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Paola Reinhardt

Paola Reinhardt, in Paderborn geboren und dort aufgewachsen, lebt in Bad Lippspringe. Während ihrer langjährigen Tätigkeit als Sekretärin (Uni Pb) schrieb sie schon früh kleinere Erzählungen und Gedichte, u. a. auch Manuskripte für den WDR-Kinderfunk. 1982 erschien die erste größere Kurzgeschichte (“in: “Für Sie”). Zahlreiche weitere folgten in unterschiedlichen Printmedien. Darüber hinaus Veröffentlichungen in Anthologien.

„Lilli“ ist ihr erster Roman (2004)

WER VERSTEHT SCHON MÄNNER von Paola Reinhardt (copyright)

Elise war alt geworden, eigentlich unmerklich. Edgar konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, wann es eigentlich begonnen hatte. „Magere Frauen wie sie, altern eher“, hatte seine Mutter ihn schon vor der Ehe gewarnt. Doch er stand nicht auf dicke Frauen. Aus diesem und auch aus reinen Vernunftgründen hatte er Elise schließlich doch geheiratet, obwohl sie nicht seine große Liebe war. Inzwischen waren ihre Kinder längst erwachsen und aus dem Haus. Zwei Söhne und eine Tochter. Man sah sich hin und wieder an den Geburtstagen, zu Weihnachten und Ostern selbstverständlich auch. Nach achtundzwanzig Ehejahren erinnerte sich Edgar noch genau daran, wie alles zwischen ihm und Elise begonnen hatte. Eines Tages stand sie rein zufällig neben ihm in der Schlange, die sich nur langsam die graue Steintreppe vom Entree bis hinauf zur Mensa bewegte. Eine Kollegin, aber nicht von der gleichen mathematischen Fakultät wie er. Nein, sie gehörte dem Fach Ökotrophologie an und war eigentlich nur eine bessere Haushaltslehrerin. Das jedenfalls behauptete seine Mutter noch immer, die vor ihrer Eheschließung an einer kleinen Dorfschule Häkeln, Stricken und Leibesertüchtigungen unterrichtet hatte. Elise war ihm nicht eher aufgefallen, als bis sie zu sprechen begann. Doch von Anfang an mochte er ihre Art, wie sie angefangene Sätze nicht zu Ende brachte, weil sie wohl annahm, dass er sowieso wisse, wie sie enden sollten. Ihre Nickelbrille und die strenge Hochschlagfrisur fand er gewöhnungsbedürftig. Selbstverständlich deutete an diesem ersten Tag noch gar nichts darauf hin, dass er sie einmal heiraten würde. Ihre ersten Küsse beim zweiten Rendezvous waren so unerotisch wie Babyschmatzer. Und nach dieser wirklich enttäuschenden Erfahrung hatte Edgar die feste Absicht, ihre Beziehung so schnell wie möglich wieder zu beenden. Erstaunlicherweise zeigte sich Elise beim nächsten, eher zufälligem Treffen, noch als lernfähig. Außer ein paar Küssen passierte lange nichts zwischen ihnen. Als es dann aber passierte, wunderten sie sich anschließend beide über ihren Mut. Zu Edgars Leidwesen ereignete sich dabei jedoch weder ein Erdbeben noch ein größerer Gefühlstaumel. Nein, es ging eher alles rein sachlich über die Bühne. Nachdem er die Kleenextücher aus dem Badezimmer zum Auftakt ihrer Liebesnacht demonstrativ auf das Hotelnachtschränkchen gestellt hatte, wusste Elise sogar von selbst, was er damit andeuten wollte. Den Gedanken, es könnte auch nur im entferntesten an ihm gelegen haben, dass kein überschwängliches Gefühl aufkam, ließ Edgar gar nicht erst zu. Dafür erinnerte er sich noch gut an sein erstes Mal. In diese andere Frau war er wahnsinnig verliebt gewesen, obwohl sie gesellschaftlich nicht zueinander passten. Bei Elise handelte es sich von seiner Seite aus lediglich um ein Gefühl des Gernhabens, das allerdings noch wachsen konnte. Eines Tages heiratet er sie dann, obwohl er genau wusste, sie würde in Liebesdingen immer nur Durchschnitt bleiben. Schließlich ging Vernunftehen wenigstens der Ruf der Beständigkeit voraus!

