Студопедия
Случайная страница | ТОМ-1 | ТОМ-2 | ТОМ-3
АрхитектураБиологияГеографияДругоеИностранные языки
ИнформатикаИсторияКультураЛитератураМатематика
МедицинаМеханикаОбразованиеОхрана трудаПедагогика
ПолитикаПравоПрограммированиеПсихологияРелигия
СоциологияСпортСтроительствоФизикаФилософия
ФинансыХимияЭкологияЭкономикаЭлектроника

thrillerSchaetzingSchwarmFischer verschwindet vor Peru, spurlos. Цlbohrexperten stoЯen in der norwegischen See auf merkwьrdige Organismen, die hunderte Quadratkilometer Meeresboden in Besitz 16 страница



»Irre, was?«, sagte er.»Es reißt nicht ab.«

»Was reißt nicht ab?«

»Na, eine Hiobsbotschaft nach der anderen. Hörst du denn überhaupt keine Nachrichten?«musste sich kurz sammeln.»Du meinst die verschwundenen Boote? Deswegen wollte ich dich ohnehin fragen. Ich hab’s nur gestern vor lauter Quallen vergessen.«schüttelte den Kopf und kam ganz herein.»Ich gehe recht in der Annahme, dass du mir einen Kaffee anbieten willst«, sagte er, während er sich interessiert umsah. Zu Olsens gleichermaßen nützlichen wie anstrengenden Eigenschaften gehörte seine Neugier.

»Nebenan«, sagte Johanson.lehnte sich durch die offene Verbindungstür ins Nebenbüro und orderte lautstark einen Kaffee. Dann setzte er sich und ließ weiterhin seine Blicke schweifen. Die Sekretärin kam herein, stellte knallend einen Becher auf den Schreibtisch und bedachte Olsen mit einem vernichtenden Blick, bevor sie wieder nach nebenan ging.

»Was hat sie denn?«, wunderte sich Olsen.

»Ich hole mir den Kaffee immer selber«, sagte Johanson.»Die Kanne steht gleich nebenan, Milch, Zucker, Tassen.«

»Empfindlich, die Dame, was? Tut mir Leid. Ich bringe ihr kommende Woche selbst gebackene Kekse mit. Meine Frau backt tolle Kekse.«Olsen schlürfte vernehmlich.»Du hast tatsächlich keine Nachrichten gehört, was?«

»Doch, im Auto auf der Hinfahrt.«

»Vor zehn Minuten kam eine Sondermeldung auf CNN. Du weißt ja, ich hab den kleinen Fernseher im Büro, er läuft den ganzen Tag.«Olsen beugte sich vor. Das Licht der Deckenbeleuchtung spiegelte sich in seiner beginnenden Glatze.»Vor Japan ist ein Gastanker in die Luft geflogen und gesunken. Zur gleichen Zeit sind in der Malakkastraße zwei Containerschiffe und eine Fregatte kollidiert. Eines der Containerschiffe sinkt, das andere ist manövrierunfähig, und auf der Fregatte brennt es. Eine Militärfregatte. Es hat eine Explosion gegeben.«

»Meine Güte.«

»Und das am frühen Morgen, was?«wärmte die Hände an seinem Becher.

»Was die Malakkastraße angeht, wundert mich nichts«, sagte er.»Erstaunlich, dass da nicht noch mehr passiert.«

»Ja, aber es ist doch ein irrer Zufall, oder?«Meerengen konkurrierten um den Titel der meistbefahrenen Wasserstraße der Welt, der Ärmelkanal, die Straße von Gibraltar und die Malakkastraße, die Teil des Seewegs von Europa nach Südostasien und Japan war. Das Problem der Welthandelsschifffahrt bestand unter anderem in der Bedeutung solcher Meerengen. Allein in der Malakkastraße verkehrten an einem einzigen Tag rund 600 große Tanker und Frachtschiffe. An manchen Tagen konnte es geschehen, dass bis zu 2000 Schiffe das Gewässer zwischen Malaysia und Sumatra passierten, das zwar 400 Kilometer lang, an seiner schmälsten Stelle aber nur siebenundzwanzig Kilometer breit war. Indien und Malaysia insistierten darauf, die Tankerkapitäne sollten auf die weiter südlich gelegene Straße von Lombok ausweichen, stießen indes auf taube Ohren. Der Umweg verringerte den Profit. So blieb es dabei, dass sich rund fünfzehn Prozent des gesamten Welthandels durch die Malakkastraße und die benachbarten Meerengen drängte.

»Weiß man denn, was da passiert ist?«

»Nein. Kam ja erst vor wenigen Minuten.«

»Schrecklich.«Johanson trank einen Schluck.»Was ist das überhaupt für eine Geschichte mit den verschwundenen Booten?«

»Was? Das weißt du auch nicht?«

»Ich würde sonst kaum fragen«, sagte Johanson etwas gereizt.beugte sich vor und senkte die Stimme.

»Offenbar verschwinden seit längerem Schwimmer und kleine Fischerboote vor Südamerika. Pazifikseite. Es ist kaum darüber berichtet worden, jedenfalls nicht in Europa. Angefangen hat das Ganze wohl in Peru. Erst verschwand ein Fischer, und sie fanden das Boot Tage später. Es trieb auf hoher See, ein Binsenboot, nichts Großes. Sie dachten, er sei vielleicht von einer Welle ins Meer gespült worden, aber seit Wochen ist das Wetter in der Region ganz manierlich. Danach passierten solche Dinge am laufenden Band. Schließlich verschwand ein kleiner Trawler.«



»Warum hat man nichts davon gehört, um Himmels willen?«breitete die Hände aus.»Weil man so was da nicht gerne an die große Glocke hängt. Der Tourismus ist zu wichtig. Außerdem findet es weit weg in Gegenden statt, wo viele braune Menschen mit schwarzen Haaren leben, die für uns alle gleich aussehen.«

