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MOMO UND IHRE FREUNDE 4 страница

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»Darüber habe ich eben nachgedacht«, murmelte Herr Fusi und fröstelte, denn trotz der geschlossenen Tür wurde es immer kälter.»Na, sehen Sie!«, erwiderte der graue Herr und zog zufrieden an seiner kleinen Zigarre.»Aber woher nimmt man Zeit? Man muss sie eben ersparen! Sie, Herr Fusi, vergeuden Ihre Zeit auf ganz verantwortungslose Weise. Ich will es Ihnen durch eine kleine Rechnung beweisen. Eine Minute hat sechzig Sekunden. Und eine Stunde hat sechzig Minuten. Können Sie mir folgen?«»Gewiss«, sagte Herr Fusi.

Der Agent Nr. XYQ/384/b begann die Zahlen mit einem grauen Stift auf den Spiegel zu schreiben.

»Sechzig mal sechzig ist dreitausendsechshundert. Also hat eine Stunde dreitausendsechshundert Sekunden.

Ein Tag hat vierundzwanzig Stunden, also dreitausendsechshundert mal vierundzwanzig, das macht sechsundachtzigtausendvierhundert Sekunden pro Tag. Ein Jahr hat aber, wie bekannt, dreihundertfünfundsechzig Tage. Das macht mithin einunddreißigmillionenfünfhundertundsechsunddreißigtausend Sekunden pro Jahr. Oder dreihundertfünfzehnmillionendreihundertundsechzigtausend Sekunden in zehn Jahren.

Wie lange, Herr Fusi, schätzen Sie die Dauer Ihres Lebens?«

»Nun«, stotterte Herr Fusi verwirrt,»ich hoffe so siebzig, achtzig Jahre alt zu werden, so Gott will.«

»Gut«, fuhr der graue Herr fort,»nehmen wir vorsichtshalber einmal nur siebzig Jahre an. Das wäre also dreihundertfünfzehnmillionendreihundertsechzigtausend mal sieben. Das ergibt zweimilliardenzweihundertsiebenmillionenfünfhundertzwanzigtausend Sekunden.«

Und er schrieb diese Zahl groß an den Spiegel:

2 207 520 000 Sekunden

Dann unterstrich er sie mehrmals und erklärte:»Dies also, Herr Fusi, ist das Vermögen, welches Ihnen zur Verfügung steht.«

Herr Fusi schluckte und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Die Summe machte ihn schwindelig. Er hätte nie gedacht, dass er so reich sei.

»Ja«, sagte der Agent nickend und zog wieder an seiner kleinen grauen Zigarre,»es ist eine eindrucksvolle Zahl, nicht wahr? Aber nun wollen wir weitersehen. Wie alt sind Sie, Herr Fusi?«»Zweiundvierzig«, stammelte der und fühlte sich plötzlich schuldbewusst, als habe er eine Unterschlagung begangen.

»Wie lange schlafen Sie durchschnittlich pro Nacht?«, forschte der graue Herr weiter.

»Acht Stunden etwa«, gestand Herr Fusi.

Der Agent rechnete blitz geschwind. Der Stift kreischte über das Spiegelglas, dass sich Herrn Fusi die Haut kräuselte.»Zweiundvierzig Jahre – täglich acht Stunden – das macht also bereits vierhunderteinundvierzigmillionenfünfhundertundviertausend. Diese Summe dürfen wir wohl mit gutem Recht als verloren betrachten. Wie viel Zeit müssen Sie täglich der Arbeit opfern, Herr Fusi?«

»Auch acht Stunden, so ungefähr«, gab Herr Fusi kleinlaut zu.

