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thrillerSchaetzingSchwarmFischer verschwindet vor Peru, spurlos. Цlbohrexperten stoЯen in der norwegischen See auf merkwьrdige Organismen, die hunderte Quadratkilometer Meeresboden in Besitz 47 страница



»Machen wir einen Spaziergang«, sagte Akesuk.

»Wir haben doch gerade einen gemacht«, wunderte sich Anawak.

»Der ist drei Stunden her, Junge.«Stunden? Du lieber Himmel.Gegensatz zur sanft ansteigenden Tundra von Baffin Island erwies sich Bylot Island schon in der Uferregion als ziemlich steil. Der Spaziergang geriet mehr zu einer Kletterpartie. Akesuk zeigte ihm eine weiße Spur aus Vogelexkrementen in einer Gesteinsspalte hoch über ihren Köpfen.

»Gerfalken«, sagte er.»Schöne Tiere.«begann eine Reihe sonderbarer Lockpfiffe auszustoßen, aber die Falken ließen sich nicht blicken.

»Weiter innen hätten wir gute Chancen, sie zu sehen. Und auf Füchse, Schneegänse, Eulen, Falken und Bussarde zu stoßen.«Akesuk grinste spöttisch.»Oder auch nicht. So ist die Arktis. Man kann einfach keine Verabredungen treffen. Unzuverlässiges Pack, Tiere wie Inuit. Nicht wahr, Junge?«

»Ich bin kein Quallunaaq, wenn du das meinst«, konterte Anawak.

»Oh.«Sein Onkel sah witternd in die Luft.»Nun gut. Ich denke, wir sparen uns einen weiteren Aufstieg. Wir holen es nach. Du wirst irgendwann wiederkommen, nun, da du kein Quallunaaq mehr bist. Fahren wir zur Eiskante, das müssten wir schaffen bei dem schönen Wetter.«nun an hörte die Zeit endgültig auf zu existieren. Während sie nach Osten vorstießen und Bylot Island hinter sich ließen, wurde das Eis rauer, und die Stöße der Kufen nahmen an Wucht zu. Hier hatten kalte Winde dafür gesorgt, dass die Schmelzwasserpfützen wieder leicht überfroren waren. Es klirrte, als führen sie durch Glas. Anawak richtete sich auf und entdeckte eine kleine Wasserspalte. Er machte den Fahrer des Qamutik darauf aufmerksam, aber der Mann hatte die Spalte schon gesehen. Er drehte sich zu Anawak um, während er mit unverminderter Geschwindigkeit weiter über das Eis drosch, und grinste anerkennend.

»Du hast ja doch nicht alles verlernt«, lachte Akesuk.sah ihn einen Moment lang unentschlossen an. Dann lachte er mit. Er war stolz. Nicht zu fassen. Er war stolz darauf, diese dämliche Spalte gesehen zu haben.Nachmittag zauberte Sonnenhunde an den Himmel. So nannten die Inuit die seltsamen Erscheinungen beiderseits der Sonne, große strahlende Ringe, wenn sich das Licht an winzigen Eiskristallen brach. In der Ferne stapelte sich Packeis zu riesigen, stark zerklüfteten Barrieren. Dann plötzlich lag glattes, offenes Wasser zu ihrer Rechten. Eine Robbe tauchte auf, schaute kurz herüber, verschwand. Ein Stück weiter erschien ihr Kopf erneut, neugierig starrend. Sie ließen das Wasserloch hinter sich und hielten auf ein weiteres zu, riesig in seinen Ausmaßen, bis Anawak erkannte, dass es gar kein Wasserloch war, sondern die Eiskante. Dahinter begann das offene Meer.einer Weile stießen sie auf ein Zeltlager. Der Tross hielt an. Herzliche Begrüßung. Einige kannten sich, die anderen wurden ausführlich vorgestellt. Die Camper stammten aus Pond Inlet und Igloolik. Sie hatten einen Narwal erlegt, ihn zerteilt und die Kadaverreste weiter östlich nahe der Eiskante gelassen, ungefähr dort, wohin Anawaks Gruppe unterwegs war. Stücke der Haut wurden herumgereicht, man fachsimpelte über die Jagd. Zwei Jäger stießen hinzu, die mit ihren Skidoos von der Eiskante kamen und nach Hause wollten. Sie hatten Jagdkanus auf ihren Qamutiks festgezurrt und zwei am Vortag geschossene Robben. Einer der beiden meinte, die Tiere würden dem zurückweichenden Eis früher zu ihren Nahrungsgründen und Brutstätten folgen als sonst um diese Zeit. Dabei schwenkte er eine Winchester 5.6 und empfahl ihnen, Vorsicht walten zu lassen. Auf seiner Mütze stand: Arbeit ist nur was für Menschen, die nichts vom Jagen verstehen. Anawak fragte ihn, ob ihm am Verhalten der Wale etwas aufgefallen sei, ob sie besonders aggressiv reagierten oder gar angriffen, was die Jäger verneinten. Plötzlich scharte sich das ganze Camp um sie. Alle kannten die Berichte, jeder wusste bis ins Kleinste, was die Welt in Atem hielt, aber es schien, als sei die Arktis bislang von jeglicher Anomalie verschont geblieben.Abend verließen sie das Camp.beiden Jäger fuhren zurück nach Pond Inlet, Anawaks Tross bewegte sich weiter auf die Kante zu. Nach einer Weile passierten sie die Überreste des erlegten Narwals. Scharen von Vögeln balgten sich lautstark um die Fleischfetzen. Sie fuhren weiter, um möglichst viel Abstand zwischen sich und den Kadaver zu legen, hielten schließlich aber doch in Sichtweite. Etwa 30 Meter von der Eiskante schlugen die Führer das Lager auf. Boxen wurden von den Schlitten gelöst, der Funkmast aufgestellt, um den Kontakt zur Außenwelt nicht zu verlieren. Binnen kurzem hatten die Führer fünf Zelte errichtet, vier für die Reisenden und ein Küchenzelt, mit Bodenbrettern und Isoliermatten ausgelegt. Drei weiß gestrichene Sperrholzplatten ergaben ein provisorisches Toilettenhäuschen, im Innern ein Eimer, ausgehängt mit einem blauen Plastiksack und versehen mit einer zerkratzten Emaillebrille.