»Über die Quallen haben sie auch berichtet. Das ist auch weit weg.«

»Ich bitte dich! Das ist ja wohl ein Unterschied. Da sind aufrechte amerikanische Touristen gestorben und ein Deutscher und was weiß ich. Jetzt ist vor Chile eine norwegische Familie verschwunden. Sie sind mit einem Fischerboot rausgeschippert unter Leitung des ortsansässigen Veranstalters. Hochseeangeln. Zack, weg! Norweger, Herrgott, wertvolle blonde Menschen, darüber muss man doch berichten.«

»Schon gut, ich hab’s kapiert.«Johanson lehnte sich zurück.»Und es sind keine Funksprüche durchgegeben worden?«

»Nein, Sherlock Holmes. Einige Male SOS. Das war’s. Bei den meisten der verschwundenen Boote erschöpfte sich die bordeigene Hightech im Außenborder.«

»Kein Sturm?«

»Herrgott, nein! Nichts, was Boote kentern lässt.«

»Und was passiert da vor Westkanada?«

»Diese Schiffe, die angeblich kollidiert sind? Keine Ahnung. Irgendwer meinte, sie seien mit einem übellaunigen Wal zusammengerasselt. Was weiß ich? Die Welt ist mysteriös und grausam, und du bist auch ein bisschen rätselhaft mit deinen Fragen. Gib mir noch einen Kaffee … nein, warte, ich hole mir selber einen.«setzte sich in Johansons Büro fest wie Hausschwamm. Als er endlich genug Kaffee getrunken hatte und ging, sah Johanson auf die Uhr. Bis zur Vorlesung blieben ihm noch wenige Minuten.rief Lund an.

»Skaugen hat Kontakt zu anderen Explorationsgesellschaften aufgenommen«, sagte sie.»Weltweit. Er will wissen, ob sie mit ähnlichen Phänomenen konfrontiert werden.«

»Mit Würmern?«

»Genau. Er vermutet übrigens, dass die Asiaten mindestens so viel über die Viecher wissen wie wir.«

»Wieso das?«

»Erinnere dich deiner Worte. Asien versucht sich im Abbau von Methanhydraten. Hat dir das nicht dein Mann in Kiel erzählt? Skaugen hat diesen Firmen auf den Zahn gefühlt.«sich keine schlechte Idee, dachte Johanson. Skaugen hatte eins und eins zusammengezählt. Wenn die Polychäten tatsächlich so wild auf Hydrat waren, mussten sie vor allem dort aufgefallen sein, wo der Mensch seinerseits wild auf Methan war. Andererseits …

»Die Asiaten werden es Skaugen kaum auf die Nase binden«, sagte er.»Sie werden es ebenso halten wie er.«schwieg einen Moment.»Du meinst, Skaugen würde es denen auch nicht sagen?«

»Vielleicht nicht in der Tragweite. Und nicht im Augenblick.«

»Was wäre die Alternative?«

»Na ja.«Johanson suchte nach den geeigneten Worten.»Ich will euch nichts unterstellen, aber nehmen wir mal an, jemand kommt auf die Idee, den Bau einer Unterwasserfabrik zu forcieren, obwohl da irgendwelches unbekanntes Zeugs rumkrabbelt.«

»Tun wir nicht.«

»Nur angenommen.«

»Du hast doch gehört, Skaugen ist deinem Rat gefolgt.«

»Das ehrt ihn. Aber hier geht es um Geld, oder? Man könnte sich auf den Standpunkt stellen und sagen: Würmer? Wissen wir nichts von. Haben wir nie gesehen.«

»Und trotzdem bauen?«

»Es muss ja nichts passieren. Und wenn doch — ich meine, man kann jemanden für technische Mängel haftbar machen, aber doch nicht für Methan fressendes Viehzeug. Wer will hinterher nachweisen, dass man im Vorfeld je auf Würmer gestoßen ist?«

»Statoil würde so was nicht vertuschen.«

»Lassen wir euch mal beiseite. Für die Japaner beispielsweise wäre ein funktionierender Methanexport einem Ölboom gleichzusetzen. Mehr als das! Sie würden unermesslich reich werden. Glaubst du, die Asiaten spielen in der Sache mit offenen Karten?«zögerte.»Nein.«

»Und ihr?«

»Das hilft uns jetzt nicht weiter. Wir müssen es von denen erfahren, bevor sie es von uns erfahren. Wir brauchen unabhängige Beobachter. Leute, die man nicht mit Statoil in Verbindung bringt. Zum Beispiel …«Sie schien zu überlegen. Dann sagte sie:»Könntest du dich nicht ein bisschen umhören?«

»Was, ich? Bei Ölgesellschaften?«

»Nein, bei Instituten, Universitäten, bei Leuten wie bei deinen Kielern. Wird nicht weltweit in Sachen Methanhydrate geforscht?«

»Schon, aber …«

»Und bei Biologen. Meeresbiologen! Hobbytauchern! Weißt du was?«, rief sie begeistert.»Vielleicht übernimmst du einfach diesen ganzen Part. Vielleicht richten wir ein Ressort für dich ein. Ja, das ist gut, ich rufe Skaugen an und bitte ihn um ein Budget! Wir könnten …«

»He. Mal langsam.«

»Es würde sicher gut bezahlt, abgesehen davon, dass du damit nicht viel Arbeit hättest.«

»So was bedeutet eine Scheißarbeit. Ihr könnt das genauso gut machen.«

»Es wäre besser, wenn du es übernimmst. Du bist neutral.«

»Ach, Tina.«

»In der Zeit, die wir hier diskutieren, hättest du schon dreimal mit dem Smithsonian Institute telefonieren können. Bitte, Sigur, es wäre einfach … Versteh doch, wenn wir da als Konzern mit vitalen Interessen auftreten, hängen uns gleich tausend Umweltschutzorganisationen im Nacken. Die warten doch nur drauf.«

»Aha! Ihr habt nämlich wohl ein Interesse daran, es untern Teppich zu kehren.«

»Du bist ein blöder Arsch.«

»Mitunter.«seufzte.»Was sollen wir denn deiner Ansicht nach tun? Meinst du, alle Welt würde uns nicht sofort das Schlimmste unterstellen? Ich schwöre dir, Statoil wird nichts unternehmen, bevor wir nicht Klarheit über die Rolle dieser Würmer haben. Aber wenn wir offiziell an zu viele Türen klopfen, macht das die Runde. Dann geraten wir dermaßen in den Fokus, dass wir keinen Finger mehr rühren können.«rieb sich die Augen. Dann sah er auf die Uhr.durch. Seine Vorlesung.

