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Die Originalausgabe erschien 2004 unter dem Titel »PS I love you« 11 страница



 

Es war schon acht Uhr, aber noch hell, als Holly zu Hause ankam. Sie lächelte, denn die Welt erschien ihr nicht halb so deprimierend, wenn es hell war. Sie hatte den Tag mit Ciara verbracht und über ihre Abenteuer in Australien erzählt. Mindestens alle zwanzig Minuten hatte Ciara ihre Meinung geändert, ob sie Mathew jetzt anrufen sollte oder doch nicht. Als Holly ging, war sie gerade wild entschlossen, nie im Leben wieder ein Wort mit ihm zu reden, was wahrscheinlich bedeutete, dass sie ihn inzwischen längst angerufen hatte.

Als Holly den Weg zur Haustür hinaufging, stutzte sie unwillkürlich. War das nur ihre Einbildung, oder sah der Garten heute irgendwie ordentlicher aus?

Dann hörte sie einen Rasenmäher und drehte sich um. Es war ihr Nachbar, der in seinem Garten zugange war, und sie winkte ihm dankbar zu, weil sie annahm, dass er sich nebenbei auch um ihren gekümmert hatte. Der Nachbar winkte freundlich zurück.

Der Garten war immer Gerrys Angelegenheit gewesen. Zwar war er auch nicht gerade ein passionierter Gärtner, aber da Holly in diesem Bereich absolut unfähig war, hatte er das übernommen. Der Garten war immer sehr schlicht gewesen: ein kleiner Rasen mit ein paar Büschen und Blumen darum herum. Gerry verstand allerdings auch nicht viel von Pflanzen, setzte sie oft zur falschen Jahreszeit, sodass sie eingingen und nur die widerstandsfähigen Büsche übrig blieben. Jetzt sah es aus wie ein verwildertes Feld. Mit Gerrys Tod war auch der Garten gestorben.

Dabei fiel Holly Richards Orchidee ein, und sie lief schnell ins Haus, füllte einen Krug mit Wasser und goss es über die halb verdurstete Pflanze. Sie sah nicht gerade gesund aus, aber Holly schwor sich, dass sie sie nicht eingehen lassen würde.

Sie schob ein Hähnchencurry in die Mikrowelle und setzte sich an den Küchentisch. Auf der Straße draußen hörte man noch Kinder spielen. Das hatte sie als kleines Mädchen immer sehr geliebt: Wenn die hellen Abende kamen, hatten Mum und Dad sie abends lange draußen herumtoben lassen, ohne auf die Schlafenszeit zu achten, und das war immer etwas ganz Besonderes gewesen. Holly ließ sich den Tag noch einmal durch den Kopf gehen und kam zu dem Schluss, dass er insgesamt gut gewesen war. Abgesehen von einer Sache…

Sie blickte auf ihren Ehering und bekam sofort ein schlechtes Gewissen. Als dieser Rob abgehauen war, hatte Holly sich schrecklich gefühlt. Sie hatte einem anderen Mann in die Augen geschaut und daran gedacht, mit ihm auszugehen. Auch in den Jahren ihrer Ehe mit Gerry hatte sie ab und zu andere Männer attraktiv gefunden, aber das war etwas anderes gewesen. Damals waren gut aussehende Männer für sie kein Thema gewesen, denn sie kehrte ja immer nach Hause zu ihrem Mann zurück, den sie liebte, und dachte nicht mehr an den anderen. Jetzt hatten sich die Dinge drastisch verändert. Aber Hollys Herz gehörte immer noch Gerry. Sie konnte nicht plötzlich so tun, als liebte sie ihn nicht mehr, nur weil er nicht mehr da war. Sie fühlte sich immer noch verheiratet, und wenn sie heute Mittag mit Rob einen Kaffee getrunken hätte, wäre sie sich vorgekommen, als würde sie ihren Mann betrügen. Ihr Herz, ihre Seele und ihre Gedanken gehörten immer noch Gerry. Aber er war nicht mehr da.