»Wurde auch Zeit«, strahlte Akesuk.verschwand als Erster auf dem Honigtopf, wie die Inuit ihre Wanderklos nannten, während das Camp weiter aufgebaut wurde. Die Inuit-Führer schlugen vor, mit den abgekoppelten Skidoos ein Rennen zu veranstalten. Anawak ließ sich die nötigen Handgriffe zeigen, aber Skidoo-Fahren erwies sich als einfach. Nach kurzer Zeit rasten sie in wilden Kurven über das glitzernde Eis, und er fühlte sein Herz leichter werden.liebte es, hier zu sein.fuhren mehrere Rennen, bis ein Mann aus Igloolik als Sieger aus dem Turnier hervorging. Hunger meldete sich. Mary-Ann scheuchte sie aus dem Küchenzelt, also rotteten sie sich draußen zusammen, dick eingepackt gegen die Kälte, gegen die Schlitten gelehnt, und eine junge Frau begann eine Inuit-Geschichte zu erzählen von der Sorte, die immer wieder und wieder ein bisschen anders erzählt werden. Anawak erinnerte sich, wie sich solche Geschichten mitunter über Tage hingezogen hatten. Die Inuit waren nicht der Meinung, dass man alles in einem Schwung zu Ende erzählen müsse. Die Tage auf dem Eis waren lang. Geschichten waren lang. Warum sie nicht verteilen?ging auf Mitternacht, als Mary-Ann das Dinner auftischte. Sie hatte sich selber übertroffen. Es duftete verführerisch nach gegrilltem Wandersaibling, Karibu-Chops mit Reis und gebratenen Eskimo-Potatoes, einer lokalen Wurzelart. Dazu gab es literweise heißen schwarzen Tee. Das Küchenzelt war darauf angelegt, allen Teilnehmern Platz zu bieten, aber es hielt sein Versprechen nicht und erwies sich als zu klein. Akesuk wurde ärgerlich und schimpfte auf den Mann, der ihnen das Zelt vermietet hatte. Davon wurde es nicht größer, also stellten sie ihre Essteller auf Schlittenrahmen und Vorratskisten und aßen, bis sie beinahe platzten.halb zwei, als einer nach dem anderen müde wurde, förderte Akesuk eine Flasche Champagner aus den Tiefen seines Gepäcks. Er zwinkerte Anawak listig zu. Mary-Ann krauste die Nase und ging schlafen. Schließlich waren nur noch Anawak und sein Onkel wach und der Mann, der Gewehr bei Fuß auf einer hochgedrückten Packeisscholle stand und für die Bärenwache eingeteilt war.

