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Ein wichtiger Vertreter der Literatur der deutschen Postmoderne, der manchmal auch der Pop-Literatur zugeordnet wird, ist Christian Kracht, der mit „Faserland“[14] 1995 seinen ersten Roman ver�ffentlichte, der bei der Literaturkritik starke aber zwiesp�ltige Reaktionen hervorrief. Kritiker beschieden Kracht sprachliches Verm�gen, w�rdigten seine Darstellung eines Generationenportr�ts, als das sein Buch verstanden wurde. Der Inhalt sorgte aber f�r tiefe Ablehnung bis Entsetzen: Die ziellose Reise eines aus reichem Hause stammenden, etwa zwanzigj�hrigen namenlosen Ich-Erz�hlers, der sich auf seiner Reise von Norden nach S�den, von Party zu Party, von Sylt bis zum Bodensee, durch Deutschland treiben l�sst und am Ende in Z�rich landet. Er ist st�ndig betrunken und verh�lt sich gegen�ber seinen Mitmenschen snobistisch-arrogant. Mit diesem Verhalten, das als Provokation empfunden wurde, bricht er alle gesellschaftlichen Konventionen und beschreibt in heiterem lockerem Stil ein Deutschland der neunziger Jahre, wie es in der Literatur bis dahin so noch nicht vorkam. Krachts Ich-Erz�hler h�lt sich in Hotels auf oder in Nachtclubs, Diskotheken und bewegt sich auf zahlreichen abendlichen Partys und Szenenversammlungen in den jeweiligen St�dten, von Westerland, Hamburg, Frankfurt, Heidelberg, M�nchen bis Z�rich. Er notiert ununterbrochen die Kleider, Outfits, die Frisuren sowie das Verhalten seiner Mitmenschen. Seine Aufmerksamkeit f�r die feinen Unterschiede verr�t die soziale Unsicherheit dessen, der nichts geleistet hat - wie vorhin erwähnt: die Generation der Erben, die auf Luxus pocht! Zugleich spiegelt sie aber auch die seelische Entleerung einer Lebensform, die nur die Werteskala der Konsumwelt kennt. Krachts Sprache ist nicht klischee-vermeidend, sondern orientiert sich am üblichen Szenegequatsche, das er auf seiner Reise kennen lernt.
Das Buch wäre nicht weiter aufgefallen trotz einiger komischer und gut beobachteter Szenen, die freilich jeder begabte Zeitungsreporter in einer Reportage genauso gut hinbekäme, zeigten sich nicht auch in dieser sinnleeren Oberflächenwelt kuriose Sehnsüchte. Der Erzähler kommt auf seiner Reise nach Heidelberg und erkennt, wie sch�n die Stadt ist: Alltagsszenen, seine Beobachtungen, wie die Menschen einfach nur am Neckar in der Sonne sitzen und genie�en. Kracht stellt Wortspiele auf, wenn er zum Beispiel den Begriff „Neckarauen“ genauer analysiert und meint, es verwirre einen, wenn man das Wort mehrmals wiederholt. Er stellt eine Assoziation her zu Deutschland: So k�nnte das Land sein, w�re der Krieg nicht gewesen und die Juden nicht vergast worden, meint der Beobachter-Erz�hler. Es w�re wie „Neckarauen“. Diese Wortspiele, Anspielungen auf die Gegenwart, Bezugnahmen auf Historisches sind typisch f�r Krachts Erz�hlung von dem jetzigen Zustand Deutschlands. Dann w�re Deutschland nicht so h�sslich, vulg�r, schlecht gekleidet, alternativ und faschistisch? Krachts Verzweiflung ist ziellos, und das macht seinen Hohn moralisch ertr�glich.
Die jungen Schriftsteller des vereinten Deutschlands, wie Goetz, Kracht und Brussig werden gewagter in der Auswahl ihrer Themen und Sprache und immer professioneller. Sie operieren nicht mehr nur als selbstbewusste K�nstler am Rande der Gesellschaft wie in den achtziger Jahren, sondern sie erf�llen ganz die Ausbildungsanforderungen zum Medienexperten. Sie bewegen sich geschickt in dieser Szene, treten auch in Mediendiskussionen auf, die durchaus fernsehtauglich sind. Sie beherrschen perfekt das Medienspiel. Sie durchschauen die Mechanismen der Massenmedien und kennen die Strategien der �ffentlichen Meinungsbildung, lassen sich nicht mehr zu so genannten Thesen-Intellektuellen machen, wie sie in den sechziger Jahren, als die Welt noch in Ost und West geteilt war, gang und g�be waren. Seitdem das Wort Globalisierung f�r die neue �konomische Weltordnung steht, scheint jede ausgreifende politische These einen Haken zu haben.
