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I. Einleitung.

Der Gralsorden. | Loherangrin-Kapitel. | Ausstoßung. | I. Zur Psychologie. | II. Zur Physik. | III. Zur Aesthetik. | IV. Zur Ethik. | V. Zur Politik. | VI. Zur Metaphysik. | Eine naturwissenschaftliche Satire. |


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  1. I. Einleitung.

ii539

Sie beginnen, Herr von Hartmann, Ihr Werk:»Die Philosophie des Unbewußten«(Berlin 1871, 3. Aufl.), mit den Worten Kant’s:

Vorstellungen zu haben und sich ihrer doch nicht bewußt zu sein, darin scheint ein Widerspruch zu liegen; denn wie können wir wissen, daß wir sie haben, wenn wir uns ihrer nicht bewußt sind? – Allein wir können uns doch mittelbar bewußt sein, eine Vorstellung zu haben, ob wir gleich unmittelbar uns ihrer nicht bewußt sind.

(Anthropologie. §. 5.)

Kant spricht hier eine Wahrheit aus, welche nicht zu leugnen ist. Sie ist aber nur eine Wahrheit im Zusammenhang mit dem ganzen §. 5 der Anthropologie. Welche Art unbewußter Vorstellungen hatte Kant im Auge?

Wenn ich weit von mir auf einer Wiese einen Menschen zu sehen mir bewußt bin, ob ich gleich seine Augen, Nase, Mund u.s.w. zu sehen mir nicht bewußt bin, so schließe ich eigentlich nur, daß dies Ding ein Mensch sei; denn wollte ich darum, weil ich mir nicht bewußt bin, diese Theile des Kopfs (und so auch die übrigen Theile dieses Menschen) wahrzunehmen, die Vorstellung derselben in meiner Anschauung gar nicht zu haben behaupten, so würde ich auch nicht sagen können, daß ich einen Menschen sehe; denn aus diesen Theilvorstellungen ist die ganze (des Kopfs oder des Menschen) zusammengesetzt.

(ib.)

Kant nennt solche Vorstellungen undeutliche, dunkle und sagt,

daß die dunklen Vorstellungen im Menschen (und so auch in Thieren) unermeßlich seien, die klaren dagegen nur unendlich wenige Punkte unserer Sinnenanschauung und Empfindung enthalten, die dem Bewußtsein offen liegen.

(ib.)

ii540 War es, Herr von Hartmann, philosophische Redlichkeit, diese Ausführungen Kant’s nur oberflächlich zu berühren?

Was ist überhaupt eine»unbewußte Vorstellung«? In der philosophischen Kunstsprache stellen die beiden Wörter eine contradictio in adjecto dar; das Volk dagegen würde sagen: eine unbewußte Vorstellung ist dasselbe, was silbernes Gold wäre. Mit Einem Wort: wir stehen vor einem Ausdruck, welcher vielleicht der Schlußstein einer Pyramide sein könnte, aber niemals ihre Grundlage sein darf. Doch Sie scheinen sehr beherzt zu sein. Gestützt auf den herausgerissenen obigen Satz Kant’s sagen Sie schon auf der vierten Seite Ihres Buchs:

Ich bezeichne den unbewußten Willen und die unbewußte Vorstellung in Eins gefaßt mit dem Ausdruck:»das Unbewußte«.

War das philosophische Redlichkeit, Herr von Hartmann? Verstehen Sie mich übrigens, ich bitte sehr darum, nicht falsch. Ich unterscheide philosophische Redlichkeit auf das Schärfste von der bürgerlichen Redlichkeit. Ich bin fest davon überzeugt, daß Sie nicht im Stande wären, einen Ihrer Nebenmenschen weder um eine Mark, noch um eine Million Mark zu benachtheiligen. Ich halte Sie für einen Guten und Gerechten im bürgerlichen Verkehr: schon deshalb, weil Sie ein Pessimist sind, d.h. ein Schüler Zoroaster’s, der alten Brahmanen, Budha’s, Christi, Salomo’s, Schopenhauer’s, deren Ethik auf dem Pessimismus beruht; aber auf philosophischem Gebiete liegt eine Binde vor Ihren Augen und Sie können nicht das Redliche vom Unredlichen unterscheiden. Zu Ihrer Entschuldigung will ich annehmen, daß ein»unbewußter Wille«(keine»unbewußte Vorstellung«, welche ich unbedingt verwerfen muß) Ihr Verfahren erzeugt hat, obgleich es mir sehr schwer gefallen ist, dies anzunehmen, denn Christus sagte sehr richtig:

Wenn ich nicht gekommen wäre und hätte es ihnen gesagt, so hätten sie keine Sünde; nun aber können sie nichts vorwenden, ihre Sünde zu entschuldigen.