»Dann müssen wir also noch einmal die gleiche Summe auf das Minuskonto verbuchen«, fuhr der Agent unerbittlich fort.»Nun kommt Ihnen aber auch noch eine gewisse Zeit abhanden durch die Notwendigkeit sich zu ernähren. Wie viel Zeit benötigen Sie insgesamt für alle Mahlzeiten des Tages?«

»Ich weiß nicht genau«, meinte Herr Fusi ängstlich,»vielleicht zwei Stunden?«

»Das scheint mir zu wenig«, sagte der Agent,»aber nehmen wir es einmal an, dann ergibt es in zweiundvierzig Jahren den Betrag von hundertzehnmillionendreihundertsechsundsiebzigtausend. Fahren wir fort! Sie leben allein mit Ihrer alten Mutter, wie wir wissen. Täglich widmen Sie der alten Frau eine volle Stunde, das heißt, Sie sitzen bei ihr und sprechen mit ihr, obgleich sie taub ist und sie kaum noch hört. Es ist also hinausgeworfene Zeit: macht fünfundfünfzigmillioneneinhundertachtundachtzigtausend. Ferner haben Sie überflüssigerweise einen Wellensittich, dessen Pflege Sie täglich eine Viertelstunde kostet, das bedeutet umgerechnet dreizehnmillionensiebenhundertsiebenundneunzigtausend.«

»Aber...«, warf Herr Fusi flehend ein.

»Unterbrechen Sie mich nicht!«, herrschte ihn der Agent an, der immer schneller und schneller rechnete.»Da ihre Mutter ja behindert ist, müssen Sie, Herr Fusi, einen Teil der Hausarbeit selbst machen. Sie müssen einkaufen gehen, Schuhe putzen und dergleichen lästige Dinge mehr. Wie viel Zeit kostet Sie das täglich?«

»Vielleicht eine Stunde, aber...«

»Macht weitere fünfundfünfzigmillioneneinhundertachtundachtzigtausend, die Sie verlieren, Herr Fusi. Wir wissen ferner, dass Sie einmal wöchentlich ins Kino gehen, einmal wöchentlich in einem Gesangverein mitwirken, einen Stammtisch haben, den Sie zweimal in der Woche besuchen und sich an den übrigen Tagen abends mit Freunden treffen oder manchmal sogar ein Buch lesen. Kurz, Sie schlagen ihre Zeit mit nutzlosen Dingen tot und zwar etwa drei Stunden täglich, das macht einhundertfünfundsechzigmillionenfünfhundertvierundsechzigtausend. – Ist Ihnen nicht gut, Herr Fusi?«

»Nein«, antwortete Herr Fusi,»entschuldigen Sie bitte...«

»Wir sind gleich zu Ende«, sagte der graue Herr.»Aber wir müssen noch auf ein besonderes Kapitel Ihres Lebens zu sprechen kommen. Sie haben da nämlich dieses kleine Geheimnis, Sie wissen schon.«

Herr Fusi begann mit den Zähnen zu klappern, so kalt war ihm geworden.

»Das wissen Sie auch?«, murmelte er kraftlos.»Ich dachte, außer mir und Fräulein Daria...«

»In unserer modernen Welt«, unterbrach ihn der Agent Nr. XYQ/384/b,»haben Geheimnisse nichts mehr verloren. Betrachten Sie die Dinge einmal sachlich und realistisch, Herr Fusi. Beantworten Sie mir eine Frage: Wollen Sie Fräulein Daria heiraten?«

»Nein«, sagte Herr Fusi,»das geht doch nicht...«

»Ganz recht«, fuhr der graue Herr fort,»denn Fräulein Daria wird ihr Leben lang an den Rollstuhl gefesselt bleiben, weil ihre Beine verkrüppelt sind. Trotzdem besuchen Sie sie täglich eine halbe Stunde, um ihr eine Blume zu bringen. Wozu?«

»Sie freut sich doch immer so«, antwortete Herr Fusi, den Tränen nah.

»Aber nüchtern betrachtet«, versetzte der Agent,»ist sie für Sie, Herr Fusi, verlorene Zeit. Und zwar insgesamt bereits siebenundzwanzigmillionenfünfhundertvierundneunzigtausend Sekunden. Und wenn wir nun dazurechnen, dass Sie die Gewohnheit haben, jeden Abend vor dem Schlafengehen eine Viertelstunde am Fenster zu sitzen und über den vergangenen Tag nachzudenken, dann bekommen wir nochmals eine abzuschreibende Summe von dreizehnmillionensiebenhundertsiebenundneunzigtausend. Nun wollen wir einmal sehen, was Ihnen eigentlich übrig bleibt, Herr Fusi.«Auf dem Spiegel stand nun folgende Rechnung:

 