„Armer Edgar! Deine Elise ist genau der Typ ist, der schnell altert?“, hatte seine Mutter im letzten Jahr während eines Freitagsbesuchs (er besuchte seine Mutter immer freitags) zu ihm gesagt. „Dagegen helfen bei ihr nicht einmal teure kosmetischen Präparate, oder eine neue modische Brille. Und in den kurzen Röcken, die sie neuerdings trägt, sieht sie eher lächerlich als anturnend aus.“ Seine Mutter hatte wahrhaftig das Wort anturnend in den Mund genommen! Von da an sah Edgar es als sein legitimes Recht an, sich die Studentinnen noch genauer anzusehen, die sich für eine Examensarbeit in seiner Sprechstunde anmeldeten. Eine vollschlanke Brünette gefiel ihm besonders gut. Sie hieß Nike und die Brüste der schönen Siegesgöttin waren genau so straff und prall wie ihre Haut. Edgar lechzte bei jeder Begegnung danach, sie zu berühren. Dass sie dreißig Jahre jünger als er war, störte ihn nun wirklich nicht. Und die allgemeine Auffassung, dass Studentinnen in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Professor stehen, konnte er nun wirklich nicht teilen. Denn nicht Nike, sondern er war von Anfang an der Gefährdete und irgendwann auch der Unterlegene in einem hautnahen Geschlechterkampf. Zum Glück musste er ihre schlechte Note beim mündlichen Mathematikexamen nicht verantworten. Als zweiter Prüfer fungierte nämlich eine strenge Kollegin, die sich nicht einmal von ihm zu einer besseren Note überreden ließ. Nike schmollte. Nike spielte Lysistrata. Was wollte sie bei ihm dadurch erreichen? Es gab doch nichts, was er nicht für sie tun würde – bis auf das eine. Und genau das wollte sie plötzlich, obwohl sie sich doch zu Anfang ihrer Liaison darüber einig waren, dass eine Scheidung für ihn nicht in Frage käme. Schließlich spielte in einem solchen Fall das Geld eine nicht unbedeutende Rolle, denn Elise hatte ihren Beruf nach dem zweiten Kind aufgegeben. Nun würde er sie wohl bis an das Ende ihrer Tage ernähren müssen. Doch feige, wie die meisten Männer, versprach er Nike schließlich, noch einmal darüber nachzudenken. Zum Dank dafür brach sie ihren Streik ab.

„Temperamentvolle Frauen wie sie, werden in der Ehe schnell träge. Du wirst sehen, Edgar, sie ist genau der Typ, der beizeiten einen Hängebusen und hässliche Dellen an den Oberschenkeln bekommt“, sagte seine Mutter, nachdem sie ihn und Nike rein zufällig bei einem Spaziergang im Park gesehen hatte. Dieses Mal störte Edgar das Gerede seiner Mutter gewaltig. Doch am Ende blieb ein winzig kleiner Gedanke in seinem Gehirn haften, ihre Prognose könnte sich irgendwann einmal bewahrheiten. Doch allen Unkenrufen zum Trotz fuhr Edgar kurz darauf mit Nike nach Paris. Heimlich versteht sich und eigentlich auch nur für zwei Tage, die er Elise gegenüber als Forschungsreise deklariert hatte. Nachdem er und Nike ein paar Mal über die Champs Elysées gebummelt waren, den Eifelturm besichtigt und eine Abendfahrt auf der Seine mitgemacht hatten, langweilte sich seine Freundin bereits wieder in Paris. Sie wollte unbedingt noch auf einen kurzen Trip mit ihm nach London. Einmal in der Rushhour am Piccadilly Circle stehen, oder wie geil, durch das nächtliche Soho wandern! Nach kurzem Zögern ließ sich Edgar von ihr auch dazu überreden. Doch kaum London richtig erkundet, spürte Nike schon bald das Verlangen, während der nächsten noch vorlesungsfreien Tage die Akropolis in Athen zu besichtigen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt machte ihm sein hoher Blutdruck ernstlich zu schaffen. Edgar fühlte sich völlig überfordert und war beinahe froh, als Nike ihn wegen eines jungen irischen Studenten verließ.