(Ev. Joh. 15, 22.)

Was aber Christus für die Juden war, das waren Kant und Schopenhauer für Sie, Herr von Hartmann. Sie kennen die Kritik der reinen Vernunft und haben auch Schopenhauer’s Ausdruck gewiß mehrmals gelesen, daß es unredlich sei, ein |

ii541 philosophisches System nicht mit der Untersuchung des Erkenntnißvermögens zu beginnen. Sie waren also aus verehrungswürdigem Munde gewarnt; es waren zwei große Männer vor Sie getreten und hatten Ihnen zugerufen:»Beginnst du dein Werk mit der für real genommenen Welt, so bist du ein unredlicher Philosoph, den wir nicht in unsere redliche Gemeinschaft aufnehmen können und werden.«

Sie können mithin Nichts vorwenden, Ihre Sünde zu entschuldigen.

Trotzdem will ich, wie gesagt, annehmen, Sie hätten»unbewußt«gesündigt. –

Es ist Ihnen bekannt, daß Herbart’s Psychologie (seine beste Schrift) in der Hauptsache die Ausführung des von Ihnen citirten Ausspruchs Kant’s ist. Herbart theilte gleichsam den menschlichen Geist in ein kleines helles Cabinet und einen großen dunklen Vorsaal ein. Das erleuchtete Cabinet ist das Bewußtsein, der dunkle Vorsaal das Bewußtlose. Unsere Vorstellungen, Gedanken etc. fluthen nun beständig aus dem Cabinet in den Vorsaal und aus diesem in das Cabinet. An der Schwelle des Bewußtseins herrscht immer Gedränge und Kampf (Herbart hat diesen Kampf sehr hübsch geschildert). Sobald eine Vorstellung die Schwelle übertritt und in’s Cabinet fliegt, wird sie eine bewußte, im umgekehrten Falle eine dunkle unsichtbare Vorstellung.

Bei diesem Hinweis auf Herbart dürfte ich mich schon beruhigen. Ich will es aber nicht, weil durch Schopenhauer’s unbewußten Willen das Problem ein viel tieferes geworden ist. Es handelt sich beim jetzigen Stande der kritischen Philosophie nicht mehr um Vorstellungen, welche im Bewußtsein erzeugt und dann in die geistige Fluthung aufgenommen wurden, wo sie bald oben, bald unten sind, sondern hauptsächlich um solche Producte der Geistesthätigkeit, welche urplötzlich im Lichte des Bewußtseins stehen, ohne daß man weiß, wie sie entstanden sind: sie sind für das Bewußtsein ganz neue Vorstellungen, Gedanken, Gefühle.

Ich werde deshalb eine kleine psychologische Excursion mit Ihnen machen, und zwar von der Mitte Ihres Buches ausgehend, wo Sie das Erkenntnißvermögen abgehandelt haben, nachdem Sie bereits durch eine Fülle bestechender Resultate der Naturwissenschaften Ihre Leser narkotisirt hatten. Auch Das, Herr von Hartmann, |

ii542 war nicht redlich; doch ich bitte auch hier: Zürnen Sie mir nicht, daß ich, erst auf der vierten Seite Ihres Buches stehend, Sie schon dreier»unbewußten«Unredlichkeiten habe zeihen müssen. –

Der Schopenhauer’schen Lehre gemäß ist der Mensch eine Verbindung eines metaphysischen unbewußten Willens mit einem sekundären bewußten Intellekt. Ich habe schon in der Einleitung hervorgehoben, daß die Trennung des Geistes, resp. des Bewußtseins vom Willen, dem Primären, dem Urprincip, eine unsterbliche That Schopenhauer’s war, die Sie, Herr von Hartmann, ganz gewiß nicht mit Ihren Sophismen und Verworrenheiten wieder aus der Welt schaffen können. Der Wille ist seit Schopenhauer kein psychisches Princip mehr, und für jeden Vernünftigen sind die Acten darüber, ob der Wille eine Function des Geistes sei oder nicht, definitiv geschlossen. Sie haben allerdings den Muth gehabt, zu behaupten:

Wille und Vorstellung sind die alleinigen psychischen Grundfunctionen,

(3.)

aber Sie haben auch den traurigen Ruhm, auf gleicher Stufe mit Jenen zu stehen, welche Copernicus nicht begriffen haben und nach wie vor zuversichtlich glauben, daß sich die Sonne um die Erde drehe. Wie die kritische Philosophie ein für alle Mal die Welt zu einer Erscheinung, die nicht identisch mit dem Grund der Erscheinung ist, gemacht hat, so hat auch die von Schopenhauer begonnene echte Ding-an-sich- Philosophie den Willen zum alleinigen Princip der Welt gemacht, und zwar zu einem nicht- psychischen. Es wird Ihnen und einer ganzen Legion Gleichgesinnter niemals gelingen, uns, den echten Schülern des großen Meisters, diese glänzende unschätzbare Errungenschaft auf dem Gebiete des Dinges an sich zu entreißen.

