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Nachwort

 

 

»Nur zu kurz. Viel zu kurz.«1

 

 

I. Love Story

 

 

Im Zentrum von Drei Kameraden steht»eine der ergreifendsten Liebesgeschichten, die in unserer Zeit erzählt wurden«. So urteilt J. Donald Adams am 2. Mai 1937 in der New York Times Book Review2, kurz nach Erscheinen der Buchausgabe in den USA.3 Er vergleicht die Liebesgeschichte von Robby und Pat mit der Liebesgeschichte in Hemingways Farewell to Arms (1929; deutsch: In einem anderen Land) und kommt zum Ergebnis, daß Remarques Darstellung»mehr als nur ein wenig besser«sei. Remarque zeige»mehr Mitgefühl und das umfassendere Verstehen der Liebe«. Er lobt die»feinfühlige und sichere Zeichnung«insbesondere der beiden Hauptfiguren und sieht hierin einen deutlichen»Fortschritt in der schöpferischen Kraft«des Autors gegenüber den vorausgehenden Romanen Im Westen nichts Neues (1929) und Der Weg zurück (1931). Harley U. Taylor kommt zu einer vergleichbaren Wertung noch 1989 in seiner Gesamtdarstellung der Werke von und der Filme nach Remarque:»Es ist die beste Liebesgeschichte, die Remarque je geschrieben hat.«Er fährt fort:»Es gibt andere ergreifend dargestellte Liebesgeschichten in seinen Romanen, aber keine, die eine in gleicher Weise überzeugende Intensität und Authentizität ausstrahlt«.4


Die Leserinnen mögen entscheiden, ob diese Einschätzung zutrifft.

Unzweifelhaft ist die Liebesgeschichte dominant gegenüber den vielfältigen anderen Themen des Romans (u. a.»Verlorene Generation«, Kameradschaft, Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Not, drohende politische Entwicklungen zum Nazismus, Berliner Arme-Leute-Milieu, Leben in der Kleinbürger-Pension Zalewski, Bars und Kneipen, das Café International mit den»sympathischen«Liebesdienerinnen, der Oldtimer-Rennwagen Karl, elegante Autos, alter Rum und andere hochgepriesene Alkoholika, nicht zu vergessen sensibles bis schwärmerisches Naturgefühl, Naturfrieden und -schönheit).

Diese Liebesgeschichte öffnet den Blick auf Remarques Raisonieren über den»Sinn des Lebens«und die Möglichkeiten des Überlebens in einer so geschaffenen Welt und Gesellschaft, in der die gleich zu Beginn des Romans genannte Maxime gilt:»Und halten kann man nichts –«(S.

21). Robby und Pat sind sich schnell einig:

Wenn wir die Welt machen würden, würde sie besser aussehen, was? (S. 376)

Es ist die Verzweiflung des Sterbenmüssens, des Nichthaltenkönnens, der Vergänglichkeit jeglichen Glücksgefühls, das, plötzlich geschenkt oder schwer errungen, sobald wieder vergeht. Es ist das in allen Büchern Remarques präsente Thema der Schwermut und Melancholie, des Ausgeliefertseins an eine letztlich nicht begreifbare, aber dennoch bewußt erlebte Existenz in der Welt»eines irren Gottes, der das Leben und Sterben erfunden hat, um sich zu unterhalten«, wie es an einer anderen Stelle von Drei Kameraden heißt (S. 361). Dies ist


ein altes Thema in unserer Literatur für alle, denen ein angeblich göttlicher Schöpfungsplan nicht einleuchtet, wie es z. B. auch Shakespeare in seinem King Lear durch die Figur des geblendeten Gloucester zum Ausdruck bringt:

»Wir sind für die Götter wie Fliegen für mutwillige Knaben:

sie töten uns zu ihrem Vergnügen.«5

Seinen letzten Roman Schatten im Paradies (1971, nach Remarques Tod, publiziert) beendet der Autor mit den tiefresignativen, aber in dieser Resignation fast schon wieder tröstlichen Sätzen:

Alles, was übrigblieb, war manchmal ein Abend voll Schwermut, die Schwermut, die jeder Mensch fühlt, weil alles vergeht und er das einzige Tier ist, das es weiß und das ebenso weiß, daß das ein Trost ist, obschon es ihn nicht versteht.6 Für Robby und Pat in ihrer großen Liebe ist das Ganze»so schlecht gemacht, daß es nicht zu Ende sein kann«. (S. 376) Aber es geht zu Ende, und weil es zu Ende geht, bleibt nur die vorübergehende Teilnahme an kostbaren Einzelheiten des unverstandenen und somit sinnlos erscheinenden Ganzen.

Als Pat auf den»Busch gelber Rosen neben ihrem Bett«verweist und fragt, ob denn»das auch schlecht gemacht«sei, erwidert Robby:

Das ist es ja gerade... Die Einzelheiten sind wunderbar, aber das Ganze hat keinen Sinn. Als wenn es von einem gemacht ist, dem auf die wunderbare Vielfalt des Lebens nichts anderes eingefallen ist, als es wieder zu vernichten. (S.

376) Pat antwortet:»Und es wieder neu zu machen.«Robby,

in seinem Schmerz, kann das Argument vom Werden und Vergehen nicht akzeptieren, darin kann er»den Sinn nicht«erkennen:»Besser ist es dadurch bis heute nicht geworden.«


Pats Widerspruch beendet diesen Dialog: Doch Liebling... mit uns, das hat er schon gut gemacht. Besser ging's gar nicht. Nur zu kurz. Viel zu kurz. (S. 376) Pat akzeptiert das Wunderbare der»Einzelheiten«und ihre zeitliche Begrenzung. Der unausweichliche Tod läßt sie Trost finden in dem Gefühl des Geschenks der großen Liebe. Bei Robby, der überlebt, der überleben muß, bleibt die Leere, die Trauer, die jedes Ende einer Liebe hinterläßt, wie die letzten Sätze des Romans zum Ausdruck bringen:

Ich konnte nichts tun als leer dasitzen und sie ansehen. Dann kam der Morgen, und sie war es nicht mehr. (S. 383) Gewidmet ist der Roman»J. R. Z.«, das ist Jutta Remarque- Zambona, die erste Ehefrau Remarques (Heirat 1925, Scheidung 1930). Weitere Spekulationen über Bezüge des Romans auf Remarques persönliche Liebesgeschichte und ihr Ende durch Scheidung möchte ich mir ersparen.6a

 

 

II. Pat

 

 

Unter dem Titel Pat hatte Remarque bis zum Januar 1933 eine komplette Reinschrift des Romans erstellt, der dann erst 1936/ 38 unter dem Titel Drei Kameraden erschien.7 Ein Brief von Lotte Preuß an Remarque vom 30.1.1933 belegt, daß er diese Fassung zur Lektüre, vermutlich im Freundes- und Bekanntenkreis, weitergegeben hatte. In dem Brief heißt es u. a.:

... ich habe beim Lesen geheult, ich habe beim Schreiben geheult. Ich wollte nicht, weil die Augen noch sehr krank sind, aber ich mußte. Ein schönes Gedicht – der schönste Liebesroman, den ich kenne...8 In einer Inhaltsangabe zu


seinem»neuen Roman«(vermutlich zu datieren auf 1930/31)

schreibt Remarque zu Beginn:

Der Roman spielt in der Gegenwart. Er berichtet ein Stück Leben von jungen Menschen unserer Zeit; von Menschen also, die schon oft etwas aufgegeben und neu begonnen haben; Menschen, die hart um ihr Dasein kämpfen müssen; Menschen ohne Illusionen, die aber wissen, daß der Kamerad Alles und das Schicksal nichts ist.