Edgar noch immer damit beschäftigt, den Verlust etlicher Ersparnisse nachzutrauern, da traf ihn nach seiner Rückkehr auch schon der zweite Schicksalsschlag. Elise war ausgezogen. Sie habe es satt, ließ sie ihn einen Tag später durch einen Anwalt mitteilen, ihr Kopfkissen mit einem notorischen Lügner und Verführer zu teilen. Er ein Verführer? Nein, diese Definition traf nun wirklich in keiner Weise auf ihn zu! Doch als er diese seiner Ehefrau in aller Eindringlichkeit klar machen wollte, lachte sie nur. Sie wusste über Nike längst Bescheid. Wenn Elise lachte, sah sie eigentlich gar nicht mal schlecht aus. Und die paar Fältchen um Augen und Mund störten ihn kaum noch. Ja, er hätte sie sogar noch mit ein paar mehr zurückgenommen, nur um eine alte Bequemlichkeit nicht zu verlieren. Aber seine Nochehefrau wollte nicht. „Jetzt nicht mehr“, sagte sie mit einem triumphierenden Leuchten in den Augen und sah dabei richtig glücklich aus.

Als Edgar sich anschließend bei seiner Mutter Trost holen wollte, behauptete die zu seiner Verwunderung, dass Elise doch gar nicht so übel sei. Und er Edgar, sei ein grenzenloser Dummkopf, dass er sie mit dieser Nike betrogen hätte. Aber, wer versteht schon Männer!

Eingabe 20 September 2006 | 20:40 in Prosa

HOFFNUNG von Paola Reinhardt (copyright)

Endlich Sommer, Wärme, Blumenduft, Vogelgesang! Was kann mir schon passieren, denkt die Frau und versucht ein Lächeln. Der Fremde, kaum zehn Schritte von ihr entfernt, lächelt zurück. Nein, es hat nicht ihm gegolten, ihr Lächeln! Oder doch? Natürlich, auch er ist ein Teil dieser schönen, heilen Welt, die sie gleich ein paar hundert Meter entfernt am Portal der Klinik zurücklassen wird. „Schenken Sie mir ein wenig Zeit und ein weiteres Lächeln“, sagt der Mann, jetzt, da sie sich gegenüber stehen. Seine Augen sind sehr blau, seine Lippen schmal, klar gezeichnet. Eine angenehme dunkle Stimme. Was hat er gesagt? Die Frau versucht sich zu erinnern, doch sie ist viel zu sehr mit ihren Gedanken beschäftigt. Immer noch, leider! Über die rechte Schulter des Mannes baumelt ein Riemen, und an diesem Riemen hängt ein schwarzes Metallgehäuse mit einem aufgeschraubten Objektiv. Schussbereit. Jetzt richtet er es blitzschnell auf die Frau, versucht, sie mit seinem Charme einzulullen, willenlos zu machen. „Nein!“, schreit sie und hebt entsetzt den Arm vor ihr Gesicht. Jenen Arm, der geradewegs zu ihrer linken Brust führt, an dem sie vor acht Wochen diesen Knoten ertastet hat. Dann rennt sie in Panik davon.

„Lassen Sie mich in Ruhe, spüren Sie denn nicht, dass ich am Ende bin! Oder wollen Sie mir Ihre Schultern zum Weinen anbieten? Ja, vielleicht wäre ein Fremder wie Sie gar kein ungeeignetes Objekt dafür! Sie könnten emotionslos zuhören, denn meine Geschichte beträfe Sie ja nicht. Nein, lieber nicht! Ich hätte Angst vor Ihren Fragen, die danach unweigerlich kommen würden. Geben Sie ruhig zu, dass Sie mehr in meinem Gesicht entdeckt haben als nur ein Lächeln! Warum sonst sind Sie bei meinem Schrei nicht einmal zusammengezuckt. Aber leben Sie mal mit diesem Ungeheuer, das man Angst nennt! Es hat mich am helllichten Tag überfallen, morgens um halb acht beim Duschen, als ich rein zufällig diesen Knoten ertastet habe. Zuerst glaubte ich wider alle Vernunft, ich hätte mich geirrt und stellte mich die nächsten Tage einfach dumm. Doch er blieb und wuchs sogar noch. Man wacht auf, atmet, ahnt nichts Böses, und dann ist es auch schon passiert. Scheiße! Die Ärztin sagte mir später, er müsse unbedingt heraus, dieser Knoten, und warum ich ihn nicht schon früher bemerkt hätte. Im übrigen solle ich mir keine Sorgen machen, es gäbe genug gutartige Fälle. Die anderen seien aber auch … Ich habe zuerst so getan, als ginge mich ihre Diagnose nichts an. Erst später erlaubte ich mir eine Erinnerung. Was heißt „...aber auch…“? Operation, Amputation, Bestrahlung im Keller der Klinik, kahler Kopf und dann dieses Kotzen. Man kotzt vor lauter Übelkeit, aus Verzweiflung, aus Einsamkeit. Und dann diese Angst im Nacken, es könnte alles wieder von vorn beginnen – sie wird bleiben! Dabei habe ich die Existenz dieses Knotens für kurze Zeit vergessen, sie einfach verleugnet, in Alex Armen. Habe mich hinterher gewundert, dass selbst ein Ungeheuer in solchen Augenblicken so etwas wie Scham kennt und sich diskret zurückzieht. Alex hat nichts bemerkt!