»Dann trinken wir sie eben«, sagte Akesuk.schüttelte den Kopf.»Ich trinke nicht.«

»Ach richtig!«Akesuk warf einen Blick des Bedauerns auf die Flasche.»Bist du sicher? Ich hatte sie extra eingesteckt, um sie bei einer besonderen Gelegenheit zu öffnen. Die besondere Gelegenheit … na ja, du bist heimgekommen, und ich dachte …«

»Ich will die Kontrolle nicht verlieren, Iji.«

»Über was? Über dein Leben oder diesen Augenblick?«Er zuckte die Achseln und steckte die Flasche wieder weg.»Na schön. Es gibt andere besondere Gelegenheiten. Vielleicht machen wir reiche Ernte. Möglich, dass wir einen Weißwal erlegen oder ein dickes, saftiges Walross. Was ist, laufen wir noch ein Stück, bevor wir uns aufs Ohr hauen?«

»Gerne, Iji.«schlenderten bis zur Meereiskante. Anawak ließ seinem Onkel den Vortritt. Der alte Mann wusste besser, wo das Eis stabil war und wo man Gefahr lief einzubrechen. Die Inuit kannten hunderte von Wörtern für jede Art von Eis und Schnee, nur keines, das einfach Schnee oder Eis bedeutete. Derzeit bewegten sie sich auf elastischem Eis. Während Eisberge aus Süßwasser bestanden, weil das Salz komplett ausfror, fanden sich in Treibeis und Meereis Reste davon. Je schneller das Eis fror, desto höher war sein Salzgehalt. Das Eis wurde dadurch elastischer, was im Winter von Vorteil war, da es weniger schnell brach, und im beginnenden Frühling nachteilhaft, weil die Abbruchgefahr nun immer größer wurde. Ein Sturz ins kalte Wasser konnte einen Menschen töten, aber noch gefährlicher war es, wenn einen die Strömung unter die Eisdecke trieb.fanden einen Platz nahe der Kante und lehnten sich gegen einen Packeisblock. Vor ihnen erstreckte sich die silbrige See. Dicht unter Wasser sah Anawak Äschen mit stahlblauen Rücken dahinflitzen. Eine Weile schaute er einfach nur hinaus. Auch Akesuk hüllte sich in Schweigen. Sie ließen Zeit verstreichen, und plötzlich — als habe die Natur beschlossen, sie für ihr Ausharren zu belohnen — ragten zwei schraubig gedrehte Einhörner aus dem Wasser wie gekreuzte Degen. Zwei Narwalmännchen zeigten sich wenige Meter von der Kante entfernt. Runde, dunkelgrau gefleckte Köpfe kamen zum Vorschein, dann tauchten die Tiere langsam wieder ab. In spätestens einer Viertelstunde würden sie hier wieder auftauchen. Das war ihr Rhythmus.war fasziniert. Narwale bekam man vor Vancouver Island so gut wie gar nicht zu Gesicht. Lange Zeit hatten sie kurz vor der Ausrottung gestanden. Ihre Hörner, eigentlich verlängerte Stoßzähne, bestanden aus purem Elfenbein, dessentwegen sie jahrhundertelang abgeschlachtet worden waren. Immer noch standen sie auf der Liste der gefährdeten Arten, aber mittlerweile hatte sich ihr Bestand zwischen Nunavut und Grönland wieder auf 10000 erhöht.Eis knarrte und ächzte leise, wenn es vom Wasser bewegt wurde. Ein Stück entfernt kreischten Vögel über den Kadaverresten des erlegten Wals. Mildes Licht lag auf den Felsen und Gletschern von Bylot Island und zeichnete Schatten über das gefrorene Meer. Dicht über dem Horizont hing eine blasse, eisige Sonne.

»Du hast mich gefragt, ob ich das alles vermisst habe«, sagte Anawak.schwieg.

»Ich habe es gehasst, Iji. Ich habe es gehasst und verachtet. Du wolltest eine Antwort. Da hast du sie.«Onkel seufzte.

»Du hast deinen Vater verachtet«, sagte er.