Das menschliche Gehirn ist ein Organ dieses Willens, welcher im Blute allein, in diesem»ganz besonderen Saft«, rein objektivirt ist.

Das Blut actuirt das Gehirn und diese Actuirung bringt das Bewußtsein hervor. Das Bewußtsein ist lediglich eine Erscheinung, welche die Functionen des Gehirns: Vorstellen, Denken und Empfinden begleitet, und zwar findet immer nur eine derselben zu einer bestimmten Zeit im Mittelpunkte des Bewußtseins statt. Das Bewußtsein ist von jeder dieser Thätigkeiten des Gehirns so wenig |

ii543 zu trennen wie der Duft von der wohlriechenden Blume, die Hitze vom Feuer, und Locke hatte vollkommen Recht, als er sagte:

Vorstellungen haben und sich etwas bewußt sein, ist dasselbe

(On human Understanding II. Cap. I. §. 9.)

Zu sagen: der Mensch denkt immer, aber ist sich dessen nicht immer bewußt, heißt ebenso viel als: sein Körper ist ausgedehnt, hat aber keine Theile; denn es ist ebenso unverständlich zu sagen, ein ausgedehnter Körper hat keine Theile, als ein Wesen denkt, ohne es zu wissen, und ohne zu bemerken, daß es denkt. Man kann dann ebenso gut zur Aufrechthaltung solcher Hypothesen sagen, daß ein Mensch immer hungert, aber dies nicht immer empfindet, obgleich der Hunger gerade so in diesem Gefühle besteht, wie das Denken in dem Bewußtsein, daß man denkt;

(ib. §. 19.)

welche durchaus richtigen Aussprüche des großen Denkers Sie auf das Oberflächlichste bemäkeln.

Wie lassen Sie nun, Herr von Hartmann, das Bewußtsein entstehen?

Um diese Frage beantworten zu können, muß ich zuvor einige Grundlagen Ihres Systems an das Licht ziehen.

Wie ich schon oben zeigte, unterscheiden Sie zunächst:

1) einen unbewußten Willen;

2) eine unbewußte Vorstellung.

Hierzu treten selbstverständlich

3) ein bewußter Wille (Willkür);

4) eine bewußte Vorstellung.

Zu diesen Principien gesellt sich

5) der menschliche Leib, d.h. die Materie.

Die Materie lösen Sie gleichfalls in unbewußten Willen und unbewußte Vorstellung auf; sie tritt indessen, als Materie, der Psyche gegenüber selbstständig auf.

Für Sie, Herr von Hartmann, hat Kant nicht gelebt, für Sie hat Schopenhauer nicht gelehrt. Sie kühner Romantiker wollen uns auf den unfruchtbaren Boden der vorkantischen reinen rationalen Psychologie zurückversetzen. Wir danken aber für Ihren»abgestandenen Kohl«. (David Strauß.)

Nachdem Sie nun in unglaublicher Verblendung das Meisterstück fertig gebracht hatten, die Materie wieder in einen Gegensatz |

ii544 zum Geist, zur denkenden Substanz, zur Psyche zu setzen, ließen Sie das Bewußtsein auf folgende geistvolle Weise im Menschen entstehen:

Wir halten»Wille und Vorstellung«als das unbewußter und bewußter Vorstellung Gemeinschaftliche fest, setzen die Form des Unbewußten als das Ursprüngliche, die des Bewußtseins aber als ein Product des unbewußten Geistes und der materiellen Einwirkung auf denselben.

(402.)

Vorhin hatten wir gefunden, daß das Bewußtsein ein Prädicat sein muß, welches der Wille der Vorstellung ertheilt; jetzt können wir auch den Inhalt dieses Prädicates angeben: es ist die Stupefaction des Willens über die von ihm nicht gewollte und doch empfindlich vorhandene Existenz der Vorstellung.

(404.)

Da greift plötzlich die organisirte Materie in diesen Frieden mit sich selber ein und schafft dem erstaunten Individualist eine Vorstellung, die ihm wie vom Himmel fällt, denn er findet in sich keinen Willen zu dieser Vorstellung; zum ersten Male ist ihm»der Inhalt der Anschauung von Außen gegeben«. Die große Revolution ist geschehen, der erste (??) Schritt zur Welterlösung gethan, die Vorstellung ist von dem Willen losgerissen (!!), um ihm in Zukunft als selbstständige Macht (!!) gegenüber zu treten, um ihn sich zu unterwerfen (!!), dessen Sclave sie bisher war. Dieses Stutzen des Willens über die Auflehnung gegen seine bisher anerkannte Herrschaft, dieses Aufsehen, das der Eindringling von Vorstellung im Unbewußten macht, dies ist das Bewußtsein.