He, können Sie mir vielleicht sagen, ob das meine letzten unbeschwerten Stunden waren? Na sehen Sie, darauf haben auch Sie keine Antwort parat! In der letzten Zeit habe ich mir nur selten erlaubt, an die Zukunft zu denken und bin mit meinen gesunden Füßen auf dem Kopf meines Feindes herumgetrampelt. Wollte ihn vernichten! Doch es hat nichts genutzt. Auf einmal war sie wieder da, diese Angst, und sie wuchs und wuchs, wurde zum Riesen. Meine schönen Brüste, und gerade die ist gefährdet, die ich immer für die schönste gehalten habe. Ich lasse es nicht zu, dass man sie mir weg nimmt! – Und wenn doch? – Dann, dann will ich zu dem Prozentsatz gehören, die diese Krankheit heil übersteht!“ Alex hat nichts bemerkt.

„Sie aber Mister X, ich nenne Sie einfach so, weil ich Ihren Namen nicht kenne, Sie haben geahnt, dass sich hinter meinem Lächeln etwas verbirgt! Darum konnte ich es auch nicht zulassen, dass Sie mit Ihrer Kamera mein Gesicht ablichteten, das sich Ihnen nackt wie ein offenes Buch entgegen streckte. Was bin ich denn schon für Sie? Nur eine Frau unter vielen, die Ihnen in der Menge rein zufällig aufgefallen ist, die Sie neugierig gemacht hat.“

Erst jetzt spürt die Frau, dass sie noch immer läuft, spürt das harte Gehpflaster unter ihren dünnen Sommerschuhsohlen, das beängstigende Klopfen auf der linken Seite, dort, wo das Herz sitzt. Hört ihren keuchenden Atem. Direkt vor dem Portal der Klinik bleibt sie endlich stehen, dreht sich um. Der Fremde in einiger Entfernung ist für sie fast gesichtslos geworden. Jetzt hebt er die Hand, legt sie auf seine Brust, winkt ihr mit der anderen zu. Ganz so, als wollte er sie um Entschuldigung bitten, weil er sie beunruhigt und zum Laufen gezwungen hat. Die Frau winkt zurück, erschöpft, spürt den Schweiß auf ihrer Stirn und zwischen ihren Brüsten kalt werden. „Bis bald, Fremder!“

Sommer, Blütenduft, Vogelgesang! Was kann mir schon passieren, denkt die Frau – und dieses Mal gelingt ihr ein Lächeln!

Eingabe 20 September 2006 | 20:37 in Prosa

 

WIEDERSEHEN IN IRLAND

von Paola Reinhardt (copyright)

