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Beckrams Freund Kirkovenal war ebenfalls anwesend, eine Generation jünger als die anderen Oransteiner. Er saß neben Garranon, der sein übliches ausdrucksloses Hofgesicht aufgesetzt hatte. Nur
die Ringe unter seinen Augen erzählten noch von Jakovens Angriff.
Danerra, Levenstern, Revenell und Willettem hatten alle in der Rebellion und bei den Hundert gekämpft - was das Einzige war, was ich über sie wusste. Zwischen Willettem und Kirkovenal gab es einen leeren Stuhl, und Beckram ließ sich dort nieder. Ich lehnte mich gegen die Wand. Wenn ich mich jetzt hinsetzte, würde ich innerhalb von fünf Minuten einschlafen, es sei denn, jemand tat etwas Interessanteres, als zu reden.
Als ich Alizon am Hof kennengelernt hatte, war er berüchtigt für seine exotische Kleidung und sein gefärbtes Haar gewesen. Nun jedoch war sein Haar grau gesträhnt und kurz geschnitten, was keiner der herrschenden Moden entsprach. Wenn ich auf einem Marktplatz an ihm vorbeigegangen wäre, hätte ich ihn nicht erkannt.
Kellen und Rosem waren auffallend abwesend, aber mein Onkel saß rechts von Alizon und beobachtete die Gesichter im Raum genau. Tosten war ebenfalls nicht da.
Mein Onkel grüßte mich mit einem Blick und ergriff dann mit der Haltung eines Mannes, der sich zum zwanzigsten Mal wiederholt, das Wort.
»Ihr sagt, Ihr wollt Estian angreifen«, sprach er und schaute von einem Oransteiner zum anderen.»Aber das wäre zu diesem Zeitpunkt vollkommen verrückt.«
»Auf den Straßen von Estian zu kämpfen, wo jede
Hand sich gegen uns wenden könnte, wird uns in der Tat zu viele Männer kosten«, stimmte Alizon zu.»Wir müssen unsere Ziele sorgfältig auswählen.«
»Wenn nicht Estian, wo sollen wir dann zuschlagen?«, fragte Kirkovenal.»Würden die Adligen aus Shavig nach Avinhelle marschieren? Dann könnten wir Tallven angreifen, während Jakoven seine Anstrengungen im Norden konzentriert.«
Garranon schüttelte den Kopf.»Verbessert mich bitte, wenn ich mich irren sollte, aber ich bezweifle, dass mehr als ein Zehntel des Adels von Oranstein bereit ist, ein Heer zu schicken, das in Tallven kämpft. So etwas würde uns gegenüber einem Angriff der Vorsag an unserer Südgrenze zu verwundbar machen.«
Revenell beugte sich vor und sagte:»Wenn wir unsere Streitkräfte aufteilen und das halbe Heer zurücklassen, um unsere Heimat zu schützen.«
Beckram schüttelte den Kopf.»Jakoven hat bereits mehr Männer als wir. Wenn wir unsere Truppen auch noch aufteilen, wird er eine Schneise mitten durch die Heere von Oranstein schlagen, während die Shavig damit beschäftigt sind, gegen Avinhelle zu kämpfen - gegen ein Heer, das seine Heimat verteidigt und nicht nur einem Befehl folgt. Und wenn Oranstein erst niedergeschlagen wurde, wird der König umkehren und sich hinter Avinhelle stellen, und sie werden Shavig noch vor dem Frühling überrollen. Es gibt ein Bergvolk in Avinhelle, das ebenso gut weiß, wie man im Winter kämpft, wie wir.«
Duraugh nickte.»Er hat recht.«
»Tallven besteht nur aus Grasland«, sagte Farra-well. Er war seltsam haarlos, wenn man von dem graurötlichen Schnurrbart auf seiner Oberlippe einmal absah.»Es gibt nur zwei oder drei nennenswerte Städte. Die Burgen können das Land nicht schützen, nur die Menschen. Es wäre leicht mit einem Heer zu überrennen. Deshalb haben sich die Tallvens ja so angestrengt, die anderen vier Königreiche zu übernehmen, damit sie Barrieren um ihre Getreidefelder haben.«
»Aber wir kämpfen nicht, um von Tallven unabhängig zu werden, meine Herren«, sagte Danerra, der aussah, als wäre er in einer Bibliothek mehr zu Hause als in einem Krieg - während der Rebellion hatten seine Leute ihn den Dachs genannt. Freundlich fuhr er fort:»Wir versuchen, Jakoven durch Kellen zu ersetzen und nicht, den wichtigsten Lebensmittellieferanten der Königreiche zu zerstören.«
»Ich sprach auch nicht davon, die Felder abzubrennen«, sagte Farrawell.»So etwas wäre dumm -zumindest bis zum Frühling.«
»Im Frühling wäre es genauso dumm«, warf Levenstern hitzig ein.»Kellen will seine Leute ernähren können, wenn wir fertig sind.«
Die Besprechung ging langsam in Chaos über. Hocker wurden beiseitegeschoben, Männer schrien aufeinander ein, während Alizon und mein Onkel versuchten, wieder ein wenig Ordnung zu schaffen. Nur Garranon schien gegen all das immun zu sein. Er schloss die Augen und lehnte den Kopf gegen die Steinwand.