»Tina, ich muss Schluss machen. Ich rufe dich später an.«

»Kann ich Skaugen sagen, du machst mit?«

»Nein.«.

»Okay«, sagte sie schließlich mit kleiner Stimme.klang, als werde sie zur Schlachtbank geführt.atmete tief durch.»Darf ich’s mir wenigstens durch den Kopf gehen lassen?«

»Ja. Natürlich. Du bist ein Schatz.«

»Ich weiß. Genau das ist mein Problem. Ich rufe dich an.«packte seine Unterlagen zusammen und hastete zum Hörsaal.gleichen Zeit, als Johanson in Trondheim seine Vorlesung begann, begutachtete Jean Jérôme rund zweitausend Kilometer weiter mit kritischem Blick zwölf bretonische Hummer.érôme schaute grundsätzlich kritisch. Die permanente Skepsis war er der Adresse schuldig, für die er arbeitete. Das Troisgros erfreute sich als einziges Restaurant Frankreichs seit über 30 Jahren in ungebrochener Folge dreier Michelin-Sterne, und Jérôme wollte nicht in die Geschichte eingehen als derjenige, der daran etwas änderte. Sein Verantwortungsbereich umfasste alles, was aus dem Meer kam. Er war sozusagen der Herr der Fische und seit dem frühen Morgen auf den Beinen.Tag des Zwischenhändlers, über den Jérôme die Ware bezog, hatte noch weit früher begonnen als seiner, nämlich um 3.00 Uhr in Rungis, einem bis vor wenigen Jahren unbedeutenden Vorort 14 Kilometer außerhalb von Paris, der über Nacht zum Mekka der gehobenen Küche avanciert war. Auf einem Gebiet von vier Quadratkilometern, bis in den letzten Winkel ausgeleuchtet, versorgte Rungis nun diese und andere Großstädte, Händler, Köche und alle, die wahnsinnig genug waren, ihr Leben in einer Küche zu verbringen, mit Nahrung. In Rungis war das ganze Land vertreten. Milch, Sahne, Butter und Käse aus der Normandie, exquisites bretonisches Gemüse, aromatische Früchte aus dem Süden. Austernlieferanten von der Belon, aus Marennes und vom Bassin d’Arcachon und Thunfisch-Fischer von St-Jean-de-Luz waren mit ihrer Fracht in rasender Fahrt über die Autobahn hergedonnert. Thermoswagen mit Schalen— und Krustentieren bahnten sich ihren Weg zwischen Kleinlastern und Privatfahrzeugen. Nirgendwo in Frankreich gelangte man früher an die Köstlichkeiten als hier.ät war allerdings ein endlicher Faktor. Hummer kamen selbstverständlich aus der Bretagne, aber auch darunter gab es wiederum attraktive und wenig verlockende Exemplare. Kurz, es hatte einiges zu geschehen und zu stimmen, um beispielsweise Jean Jérôme in Roanne zufrieden zu stellen.nahm die Hummer der Reihe nach auf und drehte sie, um sie von allen Seiten zu betrachten. Je sechs Tiere teilten sich eine große Styroporkiste ausgekleidet mit einer Art Farn. Sie regten sich kaum, aber natürlich lebten sie, wie es sich gehörte. Ihre Scheren waren zusammengebunden.

»Gut«, sagte Jérôme.war das höchste Lob, das er zu vergeben hatte.ächlich gefielen ihm die Hummer sogar ausnehmend gut. Sie waren eher klein, aber schwer für ihre Größe, mit glänzend dunkelblauem Panzer.auf die letzten beiden.

»Zu leicht«, sagte er.Fischhändler runzelte die Stirn, nahm einen der Hummer, die Jeromes Beifall gefunden hatten, und einen der Beanstandeten und wog sie in beiden Händen gegeneinander ab.

»Sie haben Recht, Monsieur«, sagte er bestürzt.»Ich muss mich entschuldigen.«Er stand da wie eine Justitia des Fischmarkts, die Unterarme abgewinkelt, die Hände ausgestreckt.»Aber viel ist es nicht. Eine Kleinigkeit, nicht wahr?«

»Nein, viel ist es nicht«, sagte Jérôme.»Für eine Fischpinte. Aber wir sind keine Fischpinte.«

