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188 Der Meister blieb während der nächsten Tage verschwunden, in dieser Zeit stand die Mühle still. Die Mühlknappen lungerten auf den Pritschen herum, sie hockten am warmen Ofen. Hatte es einen Gesellen, der Michal hieß, auf der Mühle im Koselbruch je gegeben? Selbst Merten sprach nicht von ihm, von früh bis spät saß er da und schwieg. Ein einziges Mal nur, am Abend des Neujahrstages, als Juro die Kleider des Toten gebracht und am Fußende der verwaisten Pritsche niedergelegt hatte, war er aus der Starre erwacht. Er war in die Scheune gelaufen und hatte sich bis zum anderen Morgen im Heu verkrochen. Seither verhielt er sich völlig teilnahmslos, sah nichts und hörte nichts, sagte und tat nichts – er saß bloß da. Krabats Gedanken kreisten in diesen Tagen stets um die gleiche quälende Frage. Tonda und Michal, das schien auf der Hand zu liegen, hatten nicht zufällig sterben müssen, beide in der Silvesternacht. Welches Spiel wurde da gespielt – und von wem und nach welchen Regeln? Der Müller blieb außer Haus bis zum Vorabend des Dreikönigstages. Witko wollte gerade das Licht ausblasen, da öffnete sich die Bodentür. Der Meister erschien auf der Schwelle, bleich im Gesicht, wie mit Kalk bestrichen. Er warf einen Blick in die Runde. Dass Michal fehlte, schien er zu übersehen. «Geht an die Arbeit!» befahl er, dann machte er kehrt und verschwand für den Rest der Nacht. Hastig zogen die Burschen sich an, sie drängten zur Treppe. Petar und Staschko rannten zum Mühlenweiher die Schleuse öffnen. Die anderen stolperten in die Mahlstube, schütteten Korn auf und ließen die Mühle anlaufen. Stampfend und dröhnend kam sie in Fahrt, den Gesellen wurde es leicht ums Herz. «Sie mahlt wieder!» dachte Krabat. «Die Zeit geht weiter...» Um Mitternacht waren sie mit der Arbeit fertig. Als sie den Schlafraum betraten, sahen sie, dass auf der Pritsche, die Michal gehört hatte, jemand lag: ein Junge von vierzehn Jahren etwa, recht klein für sein Alter, das fiel ihnen auf – und er hatte ein schwarzes Gesicht, der Knirps, aber rote Ohren. Die Burschen umringten ihn voller Neugier, und Krabat, der die Laterne trug, richtete ihren Strahl auf ihn. Da erwachte der Kleine, und als er die elf Gespenster an seinem Lager stehen sah, kriegte er's mit der Angst. Krabat glaubte den Jungen zu kennen – woher nur?
zittern – дрожать
unterbrechen – перебивать
jetzt ging Krabat Licht auf– сейчас Крабат понял, до него дошло
heuer – в нынешнем году, нынче
dachten sich ihr's dabei – подумали при этом свое
sich den Ofenruß werschrubben – стереть с себя печную сажу
glücken – удаваться
machte sich über die Grütze – набросился на кашу
wie ein Scheunendrescher – как молотильщик
vertragen – сносить, зд. вместить в себя
sich auf die faule Haut legen – бездельничать
schief – косо, криво, не так, как должно быть
mustern – рассматривать
verblüffen – озадачивать
anderthalb Jahre – полтора года
189 «Vor uns brauchst du nicht zu zittern», sprach er ihn an. «Wir sind hier die Müllerburschen. – Wie heißt du denn?» «Lobosch. – Und du?» «Ich bin Krabat. Und dies hier...» Der Knirps mit dem schwarzen Gesicht unterbrach ihn. «Krabat? – Ich kannte mal einen, der Krabat hieß»Aber?» «Der müsste jünger sein.» Jetzt ging Krabat ein Licht auf. «Dann bist du der kleine Lobosch aus Maukendorf!» rief er. «Und schwarz bist du, weil du den Mohrenkönig gemacht hast.» «Ja», sagte Lobosch, «heuer zum letztenmal. Denn nun bin ich hier Lehrjunge auf der Mühle.» Das sagte er voller Stolz, und die Mühlknappen dachten sich ihr's dabei. Am anderen Morgen, als Lobosch zum Frühstück kam, trug er Michals Kleider. Er hatte versucht, sich den Ofenruß wegzuschrubben – es war ihm nicht ganz geglückt: in den Augenwinkeln und um die Nase war ihm ein Rest von Mohrenfarbe geblieben. «Was tut's!» meinte Andrusch. «Nach einem halben Tag in der Mehlkammer gibt sich das.» Der Kleine