Ich bewegte mich um den bis dahin noch ausschließlich verbalen Kampf herum bis zur Garranon und lehnte mich ebenfalls an.»Wo ist Kellen?«, fragte ich.
»Er hat aufgegeben und ihnen gesagt, sie sollten ihn wissen lassen, wenn sie einen Plan haben.«
»Was will er denn tun?«
Garranon schüttelte den Kopf.»Er wollte warten und sich mit allen Adligen aus Oranstein treffen, so, wie wir uns gerade mit Euren Leuten getroffen haben. Aber in Oranstein gibt es nichts, was Eurem Rat entspricht. Nicht mehr seit der Rebellion. Alizon hat eine ziemlich gute Vorstellung davon, wer gegen Jakoven ist, aber das Problem besteht darin, dass sich die meisten nicht dafür interessieren, Jakoven durch Kellen zu ersetzen: Für sie ist ein Tallven so schlimm wie der andere.«Er hielt inne, als jemand Farrawell einen Schlag versetzte - ich wusste nicht, wer, weil ich Garranon angesehen hatte.
Garranon hob die Stimme und sagte scharf:»Es gibt Leute, die nicht wissen, gegen wen sie kämpfen sollen.«Aber die Streithammel achteten nicht auf ihn.
»Hat Haverness immer noch genügend Macht, um die wichtigsten Oransteiner in Callis zusammenzuholen?«, fragte ich und hielt ein wachsames Auge auf den eskalierenden Kampf.
Garranon schüttelte den Kopf.»Sicher hat er die
Macht dazu - aber er ist der Anführer der Fraktion, die sich gegen einen Krieg mit Jakoven stellt.«
»Seid Ihr sicher?«, fragte ich.»Wo ist Tisala?«
Garranon zog überrascht die Brauen hoch und schüttelte den Kopf.»Das weiß ich nicht. Was hat Tisala damit zu tun?«
Die Tür zum Zimmer ging auf, und Kellen stand in der Tür, gerade, als Beckram und Kirkovenal Farrawell von Danerra wegzerrten.
»Nun«, sagte Kellen in eisigem Ton,»wenn wir genug davon haben, gegen meinen Bruder zu kämpfen, können wir uns immer noch gegenseitig umbringen.«
Verlegenes Schweigen senkte sich über den Raum, und mein Onkel half Danerra auf die Beine, während Beckram und Kirkovenal Farrawell vorsichtig losließen. Erst nachdem sich alle wieder hingesetzt hatten, trat Kellen in den Raum, begleitet von Rosem und Tisala.