Gedankenverloren drehte sie an ihrem Ehering. Wann würde sie ihn ablegen? Inzwischen war Gerry schon fast ein halbes Jahr tot. Wann war der richtige Zeitpunkt, den Ring abzunehmen und sich klarzumachen, dass sie nicht mehr verheiratet war? Gab es irgendwo ein Handbuch für Witwen, in dem so etwas stand? Wo sollte sie den Ring aufbewahren? War es besser, ihn wegzuwerfen? Oder ihn nebens Bett zu legen, damit sie sich jeden Tag an ihn erinnerte? Fragen über Fragen. Nein, sie war noch nicht bereit, Gerry aufzugeben, für sie lebte er noch. Die Mikrowelle piepte, das Essen war fertig. Sie holte es heraus und beförderte es auf direktem Wege in den Abfall.

Ihr war der Appetit vergangen.

Später rief Denise an. Sie war in heller Aufregung.»Mach das Radio an, auf Dublin FM, schnell!«



Holly rannte zum Radio.»Ich bin Tom O’Connor, und Sie hören Dublin FM. Falls Sie gerade erst eingeschaltet haben - wir unterhalten uns gerade über Türsteher, die Rausschmeißer der einschlägigen Clubs. Angesichts der Überredungskünste, die die ›Girls and the City‹ zum Einsatz bringen mussten, um ins ›Boudoir‹ zu gelangen, möchten wir gerne wissen, wie Sie über Türsteher denken. Finden Sie die Kerle in Ordnung? Oder eher nicht? Machen Sie ihren Job richtig? Rufen Sie uns an, die Nummer ist…«Holly griff wieder zum Telefon.

»Was haben wir da bloß ausgelöst, Denise?«

»Ja, nicht wahr?«, kicherte sie. Anscheinend fand sie es ganz wunderbar.»Hast du die Zeitungen heute schon gesehen?«

»Ja, aber das ist doch alles ein bisschen albern. Okay, es war eine gute Dokumentation, aber die Artikel waren ziemlich blöd, fand ich.«

»Ich find’s toll! Ich komme drin vor!«, lachte sie.

»Kann ich mir vorstellen.«Auch Holly lachte.

Sie lauschten wieder dem Radio. Irgendein Mann äußerte sich, und Tom versuchte, ihn zu beschwichtigen.

»Oh, hör dir nur meinen Süßen an«, seufzte Denise.»Klingt er nicht wahnsinnig sexy?«

»Hmm… ja«, murmelte Holly.»Ihr seid also noch zusammen?«

»Na klar«, erwiderte Denise beleidigt.»Überrascht dich das etwa?«

»Na, es hält ja jetzt für deine Verhältnisse schon ziemlich lange, Denise«, erklärte Holly hastig.»Du hast immer gesagt, du bleibst mit einem Mann höchstens einen Monat zusammen und dass du es hasst, an eine Person gebunden zu sein.«

»Ja gut, ich hab es bisher nicht länger als einen Monat mit einem ausgehalten, aber ich hab nie behauptet, dass ich es nicht probieren würde. Tom ist ganz anders, Holly«, hauchte Denise.

Holly staunte, dass ausgerechnet Denise so etwas sagte, denn sie war immer fest entschlossen gewesen, den Rest ihres Lebens Single zu bleiben.»Was ist denn so anders an Tom?«Holly klemmte das Telefon zwischen Ohr und Schulter und setzte sich in den Sessel, um ihre Nägel zu inspizieren.

»Ach, es gibt da einfach so eine Verbindung zwischen uns. Als wären wir seelenverwandt oder so was. Er ist so aufmerksam, macht mir dauernd kleine Geschenke, lädt mich zum Essen ein und verwöhnt mich einfach. Und er bringt mich ständig zum Lachen… ich bin einfach unheimlich gern mit ihm zusammen. Ich kann nicht genug von ihm kriegen, ganz anders als bei meinen sonstigen Freunden. Außerdem sieht er auch noch supergut aus.«

Holly musste ein Gähnen unterdrücken, denn Denise sagte nach der ersten Woche von allen ihren neuen Typen das Gleiche. Allerdings änderte sie sonst schneller ihre Meinung, also meinte sie es diesmal vielleicht wirklich ernst.»Ich freue mich für dich«, sagte sie.

Jetzt hatte sich im Radio ein Türsteher zu Wort gemeldet.