Schlaf 441504 000 Sekunden

Arbeit 441504 000 „

Nahrung 110 376 000 „

Mutter 55 188 000 „

Wellensittich 13 797 000 „

Einkauf usw. 55 188 000 „

Freunde, Singen usw. 165 564 000 „

Geheimnis 27 594 000 „

Fenster 13 797 000 „

Zusammen: 1 324 512 000 Sekunden

 

»Diese Summe«, sagte der graue Herr und tippte mit dem Stift mehrmals so hart gegen den Spiegel, dass es wie Revolverschüsse klang,»diese Summe also ist die Zeit, die Sie bis jetzt bereits verloren haben. Was sagen Sie dazu, Herr Fusi?«

Herr Fusi sagte gar nichts. Er setzte sich auf einen Stuhl in der Ecke und wischte sich mit dem Taschentuch die Stirn, denn trotz der eisigen Kälte brach ihm der Schweiß aus. Der graue Herr nickte ernst.

»Ja, Sie sehen ganz recht«, sagte er,»es ist bereits mehr als die Hälfte Ihres ursprünglichen Gesamtvermögens, Herr Fusi. Aber nun wollen wir einmal sehen, was Ihnen von Ihren zweiundvierzig Jahren eigentlich geblieben ist. Ein Jahr, das sind einunddreißigmillionenfünfhundertsechsunddreißigtausend Sekunden, wie Sie wissen. Und das mal zweiundvierzig genommen macht einemilliardedreihundertvierundzwanzigmillionenfünfhundertundzwölftausend.«

Er schrieb die Zahl unter die Summe der verlorenen Zeit:

 

1324512000 Sekunden

–1324512000 „

0 000 000 000 Sekunden

 

Er steckte seinen Stift ein und machte eine längere Pause, um den Anblick der vielen Nullen auf Herrn Fusi wirken zu lassen. Und er tat seine Wirkung.

Das, dachte Herr Fusi zerschmettert, ist also die Bilanz meines ganzen bisherigen Lebens.

Er war so beeindruckt von der Rechnung, die so haargenau aufging, dass er alles widerspruchslos hinnahm. Und die Rechnung selbst stimmte. Das war einer der Tricks, mit denen die grauen Herren die Menschen bei tausend Gelegenheiten betrogen.

»Finden Sie nicht«, ergriff nun der Agent Nr. XYQ/384/b in sanftem Ton wieder das Wort,»dass Sie so nicht weiterwirtschaften können, Herr Fusi? Wollen Sie nicht lieber zu sparen anfangen?«Herr Fusi nickte stumm und mit blau gefrorenen Lippen.

»Hätten Sie beispielsweise«, klang die aschenfarbene Stimme des Agenten an Herrn Fusis Ohr,»schon vor zwanzig Jahren angefangen täglich nur eine einzige Stunde einzusparen, dann besäßen Sie jetzt ein Guthaben von sechsundzwanzigmillionenzweihundertundachtzigtausend Sekunden. Bei zwei Stunden täglich ersparter Zeit wäre es natürlich das Doppelte, also zweiundfünfzigmillionenfünfhundertundsechzigtausend. Und ich bitte Sie, Herr Fusi, was sind schon zwei lumpige kleine Stunden angesichts einer solchen Summe?«

»Nichts«, rief Herr Fusi,»eine lächerliche Kleinigkeit!«

»Es freut mich, dass Sie das einsehen«, fuhr der Agent gleichmütig fort.»Und wenn wir nun noch ausrechnen, was Sie unter denselben Bedingungen in weiteren zwanzig Jahren erspart haben würden, so kämen wir auf die stolze Summe von einhundertfünfmillioneneinhundertundzwanzigtausend Sekunden. Dieses ganze Kapital stünde Ihnen in Ihrem zweiundsechzigsten Lebensjahr zur freien Verfügung.«

»Großartig!«, stammelte Herr Fusi und riss die Augen auf.

»Warten Sie ab«, fuhr der graue Herr fort,»denn es kommt noch viel besser. Wir, das heißt die Zeit-Spar-Kasse, bewahren nämlich die eingesparte Zeit nicht nur für Sie auf, sondern wir zahlen Ihnen auch noch Zinsen dafür. Das heißt, Sie hätten in Wirklichkeit noch viel mehr.«

»Wie viel mehr?«, fragte Herr Fusi atemlos.

