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III. Das Charakterbild Christi.

I. Der esoterische Theil der Budhalehre. | II. Der exoterische Theil der Budhalehre. | III. Die Legende vom Leben Budha’s. 1 страница | III. Die Legende vom Leben Budha’s. 2 страница | III. Die Legende vom Leben Budha’s. 3 страница | III. Die Legende vom Leben Budha’s. 4 страница | III. Die Legende vom Leben Budha’s. 5 страница | III. Die Legende vom Leben Budha’s. 6 страница | IV. Das Charakterbild Budha’s. | I. Der esoterische Theil der Christuslehre. |


Читайте также:
  1. Erste Rede. Das Charakterbild Ferdinand Lassalle’s.
  2. IV. Das Charakterbild Budha’s.

ii219u

Dies ist aber der rechte christliche Glaube, daß wir

einen einigen Gott in drei Personen, und drei Personen in

einiger Gottheit ehren.

Athanasius.

Du sagst es: Ich bin ein König.

Joh. 18, 37.

 

Das Leben Christi ist sowohl Denen, welche in der christlichen Lehre erzogen worden sind, als Andersgläubigen, welche in christlichen Staaten leben, zu sehr bekannt, als daß ich es zum Gegenstand eines Essays machen dürfte. Dagegen ist sein Charakterbild noch immer schwankend und ich will es versuchen, dieses aus Stellen des Neuen Testamentes zu gestalten. Wir werden finden, daß der |

ii220 Gewaltige viele Eigenschaften Budha’s, aber auch große Eigenthümlichkeiten hatte. Die beiden Lehren sind identisch, wenn man das Wesentliche allein in’s Auge faßt; aber Budha war ein Inder, Christus ein Jude; sie konnten deshalb nicht denselben Charakter haben: die Muttermilch war nicht dieselbe.

Stellen wir zuerst das Gemeinsame fest.

Christus war wie Budha genial. Er hatte eine großartige Phantasie, einen scharfen Verstand, eine klare bedeutende Urtheilskraft. Sein Geist war ein reiner Spiegel der Außenwelt und hatte ein helles Selbstbewußtsein. Wie er die Menschen durchschaute, wie er richtig ihre Schwächen und ihr vermeintliches Glück abschätzte, so blieb ihm auch keine Falte seines eigenen Herzens verborgen und kein Zustand in seiner Brust entschlüpfte ihm.

Er war ferner wie Budha kein Gelehrter. Wäre er ein Gelehrter gewesen, so würde er nie ein Lehrer der Menschheit geworden sein. Jeder Gottbegeisterte kann ein Gelehrter werden, wenn er will; denn wenn er es will, was sollte ihn hindern? Er ist ein Genialer und zur Vielwisserei gehört nur Talent, Zeit und Sitzfleisch: nichts weiter. Welcher weise Held aber hätte je mit Lust auf dem Stuhl gesessen? Kein Einziger. Mit Gewalt werden sie, die Herrlichen, unter rebellischer Auflehnung ihres innersten Wesens an dem Amboß festgehalten und mit fieberhafter Ungeduld schmieden sie das für sie unentbehrliche Schwert. Ihre Gedanken sind Blitze, die eine kämpfende, aufgewühlte Individualität durchzucken; ihre Ideale werden aus der kochenden und glühenden Tiefe ihres Gemüths in den klaren Aether ihres Geistes geschleudert, wie der Vesuv seine Lavamassen in die sonnige friedliche Landschaft Neapels wirft.

Mit dem sichersten Instinkt, mit dem ganzen Scharfblick ihres Dämons werden sie zurückgezogen von der Vielwisserei, die ihren Geist zu einer Flächenkraft auf Kosten des Tiefsinns machen würde. Dagegen treibt sie der Dämon, wie der Instinkt die Biene, auf alle Blumen und Blüthen des allgemeinen menschlichen Geistes und sie saugen in seltsamster Hast, als hätten sie nur noch wenige Stunden zu leben, den ihnen angemessenen Nektar ein, denselben schon im Einsaugen gestaltend und zu Honig verarbeitend.