Wenn sie sich an Irland erinnerte, dann nicht nur an das einzigartige Licht dieser grünen Insel, oder an den Schleierdunst, der morgens über der ruhelosen See lag, sondern an ihn. An Patrick – und die gelben Rosen vor dem Homely House, die sie so liebte. „Wer einmal in Irland war, kommt wieder zurück“, sagte der Alte am Hafen, der ein Gespräch mit ihr suchte. Charlotte nickte, fühlte sich aufgeregt und elend zugleich, als sie in den Mietwagen stieg. Sie traf alles genauso an, wie sie es in Erinnerung hatte: Das weiße Gemäuer, das Schild kurz vor dem Giebel in Orange und Weiß mit der schwarzen Schrift darauf. Die rote Eingangstür, die roten Sprossenfenster – nur der Rosenstrauch fehlte. Zögernd ging Charlotte hinein, setzte sich an einen der kleinen Tische, bestellte einen Tee und ließ Zucker hineinrieseln. Wartete, wartete. Kurz bevor der Tag sich davon schlich, kam Patrick zur Tür herein. Sie wollte weggelaufen, hatte plötzlich Angst vor der Wahrheit. Aber da war es schon zu spät. Er kam auf sie zu. „Warum bist du nicht gekommen?“, fragte er, als läge ihre Verabredung erst ein paar Stunden zurück und nicht ein paar Wochen. „Ich habe lange auf dich gewartet.“ Er gab ihr nicht die Hand, stand nur da und sah sie an. „Ich musste früher abreisen“, log sie, obwohl sie genau wusste, dass er ihr nicht glaubte. „Komm!“, sagte Patrick nur und schob sie sanft zur Tür. Gemeinsam gingen sie über einsame, begrünte Wege und gelangten schließlich zu der Stelle, wo eine weiß getünchte Hütte aus Bruchsteinen stand, direkt am See. Hier lag auch sein Boot, und hier hatten sie sich immer geliebt, als sie noch ein Paar waren und für kurze Zeit an der gleichen Schule unterrichteten. Das Land ringsherum war karg und steinig. Doch an der Südseite der Hauswand sah sie einen gelben Rosenstrauch blühen. Einfach so, ganz selbstverständlich, als hätte er schon immer dort gestanden. „Ich denke, er gehört hierher, genau wie du auf diese Insel“, sagte Patrick. „Und diese andere Frau?“ „Wir sind zusammen hier aufgewachsen. Aber Liebe verändert sich, und manchmal wird eines Tages ganz einfach eine wunderbare Freundschaft daraus.“ Er wusste sofort, wovon sie sprach. „Das ist keine Antwort“, hielt Charlotte ihm entgegen „Doch! Und zwar die einzige, die es gibt!“ Patrick lachte und nahm sie in den Arm. Sommer in Irland und seine Lippen waren voller Sanftmut. So sanft, wie der laue Sommerabend – und sie glaubte ihm.

Eingabe 20 September 2006 | 20:29 in Prosa

 


OH, SAMANTHA! von Paola Reinhardt (copyright)

Es war schon Spätherbst, als David auf die Insel zurückkehrte. Alles schien unverändert. Möwen kreischten über dem steil abfallenden Strand vor seinem Haus. Der Wind rüttelte an den grün verwitterten Fensterläden und der Wasserhahn über der Badewanne tropfte noch immer. Anna hatte ihn höflich, aber mit einer ungewohnten Fremdheit empfangen. Ihr Haar war noch weißer geworden, doch ihren aufrechten Gang und den klaren Blick hatte sie nicht verloren. „Es ist gut, wieder hier zu sein, Anna“, sagte der Mann und sah hinaus in den Garten, wo der Wind sein unsanftes Spiel mit den Dahlien und Astern trieb. „Warum bist du so lange fortgeblieben, David?“ fragte Anna vorwurfsvoll. Den ganzen Sommer über hatte er sie allein gelassen, eigentlich sogar seit den ersten Sonnentagen, als die Urlauberinvasion einsetzte. Anna verstand das nicht. Davids Besitz lag einsam, fest abgegrenzt und eingezäumt und nur selten verirrten sich ein paar Neugierige bis an die Gartenpforte. Es waren also nicht die Touristen, vor denen er geflohen war. David hatte in diesem Sommer zuerst für ein paar Wochen bei Freunden in der Nähe von Biarritz gewohnt, danach eine Einladung auf Elba angenommen, und anschließend versucht, sich auf einer Segeltörn vor Griechenlands Küsten zu amüsieren. Doch im Grunde hatte er sich in all den Monaten nur gelangweilt. Nachdenklich trat der Mann vom Fenster zurück und setzte sich an seinen Schreibtisch. Das aufgeschlagene Lexikon zeigte noch immer die gleiche Seite wie vor seiner Abreise. Daneben lagen Zeitungen und Briefe fein säuberlich von Anna nach Eingangsdatum geordnet. David brachte in wenigen Minuten alles durcheinander, fand aber nicht, wonach er suchte. Dann kam Anna mit seinem Tee aus der Küche zurück, heiß, süß und aromatisch, wie er ihn sonst nirgendwo zu trinken bekam. „Wann wirst du endlich dein neues Buch beenden? Der Verleger hat schon einige Male angerufen, aber du warst ja nirgendwo zu erreichen. Nicht einmal über dein Handy“, sagte Anna vorwurfsvoll, ohne den Mann dabei anzusehen. „Bald, bald“, wiederholte David ausweichend und riss mit einer heftigen Bewegung das leere Blatt Papier aus der Schreibmaschine, das er noch vor seiner Abreise eingespannt hatte. Wenn ihm schon damals nichts eingefallen war, wie sollte er jetzt nahtlos an alte Gedanken anknüpfen! Vielleicht gab es sowieso keine Lösung für diese Blockade in seinem Kopf, und er starb langsam vor sich hin. Er sah zu Anna hinüber, die ordnend an einem Strauß Rosen zupfte, wie früher Samantha. Da stand er auf und lehnte seinen Kopf an ihre knochige Schultern, so wie er es als kleiner Junge oft getan hatte, wenn er von ihr getröstet werden wollte. „Anna, sie fehlt mir so sehr!“, sagte er leise. „Ich weiß“, antwortete Anna und strich ihm beruhigend über sein dichtes, noch immer braunes Haar. „O David, dieser andere Mann, er bedeutete Samantha doch gar nichts. Hast du denn nicht bemerkt, wie sie dich mit dieser kleinen Affäre nur aus deiner Gleichgültigkeit aufrütteln wollte? Du hättest sie nicht gehen lassen dürfen!“ Mit einem Ruck löste sich David aus der Umarmung, rannte zum Fenster und riss es auf, als sei ihm die Luft zum Atmen ausgegangen. Dann nahm er seine braune Lederjacke vom Garderobenhaken, blieb in der Haustür noch einmal stehen und rief: „Warte nicht mit dem Essen auf mich, Anna!“ Doch er erhielt keine Antwort.