»Wir werden Folgendes tun«, sagte Kellen.»Tisalas Vater, Haverness, wird ein Treffen der Oransteiner einberufen. Sie glaubt, er kann die meisten zu seiner Burg in Callis bringen, ohne Jakoven zu alarmieren, da die oransteinischen Adligen inzwischen sehr gut gelernt haben, die Spione meines Bruders abzuschütteln. Tisala sagt mir auch, dass Haverness Tauben hält. Sie glaubt, er kann sie innerhalb von zwei Wochen zusammenbringen.«
»Sie übertreibt die Wichtigkeit ihres Vaters«, sagte Farrawell.»Und überhaupt, warum sollten wir auf eine Frau hören?«
»Keine Ahnung«, sagte ich. Ich weiß nicht, was sie in meiner Stimme hörten, aber sie entfernten sich ein Stück von mir.»Vielleicht, weil sie weiß, wovon sie spricht - anders als die meisten anderen, die ich an diesem Nachmittag hörte.«Ich warf Farrawell einen Blick zu.»Und sie ist kompetent. Wenn sie Da-nerra geschlagen hätte, wäre er am Boden geblieben, bis er wieder aufwachte. Nur, dass sie ihn nicht geschlagen hätte - nicht, wenn es keinem anderen Zweck diente, als sich aufzuplustern, meine Herren.«
Farrawells Hand zuckte zu seiner Hüfte, wo sich normalerweise sein Schwert befunden hätte.
Kellen sah mich an.»Das genügt«, sagte er.
Ich verbeugte mich.»Wie Ihr wünscht, Sire.«Ich sah, wie Tisala hinter ihm die Augen verdrehte.
Kellen wandte sich wieder den anderen zu.»Tisala sagt, Haverness habe die radikaleren Adligen - Leute wie Euch - bisher gemieden, aber ich glaube, dass Alizon und seine Tochter ihn überreden können, uns zu helfen.«
Alizon nickte mit einem dünnen Lächeln.»Ich denke schon, dass der alte Fuchs uns bei Verhandlungen helfen wird.«
»Danke«, sagte Kellen.
»Ihr werdet die Unterstützung der Mehrheit nicht gewinnen, Sire«, sagte Kirkovenal ernst.»Den meisten Oransteinern wäre es lieber, wenn das gesamte Königshaus von Tallven vom Erdboden verschwände. Sie wollen nicht einfach einen anderen tallveni-schen König.«
»Ich denke, daran kann ich einiges ändern«, sagte Kellen.»Dank meinem Bruder hier«, er nickte Alizon zu,»verstehe ich, was sie wollen. Ich kann zumindest einige davon überzeugen, dass sie besser dran wären, mir zu folgen, und jeder Mann in diesem Raum weiß, dass sogar tausend weitere Soldaten den Unterschied zwischen einer Niederlage und einem Sieg bedeuten könnten. Ich werde den Hurogmeten mitnehmen«, er deutete auf mich,»und das wird ebenfalls helfen.«
Farrawell riss den Mund auf.»Der da ist der Hurogmeten? Er ist zu jung, um der Riese von Shavig zu sein.«
Ich verbeugte mich vor den Versammelten.»Ihr wart alle beschäftigt, als ich hereinkam - erlaubt mir, mich vorzustellen. Ich bin Wardwick von Hurog.«
Danerra bedachte mich mit einem nachdenklichen Blick, dessen Echo ich in mehreren anderen Augenpaaren sah.»Das könnte tatsächlich funktionieren«, sagte er.»Ich hätte es nicht geglaubt, bis ich ihm be-gegnete - aber der Riese von Shavig ist in Oranstein ein Held.«
Garranon sah mich und und grinste plötzlich.»Wir Oransteiner sind ein musikalisches Volk«, erklärte er mir.»Es gibt zwanzig oder dreißig sehr beliebte Lieder über Haverness’ Hundert - und in den meisten wird der Riese von Shavig gelobt, der einen Berg auf die Vorsag niederstürzen ließ. Und wie Danerra schon sagte, Ihr könntet genauso gut gleich Held auf der Stirn stehen haben.«
Ich konnte spüren, wie ich vor Verlegenheit rot anlief.
Kellen lächelte angespannt.»Er hat Charisma«, sagte er. Etwas an seinem Blick machte mich nervös.
»Aber wo sollen wir als Erstes angreifen?«, fragte Farrawell.
