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Zeus hat viele Jahre lang in der Grotte gelebt, hatte Fundling gesagt, während er sie mit seinem Wagen aus dem Tal von Giuliana gebracht hatte. Seine Mutter hat ihm eine Schildwache zum Schutz gegeben, die Kureten. Dämonen oder Geister, wer weiß das schon. Sie waren seine Leibwächter, seine Diener. Später hat er sie oft herbeigerufen, um seinen Willen zu vollstrecken.

Mythen und Legenden, gewiss. Aber galt das nicht auch für sie selbst, für jeden Arkadier, der die Fähigkeit zur Verwandlung besaß? Sigismondis hatte ihr Geheimnis mit Hilfe der Wissenschaften ergründen wollen, Leonardo Mori hatte ihre Spuren durch Bibliotheken und alte Handschriften verfolgt. Aber keiner hatte zu guter Letzt etwas anderes zusammentragen können als Vermutungen, Thesen – und noch mehr Mythen.

Erneut ließ sie den Lichtkegel über die Felswände geistern. Die Dunkelheit jagte ihr keine Angst ein, weil das, was mit ihnen die Grotte betreten hatte, jede andere Bedrohung um ein Vielfaches übertraf.

Der große Höhlendom war der eindrucksvollste Teil der Grotte, hoch wie das Innere einer Kirche. Sie durchquerten ihn und kamen in eine der Nebenkammern. Laut Fundling war sie vor langer Zeit ein Tempel des Zeus gewesen, hier hatten Anhänger seines Kults ihre Rituale zelebriert.

Die Lamien sind schon einmal dort gewesen, hatte er gesagt. Damals, nachdem sie Lykaon vom Thron gestürzt und getötet hatten.

Sie setzte die Kühlbox ab. Wo der Lichtkegel ihrer Strahler nicht hinfiel, herrschte undurchdringliche Schwärze. Selbst der Zugang, durch den sie gekommen waren, hob sich nur als grauer Fleck von der Dunkelheit ab.

Die Felskammer war weitläufig und leer, und doch kam es Rosa nun vor, als wäre sie bis zum Bersten von Leben erfüllt. Schlagartig fühlte sie sich eingeengt, umzingelt, so als beugte sich jemand über ihre Schulter.

»Das müsste die richtige Stelle sein«, sagte Alessandro.

Unschlüssig standen sie da und blickten auf die Box, horchten auf das sanfte Summen der Kühlung.

»Ach, fuck«, sagte Rosa,»was soll’s.«Und sie ging in die Hocke, legte ihre bebenden Hände an die Verschlüsse und entriegelte den Deckel. Als sie ihn abhob, kam ihr der Gedanke, dass der Gestank hätte schlimmer sein können.

»Komm«, sagte er sanft,»den Rest mach ich.«

»Warte.«Sie zog die andere Tasche heran und packte einige Kerzen aus, dazu ein paar handtellergroße Messingschalen, in die sie aus Papiertütchen Kräuter verteilte. Myrrhe, Lorbeer, Salbei und Thymian. Schalen und Kerzen stellte sie in einem kleinen Kreis auf den Boden und entzündete die Kräuter und Dochte mit Streichhölzern. Der Geruch war so intensiv, dass ihre Augen tränten.

»Okay«, sagte sie,»jetzt.«

Alessandro griff in die Box, hob heraus, was darin gelegen hatte, und legte es in die Mitte des Kreises. Bis hierher hatte Fundling ihnen alles erklärt, jeden einzelnen Schritt.

Und dann geht, hatte er gesagt. Geht und dreht euch nicht um. Ganz gleich, was geschieht, falls etwas geschieht, schaut euch auf keinen Fall um.

Sie standen auf, nahmen Tasche und Box und betrachteten den aufsteigenden Rauch im Schein der Flammen. Schon jetzt war das Zentrum des Kreises fast unsichtbar hinter dem Qualm.

Während sie sich abwandten und langsam mit ihren Taschen davongingen, schien das unerklärliche Gefühl der Enge in der Höhle ein wenig nachzulassen.

Dreht euch nicht um.

Sie verließen den uralten Tempel des Zeus und durchquerten die Haupthöhle.

Schaut euch auf keinen Fall um.

Als sie die Treppe an der Steinschräge erreichten, den Weg nach außen ins rote Abendlicht, blieben sie stehen. Rosa atmete tief ein und spürte, wie die frische Luft den Kräuterdunst aus ihrer Lunge vertrieb.

Alessandro nahm ihre Hand und gemeinsam stiegen sie nach oben.

Sie traten ins Freie. Sie lächelten einander an.