»Es tut mir Leid. Ich kann zurückfahren und …«

»Machen Sie sich keine Mühe. Dann müssen wir eben erspüren, welcher der Gäste einen kleineren Magen hat.«Händler entschuldigte sich erneut. Er entschuldigte sich im Hinausgehen, und wahrscheinlich entschuldigte er sich noch auf der Rückfahrt bei sich selber, während Jérôme schon wieder in der prachtvollen Küche des Troigros stand und sich mit den Anforderungen der Abendkarte auseinander setzte. Die Hummer hatte er vorübergehend in einer Wanne mit frischem Wasser zwischengelagert, wo sie apathisch verharrten.Stunde verging, dann beschloss Jérôme, die Tiere anzublanchieren. Er hatte einen großen Kessel Wasser aufsetzen lassen. Es empfahl sich, lebende Hummer schnell zu verarbeiten. Die Tiere neigten dazu, sich in Gefangenschaft selber innerlich aufzuzehren.hieß, sie nicht gar zu kochen, sondern nur in siedendem Wasser zu töten. Später, unmittelbar vor dem Servieren, wurden sie dann fertig gegart. Jérôme wartete, bis das Wasser kochte, entnahm die Hummer der Wanne und ließ sie schnell kopfüber hineingleiten. Mit vernehmlichem Quietschen entwich Luft aus den Hohlräumen der Panzerungen. Einen nach dem anderen beförderte er auf diese Weise in den Kessel und sofort wieder heraus. Der neunte, der zehnte Hummer gab sein Leben auf. Jeromes Hand bekam den elften zu fassen — ach, richtig, der war ja leichter! — und entließ ihn ins kochende Wasser. Zehn Sekunden würden reichen. Ohne richtig hinzuschauen hebelte er das Tier mit seiner großen Schaumkelle wieder nach draußen …unterdrückter Fluch entfuhr ihm.um alles in der Welt war mit dem Tier geschehen? Der Panzer war regelrecht auseinander gerissen, eine der Scheren abgesprengt. Nicht zu fassen. Jérôme schnaubte vor Wut. Er legte den Hummer, genauer gesagt dessen derangierte Reste, vor sich auf die Arbeitsplatte und drehte ihn auf den Rücken. Auch die Unterseite war demoliert, und im Innern, wo sich kräftiges Fleisch hätte verbergen müssen, zeigte sich nur ein schmieriger, weißlicher Belag. Fassungslos sah er in den Kessel. Im blubbernden Wasser trieben Stücke und Fäden von etwas, das nicht mal mit viel Phantasie als Hummerfleisch durchging.gut. Sie würden nur zehn der Tiere wirklich brauchen. Jérôme kaufte nie zu knapp ein, er war dafür bekannt, die Waage zu halten. Man musste sehr genau wissen, welche Mengen tatsächlich benötigt wurden, sowohl im Interesse der Wirtschaftlichkeit als auch im Hinblick auf Sicherheitsreserven, und soeben ging das Konzept mal wieder auf.

Ärgerlich war die Sache dennoch.fragte sich, ob das Tier krank gewesen war. Sein Blick fiel auf die Wanne. Ein Hummer war noch übrig. Der Zweite von den beiden, mit denen er unzufrieden war. Egal. Ab mit ihm in den Topf.nein, darin schwamm ja das weiße Zeug.ötzlich kam ihm ein Gedanke. Das kranke Tier war zu leicht gewesen. Der noch lebende Hummer war ebenfalls zu leicht. Hatte es damit etwas zu tun? Vielleicht, dass die Tiere begonnen hatten, sich selber aufzuzehren, oder dass ein Virus oder Parasit sie innerlich auflöste. Jérôme zögerte. Dann nahm er den zwölften Hummer aus der Wanne und legte ihn vor sich auf die Arbeitsplatte, um ihn zu betrachten.langen, rückwärts gerichteten Antennen zuckten. Schwach bewegten sich die zusammengebundenen Scheren. Sobald sie ihrem natürlichen Lebensraum entrissen wurden, neigten Hummer zu großer Trägheit. Jérôme stupste das Tier leicht an und beugte sich tiefer darüber. Es bewegte die Beine, als wolle es davonkriechen, verharrte aber auf der Platte. Wo der segmentierte Schwanz in den Rückenpanzer überging, quoll etwas Transparentes hervor.war das schon wieder?érôme ging in die Hocke. Er war nun ganz dicht an dem Tier, auf Augenhöhe sozusagen.Hummer richtete leicht den Oberkörper auf. Eine Sekunde schien er Jérôme aus seinen schwarzen Augen anzusehen. Dann platzte er.Auszubildende, den Jérôme mit dem Schuppen von Fischen beauftragt hatte, war nur drei Meter entfernt, allerdings verstellte ihm ein schmales, deckenhohes Regal mit Arbeitsutensilien und Gewürzen die Sicht auf den Herd. Darum hörte er zuerst Jeromes markerschütternden Schrei. Zu Tode erschrocken ließ er sein Messer fallen. Er sah Jérôme vom Herd wegtaumeln, die Hände vors Gesicht gepresst, und sprang hinzu. Gemeinsam polterten sie gegen die dahinter liegende Arbeitsfläche. Töpfe schepperten, etwas fiel zu Boden und zerbrach geräuschvoll.

»Was ist passiert?«, schrie der Lehrling voller Panik.»Was ist geschehen?«Köche kamen hinzu. Die Küche war in bestem Sinne eine Fabrik, in der jeder seine Aufgabe hatte. Einer war nur für Wild zuständig, ein weiterer für Saucen, ein dritter für Farcen, wieder einer für Salate und ein anderer für die Pâtisserie, und so fort. Im Nu herrschte rund um den Herd das größte Durcheinander, bis Jérôme die Hände herunternahm und zitternd auf die Arbeitsplatte neben dem Herd zeigte. Aus seinen Haaren tropfte klumpiges, durchsichtiges Zeug. Es hing brockenweise in seinem Gesicht und rann schmelzend in seinen Kragen.

»Er … er ist explodiert«, keuchte Jérôme.Lehrling trat näher an die Platte und starrte angewidert auf den zerborstenen Hummer. Nie zuvor hatte er etwas Derartiges gesehen. Intakt waren einzig die Beine. Die Scheren lagen auf dem Fußboden, der Schwanz sah aus, als sei er mit Hochdruck abgesprengt worden, und der Rückenpanzer klaffte in scharfkantigen Stücken auseinander.

»Was haben Sie denn mit dem gemacht?«, flüsterte er.