»Mag sein. Aber erklär einem zwölfjährigen Jungen den Unterschied zwischen seinem Vater und seinem Volk, wenn beide sich in ihrem Elend überbieten. Mein Vater war kraftlos und ständig betrunken. Er hat gejammert und rumgeheult und meine Mutter so tief zu sich heruntergezogen, bis sie keinen Ausweg mehr sah, als sich umzubringen. Nenn mir eine Familie, die damals keinen Selbstmord zu beklagen hatte. Alle waren so. Es ist schön und gut, wenn sie dir ständig irgendwelche Geschichten erzählen über das stolze, unabhängige Volk der Inuit, aber ich habe davon nicht viel mitbekommen.«Er sah Akesuk an.»Wenn Vater und Mutter innerhalb weniger Jahre zu Wracks werden, drogensüchtig, ohne Lebensmut, wie sollst du das ertragen? Wenn deine Mutter sich erhängt, weil sie sich selber nicht ertragen kann. Und dein Vater hat nichts anderes zu tun, als zu wimmern und sich zu besaufen. Ich bin zu ihm gegangen und habe gesagt, dass er damit aufhören soll. Dass meine Kraft für zwei reicht. Ich habe ihn angeschrien, dass ich arbeiten werde, irgendetwas tun werde, ich wollte ihm helfen, Hauptsache, er legt die Flasche aus der Hand und bekommt wieder ein paar klare Gedanken zusammen wie früher, aber er hat mich nur angeglotzt und weitergewimmert!«

»Ich weiß.«Akesuk schüttelte den Kopf.»Er war nicht mehr Herr seiner selbst.«

»Er hat mich zur Adoption freigegeben«, sagte Anawak. Die Bitterkeit von Jahren lag ihm auf der Zunge.»Ich wollte bei ihm bleiben, und dieser Jammerlappen gibt mich frei.«

»Er ist nicht mit dir fertig geworden. Er wollte dich schützen.«

»Na und? Hat er sich darum gekümmert, wie ich damit fertig werde? Einen Scheiß hat er! Meine Mutter ist an ihren Depressionen zugrunde gegangen, mein Vater hat sich mit Alkohol abgeschossen, sie haben mich beide aus ihrem Leben geworfen. Hat mir einer geholfen? — Nein! Alle waren viel zu sehr damit beschäftigt, Löcher in den Schnee zu starren und die Not der Inuit zu beklagen. — Auch du, ich erinnere mich genau. Du warst der lustige Onkel Iji, du warst immer für irgendwelche Geschichten gut, aber auf die Reihe bekommen hast du auch nichts. Immer nur Legenden heraufbeschwören, das ist alles, was dir eingefallen ist. Märchenstunde vom freien Volk der Inuit. Ein edles Volk! Ein stolzes Volk! Blabla!«

»Das war es«, nickte Akesuk.»Ein stolzes Volk.«

»Wann?«wartete darauf, dass Akesuk wütend werden würde, aber sein Onkel fuhr sich nur ein paar Mal über den Schnurrbart.

»Vor deiner Geburt«, sagte er.»Die Menschen meiner Generation sind noch in Iglus geboren worden, und es war selbstverständlich, dass jeder eines bauen konnte. Wenn wir Feuer gemacht haben, benutzten wir Flintsteine statt Streichhölzer. Ein Karibu wurde nicht geschossen, sondern mit Pfeil und Bogen erlegt. Vor einen Qamutik spannte man kein Skidoo, sondern Hunde. Klingt das nicht alles sehr romantisch? Nach längst vergangenen Zeiten?«Akesuk schüttelte den Kopf.»Dabei ist es gerade mal ein halbes Jahrhundert her. — Schau dich um, Junge. Wie leben wir heute? Ich meine, es hat auch sein Gutes, kaum ein Volk weiß so viel über die Welt wie wir. In jedem zweiten Haus findest du einen Computer mit Internetanschluss, auch in meinem. Wir haben einen eigenen Staat bekommen.«Er kicherte.»Neulich gab es ein Rätsel zu knacken auf nuna.vut.com, ganz amüsant auf den ersten Blick. Kennst du noch die alten kanadischen Zwei-Dollar-Noten? Vorne siehst du Königin Elisabeth II. abgebildet, hinten drauf eine Gruppe Inuit. Einer der Männer steht vor dem Kajak, mit der Harpune in der Hand. Sehr idyllisch. Die Frage war: Was zeigt diese Szene wirklich? — Weißt du es?«

»Ich fürchte, nein.«

»Aber ich. Sie zeigt das Bild einer Vertreibung, Junge. Die Regierung von Ottawa hatte ein feineres Wort dafür, sie nannte es Umsiedlung. Ein Motiv des Kalten Krieges. Ottawa hatte Angst, die USA oder die Sowjetunion könnten auf die Idee kommen, die unbewohnte kanadische Arktis zu beanspruchen, also siedelten sie die nomadisierenden Inuit von ihren Stammplätzen in der südlichen Polarzone um nach Resolute und Grise Fiord nahe dem Nordpol. Man hat ihnen vorgelogen, dort seien die Jagdgründe besser, aber das Gegenteil war der Fall. Die Inuit mussten in Blech gestanzte Registriernummern tragen, wie Hundemarken. Wusstest du das?«