»Das läge ganz bei Ihnen«, erklärte der Agent,»je nachdem, wie viel Sie eben einsparen würden und wie lange Sie das Ersparte bei uns liegen lassen.«

»Liegen lassen?«, erkundigte sich Herr Fusi.»Was heißt das?«

»Nun, ganz einfach«, meinte der graue Herr.»Wenn Sie Ihre ersparte Zeit nicht vor fünf Jahren von uns zurückverlangen, dann bezahlen wir Ihnen noch einmal dieselbe Summe dazu. Ihr Vermögen verdoppelt sich alle fünf Jahre, verstehen Sie? Nach zehn Jahren wäre es bereits das Vierfache der ursprünglichen Summe, nach fünfzehn Jahren das Achtfache und so weiter. Wenn Sie vor zwanzig Jahren angefangen hätten, täglich nur zwei Stunden einzusparen, dann stünde für Sie in Ihrem zweiundsechzigsten Lebensjahr, also nach vierzig Jahren insgesamt, das Zweihundertsechsundfünfzigfache der bis dahin von Ihnen ersparten Zeit zur Verfügung. Das wären sechsundzwanzigmilliardenneunhundertundzehnmillionensiebenhundertundzwanzigtausend.«

Und er nahm noch einmal seinen grauen Stift heraus und schrieb auch diese Zahl an den Spiegel: 26 910 720 000 Sekunden.

»Sie sehen selbst, Herr Fusi«, sagte er dann und lächelte zum ersten Mal dünn,»es wäre mehr als das Zehnfache Ihrer ursprünglichen gesamten Lebenszeit. Und das bei nur zwei ersparten Stunden täglich. Bedenken Sie, ob dies nicht ein lohnendes Angebot ist.«

»Das ist es!«, sagte Herr Fusi erschöpft.»Das ist es ganz ohne Zweifel! Ich bin ein Unglücksrabe, dass ich nicht schon längst angefangen habe zu sparen. Jetzt erst sehe ich es völlig ein und ich muss gestehen – ich bin verzweifelt!«

»Dazu«, erwiderte der graue Herr sanft,»besteht durchaus kein Grund. Es ist niemals zu spät. Wenn Sie wollen, können Sie noch heute anfangen. Sie werden sehen, es lohnt sich.«

»Und ob ich will!«, rief Herr Fusi.»Was muss ich tun?«

»Aber, mein Bester«, antwortete der Agent und zog die Augenbrauen hoch,»Sie werden doch wissen, wie man Zeit spart! Sie müssen zum Beispiel einfach schneller arbeiten und alles Überflüssige weglassen. Statt einer halben Stunde widmen Sie sich einem Kunden nur noch eine Viertelstunde. Sie vermeiden Zeit raubende Unterhaltungen. Sie verkürzen die Stunde bei Ihrer alten Mutter auf eine halbe. Am besten geben Sie sie überhaupt in ein gutes, billiges Altersheim, wo für sie gesorgt wird, dann haben Sie bereits eine ganze Stunde täglich gewonnen. Schaffen Sie den unnützen Wellensittich ab! Besuchen Sie Fräulein Daria nur noch alle vierzehn Tage einmal, wenn es überhaupt sein muss. Lassen Sie die Viertelstunde Tagesrückschau ausfallen und vor allem, vertun Sie Ihre kostbare Zeit nicht mehr so oft mit Singen, Lesen oder gar mit Ihren sogenannten Freunden. Ich empfehle Ihnen übrigens ganz nebenbei, eine große, gut gehende Uhr in ihren Laden zu hängen, damit Sie die Arbeit Ihres Lehrjungen genau kontrollieren können.«

»Nun gut«, meinte Herr Fusi,»das alles kann ich tun, aber die Zeit, die mir auf diese Weise übrig bleibt – was soll ich mit ihr machen? Muss ich sie abliefern? Und wo? Oder soll ich sie aufbewahren? Wie geht das Ganze vor sich?«

»Darüber«, sagte der graue Herr und lächelte zum zweiten Mal dünn,»machen Sie sich nur keine Sorgen. Das überlassen Sie ruhig uns. Sie können sicher sein, dass uns von Ihrer eingesparten Zeit nicht das kleinste bisschen verloren geht. Sie werden es schon merken, dass Ihnen nichts übrig bleibt.«

»Also gut«, entgegnete Herr Fusi verdattert,»ich verlasse mich also darauf.«

»Tun Sie das getrost, mein Bester«, sagte der Agent und stand auf.»Ich darf Sie also hiermit in der großen Gemeinde der Zeit-Sparer als neues Mitglied begrüßen. Nun sind auch Sie ein wahrhaft moderner und fortschrittlicher Mensch, Herr Fusi. Ich beglückwünsche Sie!«Damit nahm er seinen Hut und seine Mappe.

