden und solche verbinden läßt, mußte Kant Unrecht haben. Es ist aber die schönste Pflicht der richtenden Nachwelt, vergessenes Verdienst wieder an’s Licht zu bringen und ungerechte Urtheile zu cassiren. In vorliegendem Falle hielt ich mich für berufen, diese Pflicht zu erfüllen.
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*[1]Ich bemerke, daß ich die Werke Kant’s nach der Ausgabe Hartenstein und die Schopenhauer’s wie folgt citire:
Welt als Wille und Vorstellung. 3. Aufl. 1859
Ueber die vierfache Wurzel des Satzes vom
zureichenden Grunde. 2.,, 1847
Ethik. 2.,, 1860
Ueber den Willen in der Natur. 2.,, 1854
Parerga und Paralipomena. 2.,, 1862
Ueber das Sehen und die Farben. 2.,, 1854
Physik.
i463
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Wer den Philosophenmantel anlegt, hat zur Fahne der
Wahrheit geschworen, und nun ist, wo es ihren Dienst gilt,
jede andere Rücksicht, auf was immer es auch sei,
schmählicher Verrath.
Schopenhauer.
i465
Wie ich im vorigen Abschnitt gezeigt habe, verbesserte Schopenhauer in seinen Schriften, welche die Vorstellung betreffen, theils die Erkenntnißtheorie Kant’s wesentlich (Apriorisches Causalitätsgesetz, Intellektualität der Anschauung, Vernichtung der Kategorien), theils verstümmelte er ihren guten Theil gewaltsam (Leugnung der Synthesis eines Mannigfaltigen der Anschauung). Folgte er auf diese Weise nur den Spuren seines großen Vorgängers, so sehen wir ihn dagegen in seinen Werken über den Willen einen in der abendländischen Philosophie ganz neuen Weg einschlagen, den Schelling – seien wir gerecht! – angedeutet hatte. Das Kant’sche Ding an sich stand wie das verschleierte Bild von Saïs in der Philosophie. Viele versuchten, den Schleier zu heben, jedoch ohne Erfolg. Da kam Schopenhauer und riß ihn ab. Ist es ihm auch nicht gelungen, die Züge des Bildes klar wiederzugeben, so hat doch seine Copie des Bildes unschätzbaren Werth. Und selbst wenn dies nicht der Fall wäre, so würde die bloße That – die Entschleierung des Dinges an sich – hinreichen, seinen Namen unsterblich zu machen. Wie Kant der größte Philosoph ist, der über den Kopf geschrieben hat, so ist Schopenhauer der größte Denker, der über das Herz philosophirte. Die Deutschen dürfen stolz sein.
Betrachten wir zunächst den Weg, der Schopenhauer zum Ding an sich führte. Noch ganz unter dem Einflusse des Kant’schen Idealismus stehend, kam er zur Ueberzeugung, daß die Erscheinung das Wesen des in ihr sich Manifestirenden in keiner Weise ausdrücke. Er schloß deshalb, daß, so lange wir uns in der Welt als Vorstellung befinden, das Ding an sich uns völlig verborgen bleiben müsse. Aber, sagte er,
mein Leib ist dem rein erkennenden Subjekt als solchem eine Vorstellung wie jede andere, ein Objekt unter Objekten.
(W. a. W. u. V. I. 118.)
i466 folglich manifestirt sich auch in ihm das Ding an sich, und es muß mir deshalb in meinem Innern, im Selbstbewußtsein, zugänglich sein.
Dies war ein glänzendes geniales Aper ç u, und ich befürchte nicht, mich einer Uebertreibung schuldig zu machen, wenn ich sage, daß es eine Revolution auf geistigem Gebiete eingeleitet hat, welche ähnliche Umgestaltungen in der Welt hervorrufen wird, wie die vom Christenthum bewirkten.