Auf diese Weise zerfließen sie nie in Flachheit, noch verlieren sie die eigenen kostbaren Gedanken durch fremde, wie der Wassertropfen von der Sonne eingesaugt wird. Sie lassen sich befruchten, |

ii221 aber nicht zertreten. Sie lassen sich durch fremden Druck vertiefen und concentriren, aber nicht platt schlagen und auseinandertreiben. Ihr Wissen gleicht einer Schale voll reinen Jasminöls, des kostbarsten Oeles, das es giebt; die Vielwisser einer Tonne Wassers mit Einem solchen Tropfen.

Weil nun Christus kein Gelehrter war, aber sich trotzdem bewandert auf allen Gebieten des damaligen Wissens zeigte und eine überwältigende Beredtsamkeit hatte, deshalb auf der einen Seite der Hohn der flachen Gesetzeskundigen, der Pharisäer, auf der anderen die große Bewunderung des Volks.

Und die Juden verwunderten sich und sprachen: Wie kann dieser die Schrift, so er sie doch nicht gelernet hat?

(Joh. 7, 18.)

Und sie gaben Alle Zeugniß von ihm, und wunderten sich der holdseligen Worte, die aus seinem Munde gingen.

(Luc. 4, 22.)

Und sie verwunderten sich seiner Lehre; denn seine Rede war gewaltig.

(Luc. 4, 32.)

Natürlich hielten sich die kleinlichen Flachköpfe an den Beruf Christi, ehe er in die Wüste ging und deuteten voll Hohns auf den»Zimmermannsgesellen«, wie die zitternden Brahmanen auf den Prinzen aus der Kriegerkaste gedeutet hatten.

Wir wissen, von wannen Dieser ist.

(Joh. 7, 27.)

Ist er nicht der Zimmermann, Mariä Sohn, und der Bruder Jacobi, und Joses, und Judä, und Simonis?

(Marc. 6, 3.)

Haben doch diese Aermsten von jeher geglaubt, die Wahrheit könne nur ein Vielwisser entschleiern, oder genauer: sie könne nur in bestimmten Kasten oder Kreisen gefunden werden.

Bist du auch ein Galiläer? Forsche und siehe, aus Galiläa stehet kein Prophet auf.

(Joh. 7, 52.)

Und weil noch Keiner von ihnen Urtheilskraft hatte, deshalb hat auch Keiner eingesehen und Keiner wird einsehen, daß nur einem Parcival die heilige Schale des Grals ausgeliefert wird, d.h. Einem, der lieber dem Vogelgesang im grünen Walde lauscht, als |

ii222 subtile Pfiffigkeiten und schale Gedanken bei qualmender Lampe einsaugt oder haarspaltender Thätigkeit zuschaut.

Wenn er jedoch das Vöglein schoß,

Dem erst Gesang so hold entfloß,

So weint’ er laut und strafte gar

Mit Raufen sein unschuldig Haar.

Sein Leib war klar und helle:

Auf dem Plan an der Quelle

Wusch er sich alle Morgen.

Auch schuf ihm wenig Sorge

Als über ihm der Vöglein Sang,

Der ihm das Herz so süß durchdrang:

Das dehnte ihm sein Brüstlein aus.

Mit Weinen lief er in das Haus.

Die Kön’gin sprach:»Wer that dir’s an?

Du warst ja draußen auf dem Plan.«

Da wußt’ er ihr kein Wort zu sagen.

Wolfram v. Eschenbach.

Soweit die geistige Aehnlichkeit Christi mit Budha.

Nach der Seite des Willens, des Charakters, des Dämons, finden wir zuerst die Barmherzigkeit, das erstickende Mitleid mit den Menschen, wie es Budha empfand.

Und da er das Volk sahe, jammerte ihn desselben; denn sie waren verschmachtet und zerstreuet, wie die Schafe, die keinen Hirten haben.

(Matth. 9, 36.)

Das Zeichen des falschen Propheten war von Anbeginn der Menschheit und wird bis zu deren Ende sein: daß er sich seiner Mitmenschen aus Durst nach Ehre, Ruhm und Auszeichnung annimmt. Ihn treibt der Ehrgeiz und die Herrschsucht (die Gracchen, Mirabeau, Robespierre, Lassalle). Die falschen Propheten thun Großes, sie verrichten bedeutsame Thaten für die Menschheit, sie geben ihr einen gewaltigen Stoß nach vorwärts, aber jedes Kind spürt in sich die unklare Vorstellung, daß sie neben die echten Propheten, die weisen Helden nicht gestellt werden dürfen, daß diese beiden Klassen eine himmelweite Kluft von einander trennt.