Der Wind war schon ungewohnt kalt für einen späten Oktobertag. Er zerrte die welken Blätter von den Birken, vermischte sie mit dem übrigen herunter gefallenen Laub und trieb seine Beute bis an den Rand der dichten Buchenhecke. Die Scharniere der Gartenpforte quietschten, als David sie öffnete und er erinnerte sie sich daran, dass er im Frühjahr vergessen hatte, sie zu ölen. Der schmale Weg hinunter zum Strand war dicht versandet und jeder Schritt vorwärts, kostete ihn Kraft. Nach ein paar Minuten erreichte er den Strand. Das Meer hatte sich zurückgezogen und nur Tang, Treibholz und Muscheln zurückgelassen. David musste unwillkürlich lächeln, als er daran dachte, mit welchem Eifer Samantha jede an den Strand gespülte Kiste untersuchte und immer enttäuscht wie ein Kind reagiert hatte, wenn sie wieder einmal nichts Aufregendes enthielt. Nie war sie auf ihren Spaziergängen ohne eine Handvoll Muscheln in den Taschen heimgekehrt. Nur allzu gut erinnert er sich an ihre nasskalten Hände beim letzten Spaziergang, die sie ihm auf dem Heimweg zum Wärmen entgegen gestreckt hatte. Und er spürte, dass jeder Gedanke an Samantha schmerzte! Er nahm seine von der feuchten Luft beschlagene Brille ab und fuhr sich über die brennenden Augen. In einiger Entfernung vor sich sah er plötzlich die schmale Silhouette einer Frau. Der Wind spielte mit ihren langen, weizenblonden Haaren. Er beschleunigte seine Schritte, doch obwohl er schnell ging, vermochte er sie nicht einzuholen. Er stemmte sich noch stärker gegen den Wind, keuchte, pustete, rief ihren Namen: „Samantha!“ Eine Antwort erhielt er nicht. Es kam ihm sogar vor, als wenn er sich mit jedem Schritt, den er sich ihr zu nähern glaubte, weiter von ihr entfernte. Dann war die schmale Gestalt auf einmal verschwunden, verschluckt von der aufkommenden Dunkelheit. Erst da begriff David, dass es nicht Samantha war! Denn Träume können keine Realität annehmen, ohne dass man etwas dazu tut! Er lächelte, summte ein Lied, und dann ging er scheinbar leichtfüßig und mühelos den Weg durch den feuchten Sand zurück.