Der Schlußabsatz dieses Textes lautet:

Das Zusammensein zwischen Robert und dem Mädchen [im Sanatorium] steigert sich jetzt zu einer großen, fast unwirklichen Liebe, die tapfer alle Angst verbirgt. Er hat das Gefühl, daß erst jetzt Alles in Wahrheit beginnt – jetzt wo das Mädchen stirbt.

Todesscenen. Begräbnis. Heimkehr. Zusammenbruch. Flucht an die See, in das Haus, wo beide im Sommer gewohnt haben. Eines Tages erscheint Köster bei Robert. Er ist beim Rennen gestürzt – sein Fuß ist steif – seine Karriere beendet. Beide sind ohne Arbeit – aber sie klagen nicht – sie sehen sich an. Ohne viele Worte gehen sie in das Leben zurück – in den Kampf – geschlagen – aber nicht vernichtet, ohne Hoffnung, aber ungebrochen, mutig und ohne Furcht

– wieder Soldaten in der großen Armee des Lebens.9 Die

Reinschrift Pat endet mit der Ankunft Kösters. In Drei Kameraden bildet der Tod Pats den Schluß. Die Umarbeitung von Pat in Drei Kameraden fand ihren Abschluß mit der Vorlage des Druckmanuskripts an den Verlag im Frühjahr 1936.10 Metro-Goldwyn-Mayer in Hollywood bereitet eine Verfilmung des Romans bereits ab

1936 vor.11

Es würde zu weit führen, die Unterschiede von Pat und


Drei Kameraden in diesem Nachwort im einzelnen darzulegen.12

Herausgegriffen seien nur zwei Aspekte:

1. Remarque stellt in Pat den direkten inhaltlich- thematischen Anschluß an Der Weg zurück herI3 und hebt damit den Trilogie-Charakter von Im Westen nichts Neues, Der Weg zurück und Pat hervor. Dazu heißt es im Entwurf eines Vorwortes zu Pat:»Das vorliegende Buch ist das dritte und letzte einer Reihe... Es hat im Grunde das gleiche Thema; die Frage, die in den ersten beiden Büchern für Hunderttausende gestellt wurde, kehrt hier wieder für einen einzigen Menschen. Es ist die Frage des Lebens und des Todes; die Frage: warum?«14

2. Der Tod von Gottfried Lenz wird in Pat nicht als politischer Mord dargestellt, sondern als Unfall in einem panikartigen Gedränge, in das ein (Polizisten-)Schuß fällt. Damit fehlt in Pat das Motiv der Rache und ihre Ausführung, die in Drei Kameraden eine wesentliche Rolle spielt. Insgesamt kann man wohl sagen: Einerseits stellt Remarque in Drei Kameraden eine schärfere Zuspitzung der politischen Situation im Hinblick auf den heraufziehenden Faschismus her (zum Zeitpunkt der Überarbeitung war die Machtergreifung erfolgt, und Remarque lebte im Schweizer Exil). D. h., es erfolgt eine deutliche Verlagerung des Zeithorizonts aus den ersten Nachkriegsjahren im Anschluß an Der Weg zurück in den Zeithorizont einer zugespitzten Krisensituation Ende der 20er/Anfang der 30er Jahre. Andererseits stellt Remarque die Utopie der Liebesgeschichte einer immer verzweifelteren politischen Situation gegenüber, d. h., er beendet den Roman mit dem Tod Pats. Der Hinweis auf die Fortführung des Kampfes

»als Soldaten in der großen Armee des Lebens«(s. oben) ist


weggelassen. In Deutschland, so könnte man schlußfolgern, scheint für Remarque der Kampf entschieden zu sein. Was bleibt, ist die ewige Utopie und Realität der Liebe.

Dies ist eine, wie ich glaube, künstlerisch überzeugende Lösung, die der Wirkung des Romans als unvergänglicher Liebesgeschichte – auch und gerade in fürchterlichen Zeiten

– zugute kommt.