Was die echten Propheten treibt, in einer Weise treibt, daß sie meinen, ein Sturmwind habe sie wie ein Lindenblatt ergriffen und |

ii223 wirbele sie vorwärts, immer vorwärts, unaufhaltsam in fliegender Hast: das ist das herzbrechende Mitleid mit ihren verdüsterten, verthierten Brüdern.

Und dieses Mitleid ist tausendmal größer als das Leid der Brüder; denn wie das Auge sich selbst nicht sehen kann, so können auch diese ihren Zustand nicht objektiv erkennen. Wie nur Der etwas Bitteres als bitter schmecken kann, welcher die Süßigkeit bereits empfunden hat, so ist auch das Leid über die Verthierung abhängig von der vorausgegangenen Empfindung des reinen Herzenfriedens. Dieser für die Entstehung der echten Menschenliebe nothwendige Contrast kann nur aus einer reinen Seele entspringen, einer Seele, die glühend das göttliche Gesetz in sich aufgenommen und alle seine Segnungen in sich geschmeckt hat.

Meine Lehre ist nicht mein, sondern deß, der mich gesandt hat.

So Jemand will deß Willen thun, der wird inne werden, ob diese Lehre von Gott sei, oder ob ich von mir selbst rede.

Wer von sich selbst redet, der sucht seine eigene Ehre; wer aber sucht die Ehre deß, der ihn gesandt hat, der ist wahrhaftig und ist keine Ungerechtigkeit an ihm.

(Joh. 7, 16-18.)

Die echten Propheten allein können für Andere etwas thun, ohne anderen persönlichen Vortheil davon zu haben, als den Herzensfrieden. Sie wollen frei sein von dem Mitleid mit Anderen, das ihr Herz bis in den Hals anschwellen läßt und sie zu ersticken droht; sie wollen dieses positive Leid in sich ertödten und deshalb werden sie, ob sie gleich widerstreben, aus dem Frieden und der köstlichen Einsamkeit der Wüste mit unwiderstehlicher Gewalt in das Gewühl und Getümmel der Menschen zurückgetrieben, wo sie von Denen, für welche sie das höchste Opfer gebracht haben, das sie bringen können: die äußere Ruhe, getreten, gepeitscht, bespieen und endlich an’s Kreuz geschlagen werden.

Seltsam! Sie schweben über der Menschheit; Nichts, was den tristen Samen Adams bewegen kann, nicht Ruhm, nicht Macht, nicht Gold kann sie reizen; sie schwelgen in der ganzen Wonne einer reinen und hellen Individualität; sie würden sich selbst genügen, ob sie auch tausend Jahre alt werden sollten; – und dennoch werden sie aus diesem Paradies ihrer einsamen lichtvollen Individualität in das |

ii224 Land geschleudert, vom goldenen Gipfel herunter in das dunkle, schwüle, enge Thal geschleudert. Warum? Weil sie barmherzig sind und nur, weil sie barmherzig sind.

Und so treten sie denn, unbeweglich im Innern, in die heftige, ruhelose, äußere Bewegung. Ihre zarten feinen Hände ergreifen den rebellischen harten Menschenstoff und mit den Nägeln allein suchen sie, – die größten Künstler auf dieser Erde! – in Granit die ideale Gestalt zu graben, die in ihrem Geiste lebt und in unsagbarer Holdseligkeit als leidlose Menschheit, als eine Menschheit ohne Noth und Elend, vor ihrem trunkenen Auge schwebt.

O wie die zarten Hände bluten! Wie ihre Nerven tausendfach gespalten und jede Faser gezerrt und zerstochen wird! Aber sie ruhen nicht, sie arbeiten immer weiter, immer weiter, weil sie müssen.