»Also, zuerst mal möchte ich euch gern allen sagen, dass wir die letzten Abende ich weiß nicht wie viele Prinzessinnen und Kammerzofen abfertigen mussten. Seit dieser Sendung scheinen die Leute zu denken, wenn sie sich als adlig ausgeben, kommen sie überall rein! Und dazu möchte ich nur sagen: Leute, das funktioniert nicht, also versucht es erst gar nicht!«

Tom lachte, und Holly machte das Radio aus.»Denise«, meinte sie ernst,»ich glaube, die sind alle verrückt geworden.«

 

Am nächsten Tag zwang Holly sich, früh aufzustehen und einen Spaziergang im Park zu machen. Sie brauchte ein bisschen Bewegung, damit sie nicht völlig versackte, und außerdem musste sie sich langsam wirklich um eine Arbeit kümmern. Wo immer sie hinging versuchte sie, sich selbst in einem der dort vorhandenen Jobs vorzustellen. Klamottenläden kamen nicht infrage (das hatte Denise ihr ausgeredet), ebenso wenig Restaurants, Hotels und Pubs, einen normalen Bürojob wollte sie auch nicht, also blieb ihr… eigentlich nichts. Manchmal hing sie irgendwelchen Fantasien nach, wenn sie irgendwelche Filme mit FBI-Agentinnen sah, zum Beispiel. Aber da sie weder in Amerika wohnte noch eine Polizeiausbildung vorzuweisen hatte, war dieser Plan wohl nicht allzu zukunftsträchtig. Vielleicht konnte sie ja zum Zirkus gehen…

Sie setzte sich auf eine Bank beim Spielplatz und lauschte dem fröhlichen Geschrei der Kinder. Nur allzu gern wäre sie auf die Rutsche oder die Schaukel geklettert. Warum musste man überhaupt erwachsen werden, wo es doch viel mehr Spaß machte, ein Kind zu sein? Auf einmal wurde ihr klar, dass sie schon das ganze Wochenende davon geträumt hatte.

Sie wollte keine Verantwortung, sie wollte, dass jemand für sie sorgte und ihr sagte, dass sie sich keine Sorgen zu machen und sich um nichts zu kümmern brauchte. Wie leicht das Leben doch wäre ohne diese ganzen blöden Erwachsenendinge! Irgendwann würde sie dann wieder älter werden und Gerry ein zweites Mal kennen lernen und ihn zwingen, früher zum Arzt zu gehen, und dann würde sie hier neben ihm sitzen und ihren Kindern beim Spielen zuschauen. Wenn, wenn, wenn…

Sie dachte an Richards ätzende Bemerkung, dass sie sich jetzt wenigstens um Kinder keine Sorgen mehr zu machen brauchte. Wenn sie nur daran dachte, fing sie schon wieder an, sich über ihn zu ärgern. Wäre doch nur ein kleiner Gerry auf dem Spielplatz herumgesprungen, den sie hätte ermahnen können, er solle schön vorsichtig sein.

Ein paar Monate bevor Gerry seine Diagnose bekommen hatte, hatten er und Holly darüber nachzudenken begonnen, ob sie eigentlich Kinder haben wollten. Sie waren beide ganz aufgeregt geworden, hatten stundenlang im Bett gelegen, über Namen gegrübelt und sich ausgemalt, wie es wäre, Eltern zu sein. Holly lächelte. Gerry wäre bestimmt ein wundervoller Vater geworden. Sie konnte sich so gut vorstellen, wie er mit seinen Kindern am Küchentisch saß und ihnen bei den Hausaufgaben half, wie seine Alarmglocken losschlugen, wenn seine Tochter einen Jungen mit nach Hause brachte… Sie musste endlich aufhören, in ihren Erinnerungen zu leben und unmöglichen Träumen nachzuhängen. Das führte doch zu nichts.

Wenn man vom Teufel spricht…. dachte Holly, denn in diesem Moment kam Richard mit Emily und Timmy auf sie zu, ganz entspannt und offensichtlich in seinem Element. Holly staunte, denn sie sahen alle drei aus, als hätten sie Spaß - kein sehr vertrauter Anblick. Holly setzte sich auf und wappnete sich innerlich für das bevorstehende Gespräch.

»Hallo, Holly!«, rief Richard fröhlich, als er sie entdeckte, und kam über die Wiese auf sie zu.