»Einen Augenblick noch!«, rief Herr Fusi.»Müssen wir denn nicht irgendeinen Vertrag abschließen? Muss ich nichts unterschreiben? Bekomme ich nicht irgendein Dokument?«

Der Agent Nr. XYQ/384/b drehte sich in der Tür um und musterte Herrn Fusi mit leichtem Unwillen.»Wozu?«, fragte er.»Das Zeit-Sparen lässt sich nicht mit irgendeiner anderen Art des Sparens vergleichen. Es ist eine Sache des vollkommenen Vertrauens – auf beiden Seiten! Uns genügt Ihre Zusage. Sie ist unwiderruflich. Und wir kümmern uns um Ihre Ersparnisse. Wie viel Sie allerdings ersparen, das liegt ganz bei Ihnen. Wir zwingen Sie zu nichts. Leben Sie wohl, Herr Fusi!«Damit stieg der Agent in sein elegantes, graues Auto und brauste davon.

Herr Fusi sah ihm nach und rieb sich die Stirn. Langsam wurde ihm wieder wärmer, aber er fühlte sich krank und elend. Der blaue Dunst aus der kleinen Zigarre des Agenten hing noch lange in dichten Schwaden im Raum und wollte nicht weichen.

Erst als der Rauch vergangen war, wurde es Herrn Fusi wieder besser. Aber im gleichen Maß wie der Rauch verging, verblassten auch die Zahlen auf dem Spiegel. Und als sie schließlich ganz verschwunden waren, war auch die Erinnerung an den grauen Besucher in Herrn Fusis Gedächtnis ausgelöscht – die an den Besucher, nicht aber die an den Beschluss! Den hielt er nun für seinen eigenen. Der Vorsatz, von nun an Zeit zu sparen, um irgendwann in der Zukunft ein anderes Leben beginnen zu können, saß in seiner Seele fest wie ein Stachel mit Widerhaken.

Und dann kam der erste Kunde an diesem Tag. Herr Fusi bediente ihn mürrisch, er ließ alles Überflüssige weg, schwieg und war tatsächlich statt in einer halben Stunde schon nach zwanzig Minuten fertig.

Und genauso hielt er es von nun an bei jedem Kunden. Seine Arbeit machte ihm auf diese Weise überhaupt keinen Spaß mehr, aber das war ja nun auch nicht mehr wichtig. Er stellte zusätzlich zu seinem Lehrjungen noch zwei weitere Gehilfen ein und gab scharf darauf Acht, dass sie keine Sekunde verloren. Jeder Handgriff war nach einem genauen Zeitplan festgelegt. In Herrn Fusis Laden hing nun ein Schild mit der Aufschrift: gesparte zeit ist doppelte zeit!

An Fräulein Daria schrieb er einen kurzen, sachlichen Brief, dass er wegen Zeitmangels leider nicht mehr kommen könne. Seinen Wellensittich verkaufte er einer Tierhandlung. Seine Mutter steckte er in ein gutes, aber billiges Altersheim und besuchte sie dort einmal im Monat. Und auch sonst befolgte er alle Ratschläge des grauen Herrn, die er ja nun für seine eigenen Beschlüsse hielt.

Er wurde immer nervöser und ruheloser, denn eines war seltsam: Von all der Zeit, die er einsparte, blieb ihm tatsächlich niemals etwas übrig. Sie verschwand einfach auf rätselhafte Weise und war nicht mehr da. Seine Tage wurden erst unmerklich, dann aber deutlich spürbar kürzer und kürzer. Ehe er sich's versah, war schon wieder eine Woche, ein Monat, ein Jahr herum und noch ein Jahr und noch eines. Da er sich ja an den Besuch des grauen Herrn nicht mehr erinnerte, hätte er sich wohl eigentlich ernstlich fragen müssen, wo all seine Zeit denn blieb. Aber diese Frage stellte er sich sowenig wie alle anderen Zeit-Sparer. Es war etwas wie eine blinde Besessenheit über ihn gekommen. Und wenn er manchmal mit Schrecken gewahr wurde, wie schnell und immer schneller seine Tage dahinrasten, dann sparte er nur umso verbissener.