Sie haben nur ihre Nägel: nur ihre Rede, nur erlösende Worte. Aber welche Kraft liegt darin! Das menschliche Wort ist kräftiger und stärker als die Elementargewalten. Es hat, subjektiv ausgedrückt, Causalität und die Causalität keiner Naturkraft kann mit der seinigen verglichen werden. Wie ein Wort voll tödtlichen Gifts Menschen weiter von einander trennen kann als die Wogen des Meeres in einem Sturm, oder sie sicherer scheidet als das schärfste Messer, so kann das erlösende Wort sie unauflöslich verbinden und aus Dornbüschen Aprikosenbäume machen, was das brütende segensreiche Sonnenlicht, die beste Erde und der fruchtbarste Regen nicht zu bewirken im Stande wären.

Und alles Volk begehrte ihn anzurühren; denn es ging Kraft von ihm und heilete sie alle.

(Luc. 6, 19.)

Diese sehr wichtige Stelle ist nur aus diesem Gesichtspunkte zu erklären; nur das verschrobenste Denken könnte den animalischen Magnetismus zu Hülfe rufen.

Wie Budha war auch Christus Fatalist. Wie jener sein Haar abschnitt und es in die Luft warf, um einen Rath von außen zu erzwingen, weil sein Inneres schwieg, so fragte auch der edle Jude in kritischen Lagen immer und immer das Schicksal, genauer: seinen Gott, und bat, er möge ihm ein Zeichen, einen Wink geben.

Da ward ihm das Buch des Propheten Jesaias gereichet. Und da er das Buch herumwarf, fand er den Ort, da geschrieben stehet:

ii225 Der Geist des Herrn ist bei mir, derhalben er mich gesalbet hat und gesandt zu verkündigen das Evangelium den Armen, zu heilen die zerstoßenen Herzen, zu predigen den Gefangenen, daß sie los sein sollen, und den Blinden das Gesicht, und den Zerschlagenen, daß sie frei und ledig sein sollen.

(Luc. 4, 17. 18.)

Und da er das Buch herumwarf! Wie mußte ihn dieses zufällige Aufschlagen der bedeutsamen Stelle mit Muth für seine Mission erfüllen! Jeder, der in sein Leben zurückblickt, wird wenigstens Einen Fall finden, wo er thatsächlich rathlos war. Sein Inneres war vollständig stumm und bei seinen Freunden und Verwandten fand er auch keinen Rath. Da war es vielleicht ein alter Papierstreifen, den er zufällig fand, oder ein Vögelein, das sich zufällig vor ihn setzte und sang, oder das Wort eines Menschen, den er zum ersten Male sah, oder auch der Zustand nach einem Gebet zu Gott, das aus dem Herzen nur als eine wortlose gesammelte Strömung floß, kurz irgend etwas Plötzliches, rein Zufälliges, was ihm den rechten Weg deutlich zeigte. Findet er einen solchen Fall, so wird er meine Auslegung kaum belächeln. Auch verwahre ich mich entschieden gegen die Insinuation, ich sei ein einfältiger Kartenschläger, Bleigießer, Bibelaufschlager. Dagegen bekenne ich, daß ich zuweilen die Bibel, oder Kant, oder Spinoza, oder Schopenhauer mit der bestimmten Absicht aufschlage, mir den ersten Satz oben, rechts oder links, oder unten rechts oder links zur Richtschnur dienen zu lassen. Es geschieht sehr selten, nur in sehr kritischen Lagen, und immer bin ich allein.

Handle ich thöricht? In keiner Weise, selbst nicht vom alleroberflächlichsten Standpunkt aus beurtheilt. Denn von diesem Standpunkte aus wird das Wesen des Zufalls nicht ergründet, noch, wäre es der Fall, anerkannt. Da zeigt sich nun lediglich die souveräne Errichtung einer Causalität, welche ich für meine Person kühn aufstelle. Ich schaffe mir eine Ursache, die dann dieselbe Kraft hat, wie der Arm eines Menschen, der mich auf die Seite schleudert oder sein Stoß, der mich zehn Fuß weit vorwärts stürzen läßt. Nun tritt eine Handlung in die Erscheinung, die sich vollständig als nothwendiges Glied in die natürliche Causalreihe aufnehmen läßt und ich handle so nothwendig, wie wann ich ein brennendes Haus verlasse, oder im Sommer, vom Wasser angezogen, ein erquickendes Bad nehme.

ii226 Ich erkenne also von diesem Standpunkte aus gar nicht an, daß eine allmächtige Weisheit, welche die Geschicke der Menschen leite, mich gerade diese Stelle im Evangelium Johannis, gerade diese Stelle im Spinoza u.s.w. finden ließ, welche Ursache einer Handlung wird. Ich schaffe mir lediglich, um mein Schwanken zu beenden, eine äußere Causalität.