Ich werde mich nicht dabei aufhalten, bereits gerügte Fehler nochmals zu besprechen. Es ist uns bekannt, daß Schopenhauer selbst schließlich zu bekennen gedrängt wurde, daß die Erscheinung doch nicht so ganz müßig vom Subjekt ersonnen, sondern der Ausdruck des Dinges an sich sei. Und haben wir in der That gesehen, daß schon in der Welt als Vorstellung die Formen angegeben werden können, welche dem Ding an sich inhäriren, ja daß sein Wesen selbst, als Kraft, zu erkennen ist. Was aber die Kraft selbst sei, ist von außen nie zu erfassen. Wir müssen uns auf den Grund unseres Innern versenken, um dieses x näher bestimmen zu können. Hier enthüllt es sich uns als Wille zum Leben.
Schopenhauer sagt sehr richtig:
Führen wir den Begriff der Kraft auf den des Willens zurück, so haben wir in der That ein Unbekannteres auf ein unendlich Bekannteres, ja, auf das einzige uns wirklich unmittelbar und ganz und gar Bekannte zurückgeführt.
(W. a. W. u. V. I. 133.)
und wird auch der überaus glücklich gewählte Ausdruck»Wille zum Leben«aus der Philosophie nicht mehr zu verdrängen sein.
Wir haben uns schon im vorigen Abschnitt in unser Inneres versenkt und haben es jetzt noch einmal zu thun, um Alles, was auf diesem Wege zu erfassen ist, genau zu beobachten. Verschließen wir uns ganz der Außenwelt und blicken aufmerksam in uns, so werden wir sofort gewahr, daß der Verstand gleichsam ausgehängt ist. Er hat ja auch nur den einzigen Zweck, äußere Dinge wahrzunehmen und sie, seinen Formen gemäß, zu objektiviren. Wir fühlen uns unmittelbar und suchen nicht etwa erst zu einem gewissen Eindruck die Ursache mit Hülfe des Causalitätsgesetzes; wir können zweitens unser Inneres nicht dem Raume gemäß gestalten; ingleichen fühlen wir uns immateriell, denn nur Ursachen sinnlicher |
i467 Eindrücke geben wir ausnahmslos, mit Nothwendigkeit, Materialität (Substanzialität). Wach und thätig sind nur unsere höheren Erkenntnißvermögen und mit ihnen das Selbstbewußtsein.
Es ist indessen wohl zu bemerken, daß, ob wir gleich unser Inneres nicht räumlich gestalten können, wir dennoch unmittelbar unserer Individualität uns bewußt sind. Wir haben sie im Gemeingefühl; wir fühlen gleichsam unsere Kraftsphäre und fühlen uns innerlich nicht um die Breite eines Haares ausgedehnter, oder besser: weiter wirksam, als unser Verstand den Leib räumlich ausgedehnt zeigt. Dies ist sehr wichtig, weil Schopenhauer geradezu leugnet, daß uns»im Gemeingefühl oder im inneren Selbstbewußtsein irgend eine Ausdehnung, Gestalt und Wirksamkeit gegeben sei«(W. a. W. u. V. II. 7.) Die Gestalt verlieren wir allerdings im Selbstbewußtsein, allein nicht das Gefühl unserer Ausdehnung, d.h. unserer Kraftsphäre.
Diese gefühlte Individualität berührt den Punkt der Gegenwart (Form der Vernunft) unablässig, oder, was dasselbe ist, giebt jedem von der Vernunft verbundenen Uebergang von Gegenwart zu Gegenwart einen Inhalt. Wir sind uns nie eines leeren Augenblicks bewußt. Unser Geist darf sich beschäftigen mit einer uns noch so fremden Sache, immer wird ihn unser Gefühl begleiten; wir beachten es nur sehr oft nicht und füllen die Augenblicke mit Gedanken, Phantasiebildern, mit der Betrachtung äußerer Gegenstände, welche doch alle nur ein abhängiges Dasein haben, d.h. alle sind nur, weil sie getragen werden von der stetig fortfließenden, wenn auch oft furchtbar aufgeregten und kochenden Fluth unseres Gefühls.
Auf dem Punkte der Gegenwart erfassen wir uns also immer unverhüllt, genau wie wir sind. Welchen Theil unseres Wesens sollte uns denn der Punkt der Gegenwart verhüllen? Aber stempelt nicht die Zeit unser Inneres zu einer bloßen Erscheinung? wie schon Kant ausdrücklich lehrt:
Was die innere Anschauung betrifft, so erkennen wir unser eigenes Subjekt nur als Erscheinung, nicht aber nach Dem, was es an sich selbst ist.