(404. 405.)

Es ist mir von glaubwürdiger Seite versichert worden, daß Sie, wie Schiller seine»Räuber«, Ihre»Philosophie des Unbewußten«als eine schwere Jugendsünde ansähen. Sie würden vielleicht Ihre rechte Hand, ja beide Hände darum geben, wenn Ihr Werk noch nicht erschienen wäre. Selbstverständlich würden Sie, wenn Sie das Werk jetzt erst zu schreiben hätten, Manches verwenden, was sich in Ihrem Buche befindet: obige drei Stellen würden aber ganz bestimmt nicht darin vorkommen.

Ein sehr großes Verdienst Schopenhauer’s ist, daß er den Leib identisch mit dem Willen setzte. Der Leib ist nur der in die |

ii545 subjektiven Anschauungsformen eingegangene Wille. Schopenhauer begründete dies jedoch nicht in ausreichender Weise, weil er die Materie nicht durch und durch ideal (im Kopfe des Menschen allein liegend) zu machen verstand. Seine Erklärung: der Körper sei Erscheinung des Willens, ist mithin ein echtes wahres Urtheil ohne Angabe von Gründen. Ich habe in meinem Hauptwerk die reine Idealität der Materie nachgewiesen, und dadurch allererst den Gegensatz zwischen denkender und ausgedehnter Substanz, welcher in der Zeit vor Kant die Philosophen so furchtbar quälte, aufgehoben und vernichtet.

Wenn ich in dieser Hinsicht den von Kant und Schopenhauer eingeschlagenen richtigen Weg verfolgte und vollständig zurücklegte, so mußte ich dagegen den anderen Weg Schopenhauer’s, auf welchem er den Intellekt in einen Gegensatz zum Willen brachte, entschieden verwerfen.

Ich habe bewiesen, daß der Intellekt nie in ein antagonistisches Verhältniß zum individuellen Willen treten kann, welcher der Herr, der Fürst und das Einzige Princip in der Welt ist. Der Intellekt ist Function eines aus dem Willen herausgetretenen Organs, wie die Verdauung Function eines aus dem Willen herausgetretenen Organs ist. Wie der Magen dem Willen nicht feindlich gegenüber treten kann, so kann auch das Gehirn nicht gegen den Willen rebelliren. Hadert der Wille mit dem Intellekt, macht der Intellekt dem Willen Vorwürfe u.s.w., so ist es immer der Wille, der in einem seiner Organe mit sich selbst hadert, sich selbst Vorwürfe macht.

Sie hingegen wanderten getrost auf dem falschen Wege Schopenhauer’s fort, weil Sie, als Romantiker, eine sympathie de cœur mit allem Metaphysischen, Hyperphysischen, Transscendenten, Uebersinnlichen und Unsinnigen, also auch mit den Fehlern Schopenhauer’s haben, während nur eine sympathie d’épiderme zwischen dem Immanenten, Rationalen und Natürlichen, also auch den Errungenschaften der Schopenhauer’schen Philosophie und Ihnen besteht. Auf diese Weise sind Sie glücklich auf falscher Bahn an den Abgrund gekommen, sind hineingefallen und Ihr Talent hat die Wirbelsäule gebrochen. Sie sind ein geistiger Invalide geworden. Glauben Sie nicht, daß ich Schadenfreude empfinde. Dieses teuflische Gefühl ist mir überhaupt fremd. Ich sage dies vielmehr |

ii546 mit Wehmuth; denn die Natur hatte Ihnen ein gutes Pfund in die Wiege gelegt, womit Sie Bedeutendes hätten leisten können. Sie sind aber an dem Uebermuth der Jugend zu Grunde gegangen.

Und jetzt will ich Ihnen specieller erklären, wie das Bewußtsein entsteht und will Ihnen zeigen, was unter unbewußter Vorstellung zu verstehen ist und zwar in einer Weise, die ein Kind begreifen kann.