Eingabe 20 September 2006 | 20:32 in Prosa

PIROUETTE

von Tom Delißen (copyright)

Er marschierte mit staksenden Schritten durch das Häusermeer.
Betonfarbene Straßen unter einer Dunstglocke von Missgunst, Eifersucht und Habgier.
Graue Schemen kamen ihm entgegen, geduckt durch die immerwährende Dämmerung eilend, wie auch er, auf dem Weg in ein Daheim, das jeden Bezug zum Lebenswerten verloren hatte.
Keine Sonne, in diesen Schluchten der Einsamkeit, nur glanzloses Licht, ein wenig konzentriert im Westen, Schatten, die ineinander verschwammen.
Nebeltrübe Kopfgeburt die wahre Existenz.
Fröstelnd zog er den dicken, schweren, schwarzen Ledermantel fester um den hageren Oberkörper, ließ die Hände dann wo sie waren, verschränkt um sich selbst, schützend, eine tröstende Umarmung in der Isolation, die sein Leben beherrschte.
Er gelangte in das Gewirr einer Hochhaussiedlung, abertausende Schlafplätze für die Ameisen der Gesellschaft, Drehplätze für die skurrilsten Dramen, Tatorte.
Der Wind hatte zugenommen, heulte durch die Schluchten der Wohnblöcke, pfiff zwischen den Plattenbauten der Garagen, über kahle Spielplätze mit verrosteten Schaukeln und Sandkästen voll Hundekot.
Auf seiner rechten Seite nun, überraschend, eine Wand, Rückseite eines der Hochhäuser, schwarz gestrichen. Wie ein bunter Fleck in dem tristen, trüben, fahlen Grau.
Er hielt inne, stoppte seinen Schritt, blickte auf die rissige Fläche.
Sie schien ihm wie der Hintergrund einer bizarren Open-Air-Bühne, atmete die Erwartung, einen Darsteller zu umhüllen, ihm Halt zu geben, vor dem Publikum der Welt, das lethargisch in den Sitzen der Gesellschaft faulte.
Dann sah er den Schauspieler. Es war eine weiße Plastiktüte, sie lag am rechten Rand.
Ein Windstoß erfasste sie, ganz sanft nur, ein erster zaghafter Schritt. Dann, mit einem Mal, gewaltig hoch gewirbelt in die Mitte des Felsenschwarz, graziös sich um sich selbst drehend, erneut eine Pirouette, dann zu Boden, reglos. Den Applaus erwartend.
Wieder in die Höhe, schwerelos, ein Salto, ein sanfter weißer Ring in der Luft, wie schlank, wie anmutig, wie vereint mit den Elementen.
Tanz in höchster Vollendung, so engelgleich, so ästhetisch, ebenmäßig.
Und der Wind, die Luftbewegung trieb sie weiter, verlieh ihr Leben. Große Bögen jetzt, gewaltiger Sprung. Aufgebläht für einen Moment, über die schwarze Bühne hinaus katapultiert, großartig bis zurück auf den Asphalt, Stillstand, Ausruhen, Erschöpfung. 
Jetzt erhob es sich erneut, das helle Plastik, tänzelte auf ihn zu, schien ihn aufzufordern, zu umwerben.
“Komm tanz mit mir!“
Und er ließ los.
Tat einen Schritt nach links, setzte den Fuß nach rechts. Die Hände in Hüfthöhe, weiter.
Das Weiß schien ihn anzuspornen, er tat es ihm nach, drehte sich, sprang, wirbelte.
Eine ungeheure Freude durchfloss ihn, vereint mit dieser Tänzerin seiner Phantasie, schleuderte er sich in den Sturm, wirbelte vor dem Schwarz der Wohnhauswand, vergaß die Zeit und alle Dimensionen. Unwichtig aller menschliche Ballast, all das schnöde Gedankengut, Gesellschaftsdenken.
Freiheit atmen, Liebe denken, sich selbst im Universum spüren, vereint mit jener kleinsten Winzigkeit, die so unendlich wie das Weltall ist.
Die weiße Plastiktüte tanzte mit ihm das Erkennen, hielt ihn an den Schultern, schwamm mit ihm, schwebte mit ihm durch den Schaum des Herbsturmes, vereint mit den Blättern der Bäume, den Dunstpartikeln der Großstadt. Eins mit sich selbst, das war er, unbeeinflusst von der gesellschaftlichen Wertigkeit des Lebens, das ihm so verkommen schien.