In dem Rachethema von Drei Kameraden wird das Notwehrrecht des Individuums – bei nicht funktionierender staatlicher und gesellschaftlicher»Gerechtigkeit«– aufgenommen, das schon in Der Weg zurück eine wesentliche Rolle spielt. Dort erschießt der hilflose Albert Troßke den Nachkriegsgewinnler und Schieber Julius Bartscher, der ihm sein Mädchen, seine einzige neue Hoffnung, weggenommen hatte. Dieses Thema der individuell zu rechtfertigenden (und damit für Remarques Helden gerechtfertigten) Tötung von Vertretern eines übermächtigen und unmoralischen Bedrohungssystems wird dann wieder aufgegriffen in der Tat Steiners in Liebe deinen Nächsten, Ravics in Arc de Triomphe und Josef Schwarz' in Die Nacht von Lissabon. Die von Remarques Protagonisten ausgeführten Individual-Tötungen von mörderischen Vertretern eines menschenverachtenden Systems kulminieren in der Tat des Häftlings 509 in dem KZ-Roman Der Funke Leben, der unter Aufopferung seines Lebens den SS-Schinder Weber erschießt und damit Leben von Mithäftlingen rettet.

 

 

III. Der Orden der Erfolglosen


Remarques besondere Sympathien gelten schon in der frühen Schaffensphase an seinem Roman den Figuren,»die schon oft etwas aufgeben und neu begonnen haben«. Es sind die kleinen Leute,»die hart um ihr Dasein kämpfen müssen«.15

Robby ist einer davon. In einem der zahlreichen Bargespräche sagt er zu Ferdinand Grau, dem Maler, der seine Existenz mit Portraits nach Photos von Verstorbenen fristet:

Aber ich wollte, es ginge uns nicht immer alles in die

Brüche (S. 299).

Für dieses immer neue Scheitern des»deklassierten Kleinbürgers«16 in einer ihm feindlichen Gesellschaft hält Ferdinand den Trost bereit, der als positive Lebensquelle des

»Trotzdem«den ganzen Roman durchzieht. Er antwortet

Robby:

Dafür gehörst du einem Orden an, Bruder – dem Orden der Erfolglosen, Untüchtigen, mit ihren Wünschen ohne Ziel, ihrer Sehnsucht, die nichts einbringt, ihrer Liebe ohne Zukunft, ihrer Verzweiflung ohne Vernunft... Der geheimen Brüderschaft, die lieber verkommt, als daß sie Karriere macht, die das Leben lieber verspielt, zerbröckelt, verliert, als daß sie das unerreichbare Bild betriebsam verfälscht oder vergißt... (S. 299) Oder wie Gottfried Lenz, der von sich behauptet, der»letzte Romantiker«(S. 13) zu sein, an anderer Stelle formuliert:»Ziele machen das Leben bürgerlich.«(S. 227)

»Bürgerlichkeit«, d.h. ein geordnetes, begrenztes, nur auf Sicherheit und materiellen Erfolg ausgerichtetes Leben, ist das Schreckgespenst aller Remarqueschen Sympathieträger. Robby variiert das Thema, als er den an seinem Lebensziel,


einem erfolgreichen Studienabschluß, verzweifelnden Studenten Georgie zu trösten versucht:»Man lebt auch nicht für einen Zweck. So einfach ist das nun doch nicht.«(S. 307)

Aber wofür lebt der»Orden der Erfolglosen«? Seine Mitglieder leben für das Leben, das zwar als Ganzes unverständlich, widersinnig, chaotisch, ungeordnet, ziellos, als»leise fressendes Nichts«(S. 367) und als»endloses Weltgelächter«(S. 314) empfunden wird, aber in Stimmungen, Augenblicken, in»wunderbaren Einzelheiten«und in den»kleinen Dingen«doch Erfüllung und Zufriedenheit bringt, aber niemals Dauer, Plan und Zukunft ermöglicht.