Der menschliche individuelle Wille zum Leben (also nicht die Willkür), der Dämon oder, objektiv ausgedrückt: das Blut, ist unbewußt. Der Geist, die Psyche oder, objektiv ausgedrückt: das Gehirn, ist bewußt. Das Gehirn ist wie der Magen, die Genitalien, die Hände, die Füße u.s.w. Organ dieses unbewußten Dämons. Wie nun der Magensaft eine ganz specifische Beschaffenheit hat, wie das Ergreifen eines Gegenstandes mit der Hand eine ganz bestimmte specifische Art hat, welche Art und Weise vom Ergreifen so wenig zu trennen ist wie die Härte vom Granit, so ist das Bewußtsein auf das Innigste mit den Thätigkeiten des Gehirns verbunden, die wir Denken, Fühlen und Vorstellen nennen.

Das Bewußtsein entsteht, zugleich mit dem Denken, Vorstellen, Fühlen, durch den Contact des Blutes mit dem Gehirn, wie das Verdauen mit der Absonderung des Magensaftes durch den Contact des Blutes mit dem Magen entsteht.

Das Gehirn wird durch das Blut actuirt und mit der Berührung zugleich ist das Bewußtsein gegeben.

Wie der Funke entsteht, wenn man den Stahl auf den Feuerstein schlägt, so entsteht das Bewußtsein, wenn der Dämon den Geist actuirt. Und tritt das Blut mehr oder weniger zurück, d.h. läßt seine Energie nach, so wird auch das Bewußtsein matter, lichtärmer.

Nicht gegen einen Eindringling, wie Sie sagen, gegen die Materie lehnt sich das Unbewußte auf, sondern der Dämon will erkennen, denken, vorstellen, fühlen, und deshalb hat er seinen»eingeborenen Sohn gesandt«, den Geist, deshalb denkt, stellt vor, fühlt er in seinem Organ. Von einem Antagonismus, von einem Kampfe, von einer Befreiung des Intellekts vom Willen, von einem Intellekt als einer selbstständigen Macht kann nur im Tollhaus gesprochen werden, nicht unter vernünftigen Leuten.

ii547 Die Function des Gehirns ist nun keine einheitliche, sondern eine mannigfache. Der Geist denkt, schaut an, fühlt, und zwar ruht das Gehirn als solches nie: auch im Schlafe, in Ohnmachten und Betäubungen ist es thätig. Aber der Mittelpunkt des Bewußtseins ist immer nur Einer, und der Mensch kann sich immer nur Dessen klar bewußt sein, was im Lichte dieses Einen Mittelpunkts steht.

Dieses Verhältniß muß ich jetzt noch schärfer bestimmen.

Das Bewußtsein schlechthin entsteht also durch die Berührung des Blutes mit dem Gehirn. Wir dürfen es uns aber nicht unter dem Bilde eines Punktes vorstellen, sondern müssen es uns von einer gewissen Ausdehnung denken, und zwar vergleicht man es am besten mit der Retina. Wie die Retina, als ausgedehntes Organ, einen ganzen vor mir stehenden Baum z.B. sieht, aber doch nur denjenigen Theil des Baumes deutlich sieht, welcher ihr Centrum trifft, so kann ich zu gleicher Zeit vorstellen, denken und fühlen, aber in einem gegebenen Augenblick nur eine dieser drei Functionen deutlich ausüben. Setzen wir den Fall: Sie blickten auf die Straße, stächen sich gleichzeitig mit einer Nadel in die Hand und dächten auch gleichzeitig an einen Freund. Die Menschen, Häuser, Pferde u.s.w., die Sie sehen, der Schmerz, den Sie fühlen und Das, was Sie denken, sind Producte dreier grundverschiedenen Functionen des Gehirns und Sie haben dieselben gleichzeitig im Bewußtsein. Haben Sie aber alle diese Producte im deutlichen Bewußtsein? In keiner Weise. Wenn Sie einen Versuch machen, so werden Sie finden, daß Ihr Geist diese Producte gleichsam immer durch den Mittelpunkt des Bewußtseins jägt und sich nur Dessen deutlich bewußt ist, was gerade im hellen Mittelpunkt steht.

Dieser Sachverhalt zeigt sich ganz rein, wenn ein Gedanke oder ein Gefühl oder eine Vorstellung sehr mächtig ist: dann bleibt ein Gefühl z.B. in diesem Punkte stehen, und wir können weder deutlich denken, noch deutlich vorstellen.

Dieser Mittelpunkt des Bewußtseins ist nun das Ich, welches im Thiere gefühltes Ich, im Menschen gedachtes Ich oder Selbstbewußtsein ist. Seine Form ist die Gegenwart, eine apriorische Form. Das Selbstbewußtsein steht und fällt mit dem Denken, das Selbstgefühl des Thieres mit dem Fühlen |

ii548 und das Ich ist in diesen Functionen immer nothwendig enthalten, wenn auch zuweilen verhüllt. Deshalb sind auch Fühlen und Denken unmittelbar mit dem Bewußtsein gegeben, während dies mit dem Vorstellen nicht der Fall ist. Die Vorstellung an sich ist ein unbewußtes Werk des Geistes und wird uns nur mittelbar bewußt, nämlich wenn wir sie mit dem Ich verknüpfen. Da wir aber nur in dieser Verknüpfung überhaupt Das thun, was wir Vorstellen nennen, so stehen die drei Functionen des Geistes dennoch auf gleicher Stufe.