An jenem Abend ging der junge Mann nach Hause und schrieb ein Buch, das die Welt veränderte.
Er schrieb und die Menschen verstanden.

Eingabe 31 Juli 2006 | 16:11 in Prosa

NORDWIND

von Tom Delißen (copyright)

Die Haare, die zu sehen waren, eine Strähne eigentlich nur, waren fettig, irgendwie schmierig. 
Die Sanitäter, die den Körper auch auf die Bahre gehievt hatten, waren sorgfältig bemüht gewesen, mit dem grünen Tuch den Tod zu verhüllen,. Doch diese Strähne hatten sie übersehen. Wäre sie nicht Beweis genug gewesen, dass ein Leben vorbei war? 
Sie wirkten genauso leblos wie der Leichnam, doch es regnete und ein Wassertropfen, der von dem Büschel tropfte, bewirkte, dass ihm der Gedanke durch den Kopf schoss, sie weinten, diese blonden Haare.
Seufzend hob er die Plane in die Höhe, und stolperte fluchend zurück.
Sie hatten vergessen, ihr die Augen zuzudrücken. Mit vorwurfsvollem Blick starrte ihn die Tote an.
Er trat näher und schob behutsam die Lider über die starren Pupillen.
Der Körper war bis auf ein Minimum abgemagert, die Rippenbögen stachen, wie bei einem verhungernden Kind aus Äthiopien, durch die Haut.
Die Finger wirkten lang, wie die einer Spinne, das Gesicht glich einem Totenkopf. Pergamentene Haut über weißen Knochen.
An den skelettdünnen Armen riesige Ekzeme, teilweise voll Eiter, über und über zerstochen alle Venen. 
Der Kollege hatte sich zu der Toten hinuntergebeugt, ein Papier aus der Hintertasche ihrer viel zu weiten Jeans befördert. Eine Passkopie.
Er faltete es, neben der jungen Frau kniend, auseinander.
”Aus Hamburg. Vom Wind hierher geweht. Ein Nordlicht.” sagte er.

Eingabe 31 Juli 2006 | 16:10 in Prosa

HERZSTEINE

von Tom Delißen (copyright)

Der Frühlingswind streichelte sanft meine Haut, ein Zwitschern, Zirpen in der Luft, den Bäumen, dem Gras, dass keinen Zweifel daran ließ, Gevatter Winter war dabei, seine Stiefel anzuziehen, seinen Reisesack zu packen.
Einzelne Farbtupfer im Dunkelgrün oder den letzten Resten weißen Schnees, kündeten von trotzigen Blümlein.
Da vorne die alte Eiche, Begleiter durch die Jugend, Stütze im Alter.
Denkmal.
Hier hatte ich einst ich meine geliebte Ehegattin der Erde überlassen, hatte ihre Asche an den Stamm des Baumes gelegt, dem Wind seinen Anteil gegeben.
Allererste Knospen an den weiten Ästen, neue Energien manifestierten sich.
Schon aus guter Entfernung war ein ungewöhnliches Glitzern zwischen den mächtigen Armen der Wurzeln zu erkennen. Ich trat, durch das Gras streifend, näher an die holzige Gestalt meines Freundes heran.
Da lag ein Quarzkristall, groß wie die Blüte einer Rose, geformt wie ein Herz. Zwei Kammern, spitz zulaufend. Ein Herzstein. Wie gelangte er hierher? 
Ich hatte einmal über Herzsteine gelesen, doch fehlte mir die genaue Erinnerung. 
Fasziniert betrachtete ich die wunderschöne Maserung des Steines.
Eine tiefe Müdigkeit überkam mich, ich presste den Stein an meine Brust, ließ mich am Fuß des Baumes nieder.
Ich schloss die Augen. Aus warmen weißem Licht kam mir meine Frau entgegen, mit offenen Armen ging sie auf mich zu.
“Ich bin gekommen, Dich zu mir zu holen, mein Herz.“

Eingabe 31 Juli 2006 | 16:06 in Prosa

 


Дата добавления: 2015-12-08; просмотров: 120 | Нарушение авторских прав



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