Wie Herrn Fusi, so ging es schon vielen Menschen in der großen Stadt.

Und täglich wurden es mehr, die damit anfingen, das zu tun, was sie»Zeit sparen«nannten. Und je mehr es wurden, desto mehr folgten nach, denn auch denen, die eigentlich nicht wollten, blieb gar nichts anderes übrig, als mitzumachen.

Täglich wurden im Rundfunk, im Fernsehen und in den Zeitungen die Vorteile neuer zeitsparender Einrichtungen erklärt und gepriesen, die den Menschen dereinst die Freiheit für das»richtige«Leben schenken würden. An Hauswänden und Anschlagsäulen klebten Plakate, auf denen man alle möglichen Bilder des Glücks sah. Darunter stand in leuchtenden Lettern:

 

zeit-sparern geht es immer besser!

Oder:

zeit-sparern gehört die zukunft!

Oder:

mach mehr aus deinem leben – spare zeit!

 

Aber die Wirklichkeit sah ganz anders aus. Zwar waren die Zeit-Sparer besser gekleidet als die Leute, die in der Nähe des alten Amphitheaters wohnten. Sie verdienten mehr Geld und konnten auch mehr ausgeben. Aber sie hatten missmutige, müde oder verbitterte Gesichter und unfreundliche Augen. Bei ihnen war die Redensart»Geh doch zu Momo!«natürlich unbekannt. Sie hatten niemand, der ihnen so zuhören konnte, dass sie davon gescheit, versöhnlich oder gar froh geworden wären. Aber selbst, wenn es dort so jemand gegeben hätte, es wäre doch höchst zweifelhaft gewesen, ob sie je zu ihm hingegangen wären – es sei denn, man hätte die Sache in fünf Minuten erledigen können. Andernfalls hätten sie es für verlorene Zeit gehalten. Selbst ihre freien Stunden mussten, wie sie meinten, ausgenutzt werden und in aller Eile so viel Vergnügen und Entspannung liefern, wie nur möglich war.

So konnten sie keine richtigen Feste mehr feiern, weder fröhliche noch ernste. Träumen galt bei ihnen fast als ein Verbrechen. Am allerwenigsten aber konnten sie die Stille ertragen. Denn in der Stille überfiel sie Angst, weil sie ahnten, was in Wirklichkeit mit ihrem Leben geschah. Darum machten sie Lärm, wann immer die Stille drohte. Aber es war natürlich kein fröhlicher Lärm wie der auf einem Kinderspielplatz, sondern ein wütender und missmutiger, der die große Stadt von Tag zu Tag lauter erfüllte.

Ob einer seine Arbeit gern oder mit Liebe zur Sache tat, war unwichtig – im Gegenteil, das hielt nur auf. Wichtig war ganz allein, dass er in möglichst kurzer Zeit möglichst viel arbeitete. Über allen Arbeitsplätzen in den großen Fabriken und Bürohäusern hingen deshalb Schilder, auf denen stand:

 

zeit ist kostbar – verliere sie nicht!

Oder:

zeit ist (wie) geld – darum spare!

 

Ähnliche Schilder hingen auch über den Schreibtischen der Chefs, über den Sesseln der Direktoren, in den Behandlungszimmern der Ärzte, in den Geschäften, Restaurants und Warenhäusern und sogar in den Schulen und Kindergärten. Niemand war davon ausgenommen.