Von dem oben erörterten klaren Vorstellen etc. und unklaren Vorstellen etc. ist nun die unbewußte Function unseres Geistes grundverschieden.

Sind wir z.B. in der tiefsten ästhetischen Contemplation begriffen, so erfüllt in diesem Augenblick nur das angeschaute Bild, die Statue, die Landschaft o. A. m. den Punkt des Bewußtseins. Die anderen Thätigkeiten unseres Geistes, welche wir im Lichte des Bewußtseins Denken und Fühlen nennen, ruhen inzwischen nicht, aber wir dürfen sie nicht unbewußtes Denken und Fühlen nennen, denn Denken, Fühlen und Vorstellen sind untrennbar mit dem Bewußtsein verbunden, wie die Hitze mit dem Feuer. Was diese Functionen an sich, unabhängig vom Bewußtsein sind, Das lasse ich jetzt noch unerörtert. Ich stelle nur fest, daß es sich nicht um eine elende Wortklauberei, nicht um Auseinanderhaltung gleicher Begriffe handelt. Das Problem ist genau dasselbe, wie der Unterschied zwischen Objekt und Ding an sich, Erscheinung und Grund der Erscheinung: beide Probleme decken sich. Ich constatire einstweilen lediglich, daß es nur ein bewußtes Denken, Empfinden und Vorstellen giebt, daß aber auch der Geist ohne Bewußtsein functionirt.

Erwachen wir nun, hört die Contemplation durch irgend eine Störung auf, so können auf einmal Gedanken den Punkt des Bewußtseins erfüllen, welche wir noch nie hatten, d.h. das Product einer unbewußten Function des Gehirns wird uns plötzlich bewußt, weil ja unsere Denkkraft inzwischen nicht gefeiert hat, sondern vom Blute nach wie vor actuirt worden war; aber ihre Producte konnten nicht auf den Punkt des Bewußtseins gerückt werden, wo sie Gedanken geworden wären, weil der Punkt von einer mäch|tigeren

ii549 Vorstellung occupirt war. Ebenso wohl hätten auch uralte Gedanken unser Bewußtsein erfüllen können.

Schon Schopenhauer vermengte die unbewußten Functionen des Gehirns mit den bewußten Functionen (Denken, Fühlen, Vorstellen) und die unbewußten Producte mit den bewußten Producten (Gedanken, Gefühle, Vorstellungen), was auf’s Strengste auseinander gehalten werden muß, soll nicht eine heillose Confusion entstehen, wie Ihre ganze Philosophie schlagend beweist. Schopenhauer sagt:

Vergleichen wir unser Bewußtsein mit einem Wasser von einiger Tiefe, so sind die deutlich bewußten Gedanken bloß die Oberfläche: die Masse hingegen ist das Undeutliche, die Gefühle, die Nachempfindung der Anschauungen und des Erfahrenen überhaupt, versetzt mit der eigenen Stimmung unseres Willens, welcher der Kern unseres Wesens ist. Selten liegt der ganze Proceß unseres Denkens und Beschließens auf der Oberfläche, d.h. besteht in einer Verkettung deutlich gedachter Urtheile; obwohl wir dies anstreben, um uns und Anderen Rechenschaft geben zu können: gewöhnlich aber geschieht in der dunklen Tiefe die Rumination des von außen erhaltenen Stoffes, durch welche er zu Gedanken (?) umgearbeitet wird; und sie geht beinahe so unbewußt vor sich, wie die Umwandlung der Nahrung in die Säfte und Substanz des Leibes.

(W. a. W. u. V, II. 148.)

Im Schlafe, in Ohnmachten, im Rausche, in der Narkose, in der Verzückung ist das Bewußtsein immer vorhanden, weil das Blut ja nur im Tode des Individuums das Gehirn verlassen kann. Das Blut actuirt das Gehirn so lange als der Mensch überhaupt lebt, aber in der Art und Weise der Actuirung sind Unterschiede und das Bewußtsein hat mithin Grade.