»Gemacht? Gemacht?«, schrie Jérôme, die Hände mit gespreizten Fingern erhoben, das Gesicht eine Fratze des Ekels.»Ich habe überhaupt nichts gemacht! Er ist geplatzt, das ist er. Geplatzt!«brachten ihm Tücher, um sich zu reinigen, während der Lehrling mit spitzen Fingern das Zeug berührte, das überall verteilt war. Was er anfasste, war von enorm zäher, gummiartiger Konsistenz, aber es löste sich schnell auf und floss über die Arbeitsplatte davon. Einem Impuls folgend nahm er ein fest verschraubbares Glas von einem Bord und schaufelte mit einem Esslöffel Brocken der Gallerte hinein, strich noch etwas Flüssigkeit zusammen und ließ sie dazutropfen. Dann verschloss er das Glas, so fest es ging.érôme zu beruhigen war gar nicht so einfach. Jemand brachte ihm schließlich ein Glas Champagner, und erst danach kriegte sich der Meister halbwegs wieder ein.

»Räumt das da weg«, befahl er mit erstickter Stimme.»Räumt um Gottes willen diese Sauerei weg. Ich gehe mich waschen.«er ging. Die Küchenhilfen machten sich unverzüglich daran, Jeromes Arbeitsplatz wiederherzustellen, sie putzten den Herd und alles drum herum, entsorgten die Überreste, reinigten den Kessel, und natürlich kippten sie auch das Wasser in den Ausguss, in dem das Dutzend Hummer die Stunde vor seinem Ableben verbracht hatte. Es trat den Weg jeglichen Wassers in den Untergrund an, gluckerte in die Kanalisation und mischte sich dort mit allem, was eine Stadt abfließen lässt, um es in recycelter Form wieder in sich aufzunehmen.Glas mit der Gallerte nahm der Lehrling an sich. Er wusste noch nicht, was genau er damit anfangen sollte, also fragte er Jérôme, als dieser mit gewaschenen Haaren und sauberer Kluft wieder in der Küche auftauchte.

»Es war vielleicht gut, dass du was von dem Zeug aufbewahrt hast«, sagte Jérôme düster.»Der Himmel weiß, was das ist.«

»Wollen Sie es sehen?«

»Bewahre, nein! Aber man sollte es untersuchen lassen. Wir schicken es irgendwohin, wo man so was macht. Aber bitte unter Auslassung der Begleitumstände, hörst du? Das alles ist nie geschehen. So etwas geschieht nicht im Troisgros.«Geschichte verließ tatsächlich nicht die Küche des Restaurants. Und das war gut so, denn es hätte ein falsches Licht auf das Troisgros geworfen. Auch wenn man hier nicht die geringste Schuld an dem Vorfall trug, hätte manch einer genüsslich kolportiert, dass im Troisgros die Hummer in die Luft flogen und mit ominösem Gelee um sich spritzten. Nichts war schlimmer für den Ruf eines Spitzenrestaurants als Zweifel an der Hygiene.Lehrling beobachtete das Zeug im Glas sehr genau. Nachdem es sich ebenfalls aufzulösen begann, ließ er etwas Wasser hineinlaufen, weil er dachte, es könne nicht schaden. Die Substanz erinnerte ihn — falls überhaupt an irgendetwas — an Quallen, und die überdauerten ja nur im Wasser, weil sie selber aus nichts anderem bestanden. Offenbar war es eine gute Idee. Die Brocken blieben fürs Erste stabil. Das Troisgros führte einige höchst diskrete Telefonate, an deren Ende man das Glas zur Universität ins nahe gelegene Lyon schickte, um den Inhalt untersuchen zu lassen.landete es auf dem Schreibtisch von Professor Bernard Roche in der Molekularbiologie. Inzwischen war der Zersetzungsprozess der Gallerte trotz Wasserzusatz weiter fortgeschritten, und kaum noch feste Substanz trieb in dem Glas. Das bisschen, was übrig war, unterzog Roche augenblicklich verschiedenen Tests, jedoch zerflossen die allerletzten Klümpchen, bevor er sie eingehender untersuchen konnte. Roche gelang es lediglich, einige molekulare Verbindungen nachzuweisen, die ihn verblüfften und irritierten. Unter anderem stieß er auf ein hochwirksames Neurotoxin, von dem er allerdings nicht wusste, ob es der Gallerte entstammte oder dem Wasser in dem Glas.Wasser, so viel stand fest, war gesättigt mit organischer Materie und diversen Stoffen. Weil er vorläufig nicht die Zeit hatte, es zu untersuchen, beschloss Roche, den verbliebenen Inhalt des Glases zu konservieren und in den nächsten Tagen einer eingehenderen Analyse zu unterziehen, und das Wasser wanderte in den Kühlschrank.selben Abend wurde Jérôme krank. Es begann damit, dass er leichte Übelkeit verspürte. Das Restaurant war voll besetzt. Er achtete nicht weiter darauf und folgte der Choreographie der Küche wie gewohnt. Die zehn nicht geplatzten Hummer waren von einwandfreier Qualität, und kein weiterer wurde benötigt. Trotz des unerfreulichen Vorfalls vom Vormittag lief alles wie am Schnürchen, eben wie man es vom Troisgros gewohnt war.zehn nahm Jeromes Übelkeit zu, und außerdem stellte sich leichter Kopfschmerz ein. Kurz darauf bemerkte er an sich Konzentrationsschwächen. Er vergaß, ein Gericht fertig zu stellen und einige Anweisungen zu geben, und der elegante, perfekte Ablauf geriet unmerklich ins Stocken.Jérôme war Profi genug, um augenblicklich die Reißleine zu ziehen. Er fühlte sich nun wirklich elend, also legte er die Verantwortung für alles Weitere in die Hände seiner Stellvertreterin, einer aufstrebenden, hoch talentierten Köchin, die ihre Lehrjahre in Paris beim ehrwürdigen Ducasse verbracht hatte, ließ sie wissen, dass er einen kleinen Spaziergang im Restaurantgarten machen wolle, und ging hinaus. Der Garten war direkt der Küche angeschlossen. Er war von ausnehmender Schönheit. Bei mildem Wetter wurden die Gäste dort willkommen geheißen, nahmen ihren Aperitif und die ersten Hors d’œuvres ein, um dann mitten durch die Küche ins Restaurant geführt zu werden, nicht ohne interessante Einblicke zu erhalten und hin und wieder eine kleine Demonstration. Jetzt lag der Garten verlassen da, dezent illuminiert.érôme ging einige Minuten auf und ab. Von hier konnte er durch die breite Glasfront das rege Treiben in der Küche weiterverfolgen, aber er merkte, dass es ihm schwer fiel, seinen Blick länger als einige Sekunden zu fokussieren. Er atmete schwer und spürte einen lastenden Druck auf der Brust, trotz der frischen Luft. Seine Beine kamen ihm vor wie aus Gummi. Sicherheitshalber ließ er sich an einem der Holztische nieder und dachte über das Geschehnis vom Vormittag nach. Er hatte das Innenleben des Hummers in den Haaren und im Gesicht gehabt. Ganz sicher hatte er irgendetwas eingeatmet, wahrscheinlich war Flüssigkeit in seinen Mund gelaufen, oder er hatte irgendetwas mit der Zunge aufgenommen, als er sich die Lippen leckte.es nun der Gedanke an das zerplatzte Tier war oder einfach die Folge seiner plötzlichen Erkrankung, jedenfalls erbrach sich Jérôme mit plötzlicher Heftigkeit in die Zierpflanzen. Noch während er da hing, würgend und keuchend, dachte er, dass es jetzt wohl draußen war, das Zeug. Gut so. Er würde einen Schluck Wasser trinken, und dann würde es ihm bestimmt sehr schnell besser gehen.stemmte sich hoch. Alles um ihn herum drehte sich. Sein Kopf fühlte sich glühend heiß an, sein Blickfeld verengte sich, und er schaute in eine Spirale. Du musst aufstehen, dachte er. Aufstehen und in der Küche nach dem Rechten sehen. Nichts darf schief gehen. Nicht im Troisgros.ühsam kam er auf die Beine und schlurfte davon, aber er ging in die verkehrte Richtung. Nach zwei Schritten wusste er nicht mehr, dass er in die Küche hatte gehen wollen. Er wusste eigentlich überhaupt nichts mehr, und er sah auch nichts mehr.den Bäumen, die den Garten umstanden, brach er zusammen.