(Kk. 155.)
Schopenhauer bestätigt dies:
Die innere Wahrnehmung liefert noch keineswegs eine er|schöpfende
i468 und adäquate Erkenntniß des Dinges an sich. – Jedoch ist die innere Erkenntniß von zwei Formen frei, welche der äußeren anhängen, nämlich von der des Raumes und von der alle Sinnesanschauung vermittelnden Form der Causalität. Hingegen bleibt noch die Zeit, wie auch die des Erkanntwerdens und Erkennens überhaupt.
(W. a. W. u. V. II. 220.)
Ich erkenne meinen Willen nicht im Ganzen, nicht als Einheit, nicht vollkommen seinem Wesen nach, sondern ich erkenne ihn allein in seinen einzelnen Akten, also in der Zeit.
(ib. I. 121.)
Abgesehen davon, daß von diesem Standpunkte aus das Wesen der Welt niemals erschlossen werden könnte und Philosophiren nichts Anderes, als Danaidenarbeit wäre – (denn was hilft es mir, daß die innere Erkenntniß von zwei Formen frei ist? die übrigbleibende ist gerade hinreichend, um das Ding an sich ganz zu verhüllen) – so ist es, wie ich nachgewiesen habe, überhaupt falsch, der Zeit die Kraft zu geben, irgend eine Veränderung im Erscheinenden hervorzubringen. Wir haben sie vielmehr nur zu dem Zwecke, das Ding an sich seinem Wesen nach zu erkennen; auf das Wesen selbst übt sie auch nicht den denkbar geringsten Einfluß aus. Ich muß mich deshalb hier auf den ganz positiven Standpunkt stellen, daß wir das Ding an sich auf dem inneren Wege vollständig und unverhüllt erkennen. Es ist Wille zum Leben. Ich will das Leben schlechthin – hiermit ist der innerste Kern meines Wesens in’s Licht gestellt: mein Wille ist hier ein Ganzes, eine Einheit. Weil ich das Leben will, bin ich überhaupt. Um dies zu erkennen, bedarf ich der Zeit nicht. Ich will das Leben in jeder Gegenwart und mein ganzes Leben ist nur die Addition dieser Punkte.
Aber auf der anderen Seite will ich das Leben auf eine ganz bestimmte Weise. Um dies zu erkennen, habe ich die Zeit nöthig; denn nur im allgemeinen Flusse der Dinge kann ich offenbaren, wie ich das Leben will. Ohne Entwicklung oder Entfaltung meines Wesens wäre dies unmöglich; die Zeit aber bringt nicht allererst die Entwicklung hervor, sondern macht sie nur wahrnehmbar, und die Vernunft zeigt mir, vermöge der Zeit, die individuelle Färbung meines Wollens überhaupt.
i469 Freilich, betrachte ich einerseits den complicirten wundervollen Apparat, der nöthig ist, um zu erkennen, und andererseits das Wichtigste, was für mich zu erkennen ist: den Kern meines Wesens (wir erkennen uns nicht im Selbstbewußtsein, sondern fühlen uns unmittelbar, aber der reflectirenden Vernunft wird das unmittelbar Erfaßte objektiv), so will es mir nicht einleuchten, daß so auffallend kunstreiche Mittel im richtigen Verhältniß zu einem so dürftigen Resultate stehen. Wille zum Leben! Dasein wollen! Unlöschbarer brennender Durst nach Leben, unersättlicher Heißhunger nach Leben! Und was bringt das Leben?
Da ist nun Nichts aufzuweisen, als die Befriedigung des Hungers und des Begattungstriebs und allenfalls noch ein wenig augenblickliches Behagen, wie es jedem thierischen Individuum, zwischen seiner endlosen Noth und Anstrengung, dann und wann zu Theil wird.
(W. a. W. u. V. II. 404.)
Wie armselig! und weil unser Wesen etwas so entsetzlich Armseliges ist, kann man gar nicht glauben, daß es sich wirklich uns ganz offenbart habe und meint, es stecke noch etwas dahinter, was die Erkenntniß mit heißem Bemühen finden müsse. In Wahrheit aber liegt es in seiner ganzen nackten Einfachheit vor uns. Es ist, wie Herakleitos vom Leichnam sagte, verächtlicher als Mist.