»Nirgendwo«, erwiderte Kellen.»Wenn Jakoven als Erster angreift, wird das einigen Adligen in Oranstein Angst einjagen. Sie wissen, dass Jakoven nur auf eine Ausrede gewartet hat, auch noch den letzten Rest ihrer Macht zu vernichten. Er hat eine Bande von landlosen Adelssöhnen aus Tallven um sich versammelt, die ihm im Austausch für eine Burg in Oranstein vollkommene Loyalität geschworen haben. Wir werden warten, und dann vernichten wir ihn.«
Mein Bruder komponierte gleich mehrere Lieder über den Riesen von Shavig, die er am Abend nach dem Essen sang. Ich drohte allen, die ihm von dem Namen der Oransteiner für mich erzählt hatten, mit sofortiger Enthauptung, aber keiner gestand. Es war vermutlich Beckram gewesen, aber vielleicht auch Kirkovenal, der offenbar gut mit meinem Bruder auskam.
Alizon blieb noch einen Tag, um die Pferde auszuruhen, dann brach er zusammen mit seinen oransteinischen Adligen wieder auf. Wir verließen Hurog zwölf Tage nach ihm - wir, das waren Kellen, Rosem, mein Onkel, Garranon, Oreg, Tisala, Tosten und Axiel als Steuermann. Beckram blieb in Hurog, um sich um die Burg zu kümmern.
»Wie viele wissen hiervon?«, fragte Kellen, als er sich auf dem sanft schaukelnden Floß anschnallte.
Ich zuckte die Achseln.»Ich habe keine Ahnung. Nicht viele.«
Es gab mehr Passagiere, als das Floß Sitze hatte; ich hatte vor, mir auf dem Boden einen Platz zu suchen und mich an den Riemen festzuhalten, die zu diesem Zweck am Floß befestigt waren. Tisala hatte einen Sitz am Heck gefunden, und ich war dorthin unterwegs, als Kellen, der vorn saß, meinen Arm berührte.
»Bleibt bitte hier bei mir«, sagte er.»Ich muss mit Euch reden.«
Also setzte sich mich zwischen Kellens Sitz und den, den Rosem eingenommen hatte.
Kellen deutete auf den Tunnel, durch den wir fahren würden.»Selbst ein einziger Mensch, der davon weiß, ist zu viel.«Er hatte leise gesprochen, aber nicht so leise, dass Axiel es nicht hörte.
»Nur Zwerge können auf diesen Wassern Flöße benutzen. Noch ein paar Wochen, dann werden die Zauber fertig sein, und nur ein Mann von Zwer-genblut, der das Zeichen des Königs trägt, wird die Schutzzauber durchdringen und andere hierher bringen können. Dann wird es gleich sein, wer es weiß«, sagte Axiel.
Ich sah ihn an und zog die Brauen hoch.
»Was glaubst du, wieso der Rat dich zugelassen hat?«, fragte er und überzeugte sich, dass Rosem und Kellen richtig angeschnallt waren.»Sie wussten, dass sie die Möglichkeit hätten zu kontrollieren, wozu du unsere Wege verwendest.«
»Du meinst, du wirst es kontrollieren«, sagte ich.
Axiel lächelte träge.»Ja, aber sie glauben, dass das das Gleiche ist.«
»Was bedeutet, dass es sich nicht so verhält?«, fragte Kellen.
Axiel grinste Kellen vergnügt an.»Es bedeutet, dass ich Ward ein wenig mehr vertraue, als es der Rat meines Vaters tut.«Er ging an mir vorbei, um die nächsten Sitze zu überprüfen.
»Ward«, sagte Kellen mit angenehm lässiger Stimme, die nicht weiter als bis zu Rosem neben mir drang.»Eure Shavig-Leute haben klargemacht, dass sie Euch folgen, nicht mir. Ihr habt die Zwerge und die Drachen als Verbündete. Und Ihr habt das Auge von Haverness’ Tochter. Der alte Fuchs würde ganz Callis für seine Tochter geben, wenn er könnte. Warum nehmt Ihr Euch den Thron meines Bruders nicht selbst?«
Ich hätte mich beinahe verschluckt.»Verzeiht mir, wenn ich das sage, aber die Götter mögen mich vor einem solchen Schicksal bewahren! Außer vielleicht vor der Sache mit Tisala.«Der Gedanke daran, verantwortlich für alle Fünf Königreiche zu sein, ließ mich erblassen.»Es genügt, dass ich mich um meine eigenen Leute sorgen muss, nicht zu reden von Euren. Nein, vielen Dank.«
Er verlagerte das Gewicht.»Ich fürchte, ich werde einen besseren Grund von Euch brauchen, Ward.«
»Also gut«, sagte ich.»Die Königreiche von Tallven, Avinhelle und Seefurt werden sich niemals einen Hochkönig aus Shavig bieten lassen. Ebenso wenig wie Oranstein - sie halten uns für Barbaren.«
In diesen Worten lagen Wahrheit und Sicherheit. Wäre ich an Kellens Stelle gewesen, dann hätte ich mir einen anderen gesucht, dem ich die Fünf Königreiche zuwerfen könnte, und ich war froh, dass ich nicht taugte.