war hungrig, er machte sich über die Grütze her wie ein Scheunendrescher. Krabat, Andrusch und Staschko aßen mit ihm aus der gleichen Schüssel. Es wunderte sie, wie viel er vertrug. «Wenn du so arbeitest, wie du ißt», meinte Staschko, «dann können wir andern uns auf die faule Haut legen!» Lobosch blickte ihn fragend an. «Soll ich weniger essen?» «Iß du nur!» sagte Krabat. «Du wirst deine Kräfte noch brauchen können! Wer bei uns Hunger leidet, ist selber schuld daran.» Lobosch, statt weiterzulöffeln, legte den Kopf schief und musterte Krabat aus schmalen Augen. «Du könntest sein großer Bruder sein.» «Wessen Bruder?» «Na, von dem anderen Krabat! Du weißt ja, ich kannte einen.» «Der damals im Stimmbruch gewesen ist, wie? Und der euch dann in Groß-Partwitz sitzengelassen hat.» «Woher weißt du das?» fragte Lobosch verblüfft – dann griff er sich an die Stirn. «Da siehst du mal», rief er, «wie man sich täuschen kann! Damals dachte ich: anderthalb Jahre vielleicht, höchstens zwei bist du älter als ich...» «Es sind fünf», sagte Krabat.
Ärger bekommen – заработать неприятности
abwinken – махнуть рукой, покачать головой (в знак отказа)
sich anders besinnen – передумать, подумать по другому
Tauwetter setzte ein – началась оттепель
es friert Stein und Bein – трескучий мороз: «мерзнет камень и кость»
der Westwind blies – подул западный ветер
hie und da – иной раз, от случая к случаю
in einer Mulde – в низине, в овраге
schäbige graue Reste – жалкие серые остатки
der Westwind setzte stärker zu – западный ветер усилился
fahrig – беспокойный, суетливый
besoffen – пьяный
sich wälzen – перекатываться
reglos – неподвижно
gute Weile – какое-то время
190 «Ich möchte dich etwas fragen», begann der Kleine. «Wirst du mir antworten?» «Wenn ich kann...», meinte Krabat. «Du hilfst mir nun, seit ich hier auf der Mühle bin», sagte Lobosch, «und hilfst mir, obgleich es der Meister nicht wissen darf, weil du sonst Ärger bekommen würdest – das stimmt doch, das kann man sich an zwei Fingern ausrechnen...» «Ist es das», unterbrach ihn Krabat, «wonach du mich fragen wolltest?» «Nein», sagte Lobosch, «die Frage kommt erst noch.» «Und sie lautet?» «Sage mir, wie ich dir deine Hilfe danken kann.» «Danken?» erwiderte Krabat und wollte abwinken – da besann er sich anders. «Ich werde dir», sagte er, «eines Tages von meinen Freunden erzählen, von Tonda und Michal, die beide tot sind. Wenn du mir zuhörst dabei, ist es Dank genug.» Gegen Ende des Monats Januar setzte Tauwetter ein, so heftig wie unerwartet. Gestern noch hatte es Stein und Bein gefroren im Koselbruch; heute blies seit den frühen Morgenstunden der Westwind ums Haus, viel zu warm für die Jahreszeit. Und die Sonne schien, und der Schnee schmolz in wenigen Tagen zusammen, dass es zum Staunen war. Hie und da nur, in einem Graben, in einer Mulde, in einer Wagenspur hielten sich ein paar schäbige graue Reste – aber was zählten sie gegenüber dem Braun der Wiesen, dem Schwarz der Maulwurfshügel, dem ersten Schimmer von Grün unterm welken Gras. «Ein Wetter», meinten die Mühlknappen – «wie zu Ostern!» Der warme Westwind setzte den Burschen mit jedem Tag stärker zu. Er machte sie müde und fahrig, oder wie Andrusch sich ausdrückte: «wie besoffen». Sie schliefen unruhig während dieser Zeit, träumten wirres Zeug durcheinander und redeten laut im Schlaf. Zwischendurch lagen sie lange wach und wälzten sich auf den Strohsäcken hin und her. Nur Merten bewegte sich nie, der lag reglos auf seiner Pritsche und sprach selbst im Schlaf nicht. Krabat dachte in diesen Tagen viel an die Kantorka. Er hatte sich vorgenommen, zu Ostern mit ihr zu sprechen. Bis dahin, das wusste er, hatte es gute Weile. Dennoch beschäftigte der Gedanke ihn, wo er ging und stand.
dazwischenkommen – помешать
aufhalten – задержать
gegenwärtig – помнить, быть свежим в памяти
den Weg einschlagen – выбрать дорогу
nachgrübeln über etw. – раздумывать о чем-л.