Und schließlich hatte auch die große Stadt selbst mehr und mehr ihr Aussehen verändert. Die alten Viertel wurden abgerissen und neue Häuser wurden gebaut, bei denen man alles wegließ, was nun für überflüssig galt. Man sparte sich die Mühe die Häuser so zu bauen, dass sie zu den Menschen passten, die in ihnen wohnten; denn dann hätte man ja lauter verschiedene Häuser bauen müssen. Es war viel billiger und vor allem Zeit sparender, die Häuser alle gleich zu bauen. Im Norden der großen Stadt breiteten sich schon riesige Neubauviertel aus. Dort erhoben sich in endlosen Reihen vielstöckige Mietskasernen, die einander so gleich waren wie ein Ei dem anderen. Und da alle Häuser gleich aussahen, sahen natürlich auch alle Straßen gleich aus. Und diese einförmigen Straßen wuchsen und wuchsen und dehnten sich schon schnurgerade bis zum Horizont – eine Wüste der Ordnung!

Und genau so verlief auch das Leben der Menschen, die hier wohnten: schnurgerade bis zum Horizont! Denn hier war alles genau berechnet und geplant, jeder Zentimeter und jeder Augenblick. Niemand schien zu merken, dass er, indem er Zeit sparte, in Wirklichkeit etwas ganz anderes sparte. Keiner wollte wahrhaben, dass sein Leben immer ärmer, immer gleichförmiger und immer kälter wurde. Deutlich zu fühlen jedoch bekamen es die Kinder, denn auch für sie hatte nun niemand mehr Zeit.

Aber Zeit ist Leben. Und das Leben wohnt im Herzen. Und je mehr die Menschen daran sparten, desto weniger hatten sie.

 

SIEBENTES KAPITEL

Momo sucht ihre Freunde und wird von einem Feind besucht

 

»Ich weiß nicht«, sagte Momo eines Tages,»es kommt mir so vor, als ob unsere alten Freunde jetzt immer seltener zu mir kommen. Manche hab ich schon lang nicht mehr gesehen.«

Gigi Fremdenführer und Beppo Straßenkehrer saßen neben ihr auf den grasbewachsenen Steinstufen der Ruine und sahen dem Sonnenuntergang zu.

»Ja«, meinte Gigi nachdenklich,»mir geht's genauso. Es werden immer weniger, die meinen Geschichten zuhören. Es ist nicht mehr wie früher. Irgendwas ist los.«

»Aber was?«, fragte Momo.

Gigi zuckte die Schultern und löschte gedankenvoll einige Buchstaben, die er auf eine alte Schiefertafel gekratzt hatte, mit Spucke aus. Die Schiefertafel hatte der alte Beppo vor einigen Wochen in einer Mülltonne gefunden und Momo mitgebracht. Sie war natürlich nicht mehr ganz neu und hatte in der Mitte einen großen Sprung, aber sonst war sie noch gut zu gebrauchen.

Seither zeigte Gigi Momo jeden Tag, wie man den oder jenen Buchstaben schreibt. Und da Momo ein sehr gutes Gedächtnis hatte, konnte sie mittlerweile schon ganz gut lesen. Nur mit dem Schreiben ging es noch nicht so recht.

Beppo Straßenkehrer, der über Momos Frage nachgedacht hatte, nickte langsam und sagte:»Ja, das ist wahr. Es kommt näher. In der Stadt ist es schon überall. Es ist mir schon lang aufgefallen.«

»Was denn?«, fragte Momo.

Beppo dachte eine Weile nach, dann antwortete er:»Nichts Gutes.«

Und abermals nach einer Weile fügte er hinzu:»Es wird kalt.«

»Ach was!«, sagte Gigi und legte Momo tröstend den Arm um die Schulter,»dafür kommen jetzt immer mehr Kinder hierher.«

»Ja, deswegen«, meinte Beppo,»deswegen.«

»Was meinst du damit?«, fragte Momo.

Beppo überlegte lang und antwortete schließlich:»Sie kommen nicht wegen uns. Sie suchen nur einen Unterschlupf.«

Alle drei blickten hinunter auf die runde Grasfläche in der Mitte des Amphitheaters, wo mehrere Kinder ein neues Ballspiel spielten, das sie erst diesen Nachmittag erfunden hatten. Es waren einige von Momos alten Freunden darunter: der Junge mit der Brille, der Paolo gerufen wurde, das Mädchen Maria mit dem kleinen Geschwisterchen Dedé, der dicke Junge mit der hohen Stimme, dessen Name Massimo lautete und der andere Junge, der immer etwas verwahrlost aussah und Franco hieß. Aber außerdem waren da noch andere Kinder, die erst seit wenigen Tagen dazugehörten und ein kleinerer Junge, der erst diesen Nachmittag gekommen war. Es schien tatsächlich so, wie Gigi gesagt hatte: Es wurden immer mehr, von Tag zu Tag.