Diese offensichtlich große Irritation über Inhalt und Schreibweise der jungen Schriftsteller in ihren Romanen wie Kracht in „Faserland”, Goetz in „Irre”[15] oder Brussig in „Wie es leuchtet”[16], lässt sich möglicherweise darauf zurückführen, dass junge deutsche Literatur zum Beispiel zum Erscheinungszeitpunkt von „Faserland” allgemein eher als uninteressant und statisch galt. So hatten die großen Zeitungen, allen voran die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihren Feuilletons sich über den Stillstand der Literatur und die Talentschwäche der nachwachsenden Schriftsteller beklagt. Sie vertraten die Ansicht, dass die gegenwärtige Literatur sich zu wenig unterscheide vom bereits Bekannten und für unrühmliche Tugenden stehe.
Dass „Faserland” von der Kritik trotzdem weithin negativ beurteilt wurde, war umso erstaunlicher, da der Ruf nach Unterhaltung, möglichst nach amerikanischem Vorbild, laut geworden war. Kracht wurde ausgerechnet die Tatsache vorgehalten, dass er eindeutig von dem Amerikaner Bret Easton Ellis beeinflusst worden sei, dessen Roman „Less than zero” schon 1985 das mondäne Leben gelangweilter Upper-Class-Kids geschildert hatte und Kultroman wurde. Was die Literaturkritik an Krachts Debütroman auszusetzen hatte, wurde von der jüngeren Leserschaft jedoch positiv aufgenommen: Die Ernsthaftigkeit, mit der Kracht Markenprodukte einführte und als Fundamente des Lebensgefühls der neunziger Jahre beschrieb, wirkte befreiend. So findet die Jugend von heute nicht nur die Entscheidung schwer, zwischen zwei Parteien, CDU und SPD oder Grüne und FDP zu wählen, sondern die Entscheidung für einen Bourbon-Mantel in blau oder grüner Farbe ist für sie genauso wichtig, wie das bei Kracht nachzulesen ist.
Es lässt sich feststellen, dass sich Krachts Roman „Faserland” schon bald nach seinem Erscheinen trotz oder gerade wegen zahlreicher Verrisse der Kritik bei Vertretern einer jungen Generation zu einem neuen,Kultbuch‘, diesmal der deutschsprachigen Literatur, entwickelte. Die Kritiker sahen in ihm ein Gr�ndungsdokument einer neuen literarischen Bewegung – der Popul�rkultur gepr�gten Wirklichkeit zugeordnet: der so genannten Popliteratur. Christian Kracht selbst steht dieser Einsch�tzung, die ihn zum Idol einer ganzen Bewegung stilisiert, jedoch �u�erst kritisch gegen�ber und wehrt sich kokettierend gegen dieses Image: „Ich habe keine Ahnung, was das sein soll: Popliteratur.”, sagte er jedoch in einem Interview f�r die Wochenzeitung „Die Zeit”.[17]
In den neunziger Jahren wird Literatur immer mehr ethnographisch gelesen, das hei�t als Bericht aus sozialen Sphären, die nicht jedem zugänglich sind, weil Alter, Herkunft, Interesse einen Riegel davor schieben. Man h�rt aus den Texten die neuen Rhythmen f�r Lebensgef�hle, die Br�cken schlagen in die unterschiedlichen, hochprofessionalisierten Bereiche der Gesellschaft. In der Medienrepublik werden die Schriftsteller selber zu Ereignissen. Seit die Jugend der Garant f�r authentisches Erleben in einer �beralterten Gesellschaft sein soll, durch die im Sommer die Love Parade in Berlin mit Trucks und Techno zieht, ger�t auch der literarische Markt mehr und mehr zur Deb�tantendisco. Autoren, die aus dem Journalismus hineinwechseln, wie Benjamin Stuckrad-Barre oder Florian Ilies treffen mit ihren Buchver�ffentlichungen voll das Lebensgef�hl der neuen Welt. Leser werden als Zielgruppen definiert, mit Markenlogos und bestimmten Lifestyles zum Konsum der Ware Buch verf�hrt. Auch Stuckrad-Barre, der als Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, danach zum freien Journalisten und Popliteraten sich entwickelte, geh�rt zu den Kultautoren der Zeit.