»Warum sollte Shavig dann nicht unter Euch unabhängig werden?«, fragte er.»Das könntet Ihr als Preis für Eure Unterstützung verlangen.«
Ich schüttelte den Kopf und lehnte mich entspannt an Rosems Sitz, als wäre mir nicht aufgefallen, dass er die Hand am Messer hielt. Rosem machte sich Sorgen, dass ich mich aufregen könnte, denn Kellen bezichtigte mich beinahe des Verrats. Aber ich hatte dieses Gespräch schon seit dem Abend erwartet, als der Rat zugestimmt hatte, Kellen zu folgen.
Denn an diesem Abend hatte ich herausgefunden, dass mein Onkel recht hatte. Ich verfügte tatsächlich über Macht.
»Shavig könnte allein nicht überleben«, erklärte ich.»Der Grund für die Vereinigung der Fünf Königreiche bestand darin, dass sie vereint stärker sind als je zuvor. Gemeinsam können wir durch frühe Winter im Norden kommen, indem Getreide aus Tallven und Vieh aus Avinhelle nach Shavig geschickt werden. Wir nehmen Fisch aus Seefurt und Reis aus Oranstein, um zu helfen, wenn die Ernten in Tallven und
Avinhelle schlecht ausfallen. Oranstein-Erz, gemischt mit Eisen aus Shavig, ergibt guten Stahl für Schwerter. Unsere Weber verwenden Wolle und Flachs aus Avinhelle für ihr Tuch. Gemeinsam können unsere Heere Eroberer aus Übersee oder die Vorsag im Süden vertreiben. Allein ist Shavig nichts weiter als reiche Beute für Überfälle.«
»Das klingt alles sehr nett«, sagte Kellen und deutete damit an, dass er genau das Gegenteil meinte.»Ihr habt also keine Absichten auf den Thron, und Shavig will keine Unabhängigkeit. Warum habt Ihr dann den Drachen geholt? Nachdem er sich gezeigt hatte, wusstet Ihr, dass sie keinem anderen als Euch folgen würden.«
Meine Geduld für dieses Verhör ließ rasch nach. Er war an jenem Abend selbst in der Halle gewesen und wusste sehr genau, warum Oreg gekommen war.
»Wenn der Drache sich nicht gezeigt hätte«, erwiderte ich kühl,»wäre Orvidin gegangen und hätte den größten Teil des Rats mitgenommen. Es ist zu lange her, seit große Magie in unserem Land gewirkt wurde, als dass die Menschen es einfach glauben würden. Sie mussten eine Legende sehen, um an eine andere glauben zu können.«
Inzwischen war ich ernsthaft zornig. Mich nach meinen Motiven zu befragen, war in Ordnung, aber diese letzte Frage machte klar, dass er meine Antworten nicht geglaubt hatte. Ich schaute über die Schulter und sah, dass Axiel sich gerade hinsetzte.
»Wenn Ihr mich jetzt entschuldigen würdet«, sagte ich,»ich muss mich um eine Dame kümmern.«Ich stand auf, verbeugte mich, als wären wir bei Hof, und ging zum Heck, um mich auf die Bretter neben Tisala zu setzen.
Ich hatte mich nicht sonderlich angestrengt, um leise zu sein, und Tosten hatte wohl etwas von unserem Gespräch mitgehört, denn er tätschelte mein Bein, als ich über ihn hinwegkletterte, wo er auf dem Boden zwischen Garranons und Oregs Plätzen saß.