»Hallo, was für ein Zufall!«, erwiderte Holly und begrüßte die Kinder, die zu ihr rannten und sie umarmten. Ein nettes Gefühl.»Ihr seid aber weit weg von zu Hause«, sagte sie zu Richard.»Was bringt euch denn alle hierher?«

»Wir haben Oma und Opa besucht, stimmt’s?«, antwortete er und zauste den Kindern die Haare.

»Und wir waren bei McDonald’s«, ergänzte Timmy aufgeregt. Emily lachte.

»Oh, lecker!«, sagte Holly und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.»Ihr habt ja ein Glück! Euer Papa ist klasse, hab ich Recht?«Richard machte ein zufriedenes Gesicht.

»Ist aber nicht gerade Vollwertkost, oder?«, meinte Holly, an ihren Bruder gewandt.

»Ach«, wehrte er mit einer wegwerfenden Handbewegung ab.»Solange es nicht zur Gewohnheit wird, was, Emily?«

Die Fünfjährige nickte ernsthaft, als hätte sie ihren Vater ganz genau verstanden. Mit ihren großen Augen und den rotblonden Locken sah sie ihrer Mutter so ähnlich, dass Holly schnell wegschauen musste. Dann bekam sie aber gleich ein schlechtes Gewissen und lächelte das kleine Mädchen an.

»Na ja, einmal McDonald’s wird sie garantiert nicht umbringen«, stimmte Holly ihrem Bruder zu.

Prompt fasste Timmy sich an den Hals und tat, als würde er ersticken. Sein Gesicht lief rot an, er ließ sich aufs Gras plumpsen und blieb dort reglos liegen. Richard und Holly lachten, aber Emily schien den Tränen nahe.

»Ach du jemine«, scherzte Richard.»Sieht aus, als hätten wir uns geirrt, Holly. McDonald’s hat Timmy anscheinend doch umgebracht.«

Verblüfft sah Holly ihren Bruder an. Hatte er seinen Sohn eben Timmy genannt? Richard stand auf, hob Timmy hoch und legte ihn sich über die Schulter.»Dann müssen wir ihn jetzt wohl begraben.«

Timmy kicherte, kopfüber von der Schulter seines Vaters baumelnd.

»Oh, er lebt ja doch noch!«, lachte Richard.

»Nein, überhaupt nicht«, widersprach Timmy.

Gerührt beobachtete Holly die Vater-Sohn-Szene. Es war eine ganze Weile her, seit sie so etwas gesehen hatte. Ihre Freunde hatten allesamt noch keine Kinder, daher hatte Holly auch wenig mit Kindern zu tun. Wenn sie Richards Kinder jetzt so anhimmelte, konnte mit ihr irgendetwas nicht stimmen. Und ohne Mann in ihrem Leben war es auch keine gute Idee, weiter darüber zu grübeln.

»Okay, wir müssen los«, rief Richard.»Tschüss, Holly.«

»Tschüss, Holly«, wiederholten die Kinder fröhlich, und Holly sah ihnen nach: Richard mit Timmy über der Schulter, daneben Emily, die hüpfte und tanzte und nach seiner Hand griff.

Da ging ein ganz unbekannter Richard, aber Holly fand die Veränderung sehr angenehm. Wer war dieser Mann, der behauptete, ihr Bruder zu sein?

Ach, warum waren eigentlich alle glücklich außer ihr?

 

 

Achtzehn

 