Wie stellt sich aber die Sache, wenn ich mich z.B. auf das Dogma der Dreieinigkeit stütze? Da ist die Bewegung des kleinsten Sonnenstäubchens vor der Welt festgestellt worden und die Welt liegt in einem nothwendigen Zusammenhang. Das heißt nun mit anderen Worten: es giebt keinen Zufall, wie Schiller sagte.

Weil dies nun die richtige Ansicht der Welt ist, deshalb sehen wir gerade die allerbedeutendsten Männer der Vergangenheit sich immer dann eine Causalität schaffen, wann keine vorhanden war; denn ist eine solche vorhanden, d.h. spricht entweder das Innere oder die Außenwelt deutlich, so können sie gar nicht in die Lage kommen, sich eine Ursache willkürlich zu erschaffen.

Dieses Verfahren, welches man eine Fragestellung an das Schicksal nennen kann, ist selbstverständlich weit, weit entfernt von dem der Abergläubischen, obgleich beide Verfahren einen und denselben Ursprung haben: die deutliche oder undeutliche Vorstellung einer Welt, die durchaus von der Nothwendigkeit beherrscht wird, weil sie einer einfachen Einheit entsprang. Der Träger des ersteren Verfahrens, ein rationeller Fatalist, wird sich unter keinen Umständen in eine Abhängigkeit vom Freitag, von der Zahl Dreizehn, von dem Zusammentreffen mit einem Leichenzuge, einer Heerde Lämmer oder einer solchen von Schweinen, von jammerndem Ofenfeuer, von Träumen, vom Ausspruche einer Zigeunerin u.s.w., u.s.w. setzen. Er hält sich von all diesem einfältigen Kram frei und schafft sich allein in kritischen Lagen eine Ursache zum Handeln.

So Budha. So auch Christus.

Am deutlichsten zeigt sich dieses Verfahren bei Christus darin, daß er seine individuelle Mission auf’s Engste mit den Weissagungen der Propheten des alten Testaments verknüpfte. Er schaffte sich hierdurch eine Causalität, die ihn in den Tod trieb; denn darf man nicht behaupten, daß er nie gekreuzigt worden wäre, wenn er dieses Band nicht willkürlich um sich geschlungen hätte?

ii227 Er aber sprach zu ihnen: das sind die Reden, die ich zu euch sagte, da ich noch bei euch war: denn es muß Alles erfüllt werden, was von mir geschrieben ist im Gesetz Mosis, in den Propheten und in den Psalmen.

(Luc. 24, 44.)

Auch gehört die oben bereits angeführte Stelle hierher:

Oder meinest du, daß ich nicht könnte meinen Vater bitten, daß er mir zuschickte mehr denn zwölf Legionen Engel?

Wie würde aber die Schrift erfüllet? Es muß also gehen.

(Matth. 26, 53. 54.)

Jetzt wollen wir uns in diejenigen Charakterzüge Christi vertiefen, welche ihm entweder ganz eigenthümlich waren, oder nur entfernt mit solchen Budha’s Aehnlichkeit haben.

Budha kämpfte alle seine Kämpfe als Prinz oder in der Wüste. Als er die Wüste verließ und zu lehren anfing, war seine Seele ein immer reiner Spiegel, den nichts mehr trüben konnte. Kein Schwanken, keine Leidenschaftlichkeit mehr, sondern volles Vertrauen in seine Mission, vollkommene Güte, vollkommener Stolz.

Nicht so Christus. Er war aus anderem Stoff gemacht als Budha, er war ein Jude, kein Inder, er hatte an der Brust der Maria, nicht an derjenigen der Königin Mahamaya gelegen.