»Halte dich gut fest«, sagte ich zu Tisala, als ich mich neben sie setzte.»Das hier wird eine wilde Fahrt.«
Als wir in einer Höhle anhielten, wo seltsame Steinkristallformationen von der Decke hingen und sich wie Vorhänge über den dunklen Stein am Ufer zogen, beugte sich Kellen mit einem überraschten Ausruf über die Schönheit dieser Höhle vor.
Tisala wartete, bis das folgende Gespräch unsere Stimmen übertönte, berührte dann meinen Kopf leicht mit der Hand und sagte leise:»Ärgere dich nicht über seine Fragen. Es liegt nur daran, dass er so oft schon verraten wurde. Also hinterfragt er jeden.«
Ich zog die Brauen hoch.»Du hast es gehört?«
Zu meiner Überraschung errötete sie wie ein viel jüngeres Mädchen. Ich verlagerte mein Gewicht, damit ich sie besser sehen konnte, und wandte Oreg den Rücken zu, während ich versuchte, mich zu erinnern, was wir gesagt hatten, das sie zum Erröten veranlassen würde.
Als es mir einfiel, hätte ich es beinahe auf sich beruhen lassen, aber etwas sagte mir, dass es an der Zeit war, meine Werbung ein wenig voranzutreiben -vielleicht, weil sie Kellens Behauptung, dass sie sich für mich interessierte, nicht abstritt.
Während sie blicklos zu der Kristallhöhle hinausstarrte, sagte ich also:»Mit einer Sache hatte er jedoch tatsächlich recht. Ich hätte nichts dagegen, mein Haus mit dem deines Vaters zu verbinden.«
Unterschiedliche Gefühle jagten einander auf ihrer Miene, bevor sie alles mit einer höflichen Maske verdeckte. Als sie schließlich sprach, tat sie es wie jemand, der eine auswendig gelernte Rede wiederholt:»Das schmeichelt mir, Ward. Aber du musst eine jüngere Frau nehmen, ein Mädchen aus Shavig, das sich um deine Burg kümmert...«
»Bah«, unterbrach ich sie mit unhöflicher Verachtung, die ich nicht wirklich verspürte. Dass sie sich genug Gedanken gemacht hatte, um eine solche Ansprache auswendig zu lernen, war doch sicher etwas Gutes. Wenn Tisala sich wirklich gegen unerwünschte Schmeicheleien wehren wollte, hätte sie das erheblich besser gemacht.»Hast du ein Problem damit, wie mein Heim verwaltet wird? Ich halte es nicht für notwendig, mir eine Frau zu suchen, damit sie alles dort noch besser macht. Das Essen ist genießbar, und die Burg ist einigermaßen sauber. Ich brauche keine zarte Blüte. Mein Vater hat eine von denen geheiratet, und als ihre Kinder ihren Schutz brauchten, hat sie sich ihrem Traumkraut und ihrem Schlafpulver zugewandt, um sich vor ihren Pflichten zu verstecken.«
Plötzlich und unerwartet stand mir vor Augen, wie mein Vater mich zum ersten Mal blutig geschlagen hatte. Ich wusste nicht mehr, wieso er mich so fest geschlagen hatte, ich erinnerte mich nur daran, das Blut an meiner Hand angestarrt und erkannt zu haben, dass es von meinem eigenen Ohr stammte. Meine Mutter hatte das Blut ebenfalls angestarrt, und dann war sie aus der Halle gerannt - weg von mir. Diese Vision war der Grund, dass ich jetzt meinen Schwur, geduldig zu sein, vergaß, und mit plötzlicher Leidenschaft weitersprach.»Ich brauche kein hübsches Mädchen, Tisala, ich brauche eine Gefährtin, die ihre Kinder ebenso mit ihrem Schwert wie mit dem Versand schützen kann. Eine, die nicht zulassen wird, dass ihre Tochter in Schrecken lebt, weil sie nicht einmal schreien kann, wenn man sie angreift, oder die erlaubt, dass ihr Sohn immer wieder erniedrigt wird, bis er glaubt, der einzige Ausweg bestünde darin, sich die Pulsadern aufzuschneiden und damit seine Gelegenheit zu versäumen, in der Nachwelt für Siphern zu kämpfen. Und wenn der Mistkerl, den sie geheiratet hat, seinen Sohn mit der flachen Seite des Schwerts schlägt, brauche ich eine Frau, die ihm Arme und Beine ausreißt, damit er es nie wieder tun kann.«
Als die Intensität des Augenblicks nachließ, fühlte ich mich wie nach einem plötzlichen Sturz von einem Baum: außer Atem, erschrocken und schrecklich bewusst, dass das Gemurmel der anderen Gespräche aufgehört hatte und alle mich anstarrten. Hastig setzte ich mich wieder und starrte das dunkle Wasser an, das sanft gegen die Kante des Floßes schwappte.»Wie alt warst du?«, fragte Tisala mit belegter Stimme.