Jegliches Denken, Analysieren, Begründen, Suchen von Lebenssinn scheitert. Daher ist für Lenz das Denken»die schlimmste Krankheit der Welt«, die»unheilbar«ist (S. 137), und es bleibt nur noch ein spontanes, anarchisch- antirationales»du willst«, wie Robby es ausdrückt:»Du fragst nicht mehr soviel. Du willst einfach.«(S. 219)

Dieses Lebensgefühl resultiert für die drei»Kameraden«, Köster, Lenz und Lohkamp, sowie die mit ihnen eng vertrauten Nebenfiguren wie Ferdinand Grau, Valentin Hauser und den Kneipenwirt Alfons aus den Erfahrungen des Irrwitzes und den Schrecken des Fronterlebnisses, von dem sie als»verlorene Generation«zurückgekommen waren,

»jung, ohne Glauben, wie Bergleute aus einem eingestürzten Schacht«(S. 49). Was ihr Handeln bestimmt, was die gerettete und im Überleben des Schützengrabens neu geschenkte Existenz lenkt, ist das Bild, das sie»im Herzen«tragen –»unverlöschlich eingegraben in den Stunden, Tagen und Nächten, wo es nichts gab als das eine: das nackte Leben und das nackte Sterben«. (S. 299)


Diese mentale Disposition des»Ordens der Erfolglosen«kennt als verläßliche Größe keine andere Konstante, kein anderes Vertrauen als das zu den Kameraden neben uns und das eine andere, das uns nie getrogen hatte: zu den Dingen – zu Himmel, Tabak, Baum und Brot und Erde – (S. 49).

Folglich ist der Toast, den Lenz auf ihre Form zu leben aus bringt, zwar paradox, aber in seinem Widerspruch schlüssig:

Prost, Kinder! weil wir leben! Weil wir atmen! Weil wir das Leben so stark empfinden, daß wir nichts mehr damit anzufangen wissen! (S. 299)

Die vierfachen Ausrufungszeichen des Textes bekräftigen den emotionalen Vollzug des Lebens, dessen rationale Begründbarkeit in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs verlorengegangen ist.

Zu dieser hautnah empfunden, nicht analytisch hinterfragten Kette von Augenblickserlebnissen, die als einzig mögliche Form zu leben erfahren wird, gehören besonders die»belanglosen, kleinen«Dinge, die im Kriege das einzig Verläßliche und der einzige Trost waren. Robby beschreibt das am Beispiel eines Morgens in seiner Pension so:

Aus der Küche kam jetzt der Geruch von frisch aufgebrühtem Kaffee... Es war merkwürdig, aber der Kaffeegeruch stimmte mich heiterer. Ich kannte das vom Kriege her – es waren nie die großen Dinge, die einen trösteten –; es waren immer die belanglosen, kleinen. (S.

259)

Zu diesem einfachen Leben der Kameradschaft und den unmittelbar erfahrenen Dingen gehören in Drei Kameraden außer»Tabak«und»Brot«, außer»Himmel«,»Baum«und

»Erde«, auch der listig-potente Oldtimer-Renner»Karl, das


Chausseegespenst«(S. II, 361), der vierte Kamerad im BundeI7 ebenso wie die als fünfte in den Bund der Kameradschaft aufgenommene Pat. Sie ist schön, jung, voll Erwartung, ein Schmetterling, verflogen durch einen glücklichen Zufall in mein [Robbys]... belangloses, sinnloses Leben... (S. 108)

Nur in der»Kameradschaft«, im warmen, freundschaftserfüllten Miteinander der einfachen Lebenssituation, besteht die Möglichkeit,»die Sinnlosigkeit des Daseins zu bestechen«. (S. 154)

Dazu gehört untrennbar das betont sinnliche Erleben der Natur, das Durchbrechen der trüben Alltäglichkeit, wie es in dem Symbol des aufblühenden»alten Pflaumenbaums neben der Benzinpumpe«zum Ausdruck kommt, der»den ganzen Winter krumm und kahl dagestanden«hatte»als ein bequemer Ständer für alles, vom Putzlappen bis zur Motorhaube«:

...und nun auf einmal, über Nacht, war er verwandelt und verzaubert in eine schimmernde Wolke von Rosa und Weiß, eine Wolke von hellen Blüten, als hätte sich ein Schmetterlingsschwarm auf unseren dreckigen Hof verflogen... (S. 40) Zu diesem Erleben gehört für die Mitglieder des»Ordens der Erfolglosen«, ausgeprägter und unmittelbarer in die Lebensfunktionen einbezogen als in den anderen Romanen Remarques, das Lob des Alkohols, insbesondere des Rums und seiner die Realität distanzierenden Wirkung. Das kulminiert in dem Bild von der Bar als»Kommandobrücke des Lebens«, von der aus die Kameraden»brausend in die Zukunft«steuern (S. 20), eine Zukunft, die bei nüchtern-analytischer Betrachtung negiert wird.


So erfährt Pat von Robby bei ihrem ersten gemeinsamen

Barbesuch einiges über seine»Rum-Philosophie«:

Rum hat mit Schmecken nicht viel zu tun. Er ist nicht so einfach ein Getränk – er ist schon mehr ein Freund. Ein Freund, der alles leichter macht. Er verändert die Welt. Deshalb trinkt man ja... (S. 37)

Die Bar wird für Robby»ein halbdunkler Unterstand, um den ringsumher die ewige Schlacht des Chaos brauste und in dem wir geborgen hockten, rätselhaft zueinander geweht durch das Zwielicht der Zeit«(S. 38).18

Immer wieder sind es rauschhafte Zustände des Erlebens und der Liebe, welche die Kriegsvergangenheit, die schlimmen sozialen und politischen Zustände der Gegenwart in der Krisenzeit der Weimarer Republik erträglich und lebbar machen für ein Leben»nur noch von Illusionen und Krediten«(S. 60), wie Lenz es ausdrückt. Nur so sind»der Schrei der Not und die Hilflosigkeit eines verlorenen Lebens«(S. 112) zu ertragen, nur so verstehen sie, die Angehörigen des Ordens, zu hüpfen wie ein»munterer Floh auf dem rieselnden Geröll der Zeit«. (S. 138) Am liebsten möchten sie in den bewußtlosen Zustand der Urzeit zurückflüchten, vor allem Denken und vor aller Reflexion in die»herrliche Zeit, als wir noch Schachtelhalme und Molche waren«(S. 139).

Der Roman Drei Kameraden steht mit seinem Ausweichen in Anti-Rationalität und unreflektiertes, unmittelbares Gefühlserleben dem erst 1956 publizierten Roman Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend im Schaffen Remarques am nächsten. Frühe Entwürfe zu diesem Roman19 stammen wohl auch schon aus dem Zeitraum, in dem Drei Kameraden entstand.


Drei Kameraden enthält harte soziale Anklagen gegen Arbeitslosigkeit, Not und politische Irrationalität, wohl am treffendsten artikuliert in der Schilderung der Arbeitslosen, welche die für sie luxuriös ausgestatteten Säle eines Museums als»Wärmestube«besuchen, Menschen mit

»blassen Gesichtern und abgetragenen Anzügen«, mit

»Augen, die etwas ganz anderes sahen als die Bilder der Renaissance und die stillen Marmorfiguren der Antike«. Diese Menschen waren ausgestoßen aus den Bezirken ihrer Arbeit, ihres Strebens, ihrer Berufe... Sie dachten an Brot, immer nur an Brot und Beschäftigung...

Diese Mitbürger mit»schleppendem Gang, mit vorgebeugten Schultern«,»die kein Ziel haben«, sind für den Autor ein erschütternder Kontrast, ein trostloses Bild dessen, was die Menschheit in Tausenden von Jahren erreichen und nicht erreichen konnte: den Gipfel ewiger Kunstwerke, aber nicht einmal Brot genug für jeden ihrer Brüder. (S. 269) Remarque ist ein scharfer Beobachter, der viele Elendsgestalten und elendigliche Verhältnisse in das Umfeld seiner Liebesund Kameradschaftsgeschichte einflicht. Er tut dies in bitterer Verzweiflung, in einer durchaus resignativen Haltung, die wenig Raum für Optimismus läßt und die Grenze des Zynismus streift.