Nebel ist aufgekommen – поднялся туман der Nebel nimmt ihm die Sicht из-за тумана ничего не видно
sich weitertasten – идти на ощупь дальше
sich festsaugen – присасываться, приклеиваться
die Sohle – подошва, пятка
der Rist – подъем (ноги)
der Knöchel – щиколотка
die Wade – икра (ноги)
je mehr... desto... – чем... тем...
was die Lunge hergibt – что есть мочи (кричать): «на сколько лёгкое
позволяет»
191 Er war in den letzten Nächten zwei-, dreimal im Traum unterwegs gewesen zur Kantorka, hatte sie aber nie erreicht, weil ihm jedesmal etwas dazwischengekommen war – etwas, woran er sich hinterher nicht erinnern konnte. Was war es gewesen? Was hatte ihn aufgehalten? Der Anfang des Traumes war ihm in aller Deutlichkeit gegenwärtig. Da war er in einem günstigen Augenblick aus der Mühle weggelaufen, von keinem gesehen, von niemand bemerkt. Er schlug nicht den üblichen Weg nach Schwarzkollm ein: er wählte den Pfad durch das Moor, den Tonda ihn einst geführt hatte, als sie vom Torfstich nach Hause gegangen waren. Bis hierher war alles klar, und dann wusste er nicht mehr weiter. Das quälte ihn. Während er eines Nachts auf der Pritsche lag, wachgeworden vom Heulen des Windes, grübelte er aufs neue darüber nach. Hartnäckig wiederholte er in Gedanken den Anfang des Traumes ein drittes, ein viertes, ein sechstes Mal: bis er darüber einschlief – und diesmal gelang es ihm endlich, den Traum zu Ende zu träumen. Krabat ist aus der Mühle weggelaufen. In einem günstigen Augenblick hat er sich aus dem Haus gestohlen, von keinem gesehen, von niemand bemerkt. Er will nach Schwarzkollm, zur Kantorka, doch er schlägt nicht den üblichen Weg ein: er wählt jenen Pfad durch das Moor, den Tonda ihn einst geführt hat, wie sie vom Torfstich nach Hause gegangen sind. Draußen im Moor wird er plötzlich unsicher. Nebel ist aufgekommen, der nimmt ihm die Sicht. Zögernd tastet sich Krabat weiter, auf schwankendem Boden. Hat er den Pfad verloren? Er merkt, wie das Moor sich festsaugt an seinen Sohlen, wie er mit jedem Schritt tiefer einsinkt darin: bis zum Rist... zu den Knöcheln dann... bald bis zur halben Wade. Er muss in ein Moorloch geraten sein. Je mehr er sich anstrengt, zurückzufinden auf festes Land, desto rascher versinkt er. Kalt wie der Tod ist das Moor, eine zähe, klebrige schwarze Masse. Er spürt, wie es ihm die Knie umschließt, dann die Oberschenkel, die Hüften: bald wird es um ihn geschehen sein. Da beginnt er, solange die Brust noch frei ist, um Hilfe zu schreien. Er weiß, dass es wenig Sinn hat. Wer soll ihn hier draußen hören? Trotzdem schreit er und schreit, was die Lunge hergibt.