Barbara bediente den Kunden fertig, aber sobald sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, rannte sie in den Pausenraum und zündete sich eine Zigarette an. Im Reisebüro war den ganzen Tag so viel Betrieb gewesen, dass sie keine Mittagspause gehabt hatte. Melissa, ihre Kollegin, hatte sich heute Morgen krankgemeldet, doch Barbara wusste, dass sie in der vorigen Nacht gefeiert und sich ihre Krankheit wahrscheinlich selbst zu verdanken hatte. Jedenfalls steckte Barbara den ganzen Tag allein hier fest, und natürlich war heute so viel los gewesen wie seit Urzeiten nicht mehr. Wenn der November mit seinen deprimierenden dunklen Abenden und seinem beißenden Wind und Regen kam… dann rannten sie ihr hier die Tür ein, um Ferien in der Sonne zu buchen. Barbara schauderte, als sie den Wind an den Fenstern rütteln hörte, und nahm sich vor, selbst auch mal nach Angeboten Ausschau zu halten. Ihr Chef war vor einer Weile verschwunden, um Besorgungen zu machen, und es war ihre erste Gelegenheit, in Ruhe zu rauchen. Als gleich wieder die Glocke über der Ladentür klingelte, fluchte sie im Stillen über den Kunden, der ihr die wohl verdiente Zigarettenpause zunichte machte. Rasch inhalierte sie noch einmal, so tief, dass ihr fast schwindlig wurde, zog ihren knallroten Lippenstift nach und versprühte reichlich Parfüm im Zimmer, damit ihr Chef nachher den Rauch nicht bemerkte. Dann verließ sie den Pausenraum in der Erwartung, den neuen Kunden bereits vor ihrem Tisch warten zu sehen. Aber nein, es war ein alter Mann, der sich mühsam auf die Theke zu bewegte.

»Entschuldigen Sie?«, hörte sie den Mann mit schwacher Stimme fragen.

»Guten Tag, Sir, wie kann ich Ihnen helfen?«, erkundigte sie sich zum hundertsten Mal an diesem Tag. Sie war verblüfft, wie jung dieser Mann in Wirklichkeit war, dass sie ihn erst einmal überrascht musterte. Nur von weitem hatte er durch den gebückten Körper und den Stock alt gewirkt. Seine Haut war weiß, als hätte er jahrelang keine Sonne mehr gesehen, aber er hatte große braune Augen, die sie unter langen Wimpern so freundlich anlächelten, dass sie unwillkürlich zurücklächelte.

»Ich möchte gern eine Reise buchen«, erklärte er leise.»Könnten Sie mir helfen, einen Ort auszusuchen?«

Normalerweise ärgerte Barbara sich über solche Bitten, weil man es ihrer Erfahrung nach keinem recht machen konnte: Die meisten Kunden waren so heikel, dass man stundenlang mit ihnen herumsitzen und Prospekte wälzen musste, bis man den Betreffenden nur noch loswerden wollte und es einem längst gleichgültig war, wo er seinen Urlaub verbrachte. Aber dieser Mann machte einen netten Eindruck, und da er wirklich nicht in der Lage zu sein schien, selbst etwas auszusuchen, würde Barbara ihm gern helfen. Eigentlich überraschte es sie, dass sie ehrlich hilfsbereit sein konnte.

»Kein Problem, Sir, nehmen Sie Platz, dann sehen wir uns ein paar Prospekte an«, sagte sie und zeigte auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch. Um ihm nicht zusehen zu müssen, wie er sich mühsam zu ihr bewegte und hinsetzte, sah sie weg.

»So«, lächelte sie dann.»Gibt es irgendein Land, das Ihnen besonders gefällt?«

»Hmm… die Kanaren… Lanzarote könnte ich mir vorstellen.«

Das wird ja einfacher, als ich gedacht habe, freute sich Barbara.»Möchten Sie im nächsten Sommer fahren?«Er nickte langsam.

Sie arbeiteten sich durch den Prospekt, und schließlich entdeckte der Mann etwas, das ihm offensichtlich zusagte. Barbara war angenehm berührt, dass er ihr zuhörte und ihren Rat beherzigte, ganz anders als die meisten Kunden. Dabei musste sie doch wissen, was am besten war, schließlich gehörte das zu ihrem Job!

»Soll es ein bestimmter Monat sein?«, fragte sie, während sie sich die Preistabellen durchlas.

»August?«, schlug er vor, und die warmen braunen Augen blickten so tief in Barbaras Seele, dass sie am liebsten aufgesprungen wäre und ihn umarmt hätte.

»August ist ein guter Monat«, pflichtete sie ihm bei und setzte rasch hinzu:»Hätten Sie gerne ein Zimmer mit Blick aufs Meer oder Blick auf den Pool? Meerblick kostet dreißig Euro mehr.«

Mit einem Lächeln, als wäre er schon dort, antwortete er:»Mit

Meerblick, bitte.«

»Das ist eine gute Wahl. Möchten Sie allein fahren?«

»Oh… nein, es ist nicht für mich… es soll eine Überraschung für meine Frau und ihre Freundinnen sein.«Jetzt sahen die braunen Augen auf einmal traurig aus.