»Ich erinnere mich nicht mehr.«

»Viele deiner Generation, viele der Kinder heute haben keine Ahnung von ihren Eltern und deren Lebensumständen. Und dass es eigentlich noch früher begonnen hat, Mitte der zwanziger Jahre, als die weißen Trapper kamen und das Gewehr mitbrachten. Karibus und Robben wurden dramatisch dezimiert. Von beiden übrigens, Quallunaat und Inuit. Gewehrkugeln statt Pfeil und Bogen, du verstehst. — Die Armut kam über die Inuit. Sie hatten nie sonderlich viel mit Krankheiten zu tun gehabt, aber jetzt traten Polio, Tuberkulose, Masern und Diphtherie auf, also verließen sie ihre Camps und zogen in Siedlungen. Ende der fünfziger Jahre starben unsere Leute reihenweise an Hunger und Infektionskrankheiten, ohne dass die offiziellen Regierungsstellen das zur Kenntnis nahmen. Das Militär begann, Interesse an den nordwestlichen Territorien zu zeigen, und errichtete geheime Nachrichtenstationen in den traditionellen Jagdgründen. Die Inuit, die dort noch siedelten, standen natürlich im Weg. Sie wurden auf Veranlassung der kanadischen Behörden in Flugzeuge gepackt und Hunderte Kilometer weiter nördlich deportiert, unter Zurücklassung ihrer Zelte, Kajaks, Kanus und Schlitten. Auch ich wurde umgesiedelt als junger Mann, und ebenso deine Eltern. Man hat diese Maßnahme damit begründet, hoch im Norden seien die Überlebensmöglichkeiten für die hungernden Inuit besser als in der Nähe der Militärstationen. In Wirklichkeit lagen die neuen Gebiete weit abseits aller Karibu-Wanderrouten und der Plätze, wo die Tiere im Sommer zu kalben pflegten.«machte eine Pause. Er schwieg lange. Zwischendurch tauchten wieder Narwale auf. Anawak sah ihnen bei ihren Degenfechtereien zu, bis sein Onkel wieder das Wort ergriff:

»Nachdem wir umgesiedelt worden waren, hat man die Bulldozer in die alten Jagdgründe geschickt. Alles, was an unser Leben hier erinnerte, wurde dem Erdboden gleichgemacht, um uns jeden Gedanken an Rückkehr auszutreiben. Und natürlich blieben die Karibus aus im hohen Norden. Kein Essen, keine Kleidung. Was nützt dir der allergrößte Mut, wenn du nur ein paar Siksiks, Hasen und Fische erbeuten kannst? Wenn du dein Volk sterben siehst und nichts dagegen tun kannst mit all deiner Kraft und Entschlossenheit? — Ich will dir die Einzelheiten ersparen. Innerhalb weniger Jahrzehnte wurden wir ein Fall für die Sozialhilfe. Unser Leben konnten wir nicht wieder aufnehmen, und anders zu leben hatten wir nie gelernt. — Etwa um die Zeit, als du geboren wurdest, fühlte sich die Regierung wieder für uns verantwortlich, also baute sie Kästen für uns, Häuser. Für die Quallunaat eine natürliche Sache. Sie leben in Kästen. Wenn sie sich bewegen, setzen sie sich in einen Kasten, für den sie ebenfalls einen Kasten haben, um ihn darin abzustellen. Sie essen in öffentlichen Kästen, ihre Hunde leben in Kästen, und die Kästen, in denen sie selber leben, sind von weiteren Kästen umgeben, von Mauern und Zäunen. Das war ihr Leben, nicht unseres, aber nun lebten auch wir in Kästen. — Und wozu führt verlorenes Selbstbewusstsein? Zu Alkohol, Drogen und Selbstmord.«

»Hat mein Vater damals für die Rechte der Inuit gekämpft?«, fragte Anawak leise.