Robby, der, um wieder einmal»Boden unter den Füßen«zu haben, zu den»Kameraden«in die»alte, ehrliche Heimat«von Freds Bar geht und eine»halbe Flasche«Rum

»leert«, konstatiert an einer, wie häufig bei Remarque, nur beiläufig scheinenden Stelle des Dialogs, daß»alle«in der Runde und in ihrer lockeren Alkoholstimmung über die Gegenwartsumstände lachen müssen. Es heißt:

Wenn man über das zwanzigste Jahrhundert nicht lachte, mußte man sich erschießen. Aber man konnte nicht lange


darüber lachen. Es war ja eigentlich zum Heulen. (S. 157) Remarque ist ein glaubwürdiger und überzeugender Chronist seiner Zeit, der 20er und 30er Jahre, trotz aller Rum- und Eskapismusseligkeiten seiner Figuren. Sein Roman verleiht der fürchterlichen Verzweiflung Stimme über die»ins Nichts abstürzende Gegenwart«(S. 153) des aufziehenden NS-Regimes und seiner vom Autor vorausgeahnten entsetzlichen Folgen.

 

 

IV. Deutschland im Strudel des Abgrunds

 

 

In den amerikanischen und englischen Rezensionen des Jahres 1937 wird Drei Kameraden überwiegend positiv bewertet. Einerseits hebt man Remarques Zugriff auf die Realgeschichte der präfaschistischen Endzeit der Weimarer Republik als kaum übertreffbare, glaubwürdige Zeitchronik hervor, die gerade dem nichtdeutschen Leser Verständnismöglichkeiten der deutschen Gegenwart eröffnet, andererseits erhält die Qualität der Liebesgeschichte von Pat und Robby in solchen Kritiken hohes Lob. So heißt es in The Saturday Review of Literature:

Remarque begnügt sich damit, die unmittelbare Geschichte von unmittelbar erfahrenen individuellen Menschenschicksalen zu erzählen: Er erzählt mit einem Vermögen zum Mitleiden, das die Frage nach dem Universum im Kielwasser hat. Er taucht tief durch eine schmale Öffnung, sieht sehr weit, indem er auf das Naheliegende schaut. Drei Kameraden ist eine unvergeßliche Liebesgeschichte und zugleich ein unvergeßlich


denkwürdiger Roman über den gequälten Geist der Menschen... der Roman trägt dazu bei, in ernster Weise und ohne Makel mehr über den Strudel des Abgrunds zu erzählen, in den Deutschland geraten ist, als bislang in irgendeinem anderen Roman dargestellt wurde.20

Alfred Kazin in New York Herold Tribüne Books nennt Remarque den Historiker des kleinen Mannes... und was eine Tragödie in den Schützengräben war, wird jetzt zur Tragikomödie in einer furchterregenden neuen Welt... Ein einfacher Tribut an die Einfachheit des Normalen...21

In The Times Literary Supplement ist die Rede von einem

»tief-aufrichtigen Erzählwerk«mit»süffisant-witziger«wie zugleich»beißend-unerbittlicher«Qualität.22

Im Juli-Heft 1938 der marxistischen Moskauer Exilzeitschrift Das Wort (herausgegeben von Brecht, Feuchtwanger und Bredel) 23 findet sich eine überaus harte Kritik von Heinrich Werth, in der von einem»peinlichen Gesamteindruck«und»billiger Effekthascherei«die Rede ist. An»literarischer Substanz«habe Remarque seit Der Weg zurück nicht gewonnen. Hier schwingt das Bedauern mit (»wieviel Talent Remarque hat«), daß der Autor sich nicht in den Dienst der von der marxistischen Literaturkritik geforderten analytisch-aufklärenden Kritik der kapitalistischen Gesellschaft stellt. Andererseits schreibt Werner Ilberg im gleichen Heft, wohl mit etwas schlechtem Gewissen, in einem fiktiven Brief an die»lieben Kameraden«, er habe das Buch»gesoffen, wie Robby eine Flasche Rum vertilgt«. Es habe»Aroma, Deutschland ist drin, und schwere, schwere Erlebnisse«. Er habe hinterher auch einen»tüchtigen Katzenjammer«gehabt, weil er immer noch glaube, daß»unser Leiden, aller Dreck, durch den wir künftig noch zu waten haben werden, sinnvoll ist, sinnvoll