Barbara räusperte sich nervös.»Das ist aber eine sehr nette Idee, Sir«, sagte sie.»Darf ich dann um Ihren Namen bitten?«

Sie nahm alles auf, und der Mann beglich die Rechnung. Doch als sie die Unterlagen ausdrucken und ihm mitgeben wollte, wehrte er ab.

»Wäre es möglich, dass ich alles hier bei Ihnen lasse? Wie gesagt soll es ja eine Überraschung sein, und wenn ich die Papiere irgendwo

im Haus lasse, habe ich Angst, dass sie sie findet.«

Barbara lächelte; seine Frau war ein echter Glückspilz.

»Ich möchte es ihr erst im August sagen. Meinen Sie, dass Sie die Unterlagen bis dahin aufbewahren können? Meine Frau kommt dann vorbei und holt die Tickets und alles andere selbst ab.«

»Das ist gar kein Problem, denn normalerweise werden die Termine erst ein paar Wochen vor dem Abflug bestätigt, also müssen wir Ihre Frau sowieso nicht vorher anrufen. Aber ich sage meinen Kollegen auch Bescheid, damit bestimmt nichts schief geht.«

»Herzlichen Dank für Ihre Hilfe, Barbara«, sagte er, und wieder war ein trauriges Lächeln in seinen braunen Augen.

»Es war mir ein Vergnügen, Mr….?«

»Nennen Sie mich einfach Gerry.«

»Nun, es war mir ein Vergnügen, Gerry, und ich bin sicher, dass Ihre Frau einen sehr schönen Aufenthalt haben wird. Meine Freundin war letztes Jahr auf Lanzarote, und es hat ihr sehr gut gefallen.«

»Nun, dann gehe ich mal lieber wieder nach Hause, damit keiner denkt, ich wäre gekidnappt worden. Ich darf eigentlich nicht aufstehen, wissen Sie«, lachte er, und Barbara spürte plötzlich einen Kloß im Hals.

Rasch sprang sie auf, um ihm die Tür aufzuhalten. Im Vorbeigehen lächelte er sie noch einmal an, und sie sah zu, wie er langsam ins Taxi stieg, das vor der Tür auf ihn gewartet hatte. Gerade als Barbara die Tür zumachen wollte, kam ihr Chef herein. Barbara schaute zu Gerry hinüber, der noch daraufwartete, dass das Taxi losfuhr; er lachte und hielt ermutigend die Daumen nach oben.

Barbaras Chef warf ihr einen grimmigen Blick zu, weil sie die Theke unbeaufsichtigt gelassen hatte, und marschierte gleich in den Pausenraum.»Barbara!«, schrie er.»Haben Sie etwa wieder geraucht?«

Sie wandte sich zu ihm um.

»Gott, was ist denn mit Ihnen los?«, fragte er verdutzt.»Sie sehen ja aus, als wollten Sie gleich anfangen zu heulen.«

 

Am 1. Juli saß Barbara schlecht gelaunt hinter ihrem Schreibtisch im Reisebüro von Swords. Immer wenn sie arbeiten musste, war schönes Wetter. Gestern und vorgestern hatte sie frei gehabt, und da hatte es natürlich wie aus Kübeln gegossen. Heute genau das Gegenteil. Typisch. Natürlich musste auch noch jeder Kunde, der mit kurzen Hosen oder knappem Oberteil hereinspazierte und einen penetranten Geruch nach Kokos-Sonnencreme verbreitete, ihr unverzüglich mitteilen, dass es diesen Sommer noch nie so herrlich warm gewesen war wie heute. Barbara rutschte in ihrer unbequemen, kratzigen Uniform unruhig auf ihrem Stuhl herum. Sie hatte das Gefühl, als wäre sie wieder in der Schule, und schlug frustriert mit der Faust gegen den Ventilator, der sich mal wieder weigerte zu funktionieren.

»Ach, lass doch, Barbara«, stöhnte Melissa.»Dadurch wird es nur schlimmer.«

»Als wäre das überhaupt möglich«, grummelte Barbara, drehte sich zu ihrem Computer und hämmerte wütend auf die Tastatur ein.