Eigentlich hätte Momo sich gern darüber gefreut. Aber die meisten von diesen Kindern konnten einfach nicht spielen. Sie saßen nur verdrossen und gelangweilt herum und guckten Momo und ihren Freunden zu. Manchmal störten sie auch absichtlich und verdarben alles. Nicht selten gab es jetzt Zank und Streit. Das blieb freilich nicht so, denn Momos Gegenwart tat auch bei diesen Kindern ihre Wirkung und bald fingen sie an selber die besten Ideen zu haben und begeistert mitzuspielen. Aber es kamen eben fast täglich neue Kinder, sie kamen sogar von weit her aus anderen Stadtteilen. Und so fing alles immer wieder von vorn an, denn wie man weiß, genügt ja oft ein einziger Spielverderber, um den anderen alles zu zerstören.

Und dann war da noch etwas, das Momo nicht recht begreifen konnte. Es hatte auch erst in allerjüngster Zeit angefangen. Immer häufiger kam es jetzt vor, dass Kinder allerlei Spielzeug brachten, mit dem man nicht wirklich spielen konnte, zum Beispiel ein ferngesteuerter Tank, den man herumfahren lassen konnte –, aber weiter taugte er zu nichts. Oder eine Weltraumrakete, die an einer Stange im Kreis herumsauste –, aber sonst konnte man nichts damit anfangen. Oder ein kleiner Roboter, der mit glühenden Augen dahinwackelte und den Kopf drehte –, aber zu etwas anderem war er nicht zu gebrauchen.

Eswaren natürlich sehr teure Spielsachen, wie Momos Freunde nie welche besessen hatten – und Momo selbst schon gar nicht. Vor allem waren alle diese Dinge so vollkommen bis in jede kleinste Einzelheit hinein, dass man sich dabei gar nichts mehr selber vorzustellen brauchte. So saßen die Kinder oft stundenlang da und schauten gebannt und doch gelangweilt so einem Ding zu, das da herumschnurrte, dahinwackelte oder im Kreis sauste –, aber es fiel ihnen nichts dazu ein. Darum kehrten sie schließlich doch wieder zu ihren alten Spielen zurück, bei denen ihnen ein paar Schachteln, ein zerrissenes Tischtuch, ein Maulwurfshügel oder eine Hand voll Steinchen genügten. Dabei konnte man sich alles vorstellen.

Irgendetwas schien auch heute Abend das Spiel nicht recht gelingen zu lassen. Die Kinder taten eines nach dem anderen nicht mehr mit, bis schließlich alle um Gigi, Beppo und Momo herumsaßen. Sie hofften, dass Gigi vielleicht zu erzählen anfangen würde, aber das ging nicht. Der kleinere Junge, der heute zum ersten Mal erschienen war, hatte nämlich ein Kofferradio bei sich. Er saß ein wenig abseits von den anderen und hatte den Apparat ganz laut gedreht. Es war eine Reklamesendung.

»Könntest du deinen blöden Kasten nicht vielleicht leiser drehen?«, fragte der verwahrloste Junge, der Franco hieß, in drohendem Ton.»Ich kann dich nicht verstehen«, sagte der fremde Junge und grinste,»mein Radio geht so laut.«

»Dreh's sofort leise!«, rief Franco und stand auf.

Der fremde Junge wurde ein bisschen blass, antwortete aber trotzig:»Du hast mir überhaupt nichts zu sagen und niemand. Ich kann mein Radio so laut drehen, wie ich mag.«

»Da hat er Recht«, meinte der alte Beppo,»wir können's ihm nicht verbieten. Wir können ihn höchstens bitten.«

Franco setzte sich wieder hin.

»Er soll doch woanders hingehen«, sagte er erbittert,»er verdirbt uns schon den ganzen Nachmittag alles.«

»Er wird schon seinen Grund haben«, antwortete Beppo und blickte den fremden Jungen freundlich und aufmerksam durch seine kleine Brille an.»Bestimmt hat er den.«


Дата добавления: 2015-11-14; просмотров: 42 | Нарушение авторских прав


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