»Das haben wir alle. Ich war ein junger Mann, als wir vertrieben wurden. Ich habe mitgestritten um Wiedergutmachung. 30 Jahre lang haben wir prozessiert und gerungen. Auch dein Vater. Aber er ist am Ende daran zerbrochen. Nun haben wir seit 1999 unseren Staat, Nunavut, unser Land. Niemand redet uns mehr rein, niemand siedelt uns um. Aber unser Leben, das einzige Leben, das je für uns gemacht war, ist unwiederbringlich verloren.«

»Also müsst ihr euch ein neues suchen.«

»Du hast sicher Recht. Was hilft alles Jammern? Wir waren immer Nomaden und ungebunden, aber wir haben uns mit der Vorstellung eines begrenzten Territoriums arrangiert. Bis vor wenigen Jahrzehnten kannten wir keine Organisationsform außer losen Familienverbänden, wir duldeten weder Häuptlinge noch Führer, und jetzt herrschen Inuit über Inuit, wie es sich für einen modernen Verwaltungsstaat gehört. Wir kannten keinen Besitz, jetzt gehen wir den Weg einer modernen Industrienation. Wir beleben die Traditionen wieder, manche schaffen sich Schlittenhunde an, das Iglubauen wird wieder gelehrt und das Feuermachen mit Flintsteinen. Es ist schön, dass diese Werte erneuert werden, aber damit halten wir die Zeit nicht auf. — Und ich will dir sagen, Junge, dass ich gar nicht unzufrieden bin. Die Welt bewegt sich. Heute leben wir als Nomaden im Internet, durchstreifen das Netz der Datenhighways, jagen und sammeln Informationen. Wir nomadisieren durch die ganze Welt. Die jungen Leute chatten mit Menschen aus allen Erdteilen und erzählen ihnen von Nunavut. Immer noch bringen sich viele Menschen in diesem Land um, zu viele. Nun, wir haben ein Trauma zu verarbeiten. Man sollte uns Zeit geben und die Hoffnung der Lebenden nicht den Toten opfern, was meinst du?«sah zu, wie die Sonne sacht den Horizont berührte.»Du hast Recht«, sagte er.dann, einem Impuls folgend, erzählte er Akesuk alles, was sie im Chateau herausgefunden hatten, woran der Stab arbeitete und welche Vermutung sie hegten über die fremde Intelligenz im Meer. Es sprudelte nur so aus ihm heraus. Er wusste, dass er damit gegen Lis ehernes Gebot verstieß, aber es war ihm gleich. Er hatte ein Leben lang geschwiegen. Akesuk war der letzte Rest Familie, den er noch besaß.Onkel lauschte.

»Möchtest du den Rat eines Schamanen?«, fragte er schließlich.

»Nein. Ich glaube nicht an Schamanen.«

»Ja, wer tut das noch? Aber dieses Problem könnt ihr nicht mit Wissenschaft lösen, Junge. Ein Schamane würde dir sagen, dass ihr es mit Geistern zu tun bekommen habt, den Geistern der belebten Welt, die in den Wesen wandern. Die Quallunaat haben begonnen, das Leben zu vernichten. Sie haben die Geister gegen sich aufgebracht, die Meeresgöttin Sedna. Wer immer deine Wesen im Meer sind, ihr werdet nichts erreichen, wenn ihr versucht, gegen sie vorzugehen.«

»Sondern?«

»Begreift sie als Teil von euch. Jeder ist des anderen Außerirdischer auf diesem angeblich so vernetzten Planeten. Nehmt Kontakt auf. So wie du Kontakt aufgenommen hast zum fremden Volk der Inuit. Wäre es nicht gut, wenn alles wieder zusammenwüchse?«

»Es sind keine Menschen, Iji.«

»Darum geht es nicht. Sie sind Teil derselben Welt, wie deine Hände und Füße Teile desselben Körpers sind. Der Kampf um Herrschaft lässt sich nicht gewinnen. Schlachten kennen nur Opfer. Wen interessiert es denn, wie viele Rassen sich die Erde teilen und wie intelligent sie sind? Lernt, sie zu verstehen, anstatt sie zu bekämpfen.«

»Klingt nach christlicher Doktrin. Linke Wange, rechte Wange.«

»Nein«, kicherte Akesuk.»Es ist der Rat eines Schamanen. So was haben wir hier nämlich noch, aber wir machen kein Aufhebens drum.«

»Welcher Schamane sollte mir …«Anawak hob die Brauen.»Doch nicht etwa du?«zuckte die Achseln und grinste.»Einer muss sich ja um geistlichen Beistand kümmern«, sagte er.»Schau mal!«einiger Entfernung hatte sich ein riesiger Polarbär über die letzten Reste des Narwals hergemacht und die Vögel aufgescheucht. Sie stoben um ihn herum oder trippelten in respektvoller Entfernung übers Eis. Ein Sturmvogel stieß immer wieder auf den Eindringling herab. Der Bär zeigte sich unbeeindruckt. Er war weit genug vom Camp entfernt, dass der Wachposten keinen Warnruf auszustoßen brauchte, aber der Mann hatte das Gewehr hochgenommen und sah aufmerksam zu der Stelle hinüber.