retten – спасать
ein Seil zuwerfen – бросить канат
ein Querholz ist befestigt – закреплена поперечина
sich festklammern – вцепиться
verschlucken – проглотить, поглотить
die Fittiche breiten – раскинуть крылья
sich emporschwingen – взмыть в небо
der Schrei eines Habichts gellt ihm ins Ohr – крик ястреба оглушает его: «резко звучит в ухо»
ein Sausen, ein Pfeifen um Haaresbreite verfehlen – шум, свист чуть-чуть: «на ширину волоса»
ins Leere stoßen – промахнуться, инуться в пустоту
es geht ums Leben – речь идет о жизни и смерти
auseinanderstiebendes Hühnervolk – разбегающиеся курицы
anherrschen – прикрикнуть
es gibt kein Wenn und Aber – нет никаких возражений, сомнений
192 «Hilfe!» schreit er. «Rettet mich, ich versinke, rettet mich!» Der Nebel ist dichter geworden. So kommt es, dass Krabat die beiden Gestalten erst wahrnimmt, wie sie schon bis auf wenige Schritte heran sind. Er glaubt zu erkennen, dass Tonda und Michal da auf ihn zukommen. «Halt!» ruft er. «Stehen bleiben – da ist ein Moorloch!» Die beiden Gestalten im Nebel verschmelzen zu einer einzigen, das ist seltsam. Die eine Gestalt nun, zu der sich die beiden vereinigt haben, wirft ihm ein Seil zu, an dessen vorderem Ende ein Querholz befestigt ist. Krabat greift danach, klammert sich an dem Querholz fest – dann spürt er, wie die Gestalt ihn am Seil aus dem Moor herauszieht auf festen Grund. Das geht schneller, als Krabat gedacht hat. Nun steht er vor seinem Retter und will ihm danken. «Lass gut sein», sagt Juro – und jetzt erst merkt Krabat, dass er es ist, der ihm herausgeholfen hat. «Wenn du wieder mal nach Schwarzkollm willst, solltest du lieber fliegen. «Fliegen?» fragt Krabat. «Wie meinst du das?» «Nun – wie man eben auf Flügeln fliegt. Das ist alles, was Juro antwortet, dann verschluckt ihn der Nebel. «Fliegen...» denkt Krabat. «Auf Flügeln fliegen...» Es wundert ihn, dass er nicht selber auf den Gedanken gekommen ist. Er verwandelt sich augenblicklich in einen Raben, wie er das jeden Freitag tut, breitet die Fittiche und erhebt sich vom Boden. Mit ein paar Flügelschlägen schwingt er sich über den Nebel empor und hält auf Schwarzkollm zu. Im Dorf scheint die Sonne. Zu seinen Füßen sieht er die Kantorka, wie sie am unteren Brunnen steht, eine Strohschüssel in der Hand, und die Hühner füttert – da streift ihn ein Schatten, der Schrei eines Habichts gellt ihm ins Ohr. Dann hört er ein Sausen, ein Pfeifen, im letzten Augenblick dreht er im scharfen Winkel nach rechts ab. Um Haaresbreite verfehlt ihn der Habicht, er stößt ins Leere. Krabat weiß, dass es um sein Leben geht. Pfeilschnell, die Flügel angelegt, stürzt er sich in die Tiefe. Neben der Kantorka landet er, mitten im auseinanderstiebenden Hühnervolk. Auf dem Erdboden nimmt er Menschengestalt an, nun ist er in Sicherheit. Blinzelnd schaut er zum Himmel empor. Der Habicht ist weg, ist verschwunden, vielleicht hat er abgedreht. Da steht plötzlich der Meister am Brunnen, zornig streckt er die Linke nach Krabat aus. «Mitkommen!» herrscht er ihn an. «Warum?» fragt die Kantorka. «Weil er mir gehört!» «Nein», sagt sie, nur dieses eine Wort – und das sagt sie auf eine Weise, bei der es kein Wenn und Aber gibt. Sie legt Krabat den Arm um die Schulter, dann hüllt sie ihn in ihr wollenes Umtuch ein. Weich und warm ist es, wie ein Schutzmantel. «Komm», sagt sie. «Komm jetzt.» Und ohne sich umzublicken, gehen sie miteinander weg.
das Spind – узкий одностворчатый шкаф
der Schemel – табурет
sich davonmachen – скрыться, убежать
der Zornausbruch – приступ гнева
die Verwünschung – проклятье
spinnen – выдумывать: «прясть», мыслить неадекватно реальности
mit einem Augenzwinkern – подмигнув глазом
inwendig – в душе
zu Eis erstarren – превратиться в лед
sich einbrocken – натворить дел, заварить кашу
entgegenschwappen – выплеснуться
aufjaulen – взвыть
seimig – густой, тягучий
besorgen – позаботиться о чем-л
in seiner Einfalt – по простоте душевной
Дата добавления: 2015-08-18; просмотров: 76 | Нарушение авторских прав
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