Sie schauten nicht zurück.

 

Eines Tages

Das Meer war die Welt, vom Anfang bis zum Ende.

Inmitten des Blaus ein weißer Punkt, die Gaia und ihr Schweif aus Gischt. Die Gaia mit Kurs auf Portugal.



»Irgendwo dort liegt Sizilien.«Alessandro deutete nach Steuerbord über die rollende, schäumende See.

Rosa nickte über die Reling nach Backbord.»Und da drüben Lampedusa.«Beide Inseln ruhten unsichtbar hinter dem Horizont. Unsichtbar in ihrer Vergangenheit.

Sie hatte sich beim Kapitän die Karten vom Mittelmeer und von seinen Küsten angesehen. Ihr Gefühl sagte ihr, dass sie viel Zeit hier draußen verbringen würden, dass ihr Zuhause jetzt keine Insel mehr war, sondern die See. Der ganze weite Süden.

In Sintra erwartete Iole sie in der Obhut ihres Onkels, im Haus der sonderbaren Signora Institoris. Sarcasmo war bei ihr und Raffaela Falchi. Cristina di Santis war untergetaucht, um unbemerkt so viel wie möglich vom Alcantara-Vermögen abzuzweigen und auf Rosas neue Konten umzuleiten. Im führungslosen Chaos, das die Clans derzeit beherrschte, würde ihr das nicht schwerfallen.

Und Fundling? Er war wieder verschwunden, auf den Spuren seines Vaters und dessen Nachforschungen. Irgendwann würden sie ihn wiedersehen. Er hatte den Tod überlebt – wahrscheinlich hatte er noch weitere Überraschungen auf Lager.

»Tausend Kilometer bis zur Straße von Gibraltar«, sagte Alessandro.»Und dann noch ein Stück an der Küste entlang.«

»Viel Zeit.«

»Zeit ist nie genug.«

Sie lächelte.»Jetzt schon.«

Sie saßen auf dem Oberdeck der weißen Jacht auf einer Couch aus Leder und teilten sich eine dünne Decke. Der Himmel über ihnen war wolkenlos, die Sonne schien und ihre Wärme verriet, dass sie der afrikanischen Küste näher waren als der europäischen.

Rosas nackte Beine schauten unter dem Saum hervor. Sie hatte das Gefühl, nie wieder frieren zu müssen, weil sie alles Frösteln, zu dem sie fähig war, aufgebraucht hatte. In der Höhle und danach, beim Weg zurück ans Licht. Und weil er da war, um sie zu wärmen.

Sie hatten denselben Weg genommen, den einst die Lamien gegangen waren, nachdem sie den König von Arkadien gestürzt hatten. Hatte Zeus das Opfer damals akzeptiert? Wie konnte sie sicher sein, solange sie nicht wusste, was sich ihre Ahnen dafür erbeten hatten? Falls es ihr Wunsch gewesen war, dass er den Fluch aufhob, mit dem er alle Arkadier belegt hatte, so waren sie nicht erhört worden. Denn auch die nächste Generation war mit dem Makel der Metamorphose geboren worden und danach hundert weitere bis zum heutigen Tag.

Wie also würden sie je mit Bestimmtheit wissen, ob sie frei waren? Möglich, dass ihnen vergeben worden war für das Ritual, zu dem der Hungrige Mann sie gezwungen hatte. Aber was war mit dem Gebot, gegen das sie an jedem Tag, mit jedem Atemzug verstießen? Wenn es Panther und Schlange verboten war, sich zu lieben, war dann nicht alles, was sie taten, ein Verstoß gegen das Gesetz der Götter?

Fickt euch, Götter.

»Das werden sie gern hören«, sagte Alessandro mit einem Lächeln. Sie hatte ihren Gedanken laut ausgesprochen.

»Dann wissen sie, dass es von Herzen kommt.«

»Ich bin sicher, dass es nur um die Hochzeit ging. Alles andere kümmert sie nicht. Solange wir uns nicht in Tempeln anbeten lassen, interessieren sie sich nicht für uns.«

»Und wenn Sigismondis Recht hatte?«

»Womit?«

»Wenn es in Wahrheit darum ging zu verhindern, dass eine Lamia und ein Panthera ein Kind miteinander zeugen? Er hat geglaubt, dass es etwas Körperliches sein könnte. Etwas, das die Götter verhindern wollen.«

»Katzenschuppen?«

»Du weißt, was ich meine.«

Er legte den Arm noch fester um sie und gab ihr einen langen Kuss.»Ist das der Augenblick, an dem ich erkennen müsste, dass du schwanger bist?«

»Nein!«, rief sie empört.