»Nanuq«, sagte Akesuk.»Er riecht alles. Auch uns.«beobachtete den Bären beim Fressen. Er empfand keine Angst. Nach einer Weile verlor der Koloss das Interesse und machte sich behäbig davon. Einmal drehte er sich um, äugte neugierig zum Camp herüber und verschwand schließlich hinter einer Barriere aus Packeis.

»Wie gemütlich er sich gibt«, flüsterte der Onkel.»Aber er kann laufen, Junge! Er kann laufen!«Akesuk kicherte, griff in seinen Anorak und brachte eine kleine Skulptur zum Vorschein, die er Anawak in den Schoß legte.»Darauf habe ich gewartet. Weißt du, jedes Geschenk braucht seine Zeit. Vielleicht ist jetzt der richtige Moment, dir das zu geben.«nahm die Plastik und betrachtete sie. Ein menschliches Gesicht mit Federhaaren, dessen Hinterkopf in einen Vogelkörper auslief.

»Ein Vogelgeist?«

»Ja.«Akesuk nickte.»Toonoo Sharky hat ihn gemacht, ein Nachbar von mir. Ganz angesehener Künstler mittlerweile, hat es bis ins Museum of Modern Arts geschafft. Nimm ihn. Dir steht vieles bevor. Du wirst ihn brauchen, Junge. Er wird deine Gedanken in die richtige Richtung lenken, wenn es so weit ist.«

»Wenn was so weit ist?«

»Dein Bewusstsein wird fliegen.«Akesuk formte die Hände zu Schwingen, ließ sie flattern und grinste.»Aber du bist lange fort gewesen von hier. Ein bisschen aus der Übung. Vielleicht brauchst du einen Mittler, der dir verrät, was der Vogelgeist sieht.«

»Du sprichst in Rätseln.«

»Das ist das Privileg der Schamanen.«Vogel strich über sie hinweg.

»Eine Rosenmöwe«, lachte Akesuk.»Na, du hast wirklich Glück, Leon, wirklich Glück! Wusstest du, dass jedes Jahr Tausende Vogelliebhaber aus aller Welt anreisen, nur um diese Möwe zu sehen? So selten ist sie. — Nein, du solltest dich nicht sorgen, wirklich nicht. Die Geister haben dir ein Zeichen gesandt.«äter, als sie endlich in ihre Schlafsäcke gefunden hatten, lag Anawak noch eine Weile wach. Die nächtliche Sonne erhellte die Zeltwand. Einmal hörte er den Ruf der Bärenwache:»Nanuq, Nanuq!«Er dachte an das tiefe, schwarze Nordpolarmeer unter sich, und seine Gedanken, körperlos, schienen durch die Eisdecke hinabzusinken in die unbekannte Welt. Ruhig atmend trieb er auf einer See aus Schlaf dahin und schließlich auf dem Plateau eines gewaltigen Eisbergs, geboren im grönländischen Gletscher, herübergetrieben an die Ostküste von Bylot Island, festgehalten von der zufrierenden See und endlich dem aufbrechenden Eis wieder entrissen von Wind und Wellen und nach Süden getrieben. In seinem Traum stieg Anawak über einen schmalen, verschneiten Pfad bis zum Gipfel des Berges und sah, dass sich dort ein smaragdgrüner Binnensee aus Schmelzwasser gebildet hatte. So weit das Auge reichte, erstreckte sich spiegelglattes, blaues Meer. Der Eisberg würde zerfließen, und er würde hinabsinken in diese stille See zum Urgrund allen Lebens, wo ein Rätsel darauf wartete, gelöst zu werden.vielleicht ein Schamane, ihm dabei zu helfen.

