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Jürgen Jesinghaus

Geboren 1939 in Wuppertal, verheiratet, Vater eines Sohnes,Mathematiker, wohnhaft in Bornheim bei Bonn (juergen.jesinghaus@web.de). Ich hoffe, dass ich eines fernen Tages sterben darf und nicht “versterben” muß. Ich verabscheue Ausdrücke wie “qualitativ hochwertig” und hasse es, wenn
Kausalsätze “von daher” beginnen und Zeitungsartikel oder Zuckerdosen etwas “beinhalten”. Ich glaube, dass Eigennamen dekliniert werden müssen, und halte die Rechtschreibe-Reform für so überflüssig, wie das dritte f in der Schifffahrt und das zweite s in der falschen Schreibweise “Jessinghaus” meines Namens. Was ich liebe? Zum Beispiel meine Familie, Marilyn Monroe,
Berlin, Mozart, Proust und die Königin Luise – Lesen und Schreiben natürlich auch.

FRAU SCHMITZ von Jürgen Jesinghaus (copyright)

Transformatoren brummen zwischen Mandelkern und Kortex. Sie verquirlen die graue Substanz zu einem Neuronenbrei. Plötzlich die klirrende Verglasung. Mit ihm geschieht Kaleidoskopisches, und jetzt, ogottogott, die Explosion! Ein Drahtgeweih schießt aus Brosheims Schädel mit der Raumgeschwindigkeit von einer Million Kubikmetern pro Sekunde, so daß er sich behutsam, eine kribbelnde Narrenkappe auf dem Koppe, vorwärts tastet, denn er fürchtet, am Himmelsgewölbe entlangzukratzen, an den Mauern des Rathauses vorbeizuschleifen und mit den scharfen Drahtenden seines materialisierten Geistes die Fenster zu zerschneiden. Er schleicht über den Plattenweg, müde, aber sicher, daß er nicht würde hinfallen können, weil alles, was aus der Vogelstraußlederhaut des Planeten hervorragt, mit seinen Dendriten verankert ist: Die Birken, der Kirchturm, die Hochspannungsmasten. Er packt mit beiden Händen an den Schädel und schüttelt ihn, als hätten die Nackenmuskeln dazu nicht ausgereicht. Da implodiert das Drahtgeweih zu einem kopfgroßen Knäuel aus Stacheldraht, an dem elektrische Felder irrlichtern, wie wenn sich die Putzfrau in der Dunkelheit seines Schlafzimmers den Unterrock über die Haare zieht. Vesikel platzen, schütten Dopamine in synaptische Spalten, öffnen und schließen Kanäle. Dann registriert das Cortische Organ:
„Guten Tag, Herr Brosheim.“
Natriumpumpen speien Ionen in Neuronen, Potentiale jagen durch Axonen, über Schnürringe von Knöpfchen zu Knöpfchen, und dann denkt Brosheim:
Guten Tag, Herr Brosheim.
Auf die Zapfen der Netzhaut fällt die Gestalt der Nachbarin – seitenverkehrt und auf den Kopf gekippt bei virtueller Umkehrung der Gravitation, so daß der Rock nicht über den fetten Arsch rutscht. Das Bild wird durch Kommissuren kreuz und quer über den Balken zum Seepferdchen transportiert, im limbischen System zerlegt, gefiltert, sortiert, gewogen, gestempelt und verschickt, ein Paket durch den Kniekörper hier, ein Paket über das Hügelpaar dort, alle durch das Hauptpostamt im Thalamus. Nachdem Milliarden Neuronen gefeuert haben, erscheint die Nachbarin hinter Ganglien und Rangierbahnhöfen, wieder auf die Füße gestellt und um die eigene Achse gedreht, am hinteren Pol des Gehirns, verschwommen zwar und freundlicher als sonst, und Brosheim denkt:
Die Nachbarin, ich habe ihren Namen vergessen.
Als das Parfum, sehr aufdringlich, eine Flut von Neurotransmittern auf Rezeptoren postsynaptischer Membranen gießt und ein Gewitter an den Nervenfasern entfacht, das durch die Riechkolben schlägt und die Rinde erzittern läßt, da entschlüsselt ihm der göttliche Türke in seinem Gehirnskasten die elektrochemische Botschaft:
Frau Müller oder Frau Meier.
Nach Sintfluten von aminobuttersaurem Regen, nach Ebbe und Flut im Meer der Körpersäfte, sagt Brosheim:
„Guten Tag, Frau Schröder.“
Und nach Millionen Kinase-Kaskaden und Nervengewittern hört er:
„Sie kennen zu viele Frauen! Ich bin die Frau Schulz.“
Im Auf und Ab neuronaler Gezeiten lallt Brosheim schließlich:
„Ich liebe Sie auch, Frau Schmitz, aber ich glaub, ich bin besoffen.“

Eingabe 4 Dezember 2006 | 10:13 in Prosa


Дата добавления: 2015-12-08; просмотров: 84 | Нарушение авторских прав



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