Betrachten wir dagegen die furchtbare Heftigkeit, mit der der Wille das Leben, die verzehrende, glühende Leidenschaftlichkeit, mit der er nur das Eine: Dasein, Dasein und wieder Dasein verlangt, so erkennen wir, wie angemessen das Erkenntnißvermögen dem Willen ist; denn ohne den umfassenden geistigen Blick über alle realen Verhältnisse wäre diesem heftigen Triebe niemals eine andere Richtung zu geben, wovon die Ethik handelt.
Die geleugnete reale Entwicklung trat also gleich am Anfang der Schopenhauer’schen Physik (Welt als Wille) als Eiterbeule hervor. Sehen wir jetzt zu, wie sich die geleugnete Individualität rächte.
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Es kann nicht meine Absicht sein, allzu ausführlich das philosophische System Schopenhauer’s zu behandeln. Ich muß mich darauf beschränken, die Fehler aufzudecken und kurz die Vorzüge anzugeben. Die Ausführung der glänzenden Gedanken muß in den |
i470 Werken Schopenhauer’s gesucht werden, die Jeder, der sich zu den Gebildeten rechnet, gründlich kennen sollte, denn sie sind das Bedeutendste in der ganzen Litteratur der Welt seit dem Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft.
Nachdem Schopenhauer den Willen zum Leben als Kern unseres Wesens gefunden hatte, der, in die Formen des erkennenden Subjekts eingetreten, sich darstellt als Leib, übertrug er das Gefundene mit vollem Recht auf Alles in der Natur.
Denn welche andere Art von Dasein oder Realität sollten wir der übrigen Körperwelt beilegen? woher die Elemente nehmen, aus der wir eine solche zusammensetzten? Außer dem Willen und der Vorstellung ist uns gar Nichts bekannt, noch denkbar. Wenn wir der Körperwelt, welche unmittelbar nur in unserer Vorstellung dasteht, die größte uns bekannte Realität beilegen wollen, so geben wir ihr die Realität, welche für Jeden sein eigener Leib hat: denn der ist Jedem das Realste. Aber wenn wir nun die Realität dieses Leibes und seiner Actionen analysiren, so treffen wir, außerdem daß er unsere Vorstellung ist, nichts darin an, als den Willen: damit ist selbst seine Realität erschöpft.
(W. a. W. u. V. I. 125.)
Um dies aber ausführen zu können, mußte vorher die Natur des Willens einer genauen Untersuchung unterworfen werden, da er nicht überall in gleicher Weise sich äußert. So fand Schopenhauer, daß der Wille ein blinder, bewußtloser Trieb sei, zu welchem die Erkenntniß und das Bewußtsein nicht wesentlich gehören. Er trennte hierauf den Willen von der Erkenntniß gänzlich und machte diese abhängig von jenem, dagegen den Willen unabhängig von der Erkenntniß. Das war ein zweites glänzendes Aper ç u.
Der Grundzug meiner Lehre, welcher sie zu allen je dagewesenen in Gegensatz stellt, ist die gänzliche Sonderung des Willens von der Erkenntniß, welche beide alle mir vorhergegangenen Philosophen als unzertrennlich, ja, den Willen als durch die Erkenntniß, die der Grundstoff unseres geistigen Wesens sei, bedingt und sogar meistens als eine bloße Function derselben ansahen.
(W. i. d. N. 19.)
Indessen befand er sich doch hier auf abschüssiger Bahn, weil er das Wesen der thierischen Erkenntniß nicht tief genug gefaßt hatte, wie ich gleich zeigen werde.
i471 So heißt es auch in derselben Schrift S. 3:
Die Erkenntniß und ihr Substrat, der Intellekt, ist ein vom Willen gänzlich verschiedenes, bloß sekundäres, nur die höheren Stufen der Objektivation des Willens begleitendes Phänomen;
und W. u. W. u. V. II. 531.
Die Erkenntniß ist ein dem Willen ursprünglich fremdes, hinzugekommenes Princip.
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