In allen angeführten Zuständen des Menschen ist die Sinnesthätigkeit entweder vollständig oder sehr erheblich gelähmt. Die Außenwelt occupirt mithin den Punkt des Bewußtseins nicht, und nun spiegelt sich entweder im Selbstbewußtsein mit außerordentlicher Klarheit und Schärfe der innere Zustand (dies ist namentlich in der Narkose der Fall) oder es erfüllen ihn wandernde Traumgestalten. Der Mensch träumt immer im Schlafe, weil kein Organ des Leibes überhaupt absolut unthätig sein kann (die äußere Bewegung, die Ortsveränderung ist durchaus nebensächlich; wenn auch |

ii550 z.B. die Arme im Schlafe bewegungslos sind, so sind sie doch nicht innerlich bewegungslos). Das Bewußtsein kann im Leben nie, nur im Tode kann es erlöschen. Aber wir sind uns im wachen Zustande nur selten der Thätigkeit des Gehirns im betäubten Zustande bewußt. Daß wir auch im betäubten Zustande Bewußtsein haben, geht schon daraus hervor, daß wir uns vieler Träume erinnern. Könnten wir uns derselben erinnern, wenn wir uns ihrer während ihres Verlaufes nicht bewußt gewesen wären?

Sie sehen, Herr von Hartmann, der Dämon ist und bleibt immer Herr und Fürst, gegen welchen eine Rebellion der Organe gar nicht stattfinden kann. In Krämpfen und in Krankheiten will der Dämon nur sein Recht im eigenen Hause gegen fremde Störungen geltend machen: in seinem Staate giebt es nur absolut gehorsame Sclaven, in denen der Gedanke an Auflehnung eine bare Unmöglichkeit ist.

Es giebt mithin im Menschen:

1) unbewußte Functionen des Gehirns, welche man nicht unbewußtes Denken, unbewußtes Fühlen, unbewußtes Vorstellen nennen darf;

2) unbewußte Producte dieser Thätigkeiten, welche man nicht unbewußte Gedanken, unbewußte Gefühle, unbewußte Vorstellungen nennen darf;

3) bewußte Functionen des Gehirns, schlechtweg: Vorstellen, Fühlen, Denken genannt;

4) bewußte Producte dieser bewußten Functionen, schlechtweg: Vorstellungen, Gefühle, Gedanken genannt.

Ferner: die bewußten Functionen und ihre Producte stehen und fallen mit dem Gehirn, weil nur mit diesem das Bewußtsein untrennbar verbunden ist. Aber auch die unbewußten Geistesthätigkeiten und ihre Producte stehen und fallen mit dem Gehirn. Nimmt man an, wie Sie es auf die unbesonnenste und verwegenste Weise gethan haben, daß die Ganglien, die Pflanzen, ja selbst die unorganischen Körper Vorstellungen haben, so darf man auch lehren: die Ganglien, die Hände, das Gehirn, die Augen u.s.w. verdauen. Nur das Gehirn zeigte Ihnen die Thätigkeit des Vorstellens, wie Ihnen nur der Magen das Verdauen zeigte. Sie generalisirten aber die Thätigkeit eines einzigen Organs, d.h. Sie lösten das Vorstellen vom Gehirn |

ii551 ab und übertrugen es nicht nur auf alle Organe des Leibes, sondern auch auf die ganze Natur, auch auf Bäume und Backsteine. Ein solches Verfahren brauche ich gewiß nicht zu charakterisiren: es richtet sich selbst.

Das Bewußtsein – ich wiederhole es – ist der Funke im Contact des Dämons mit dem Geiste, des Blutes mit dem Gehirn, des Herzens mit dem Kopfe, wie schon Budha richtig lehrte. Er sagte:

Das Herz ist der Sitz des Gedankens. Man kann sagen: das Herz fühlt den Gedanken, trägt ihn, stützt ihn, oder auch: es wirft ihn aus, schleudert ihn in die Höhe. Das Herz ist die Ursache von mano-winyána, d.h. des Bewußtseins.

(Spence Hardy, Manual of Budhism, 402.)

Also vor 2500 Jahren wurde schon gelehrt, was Sie erst jetzt durch mich erfahren. Aber Budha war auch Budha und Sie sind – Herr von Hartmann.

Sie haben das von Schopenhauer zum ersten Mal im Occident ernstlich und wissenschaftlich näher betrachtete Unbewußte nicht nur nicht besser erkannt, als der unsterbliche geniale Meister, sondern haben es zu Etwas gemacht, worunter die Wahrheit nie ihr Siegel drücken wird. Sie haben Das, was Schopenhauer darüber gesagt hat, verwässert und dann den trüben Schaum Ihrer Gedankenlosigkeit darauf geschüttet. Ich will nun, ehe ich diesen trüben Schaum genau untersuche, angeben, in welcher Weise ich das Unbewußte, das Schopenhauer seinen Nachfolgern vermachte, weiter ergründet habe.