Als die Juden noch ein geschlossenes Volk waren, trugen sie den Charakter aller Semiten: bald blähten sie sich wie ein Kropftäuberich oder spreizten sich wie ein Pfau, bald krümmten sie sich wie ein Wurm und winselten wie ein getretener Hund. Sie schwankten zwischen maßloser Zerknirschung und maßloser Selbstüberhebung. Die armen Könige, welche diese verzagte und trotzige Bande zu regieren hatten! Auch sehr viele Juden unserer Zeit haben noch diesen Charakter. Sie zeigen die widerlichste Aufgeblasenheit, Frechheit und Unverschämtheit, wo sie sicher sind, und die unwürdigste Selbstaufgebung, die gemeinste und ekelhafteste Speichelleckerei, wenn sie im Staube liegen.

Auch Christus bewegte sich in beiden Richtungen und zeigte das Schwanken zwischen beiden, aber natürlich nur auf Grund einer edlen durchgebildeten herrlichen Individualität: als Ideal eines Juden.

Bald war er verzagt und ängstlich und kämpfte mit dem Zwei|fel

ii228 an seiner Mission, bald erglühte er unter dem Kusse der Ueberzeugung, daß er das reinste Gefäß Gottes sei.

Meine Seele ist betrübt bis in den Tod; bleibet hier und wachet mit mir.

(Matth. 26, 38.)

Ich bin gekommen, daß ich ein Feuer anzünde auf Erden: was wollte ich lieber, denn es brennete schon!

Aber ich muß mich zuvor taufen lassen mit einer Taufe, und wie ist mir so bange, bis sie vollendet werde.

(Luc. 12, 49. 50.)

Dagegen in dem Zustand der seligsten Verinnerlichung:

Die Leute von Ninive werden auftreten am jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht, und werden es verdammen; denn sie thaten Buße nach der Predigt Jonas. Und siehe, hier ist mehr denn Jonas.

Die Königin von Mittag wird auftreten am jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht, und wird es verdammen; denn sie kam vom Ende der Erde, Salomos Weisheit zu hören. Und siehe, hier ist mehr, denn Salomo.

(Matth. 12, 41. 42.)

Und da er betete, ward die Gestalt seines Angesichts anders und sein Kleid ward weiß und glänzte.

(Luc. 9, 29.)

In der letzteren Stelle kann unter Kleid nur das Kleid des Geistes, das Antlitz, verstanden werden. Die gewaltige Begeisterung machte ihn bleich und verklärte seine Züge.

Das Schwanken nun zwischen diesen beiden Zuständen namenloser Angst und glutvollster Begeisterung mußte das Wesen des Heilands tiefernst machen und ihm das Gepräge der rührendsten Melancholie geben. Die Todessehnsucht, die Sehnsucht nach der völligen Vernichtung, die dadurch verstärkt wurde, daß er seinen Opfertod, die Bluttaufe, als unumgänglich nothwendig erkannte, kämpfte mit dem zitternden Fleische unaufhörlich. Nur ein Unmensch kann das dreizehnte Capitel des Evangeliums Johannis ohne Thränen lesen.

Die Züge Budha’s dagegen zeigten immer ruhige Gelassenheit, freundliche Güte und Unanfechtbarkeit. Aber deshalb steht |

ii229 uns auch Christus viel näher und sein Leben ergreift und packt unser Herz viel kräftiger als das Leben des großen Inders.

Eng mit dem erörterten Schwanken ist auch das Vertrauen Christi verknüpft. Während Budha die felsenfeste Gewißheit in sich trug, daß ihm in dieser Welt kein Haar gekrümmt werden könne, weil er ein Lehrer der Menschheit sei, bat Christus bald, daß der Kelch an ihm vorübergehen möge, bald betete er mit düsterer Entschlossenheit: dein Wille geschehe.

Darum kam er auch nicht wie Budha zum Gefühl der Allmacht und vollständigen Unabhängigkeit und Selbstherrlichkeit und zu dem daraus geborenen exaltirten Stolz Budha’s:

Ich bin der größte der Herren auf Erden, mit mir kann Niemand verglichen werden,

(M. o. B., 146 u. 361.)

sondern er setzte seinen Stolz immer in Beziehung zu einer fremden Macht, vor der er sich in Demuth beugte. Den Menschen gegenüber nahm er den Standpunkt Budha’s ein. Da sprach er die stolzen Worte:

Ich nehme nicht Ehre von Menschen,

(Joh. 5, 41.)

oder:

Du sagst es: ich bin ein König;

(Joh. 18, 37.)

aber dem reinen Lichtgott gegenüber freute sich der edle Galiläer bloß der empfangenen, nicht der in sich selbst erzeugten Weisheit und Macht.