»Was ist denn heute in dich gefahren?«, erkundigte sich Melissa lachend.

»Ach, nichts«, antwortete Barbara durch zusammengebissene Zähne.»Es ist nur der bisher wärmste Tag des Jahres, und wir sitzen in diesem beschissenen Job fest, in einem stickigen Raum ohne Klimaanlage in einer potthässlichen, kratzigen Uniform«, rief sie und hoffte, dass ihr Boss sie hörte.»Weiter nichts.«

Melissa kicherte.»Hör mal, warum gehst du nicht ein paar Minuten nach draußen und schnappst ein bisschen frische Luft? Ich kümmere mich so lange um die Kundschaft«, sagte sie mit Blick auf die Frau, die gerade hereingekommen war.

»Danke, Mel«, sagte Barbara, erleichtert, dass sie einen Moment fliehen konnte. Sie schnappte sich ihre Zigaretten.»Bin gleich wieder da.«

Melissa blickte viel sagend auf die Zigaretten.»Hallo, kann ich Ihnen helfen?«, wandte sie sich dann mit einem Lächeln der neuen Kundin zu.

»Ja, ich hätte gern gewusst, ob Barbara noch hier arbeitet.«

Barbara, die schon an der Tür war, überlegte, ob sie schnell weglaufen oder zurück an die Arbeit gehen sollte. Schließlich entschied sie sich, wenn auch mit einem tiefen Seufzer, für Letzteres. Sie sah die Frau an; sie war hübsch, aber sie starrte ziemlich nervös zwischen Barbara und Melissa hin und her.

»Ja, ich bin Barbara«, sagte sie.

»Oh, gut!«Die Frau machte einen erleichterten Eindruck und nahm hastig vor Barbaras Schreibtisch Platz.»Ich hatte schon Angst, dass

Sie womöglich gar nicht mehr hier sind.«

»Das ist ihr geheimster Wunsch«, brummte Melissa leise und bekam dafür von Barbara prompt einen Rippenstoß.

»Kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte Barbara.

»O ja, das hoffe ich sehr«, meinte die Frau aufgeregt, während sie ihre Tasche durchwühlte. Barbara zog die Augenbrauen hoch und warf Melissa einen raschen Blick zu. Sie mussten sich beide zusammennehmen, um nicht loszulachen.»Okay«, sagte die Kundin schließlich und zog einen zerknitterten Umschlag aus der Tasche.»Das habe ich heute von meinem Mann bekommen und mich ge-

fragt, ob Sie es mir vielleicht erklären können.«

Barbara runzelte die Stirn und starrte auf das Stück Papier auf dem Tisch. Eine Seite aus einem Reiseprospekt, auf die jemand gekritzelt hatte: Swords Reisebüro. Ansprechpartnerin: Barbara.

Stirnrunzelnd betrachtete Barbara die Seite.»Meine Freundin hat vor zwei Jahren mal dort Urlaub gemacht, ansonsten sagt es mir

nichts. Haben Sie keine weiteren Informationen?«Die Frau schüttelte entschieden den Kopf.

»Können Sie denn nicht Ihren Mann bitten, dass er es Ihnen erklärt?«, fragte Barbara etwas verwirrt.

»Nein, er ist nicht mehr da«, antwortete die Frau traurig, und Tränen stiegen ihr in die Augen. Barbara wurde panisch. Wenn ihr Chef mitkriegte, dass eine Kundin ihretwegen weinte, würde sie garantiert entlassen. Sie war schon mehrmals abgemahnt worden.

»Na gut, wenn Sie mir Ihren Namen sagen, kann ich im Computer nachsehen.«

»Ich heiße Holly Kennedy«, antwortete die Frau mit zittriger Stimme.

»Holly Kennedy, Holly Kennedy«, wiederholte Melissa nachdenklich.»Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor. Ah, warten Sie, ich sollte Sie diese Woche anrufen! Das ist ja seltsam! Ich hatte von Barbara strikte Anweisung, Sie aus irgendeinem Grund nicht vor Juli anzurufen…«

»Oh!«, fiel Barbara ihrer Freundin ins Wort - endlich fiel ihr alles wieder ein.»Sind Sie Gerrys Frau?«

»Ja!«Holly schlug sich die Hände vors Gesicht.»War er hier?«

»Er war hier, ja.«Barbara lächelte sie ermutigend an, denn sie vermutete, dass der Mann mit den schönen braunen Augen gestorben war.»Er war ein wunderbarer Mensch«, sagte sie und nahm Hollys Hand.