Ich habe nachgewiesen, daß dem individuellen Willen, dem Einzigen Princip in der Welt, nicht das Bewußtsein, sondern die Bewegung allein wesentlich ist. Sie ist sein einziges echtes Prädicat. Die erste blinde bewußtlose Bewegung, welche das Individuum hatte, erhielt es im Zerfall einer unergründlichen, vorweltlichen, einfachen Einheit. In seiner Bewegung lag Trieb zum Ziele und Ziel untrennbar verbunden. Von einer Vorstellung des Zieles in den ersten Individuen der Welt kann gar keine Rede sein. Ihr erster Impuls war Alles. Dieser Impuls lebt jetzt noch (jedoch modificirt durch Alles, was inzwischen: vom Anfang der Welt bis zu diesem Augenblick, auf das Individuum eingeflossen ist) im unbewußten Dämon jedes |

ii552 Menschen. Deshalb die Unfehlbarkeit, deshalb die Sicherheit des reinen Dämons, resp. des reinen Instinkts im Thiere, des Pflanzentriebs und des Triebs nach einem idealen Mittelpunkt oder nach allen Seiten im unorganischen Reiche, Mit diesem unfehlbaren blinden Trieb wirkt das Bewußtsein im Menschen zusammen. Der Dämon hat sich überhaupt nur ein Gehirn, ein denkendes, fühlendes, anschauendes Organ, welchem das Bewußtsein eigenthümlich ist, geschaffen, hat es aus sich heraus geboren, weil er eine raschere, bessere Bewegung zum Ziele, das in ihm ohne Vorstellung liegt, haben wollte. Die menschliche Bewegung ist immer und immer, im Einzelnen betrachtet, wie als Lebenslauf aufgefaßt, eine resultirende und immer die beste sowohl für das Individuum, als für das Weltall, ob auch ein Mensch wegen einer seiner Handlungen in’s Zuchthaus wandern müsse. Es findet nie, Herr von Hartmann – ich bitte Sie, dies wohl zu merken – nie zwischen Geist und Willen ein Antagonismus, sondern immer nur Cooperation statt, wenn auch oft einem menschlichen Willensact ein Conflict der Motive im Geiste vorhergeht.

Diesen Dämon habe ich dann schließlich in der Metaphysik als Willen zum Tode enthüllt. Wille zum Tode ist im Lichte des Bewußtseins das Wesen des Unbewußten und zwar des individuellen Unbewußten, nicht Ihres erträumten, erfaselten All-Einen Unbewußten. Der unbewußte individuelle Dämon und der bewußte Geist streben nach dem absoluten Tode, sie cooperiren in diesem Streben, unterstützen sich, helfen sich und werden auch in jedem Menschen, über kurz oder lang, ihr Ziel erreichen. Ich erklärte ferner, warum der Mensch auf der Oberfläche Wille zum Leben sei, indem ich zeigte, daß der Wille das Leben als Mittel zum Tode will (allmälige Schwächung der Kraft).

Das ist das echte Unbewußte, das ist die echte Harmonie im Weltall, trotz des Kampflärms, des Gejammers und Gewimmers, trotz der Conflicte in einer und derselben Brust, trotz des Lebenshungers und Lebensdurstes, woraus der Kampf um’s Dasein entspringt. In der Welt giebt es nur Individuen. Diese umschlingt aber der Ursprung aus einer einfachen Einheit wie ein Band (dynamischer Zusammenhang der Dinge). Diese Einheit wollte das Nichtsein und deshalb conspirirt Alles in der Welt |

ii553 und im Individuum nach dem Nichtsein. In der Welt herrscht Antagonismus des allgemeinen Zieles wegen, weil das Ziel nur durch Kampf, Schwächung der Kraft und Aufreibung zu erlangen ist; im Individuum dagegen herrscht kein Antagonismus, sondern harmonische Cooperation.

Und jetzt, nach dieser nothwendig gewesenen Vorerörterung, will ich Ihnen zeigen, Herr von Hartmann, wie dunkel und unvernünftig gewählt die Wege waren, die Sie wandeln mußten, damit Sie und die von Ihnen Verführten die beste Bewegung mit Absicht auf das einzelne Individuum, wie mit Absicht auf das Weltganze, erlangen konnten.

Da mir die Eintheilung der Wissenschaften in Psychologie, Physik im weitesten Sinne (welche auch die Aesthetik, Ethik und Politik in sich schließt) und Metaphysik am geläufigsten ist, so erlaube ich mir, Ihren»unbewußten«Gedankenschaum von dem Gesichtspunkte dieser Disciplinen aus und in angegebener Reihenfolge zu beurtheilen.

 


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Zwölfter Essay. Kritik der Hartmann’schen Philosophie des Unbewußten.| II. Psychologie.

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