»Acht«, antwortete Oreg, als ich nicht antwortete.»Zumindest glaube ich, dass das das erste Mal war. Danach wurde es erheblich heftiger.«Seine leise Stimme klang sehr laut in meinen Ohren.
»Ich wusste nicht, dass es so schlimm war«, sagte mein Onkel neben mir.
»Tut mir leid«, murmelte ich verlegen. Dann wurde mir klar, dass ich nicht der Einzige war, den ich so entblößt hatte.»Entschuldige, Tosten.«Er mochte es nicht, wenn jemand über seinen Selbstmordversuch vor vielen Jahren sprach.
»Wenn sie dich gehen lässt«, wich er einer direkten Antwort aus,»dann muss sie verrückt sein.«
Ich spürte, wie Tisalas Finger einen Augenblick liebevoll über meine Schulter strichen, dann beugte sie sich näher und flüsterte:»Vielleicht brauchst du mich wirklich so sehr, wie ich dich brauche.«
Ich nahm ihre schwielige, verunstaltete Hand in meine freie, und mein Blick begegnete Kellens nachdenklichen Augen, als Axiel mir so etwas wie einen Aufschub verschaffte, indem er einen weiteren Abschnitt der wilden Fahrt durch die Gänge begann.
Am Kai in der unterirdischen Höhle begannen bei unserer Ankunft die Lichter zu glühen, aber es war niemand da, um uns zu begrüßen.
»Vielleicht konnte Alizon niemanden informieren, auf welche Weise wir eintreffen«, murmelte mein Onkel, als er Axiel half, das Boot zu vertäuen.
»Mein Vater hätte es doch sicher vermutet«, sagte Tisala besorgt und stieg vom Floß auf das uralte Steindock.»Selbst wenn er nicht vorhätte, Euch zu unterstützen, Sire, hätte er eine Ehrenwache hier gelassen, um Euch zu begrüßen.«
Oreg stand zerstreut auf dem Floß, und ich streckte die Hand aus, um ihn festzuhalten, als eine Welle ihn aus dem Gleichgewicht brachte. Er wandte sich mir nicht zu, sondern starrte nur weiter ins Leere.
»Hast du das auch gespürt?«, fragte er mich.
Selbstverständlich spürte ich es, nachdem er mich darauf aufmerksam gemacht hatte. Es war nur ein Überrest, wie Rauch nach einem Feuer, aber der Geruch nach großer Magie hing in der Luft.
»Ist es der Fluch?«, fragte ich, obwohl ich den gleichen Geschmack von Magie wahrnahm wie in Jakovens Asyl. Erwartung ließ mir plötzlich hundert schreckliche Dinge einfallen, die bewirkt haben könnten, dass Haverness seine Männer an seiner Seite brauchte.
Oreg nickte.»Aber was hat er mit ihm gemacht?«
»Ward?«, fragte Kellen.
»Jakoven hat den Fluch benutzt«, sagte ich.
»Ich erinnere mich, dass der Geschmack noch jahrhundertelang erhalten blieb, nachdem Farson den Fluch losgelassen hatte«, sagte Oreg verträumt, als ich ihm auf den Kai half.»Es lässt sich nicht sagen, wie lange es her ist, dass die Magie benutzt wurde.«
»Oreg«, sagte ich scharf, und er konzentrierte sich wieder auf mein Gesicht.