Zu der Stunde freuete sich Jesus im Geist, und sprach: Ich preise dich, Vater und Herr Himmels und der Erde, daß du solches verborgen hast den Weisen und Klugen, und hast es geoffenbaret den Unmündigen. Ja, Vater, also war es wohlgefällig vor dir.

Es ist mir Alles übergeben von meinem Vater. Und Niemand weiß wer der Vater sei, denn nur der Sohn.

(Luc. 10, 21. 22.)

Aus jenem Schwanken und der Melancholie läßt sich ferner die Leidenschaftlichkeit Christi und sein Mangel an feiner Ironie ableiten. Budha ist als Lehrer nie mehr leidenschaftlich gewesen. Ich erinnere daran, daß er gegen Schlechte und Einfaltspinsel höchstens das Wort: mogha purisa (eitler Mensch) gebrauchte. |

ii230 Wie brauste und tobte es dagegen zuweilen in Christus, wie erfüllte ihn heller Zorn, wenn er mit den dünkelhaften Pharisäern rang und überhaupt mit seinen Händen in menschlichen Schmutz greifen mußte!

Sein achtfaches Wehe über die Pharisäer im 23ten Capitel des Ev. Matthäi entsprang der denkbar zornigsten Aufwallung des Herzens, und nicht nur zerschmetterte er die Geldwechsler im Tempel mit Worten wie Quadersteine, sondern seine tiefe Empörung fand auch Ausdruck darin, daß er die Tische der Wechsler umwarf, die Stühle der Taubenkrämer auf die Straße schleuderte, die Käufer und Verkäufer aus dem Tempel jagte und nicht gestattete, daß man durch den Tempel den Weg abkürzte. Ja, mehr noch. Er suchte an einem Feigenbaume Labung und als er die Unfruchtbarkeit desselben entdeckte, verfluchte er ihn.

Letzteres möge man nun auffassen, wie man wolle, dem Buchstaben oder dem Geiste nach, immer steht man vor einer leicht erweckten Leidenschaftlichkeit, einem schwankenden, einem zerwühlten Gemüth, das allerdings wieder bedingt war durch große Genialität.

Und so reich die Budhaistischen Schriften an Stellen sind, wo der ruhige gelassene Weise die feinste Ironie zeigte, so dürftig sind die Evangelien in dieser Hinsicht. Man findet nur die eine Stelle:

Da sprachen sie zu ihm: Wer bist du denn? Und Jesus sprach zu ihnen: Erstlich Der, der ich mit euch rede;

(Joh. 8, 25.)

was allerdings eine ganz köstliche Persiflirung der unfruchtbaren Haarspalterei der bornirten Pharisäer und ihres Lebens in Wolkenkukuksheim war.

Es bleibt jetzt nur noch ein Hauptcharakterzug Christi zu besprechen übrig, nämlich seine passive Widerstandsfähigkeit, die wohl auch Budha gezeigt haben würde, wenn er in den Verhältnissen des Heilands sich hätte bewegen müssen. So aber zeigt sie Christus allein und zwar in einer Weise, die nicht übertroffen werden kann.

Da sprach Pilatus zu ihm: Hörest du nicht, wie hart sie dich verklagen?

Und er antwortete ihm nicht auf Ein Wort, also, daß sich auch der Landpfleger sehr verwunderte.

(Matth. 27, 13. 14.)

ii231 Als der Herrliche erkannt hatte, daß sein Tod nothwendig sei, schloß er sich ganz in seine süße Individualität ein, wie eine Schnecke sich in ihr Haus zurückzieht, und ließ mit sich machen, was man wollte: er ließ sich ruhig verspotten, mit Ruthen peitschen, mit Dornen krönen und zuletzt an’s Kreuz schlagen. Es mußte sein, wenn seine Lehre, mit der er stand und fiel, zu einem Baume werden sollte, der die Welt beschattet. Er flüchtete sich in sein helles Bewußtsein und wich hier nicht um die Breite eines Haares.