. Aprilnahm kein Ende.fühlte seine Augen kleiner und kleiner werden. Er spürte, wie sie sich röteten, wie die Lider aufquollen und sich drum herum Fältchen bildeten, für die er zu jung war. Kurz davor, mit dem Kinn auf die Tischplatte zu knallen, starrte er weiter auf den Bildschirm. Seit der Wahnsinn über die Westküste gekommen war, hatte er kaum etwas anderes getan, als Bildschirme anzustarren, ohne bislang mehr als einen Bruchteil des Materials gesichtet zu haben — Aufzeichnungen, deren Existenz sich einer der bahnbrechendsten Erfindungen in der Verhaltensforschung verdankte:Tiertelemetrie.der siebziger Jahre hatten Forscher eine Methode entwickelt, Tiere auf völlig neuartige Weise zu beobachten. Bis dahin waren nur sehr ungenaue Aussagen über Verbreitungsgebiet und Wanderungsverhalten der Arten möglich gewesen. Wie ein Tier lebte, wie es jagte und sich paarte, welche individuellen Ansprüche und Bedürfnisse es hatte, blieb der Spekulation überlassen. Natürlich unterlagen Tausende von Tieren ständiger Beobachtung. Aber fast immer fand sie unter Bedingungen statt, die keine wirklichen Rückschlüsse auf ihr natürliches Verhalten ermöglichten. Ein Tier in Gefangenschaft tat nun mal nicht, was es in freier Wildbahn tat, ebenso wenig wie ein Häftling in einer Zelle repräsentative Daten über sein Leben als freier Mensch geliefert hätte.dort, wo man Tieren in ihrem angestammten Lebensraum begegnete, blieben die Erkenntnisse unzureichend. Entweder suchten sie augenblicklich das Weite oder kamen gar nicht erst zum Vorschein. Tatsächlich wurde so ziemlich jeder Forscher länger vom Objekt seiner Neugier in Augenschein genommen, als er selber es beobachtete. Andere Spezies, die weniger scheu waren — wie etwa Schimpansen oder Delphine —, richteten ihr Verhalten auf den Beobachter aus, reagierten aggressiv oder neugierig, wurden mitunter kokett und setzten sich in Pose, kurz, sie taten alles, um jeder objektiven Erkenntnis entgegenzuwirken. Hatten sie genug, verschwanden sie im Dickicht, erhoben sich in die Lüfte oder tauchten unter die Wasseroberfläche, wo sie sich endlich so verhielten, wie es ihrer Natur entsprach — nur dass man ihnen dorthin nicht folgen konnte.genau diesen Traum hatten die Biologen seit Darwin geträumt: Wie überlebte man als Robbe oder Fisch in den dunklen und kalten Gewässern der Antarktis? Wie erhielt man Einblick in ein Biotop, das von einer geschlossenen Eisdecke überzogen war? Wie sah man die Welt während des Flugs über das Mittelmeer nach Afrika, wenn man nicht in einem Flugzeug saß, sondern auf dem Rücken einer Wildgans? Was widerfuhr einer einzelnen Biene innerhalb von vierundzwanzig Stunden? Wie erhielt man Daten über die Frequenz von Flügelschlägen, über Herzrhythmus, Blutdruck, Fressverhalten, tauchphysiologische Leistungen, Sauerstoffspeicherung und die Folgen anthropogener Einflüsse auf Meeressäuger wie Schiffslärm oder Unterwasserdetonationen?folgte man Tieren dorthin, wohin kein Mensch folgen konnte?Antwort fand sich in einer Technologie, mit deren Hilfe Spediteure die Position ihrer Schwerlaster bestimmen konnten, ohne ihr Büro zu verlassen, und die Autofahrern half, eine Straße in einer völlig fremden Stadt zu finden. Jeder moderne Mensch war mit dieser Technologie vertraut, ohne zu ahnen, dass sie zugleich die Zoologie revolutionierte..Ende der Fünfziger hatten amerikanische Wissenschaftler Konzepte entwickelt, um Tiere mit Sonden auszurüsten. Die US Navy begann wenig später mit dressierten Delphinen zu arbeiten, allerdings scheiterten die ersten dieser Programme an der Größe der Sender. Sie waren einfach zu schwer. Was nützte ein Fahrtenschreiber auf dem Rücken eines Delphins, der Aufschluss über dessen natürliches Verhalten liefern sollte, wenn er eben dieses Verhalten beeinflusste? Man drehte sich eine Weile im Kreis, bis die Mikroelektronik den Umschwung brachte. Plötzlich lieferten schokoriegelgroße Fahrtenschreiber und ultraleichte Kameras alle gewünschten Daten direkt aus freier Wildbahn — unbemerkt von ihren Trägern, die mit knapp 15 Gramm Hightech durch Regenwälder spazierten oder unter den Eisschollen des McMurdo Sounds hindurchtauchten. Endlich gaben Grizzlybären, Wildhunde, Füchse und Karibus Aufschluss über ihre Lebensweise, über Paarung, Jagdverhalten und Wanderrouten. Man flog mit Seeadlern und Albatrossen, Schwänen, Gänsen und Kranichen um die halbe Welt. Am vorläufigen Ende der