»Oreg ist gegangen, kurz bevor der Drache erschien«, sagte Garranon plötzlich.»Ich fragte mich, wo er hinwollte. Ist Oreg Euer Drache, Ward?«
Ich sah mich um und erkannte, dass er der Einzige war, der nicht wusste, was Oreg war. Zu viele hatten es schon gesehen oder erraten, aber ich konnte nichts dagegen tun.
»Ein Drache und mein Freund, mein Bruder«, sagte ich.»Aber niemals mein Drache.«
Garranon lachte.»Kein Wunder, dass Ihr mir so schnell entflohen seid, als ich versuchte, Euch nach dem Tod Eures Vaters in Hurog festzuhalten.«
»Tatsächlich brauchte es Oreg und Axiel«, erklärte ich, und Oreg sagte gleichzeitig:»Das hat er alleine getan.«
Tisalas nervöser Blick zu dem offenen Metalltor, das von der Anlegestelle zu den Steinstufen hin zum eigentlichen Callis führte, erinnerte mich, dass im Augenblick andere Dinge wichtiger waren.
»Wir sollten die Vergangenheit lieber lassen, wo sie hingehört, und herausfinden, was Haverness so sehr beunruhigt hat, dass er vergisst, Reisende aus königlichen Familien zu begrüßen«, sagte ich, aber wie auf mein Stichwort hin kamen Haverness und ein nach Atem ringender Soldat durch den Eingang.
»Lord Kellen«, sagte er höflich.»Willkommen in
Callis. Ihr müsst Rosem sein - seid ebenfalls willkommen. Und Ihr ebenfalls, Lord Duraugh. Garranon, es ist schön Euch wiederzusehen, alter Freund. Und Euch, Lord Wardwick, Lord Tosten und Oreg.«Ich fand beeindruckend, dass er sich nach vier Jahren immer noch an Oregs Namen erinnerte.»Es tut mir leid, dass ich so spät komme, meine Herren - aber Ihr seid gleichzeitig mit einer Gruppe anderer Gäste eingetroffen, und ich brauchte einen Moment, um mich entziehen zu können, als meine Wachen mir sagten, dass Ihr da seid.«
Dann wandte er sich seiner Tochter zu.»Alizon sagte mir, du und der junge Hurogmeten hättet beschlossen, unsere sorgfältigen Pläne zu beschleunigen.«
Sie griff nach seinen Händen und hielt sie einen Moment fest.»Vater, es ist schön, dich zu sehen.«Dann trat sie einen Schritt zurück und erklärte förmlich:»Die Situation selbst ist eskaliert. Wie Alizon Euch zweifellos berichtet hat.«
»In der Tat«, sagte er mit einem nachdenklichen Blick zu Kellen.»Aber nun kommt und gestattet mir, Euch meine Gastfreundschaft anzubieten. Heute Abend werden wir noch Zeit genug für Politik haben.«
Als wir nach oben gingen, bemerkte ich, dass die Steine am Zwergenweg hier in Callis rauer behauen waren als die in Hurog. Bedeutete das, dass die Gänge in Hurog älter waren?
Callis war größer und luxuriöser als Hurog. Kellen und Rosem erhielten selbstverständlich eine große Zimmerflucht nahe den Familiengemächern, aber selbst ich bekam ein Zimmer für mich, auch wenn es klein und karg war. Mit einem ironischen Grinsen erkannte ich, dass ich keinen Raum für mich mehr gehabt hatte, seit ich im Asyl des Königs gewesen war. Zu dem Raum gehörte auch eine kalte Mahlzeit auf einem niedrigen Tisch - dem einzigen anderen Möbelstück außer dem Bett.
Ich aß, ging im Zimmer auf und ab und begann, über seine Ausmaße nachzudenken. Wenn wir einen kleinen Anbau an der Südseite von Hurog vornahmen, würden wir sechs weitere Räume für Gäste erhalten. Sie würden sie sich immer noch teilen müssen, wenn der gesamte Rat anwesend war, aber jede kleine Gruppe von Adligen...
»Wenn du eine zusätzliche Tür an der Seite der großen Halle anbringst, könntest du ein paar von diesen an die Südseite anbauen, ohne die Sicherheit des Bergfrieds zu verringern«, sagte Oreg, der in der Tür stand und an einem Apfel kaute.
Дата добавления: 2015-11-14; просмотров: 55 | Нарушение авторских прав
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