Ich will noch bemerken, daß sich ein sehr großer Theil des Wesens Christi, ganz unabhängig von seiner Nationalität, lediglich aus dem von ihm vollständig unterdrückten Geschlechtstrieb ableiten läßt. Die Folgen der Virginität würden dann nur durch den ursprünglichen Charakter verschärft worden sein, weil die Juden ein wollüstiges Volk und sehr fruchtbar waren und sind. Genialität ist zwar kein Produkt der Virginität, aber ist erstere schon vorhanden, so wird sie durch letztere auf eine anderen Genies unerreichbare Höhe hinaufgetrieben: das ist der Lohn der Enthaltsamkeit. Das Sperma wird nicht ausgeschwitzt, sondern in’s Blut resorbirt; es ist die concentrirteste menschliche Kraft und diese Kraft kommt nun dem Gehirn zu Gute: das Gehirn brennt gleichsam in reinem Sauerstoff, anstatt in gewöhnlicher Luft.

Auf den Geist übt also die Virginität einen erhellenden Einfluß; auf das Herz dagegen, resp. das ganze Blutleben, einen verdüsternden, melancholisch machenden. Bald schwingt sich das Herz hoch über die Wolken, bald versinkt es unabsehbar tief in grausige Schwermuth, Angst und Beklommenheit. Auch das Leben Budha’s mußte schon aus diesem Grunde ein ganz anderes als dasjenige Christi sein. Budha hatte mit Absicht auf Frauen eine stürmische Jugend hinter sich, als er Einsiedler wurde, ähnlich wie Augustinus die Wiedergeburt in den Bordellen fand. Budha ist vom Prinzen Sidhartta sehr genau zu unterscheiden. Ersterer berührte kein Weib mehr. So konnte denn der Geist die Frucht der Enthaltsamkeit vom geschlechtlichen Genusse ernten, während das ruhige Blut nicht mehr von der Keuschheit wesentlich alterirt wurde.

Was Christus erlangen wollte, wurde ihm nach dem Tode zu Theil. Das Bild des gekreuzigten Zimmermannsgesellen, der für die Menschheit in den Tod gegangen ist, steht im selben klaren Lichte, wie das Bild des indischen Königssohnes, der dem Thron |

ii232 seiner Väter entsagte, schmutzigen erbettelten Reis aß und fünfundvierzig Jahre lang, unermüdlich lehrend und kämpfend, das Land durchwanderte, um die Menschheit zu erlösen. Und kein Anderer steht neben diesen Beiden, Keiner wird je neben ihnen stehen. Nur zwei Andere stehen auf einer tieferen Stufe zu ihrer Rechten und Linken: Kant und Schopenhauer, Helden des Geistes, allein nicht des Geistes und des Herzens. Was sind alle anderen hervorragenden Menschen auf allen Gebieten der Cultur im Vergleiche mit diesen? Was Moses? was Phidias? was Raphael? was Spinoza? was Newton? was Goethe? was Beethoven? Und wohl den Menschen, daß sie diese vier haben! Wohl Dem, der sich mit ihrer Milch sättigen kann! Von ihnen und ihren Lehren gelten die schönen markigen Worte Fichte’s, womit er Christus und seine Lehre allein pries:

Es bleibt ewig wahr, daß wir mit unserer ganzen Zeit und mit allen unseren philosophischen Untersuchungen auf den Boden des Christenthums niedergestellt sind und von ihm ausgegangen: daß dieses Christenthum auf die mannigfaltigste Weise in unsere ganze Bildung eingegriffen habe, und daß wir insgesammt schlechthin Nichts von alledem sein würden, was wir sind, wenn nicht dieses mächtige Princip in der Zeit vorhergegangen wäre. Wir können keinen Theil unseres, durch die früheren Begebenheiten uns angeerbten Seins aufheben; und mit Untersuchungen, was da sein würde, wenn nicht wäre, was da ist, giebt kein Verständiger sich ab. Und so bestätiget es sich denn auf alle Weise, daß bis an das Ende der Tage vor diesem Jesus von Nazareth wohl alle Verständigen sich tief beugen und Alle, je mehr sie nur selbst sind, desto demüthiger die überschwängliche Herrlichkeit dieser großen Erscheinung anerkennen werden.

 

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II. Der exoterische Theil der Christuslehre.| Ulrich van Hutten.

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