Entwicklung wurden Insekten mit Minisendern ausgerüstet, die gerade mal ein tausendstel Gramm wogen, ihre Betriebsenergie aus Radarwellen bezogen und die Strahlen in doppelter Frequenz zurückwarfen, sodass die Daten noch in über 700 Metern Entfernung klar zu empfangen waren.Großteil der Messungen bewältigte die satellitengestützte Telemetrie Das System war ebenso einfach wie genial. Die Signale des Tiersenders wurden in den Orbit entsandt und dort von ARGOS, einem Satellitensystem der französischen Raumfahrtorganisation CNES, aufgenommen. Sie fanden ihren Weg zurück zur Betreiberzentrale in Toulouse und zu einer Bodenstation in Fairbanks, USA, von wo sie innerhalb von 90 Minuten an eine Reihe weltweit angeschlossener Institute weitergeleitet wurden — fast so gut wie Echtzeitübertragung.Erforschung von Walen, Robben, Pinguinen und Meeresschildkröten entwickelte sich schnell zu einem eigenen Bereich der Telemetrie. Sie gewährte Einblick in den faszinierendsten, weil unerforschtesten Lebensraum der Erde. Ultraleichte Fahrtenschreiber speicherten Daten aus beträchtlicher Tiefe, registrierten Temperatur, Tauchtiefe und -dauer, Standort, Schwimmrichtung und Geschwindigkeit. Dummerweise durchdrangen ihre Signale kein Wasser, was die ARGOS-Satelliten gegenüber der Tiefsee zur Blindheit verdammte. Buckelwale etwa, die einen Großteil ihres Lebens vor der Küste Kaliforniens verbrachten, hielten sich höchstens eine Stunde pro Tag an der Wasseroberfläche auf. Während Ornithologen ziehende Störche zugleich beobachten und Daten empfangen konnten, waren die Meeresforscher wie abgeschnitten, sobald die Wale abtauchten. Um sie wirklich zu erforschen, hätte man ihnen mit laufender Kamera zum Grund des Pazifik folgen müssen, aber das schaffte kein Taucher, und U-Boote waren zu langsam und zu unbeweglich.der University of California in Santa Cruz fanden schließlich die Lösung in Form wenige Gramm schwerer, druckfester Unterwasserkameras. Sie befestigten die Geräte nacheinander an einem Blauwal, einem See-Elefanten, einigen Weddellrobben und schließlich auch an einem Delphin. Innerhalb kürzester Zeit wurden erstaunliche Phänomene offenbar. Wenige Wochen reichten, um das Wissen über Meeressäuger enorm zu erweitern. Alles wäre wunderbar gewesen, hätte man Wale und Delphine so einfach besonden können wie andere Tiere, doch eben dies gestaltete sich schwierig bis unmöglich. Darum lagen längst nicht so viele Aufzeichnungen über den Lebensraum der Wale vor, wie Anawak sich in diesen Stunden gewünscht hätte, und andererseits mehr als genug. Da niemand zu sagen wusste, wonach man Ausschau halten musste, war jede Aufzeichnung wichtig — und damit Tausende Stunden Bild— und Tonmaterial, Messungen, Analysen und Statistiken.Sisyphos, wie John Ford es nannte.über Mangel an Zeit konnte sich Anawak nicht beklagen. Davies Whaling Station war rehabilitiert — und geschlossen. Nur noch sehr große Schiffe befuhren das Küstengebiet des kanadischen und nordamerikanischen Westens. Das Desaster vor Vancouver Island hatte sich beinahe zeitgleich von San Francisco bis hinauf nach Alaska abgespielt. Im Verlauf der ersten Angriffswelle waren über hundert kleinere Schiffe und Boote entweder gesunken oder schwer beschädigt worden. Am Wochenende schließlich sank die Zahl der Angriffe, weil sich nun überhaupt niemand mehr hinauswagte, sofern er nicht wenigstens den Kiel einer großen Fähre oder eines Frachters unter sich wusste. Immer noch jagten widersprüchliche Meldungen einander. Auch über die Zahl der Todesopfer gab es kaum verlässliche Angaben. Verschiedene Kommissionen und Krisenstäbe unter nationalem Management hatten ihre Arbeit aufgenommen, was eine geradezu invasive Präsenz von Fluggerät zur Folge hatte — allenthalben knatterten Helikopter die Küste entlang, aus denen Soldaten, zusammengepfercht mit Wissenschaftlern und Politikern, aufs Meer starrten und sich an Ratlosigkeit gegenseitig überboten.Natur solcher Stäbe folgend hatten die Dezernatsleiter des Regierungsteams begonnen, externe Spezialisten hinzuzuziehen. Das Vancouver Aquarium mit Ford an der Spitze wurde als wissenschaftliches Lagezentrum rekrutiert, in dem sämtliche relevanten Daten zusammenliefen. Angeschlossen waren nahezu jedes Institut und jede Forschungseinrichtung, die sich mit marinem Leben befasste. Für Ford eine erdrückende Bürde. Er nahm eine Arbeit auf, von der er nicht wusste, worin sie eigentlich