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In seinem monumentalen Comic "Alpha...directions" erklärt Jens Harder die Entstehung der Welt. 2000 Bilder auf 340 Seiten lehren den Leser das Staunen.
Die letzte Szene in "Alpha...directions": der Homo erectus auf der Jagd
Tief durchatmen. Nehmen Sie dieses Buch und seien Sie gefasst: 1735 Gramm Papier werden Sie in den Sitz drücken, und Sie werden mit geweiteten Augen Seite für Seite umblättern. Sie werden staunen und verstehen und schließlich staunend verstehen, dass Sie solch ein Buch noch nie zuvor in den Händen hielten.
Alpha...directions ist ein Comic. Nein, vielmehr eine grafische Erzählung in 2000 Bildern. Klingt enorm, aber was ist das schon angesichts der 14 Milliarden Jahre, die sie illustrieren. Auf 340 opulenten Farbtafeln schildert der Berliner Zeichner Jens Harder die längste Geschichte der Welt, nämlich wie sie entstanden ist, vom Urknall bis zum Auftritt des Menschen. Um die zwischen zwei Buchdeckel zu bringen, hat Harder fast fünf Jahre recherchiert, gezeichnet, getextet. Das Ergebnis ist ein Monument des Comicgenres, beeindruckend in seiner ästhetischen Konsequenz und der erzählerischen Dramaturgie.
Saurierfibeln und Geschichtsatlanten gibt es viele, Alpha...directions ist eine Festschrift der Evolution. Mit den Mitteln des Comics füllt der Autor die abstrakten Vorgänge in grauer Vorzeit mit Farbe und Leben. Jeder weiß, es wimmelte nicht von Anfang an auf diesem Planeten. Das wirkliche Leben kommt also erst auf Seite 132 ins Spiel, als die Bakterien die Bühne betreten, im unwirtlichen Archaikum, damals, vor drei Milliarden Jahren.
Mehr Bilder aus "Alpha...directions"
© Jens Harder/Carlsen Comics
Um den Leser, trotz des mangelnden Personals, von Beginn an zu fesseln, nutzt Jens Harder einen Kniff: Er setzt dem komplexen Weltgetöse kleine Analogien aus der Kulturgeschichte entgegen. Alle menschlichen Welterklärungsversuche – von griechischer, ägyptischer, aztekischer Mythologie über die Weltreligionen bis zu mittelalterlichen und neuzeitlichen (Pseudo-)Wissenschaften sowie deren Abglanz in der Kunst – sie alle dürfen teilhaben an Harders Evolution. Ikonografische Zitate übersetzt er in seinen eigenen Strich und passt mal einen Dürer, mal einen Magritte, hier einen Holbein, dort einen Van Gogh in seine Tafeln ein. Naturgeschichte? Nicht genug. Erst im Dialog mit Geistesgeschichte und Kunstgeschichte wird Weltgeschichte!
Alpha...directions entwickelt seine Faszination im Spannungsfeld von Abstraktion und Konkretisierung, im Wechsel zwischen Mikro und Makro. Harder springt vom Kohlenstoffatom zum Brikett, zwirbelt die Doppelhelix zum Telefonkabel und bleibt doch streng der Chronologie der Weltwerdung verbunden.
Wem bisher die Entstehung unseres Sonnensystems nebulös erschien, dem wird spätestens auf Seite 62 klar, wie sich mithilfe von Magnetkräften und einem Schneeballsystem aus einer riesigen Staubwolke neun Planeten herauskondensieren konnten. Und was es für ein Fest war, als sich der heiße Erdball auf unter 100 Grad Celsius abkühlte! Es war bloß noch keiner zum Feiern da. Aber dann kamen die Prokaryonten, das war nur eine Milliarde Jahre später. Sie fotosynthetisierten eifrig vor sich hin und füllten die Luft mit Sauerstoff. Als kurz darauf die Eukaryonten begannen, ihren Genpool durch die Verschmelzung männlichen und weiblichen Erbgutes stetig zu verbessern – ein Meilenstein. Oder als die Amphibien ihren ersten Landgang wagten...
Diesen bedeutenden Ereignissen gewährt der Autor mehr Raum. Da verlangsamt er seinen Bildrhythmus. Er führt den Blick des Lesers über großzügige Doppelseiten, lässt den Betrachter Luft holen, damit er die Schönheit der Details begreifen kann. Das Wunder der Mutation, die Funktionalität der optimalen Form.
Harder gestaltet sein Buch in schlichter Zweifarbigkeit, mit klarem schwarzen Strich. Je nach Erdzeitalter wechselt jedoch der Grundton der Tafeln – 14 Milliarden Jahre brauchen ein bisschen Struktur. Niemand soll den Überblick verlieren. So fasst der Autor am Ende jedes Kapitels die wichtigsten Entwicklungen noch einmal in Textform zusammen, etwas ausführlicher als in den Bildunterschriften. Einen Anspruch auf Vollständigkeit kann der Band nicht erheben. Auch wenn er sich an den neusten wissenschaftlichen Theorien orientiert – er ist zunächst einmal ein Kunstwerk. Eines, das den Leser das Staunen wiederentdecken lässt, über die Leistung des Künstlers und den Gestaltenreichtum der Welt.
Freilich kann beim Auftritt der ersten Hominiden noch nicht Schluss sein mit der Geschichte. So soll Beta...civilizations das Zeitalter der Menschen abbilden und Gamma....visions die Zukunft unseres Planeten. Heute ist Jens Harder 40, diese Trilogie wird sein Lebenswerk. Im französischen Angoulême, beim wichtigsten Comicfestival Europas, wurde sein Mut zum Mammutprojekt übrigens mit dem Prix de l’Audace geehrt. Dort hat man erkannt, dass Alpha...directions dem Genre eine neue Richtung weist.
"Echte Innovationen bringen uns zum Staunen", notierte einmal der Zukunftsforscher Matthias Horx. "Sie lösen eine Art Schauder aus: Hier war die Evolution in Kombination mit menschlicher Intelligenz am Werk, und siehe da, sie gebar Schönheit."
Und nun strecken Sie sich kurz und blättern zurück zum Urknall.
Дата добавления: 2015-11-14; просмотров: 36 | Нарушение авторских прав
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