Die Politik ist das Feindbild der Literatur, im Gegensatz zur Zeit davor, wo die Schriftsteller B�ll, Grass oder Lenz noch Parteinahme f�r die eine oder andere politische Partei bekundeten und sich sogar in den politischen Wahlkampf mit einspannen lie�en. Die innenpolitischen Irrungen und Wirrungen nehmen ein abruptes Ende, als der Terror zuschl�gt und die internationale Politik mit einem Mal wieder auf der Tagesordnung steht. Am 11. September 2001 fliegen zwei Flugzeuge, gesteuert von islamischen Attent�tern, in die Twin Towers in New York. Die Vereinigten Staaten rufen zum Kampf gegen den internationalen Terrorismus auf. 2003 beginnt der Krieg gegen den Irak mit dem Ziel, das Regime von Saddam Hussein zu st�rzen. Wieder ist es vor allem G�nter Grass, der sich �ffentlich mit harten Worten gegen die amerikanisch-britische Invasion wendet. Bundeskanzler Schr�der hatte sich gegen den Krieg gestellt.
Der Schriftsteller als der Intellektuelle, der moralische Emp�rung zum Ausdruck bringen kann wie w�hrend des Vietnam-Krieges, zeigt sich in den jüngeren Generationen nicht mehr. Die jüngeren Schriftsteller suchen sich anders auszudrücken. Sie sehen sich nicht definiert durch eine Epoche, sondern durch ihre schriftstellerischen Eigenheiten, Tagebücher, Reisebuchnotizen, kurzen Erzählungen, die oft zusammenhanglos daherkommen. Pop-Literatur nennt man es, aber auch dieser Begriff sagte einigen Schriftstellern nicht viel. Ist nun die Postmoderne zu Ende und abgelöst von der so genannten Pop-Literatur, Pop-Kunst und Pop-Art, darüber sind sich die Zeitgenossen nicht einig. An den deutschen Universitäten wird jedoch über das Phänomen Postmoderne viel diskutiert und spekuliert. Niklas Luhmanns Systemtheorie steht auf dem Stundenplan der Studenten. Abweichend von der postmodernen Literatur haben jedoch auch Schriftsteller Erfolg, die die zur Zeit gängigen Erzählmuster vermeiden, wie zum Beispiel der heute einunddreißigjährige Daniel Kehlmann, der mit seinem historischen Roman „Die Vermessung der Welt”[18] alle Verkaufsrekorde seit Erscheinen von Patrick Süßkinds „Das Parfum” vor nunmehr 20 Jahren gebrochen hat und nun seit etwas mehr als einem Jahr ganz oben auf den Bestsellerlisten steht. Sein historischer Roman zweier deutscher Helden, die bei Kehlmann zu Antihelden mutieren, wird von allen Schichten der Gesellschaft gelesen ob nun Intellektuelle, Spiegel-Bestseller-Leser oder auch Wissenschaftler, Historiker, Studenten und Schüler. Sein Realismus, den er den südamerikanischen Schriftstellern wie Gabriel Marcia Marquez entlehnt, seine Antihelden erwecken das Interesse vieler Leser. Obwohl man den Versuch wagen könnte, auch bei Kehlmann postmoderne Elemente herauszugreifen, wie die Aufnahme traditioneller Themen und Stile in Verbindung mit gesellschaftlichem Humor und Ironie. Kehlmanns Bücher sind bei weitem keine Pop-Literatur, sondern vielfältig in Thema und Stil. Denn Vielfalt ist heute angesagt.
Selbst für die Postmoderne war es schwer, radikale Vielheit konsequent zu denken. Zumindest soll Kommunikation und konstruktiver Austausch zwischen heterogenen Weltentwürfen gewährleistet sein. Nach der Thematisierung von Pluralität und Heterogenität steht ein Denken der Transversalität, eine so genannte Verbindung verschiedener Lebensformen bevor, behauptete Wolfgang Welsch schon in den neunziger Jahren des zu Ende gehenden letzten Jahrtausends.
Literatur:
1. Brussig, Thomas: Wie es leuchtet, Fischer, Frankfurt am Main 2004
2. Ders.: Helden wie wir, suhrkamp taschenbuch, Hamburg 1995
3. Gernhard, Robert: Ich, ich, ich, Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2003
4. Ders.: Die Toskana-Therapie, Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2006
5. Ders.: Irre, Suhrkamp Verlag, Hamburg 1986
6. Ders.: Rave, Suhrkamp Verlag, Hamburg 2001
7. Ders.: Abfall f�r Alle, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003
8. Henscheid, Eckart: Trilogie des laufenden Schwachsinns, Zweitausendeins, Frankfurt am Main 1986
9. Kehlmann, Daniel: Die Vermessung der Welt, Rowohlt, Hamburg 2005
10. Kracht, Christian: Faserland, dtv, Stuttgart 2002
11. Sloterdijk, Peter: Kritik der zynischen Vernunft, Suhrkamp Verlag, Hamburg 1983
12. Welsch, Wolfgang: Unsere postmoderne Moderne, Akademie Verlag, Berlin 2002
13. Ders.: �sthetisches Denken, Reclam, Stuttgart 1990
Дата добавления: 2015-11-16; просмотров: 86 | Нарушение авторских прав
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