. Maiwar wie üblich anderer Meinung.Hauptmethanvorkommen lagerten nach Einschätzung der rohstofffördernden Industrie im Pazifik entlang der Westküste Nordamerikas und vor Japan, außerdem im Ochotskischen Meer sowie im Beringmeer und weiter nördlich in der Beaufortsee. Im Atlantik hatten die USA das meiste davon vor der Haustür. Es gab größere Vorkommen in der Karibik und vor Venezuela und starke Konzentrationen im Gebiet der Drake-Straße zwischen Südamerika und der Antarktis. Auch von den norwegischen Hydraten hatte man gewusst, und ebenso bekannt war die Existenz von Lagerstätten im östlichen Mittelmeer und im Schwarzen Meer.vor der Nordwestküste Afrikas waren sie offenbar dünn gesät. Ganz besonders im Umfeld der Kanarischen Inseln.das wollte Frost nicht einleuchten.dort stieg kaltes Wasser aus der Tiefe hoch, beladen mit Nährstoffen für Planktonalgen, die ihrerseits wiederum die Grundlagen für die exzellenten kanarischen Fischgründe schufen. Daran gemessen hätten im Gebiet der Kanaren sogar sehr große Hydratmengen lagern müssen — überall, wo organisches Leben in großer Vielfalt vorkam, bildete sich früher oder später Methan in der Tiefsee.Problem mit den Kanaren war, dass sich die verwesenden Reste der Lebewesen nirgendwo absetzen konnten. Nachdem die Inseln Jahrmillionen zuvor aus Vulkanen entstanden waren, ragten sie steil wie Türme vom Meeresboden in die Höhe: Teneriffa, Gran Canaria, La Palma, Gomera und Ferro. Sie alle wuchsen aus Tiefen zwischen drei und dreieinhalb Kilometern zur Oberfläche, vulkanische Felsnadeln, an denen Sedimente und organische Rückstände einfach vorbeitrudelten, anstatt sich festzusetzen. Die gängigen Karten verzeichneten darum im Gebiet der Kanaren gar keine Methanvorkommen. Was nach Ansicht von Stanley Frost die erste Fehlannahme war.ahnte er, dass die Vulkankegel, als deren Spitzen die Inseln aus der See ragten, längst nicht so steil waren, wie es allgemein hieß. Natürlich waren sie steil, aber nicht glatt und senkrecht wie Häuserwände. Frost hatte sich hinreichend mit der Entstehung und dem Wachstum von Vulkanen beschäftigt, um zu wissen, dass selbst der steilste Kegel Grate und Terrassen aufwies. Er war der festen Überzeugung, dass rund um die Inseln eine ganze Menge Methan lagerte und dass bis jetzt lediglich keiner so genau nachgesehen hatte. Dieses Hydrat würde nicht in großen Brocken vorkommen, aber das Gestein als Netz feiner Äderchen durchziehen. Auf den sedimentbedeckten Graten hatte es sich auf alle Fälle angelagert.er zwar Vulkanologe, aber kein Experte für Hydrate war, hatte er im Chateau Gerhard Bohrmann zu Rate gezogen. Sie waren übereingekommen, der Sache auf den Grund zu gehen. Frost hatte daraufhin eine Liste von Inseln erstellt, die ihm gefährdet erschienen. Dazu gehörten außer La Palma auch Hawaii, die Kapverden, Tristan de Cunha weiter südlich und Réunion im Indischen Ozean. Jede davon war eine potenzielle Zeitbombe, aber La Palma war und blieb ohne Beispiel. Wenn zutraf, was Frost befürchtete, und diese Wesen in der Tiefsee tatsächlich so schlau waren, wie der norwegische Professor meinte, hing die Cumbre-Vieja-Vulkankette auf La Palma über Millionen Menschen wie ein zweitausend Meter hohes Damoklesschwert.Bohrmanns Bemühungen erhielten Frost und sein Team die berühmte Polarstern für ihre Expedition. Das deutsche Forschungsschiff hatte ebenso wie die Sonne einen Victor 6000 an Bord. Die Polarstern war groß genug, dass ihr Wale nicht gefährlich werden konnten, und außerdem mit Unterwasserkameras nachgerüstet worden, um Angriffe durch Muschelschwärme, Medusen oder andere Organismen rechtzeitig erkennen zu können. Frost hatte keine Vorstellung davon, ob er den Victor je wieder sehen würde, wenn er ihn einmal hinuntergelassen hatte, nachdem dort unten alles Mögliche verschwand. Es war ein Versuch auf gut Glück, aber niemand sperrte sich dagegen.Victor tauchte an der Westseite von La Palma. Die Polarstern lag in Sichtweite vom Festland, als er runterging. Der Roboter suchte die steile Flanke des Vulkankegels systematisch ab, bis er in knapp 400 Metern Tiefe auf eine Anordnung überkragender Terrassen stieß, die wie Balkone aus der Wand standen und weitflächige Sedimentbedeckungen aufwiesen.fand er die Hydratvorkommen, die Frost vorausgesagt hatte. Sie verschwanden unter wimmelnden, rosaweißen Leibern mit Zangenkiefern.


Дата добавления: 2015-09-29; просмотров: 29 | Нарушение авторских прав







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