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Aha, Geld, moneta. Capito. Was ist aber einnehmen?
Kassieren. In die Tasche stecken.
Mettere in tasca. Verstehe!
Vielleicht war der deutsche Wind daran schuld, daß Onkel Massimo eine Bindehautentzündung bekam. In der Apotheke holte er sich Augentropfen.
Warum, fragte er den Apotheker, darf ich das Fläschchen nicht in die Tasche stecken?
Wieso? Es ist doch gut verschlossen. Natürlich können Sie es in die Tasche stecken!
Nein, Hier steht: Nicht einnehmen!
Richtig, nickte der Apotheker, nur äußerlich verwenden, nur ins Auge tropfen!
Kopfschüttelnd kam er heim und wies mir das Fläschchen vor. Der Apotheker, sagte er, kann nicht gut Deutsch. Einnehmen heißt in die Tasche stecken. Wie Geld. Du hast es gesagt!
Einnehmen, erklärte ich, kann verschiedene Bedeutungen haben. Hier heißt es schlucken. Nicht schlucken!
Onkel Massimo sah mich mißtrauisch an. Hat es, fragte er, vielleicht noch mehr Bedeutungen?
Gewiß. Ein Mensch kann zum Beispiel ein einnehmendes Wesen haben.
Ein kassierendes Wesen?
Nein. Ein sympathisches, ein gewinnendes Wesen. Verführerisch, seducente! Du selbst, Onkel Massimo, bist ein sehr einnehmender Mensch. Gudrun ist zum Beispiel sehr von dir eingenommen. Sonst würde sie dich nicht nehmen.
Einnehmen!
Nein. Bei einem Bräutigam geht das nicht. Bei einer Festung geht es. Der Feldherr nimmt die Festung ein.
Also, sagt Onkel Massimo, man kann auch sagen: Der Feldherr schluckt die Festung!
Nein, er erobert sie. Einnehmen hat aber noch eine Bedeutung. Der Beamte nimmt eine hohe Stellung ein!
Onkel Massimo legte die Stirn in Falten. Warte mal, sagte er. Der Feldherr einnahm die Medizin und die Festung...
Ein kommt an den Schluß, Onkel Massimo, unterbrach ich. Es ist die Vorsilbe. Deshalb kommt sie nach hinten.
Aha. Also: Nachdem der Feldherr die Medizin, die Festung und das Geld genommen hatte ein...
Ich mußte wieder unterbrechen: Beim Partizip des Perfekts bleibt die Vorsilbe vorn: Eingenommen hatte!
Gut. Nachdem der Feldherr die Medizin, die Festung und das Geld eingenommen hatte, wurde er ein einnehmender Mensch und nahm die Stellung eines Beamten - Onkel Massimo holte Atem und schloß: ein!
Praktisch! rief er und sprang auf. Ein Wort für alles, parola universale!
Er kehrte in seine Heimat zurück, wo er seinen Freunden erklärte, das Deutsche sei eine sehr einnehmende und vielsagende Sprache. Die Deutschen hätten nur sehr wenige Verben, vier oder fünf, damit kämen sie aus, weil sie die meisten Tätigkeiten mit «einnehmen» ausdrückten. Ich bekam von ihm einen Brief, in dem folgendes vorkam: Nachdem ich die Straße und einen kleinen Vogel eingenommen hatte, nahm ich die Wasserleitung, einen neuen Volkswagen und die deutsche Grammatik ein.
Diesen Satz verstand ich nicht. Schon der Satz von jenem Feldherrn, der zuerst krank war und Medizin schluckte, dann eine Festung eroberte und alles Geld kassierte, wonach er friedlich wurde und einen Beamtenposten bekam, hatte mir ziemlich unsinnig geklungen, wiewohl er sprachlich keinen Fehler aufwies, aber ich hatte geschwiegen, um ihn nicht zu entmutigen. Nun aber mußte ich eingreifen, und ich machte ihm klar, daß es so nicht ging.
Darauf trat Schweigen ein. Erst Monate später sah ich Onkel Massimo wieder. Er machte um jedes deutsche Wort einen Bogen, und ich erfuhr auf Italienisch, daß er das Studium der deutschen Sprache endgültig aufgegeben und sich ganz auf das Studium der deutschen Frau konzentriert hatte, indem er Gudrun heiratete.
Дата добавления: 2015-08-05; просмотров: 44 | Нарушение авторских прав
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