gemacht werden kann«. Warum, so fragt er die Kameraden und damit den Autor, fehlen die Menschen, die»von ihrem Glauben reden, von dem Glauben, daß es möglich sein muß, die Welt besser, zweckmäßiger zu organisieren?«Diesen Glauben an eine marxistisch-humanitär geprägte Utopie hat Remarque nicht, der andererseits – und das wird positiv gewertet – die Leiden und die Irrationalität Deutschlands so plastisch schildert.

Im Exil der Schweiz lobt Alfred Polgar in der National- Zeitung (Basel, 16.3.1938):»Eine so schöne, starke Liebesgeschichte ist lange nicht geschrieben worden«. Weiter heißt es:»aus dem trübseligen Bild der Ungute der Welt«leuchten»sehr fein... doch die Farben ihrer unbegreiflichen Schönheit«und abschließend:

Remarque erzählt meisterlich, in einer gedrängten, kleinplastischen, den Dingen ganz nah an den Leib rückenden, unmittelbaren Sprache. Der Atem des Augenblicks ist in sie eingefangen.

Im Gegensatz zu den Rezensionen der 30er Jahre findet sich nach dem Ende des Krieges, nach der Publikation von Drei Kameraden 1951 im Desch-Verlag (München), in den Kritiken wenig Verständnis für Remarques Themen. Das Bücherblatt (November 1952) spricht von einem

»befremdend unpolitischen Roman«mit»verdrießlicher Thematik«und»sprachlich salopper Behandlung des Stoffes«. Walther Karsch im Tagesspiegel (25. II. 1951) ist beißend in seiner Kritik:

Hemingways verlorene Generation ist wirklich vom Nichts zu Tode getroffen; bei Remarque kokettieren die Halbwelt-Helden mit dem Nichts. Für ihn»protzt«Remarque mit dem»Nihilismus«. Es werde»völlig klar, wie


verlogen dieses ganze Weltschmerzgetue sei«. Man könne an dem Roman»die Zweideutigkeit des Phänomens Remarque besonders gut ablesen«.

Leicht ließe sich die Liste der Einwände in den Rezensionen dieses Zeitraums verlängern. Offenbar fehlt den deutschen Kritikern der Nachkriegszeit in Ost und West das Gespür für die Gültigkeit des in den 30er Jahren so stark empfundenen, echten Zeitkolorits eines in das Chaos des Faschismus und des Zweiten Weltkriegs taumelnden Deutschlands. So tadelt Alfred Antkowiak im Sonntag (Berlin, DDR, 18.10. 1953); daß uns»die ganze Hoffnungslosigkeit des Daseins«angrinst und daß die

»Sinnlosigkeit«zum»Götzen des Lebens«erhoben wird.

Es gibt nur wenige positive Stimmen wie die von Martin Ruppert in der FAZ (24. 11. 1951). Er lobt die»starke Erzählkunst des Autors«, er sieht das Werk»mit humanitären Ideen durchdrungen«. Weiter heißt es:

Und so entsteht vor uns das Bild einer Generation zwischen den Zeiten, einer aus abenteuerlichen Holzschnitten zusammengefügten Chronik und eine Liebesrhapsodie, wie die moderne Literatur nur wenige kennt. Diesem Urteil kann man sich mit guten Gründen anschließen.

Tilman Westphalen


Дата добавления: 2015-10-16; просмотров: 83 | Нарушение авторских прав


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