Verdattert starrte Melissa die beiden an. Was war hier los?

Barbara empfand großes Mitgefühl für die junge Frau, die bestimmt eine schrecklich schwere Zeit durchmachte. Ein Glück, dass ihr wenigstens heute eine schöne Überraschung bevorstand.»Melissa, kannst du für Holly bitte ein Päckchen Taschentücher holen, während ich ihr erkläre, warum ihr Mann hier war?«, sagte sie und ließ Hollys Hand los, um etwas in den Computer einzugeben.

Im Handumdrehen war Melissa mit den Taschentüchern wieder da.»Also, Holly«, erklärte Barbara,»Gerry hat für Sie, eine gewisse Sharon McCarthy und eine Denise Hennessey eine Woche Urlaub auf Lanzarote gebucht, vom 28. Juli bis zum 3. August.«

Jetzt war es mit Hollys Beherrschung endgültig vorbei, und die Tränen strömten ihr über die Wangen.

»Er war ganz sicher, dass er den perfekten Urlaubsort für Sie gefunden hat«, fuhr Barbara fort, der ihre neue Rolle großen Spaß machte. Sie kam sich vor wie eine von diesen Fernsehmoderatorinnen, die ihren Gästen irgendwelche umwerfenden Überraschungen präsentierten.»Das ist der Ort, an den Sie fahren«, sagte sie und zeigte auf das zerknitterte Blatt aus dem Reiseprospekt.»Sie werden eine wunderbare Zeit dort haben, glauben Sie mir. Meine Freundin war vor zwei Jahren dort, wie ich vorhin schon sagte, und es hat ihr unheimlich gut gefallen. Es gibt jede Menge Restaurants und Bars und…«Sie ließ den Satz unvollendet, weil ihr plötzlich klar wurde, dass es Holly wahrscheinlich vollkommen egal war, ob sich Barbaras Freundin auf Lanzarote amüsiert hatte oder nicht.

»Tut mir Leid«, sagte Holly und wischte sich die Augen, nachdem der erste Schock etwas nachgelassen hatte.

»Ach, machen Sie sich keine Sorgen«, sagte Melissa mitfühlend, obwohl sie immer noch nicht richtig kapierte, was eigentlich vorging. In diesem Moment kam leider ein neuer Kunde, und Melissa musste ihre Aufmerksamkeit von Barbara und ihrer interessanten Kundin losreißen.

»Wann war er hier?«, wollte Holly wissen.

Barbara gab wieder etwas in den Computer ein.»Die Buchung wurde am 28. November vorgenommen.«

»Im November?«, stieß Holly hervor.»Da hätte er gar nicht mehr aufstehen dürfen! War er allein?«

»Ja, aber vor der Tür hat ein Taxi gewartet.«

»Um welche Tageszeit war das?«, fragte Holly. Anscheinend wollte sie sich alles möglichst genau vorstellen können.

»Tut mir Leid, aber daran kann ich mich echt nicht mehr erinnern.

Es ist ziemlich lange her…«

»Ja, natürlich, entschuldigen Sie«, unterbrach Holly.

Aber Barbara verstand sie genau. Wäre Gerry ihr Mann gewesen, hätte sie auch jede Kleinigkeit wissen wollen. Sie erzählte alles, woran sie sich erinnern konnte, bis Holly keine weiteren Fragen mehr einfielen.

»Danke, Barbara, herzlichen Dank für Ihre Mühe.«Holly umarmte Barbara über den Schreibtisch hinweg.

»Kein Problem, gern geschehen«, lächelte sie und war sehr zufrieden mit sich und ihrer guten Tat.»Lassen Sie uns bei Gelegenheit wissen, wie es Ihnen gefallen hat. Hier sind Ihre Unterlagen.«Sie reichte Holly den dicken Umschlag und sah ihr nach, wie sie das Reisbüro verließ. Vielleicht war dieser Job doch gar nicht so übel.


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