bestand. Vom Jahrhundertbeben bis zur nuklearen Terrorattacke existierten Schubladen voller Szenarien, aber nicht hierfür. Ford zögerte nicht lange und schlug seinerseits Anawak als Berater vor, der von allen Wissenschaftlern Nordamerikas und Kanadas vermutlich mehr als jeder andere wusste, was einem Wal im Kopf herumging. Denn nur dort konnte die Antwort liegen: Wenn Wale über Intelligenz verfügten — hatten sie dann noch alle Tassen im Schrank? Und wenn nicht, was war mit ihnen passiert?auch Anawak, in den man so große Hoffnungen setzte, wusste die Antwort nicht. Er hatte sämtliches verfügbare telemetrische Material angefordert, das seit Jahresbeginn vor der Pazifikküste gesammelt worden war. Seit vierundzwanzig Stunden werteten er und Alicia Delaware nun Videosequenzen aus, unterstützt von Mitarbeitern des Aquariums. Sie studierten Positionsdaten, lauschten von Hydrophonen aufgenommenen Geräuschen, ohne zu brauchbaren Resultaten zu gelangen. Kaum einer der Wale hatte telemetrisches Gerät getragen, als sie ihre Wanderungen von Hawaii und Baja California hinauf zur Arktis begonnen hatten, bis auf zwei Buckelwale, deren Fahrtenschreiber kurz nach Verlassen der Baja abgefallen waren. Tatsächlich entstammte die einzige Erkenntnis nach wie vor dem Video, das die Frau an Bord der Blue Shark gemacht hatte. Sie hatten es mehrfach in Davies Whaling Station studiert, zusammen mit anderen Skippern, die geübt in der Identifizierung von Walfluken waren. Nach diversen Durchläufen und Bildvergrößerungen hatten sie schließlich zwei Buckelwale, einen Grauwal und einige Orcas wieder erkannt.hatte Recht gehabt. Das Video war eine Spur.Wut auf die Studentin war ziemlich rasch verflogen. Sie mochte eine vorlaute Klappe haben und schneller reden, als sie dachte, aber hinter der forschen Art erkannte er einen hochintelligenten, analytischen Verstand. Außerdem hatte sie Zeit. Ihre Eltern lebten in den British Properties, Vancouvers elitärem Wohnviertel für die Reichen. Sie boten Alicia ein Leben im Überfluss, ohne sich je blicken zu lassen. Anawak schätzte, dass sie den eklatanten Mangel an Interesse und gemeinsam verbrachter Zeit mit Geld ausglichen, was ihre Tochter nicht sonderlich zu bekümmern schien — versetzte es sie doch in die Lage, einen Haufen davon auszugeben und ansonsten eigene Wege zu gehen. Im Grunde hätte es besser nicht kommen können. Delaware sah die unverhoffte Zusammenarbeit als Chance, ihr Biologiestudium mit Praxis zu unterfüttern, und Anawak brauchte eine Assistentin, nachdem Susan Stringer tot war.…Mal, wenn er an die Skipperin dachte, überkamen ihn Scham und Schuldgefühle, weil er sie nicht hatte retten können. Regelmäßig sagte er sich, dass nichts und niemand auf der Welt Stringer hätte retten können, nachdem der Orca sie gepackt hatte. Ebenso regelmäßig stellten sich nagende Zweifel ein. Was wusste er, der Elaborate und Traktate über das Selbstbewusstsein von Tümmlern veröffentlicht hatte, denn wirklich über die Gedankengänge eines Wals? Wie überzeugte man einen Orca, von seinem Opfer abzulassen? Welchen Argumenten war ein intelligenter Verstand zugänglich, der anders funktionierte als der menschliche?ätte es doch einen Weg gegeben?wieder sagte er sich, dass Orcas Tiere waren. Hochintelligent zwar, aber Tiere. Und Beute war Beute.gehörten Menschen eindeutig nicht ins Beuteschema von Schwertwalen. Hatten die Orcas die im Wasser treibenden Passagiere also überhaupt gefressen?einfach nur getötet?.man einen Orca des Mordes bezichtigen?seufzte. Er drehte sich im Kreis. Seine Augen brannten mit jeder Minute schlimmer. Lustlos griff er nach einer weiteren CD mit digitalen Bilddaten, drehte sie unentschlossen hin und her und legte sie wieder weg. Seine Konzentration war am Ende. Den ganzen Tag hatte er im Aquarium verbracht. Ständig hatte er sich mit irgendjemandem besprochen oder in der Gegend herumtelefoniert, ohne dass sich Fortschritte einstellen wollten. Er fühlte sich ausgelaugt und leer. Müde schaltete er den Bildschirm aus und sah auf die Uhr. Sieben durch. Er stand auf und ging John Ford suchen. Der Direktor war in einer Besprechung, also schaute er bei Delaware vorbei. Sie saß in einem umfunktionierten Besprechungsraum über Fernschreiberdaten.


Дата добавления: 2015-09-29; просмотров: 27 | Нарушение авторских прав







mybiblioteka.su - 2015-2024 год. (0.014 сек.)







<== предыдущая лекция | следующая лекция ==>