Er grinste.»So was passiert.«

»Mir nicht mehr.«

»Nicht sehr romantisch.«

»Du hast die Katze ja nicht gerade im Sack gekauft.«

Jetzt lachte er leise.»Ich kenn dich schon so viel besser als du dich selbst.«

Nun war sie es, die ihre Lippen auf seine presste, weil er manchmal, nur manchmal, ein klein wenig Recht hatte. Nicht sehr. Nur ein bisschen.

Sie lehnte sich zurück, ließ den Kopf in den Nacken sinken und schaute zum Himmel auf. Keine Flugzeuge weit und breit. Keine Vögel.

»Manchmal«, sagte sie,»gehen zwei Menschen aneinander vorbei, sehen sich kurz in die Augen, und alles, was bleibt, ist ein Wunsch. Ein Traum von dem, was hätte geschehen können. Und dann gehen sie mit jedem Schritt weiter voneinander fort und von all ihren Träumen.«

Er streichelte ihr Haar.»Das hätte uns auch passieren können. Damals, am Flughafen in New York. Ich hab dich gesehen, aber du hast mich gar nicht beachtet.«

Alles hätte anders kommen können, wenn das Schicksal sie nicht in der Maschine hintereinandergesetzt hätte. Wenn der Mann neben ihr nicht die Stewardess gerufen und sich über sie beschwert hätte. Wenn Alessandro sich nicht eingemischt hätte.

Ein Jahr früher waren sie schon einmal zusammen im selben Raum gewesen, im Village in New York. So viele Menschen, so viele Gesichter, sie hatten einander nicht mal angesehen. Und wenn es dabei geblieben wäre? Wenn einer von ihnen in den Monaten darauf nur einmal in eine andere Richtung abgebogen wäre, keine falsche Abzweigung, nur eine andere?

»Es hätte so vieles schiefgehen können«, sagte sie.»Und ich meine gar nicht die wirklich schlimmen Dinge. Nur Kleinigkeiten. Wenn ich meinen Flug verpasst hätte. Oder du deinen. Zufälle. Das ist es doch, oder? Wir sind nur durch Zufall zusammen.«

»Glaubst du das wirklich?«

»Und du?«

»Was ich meine, ist, dass die Leute früher für Zufälle ihre Götter verantwortlich gemacht haben. Und wenn das der Grund ist, aus dem wir uns begegnet sind –«

Er legte lächelnd einen Finger auf ihre Lippen.»So kannst du Zusammenhänge für alles konstruieren und landest am Ende immer wieder beim lieben Gott oder bei der großen Weltverschwörung.«

»Oder bei TABULA.«

»Ja. Bei denen auch.«

»Vielleicht haben sie dafür gesorgt, dass du im Flugzeug den Platz hinter mir bekommen hast. Oder dass mein Gepäck verschwunden war und ich Ärger mit der Stewardess hatte. Oder dass du –«

»Hey«, unterbrach er sie leise.»Es spielt keine Rolle mehr. Überhaupt keine.«

Sie atmete tief ein und wurde wieder ruhiger. Der Wind half, der Anblick der See, am meisten aber er. Einfach, weil er bei ihr war. Sein Körper so nah an ihrem.

Schläfrig schloss sie die Augen und spürte wenig später, dass er ihre Lider küsste. Er tat das manchmal, um ihre Träume zu beschützen. Sie lag in seiner Umarmung, fühlte sich ganz geschmeidig, sogar als Mensch.

Die Jacht kämpfte sich durch die Wellen, stampfte in einer Lawine aus Gischt nach Westen.

Schaut euch nicht um.

Nein, ganz sicher nicht. Jetzt nicht mehr.

Dann erwachte sie. Alles war wie zuvor. Er war da und hielt sie. Sie lagen unter der Decke, im warmen, sanften Seewind. Die Motoren brummten tief im Rumpf. Der Himmel war wie leer gefegt. Alles war so gut.

»Ich hab geträumt«, sagte er.

»Ich auch.«

Sie hatte etwas vor mit ihren Träumen. Und mit seinen.

»Eines Tages«, begann sie. Und schwieg wieder.

Irgendwann würde sie ihm davon erzählen.

Nicht heute. Nicht morgen.

Eines Tages, ja, dann schon.

 

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Kai Meyer, geboren 1969, studierte Film- und Theaterwissenschaften und arbeitete als Journalist, bevor er sich ganz auf das Schreiben von Büchern verlegte. Er hat inzwischen über fünfzig Titel veröffentlicht, darunter zahlreiche Bestseller, und gilt als einer der wichtigsten Phantastik-Autoren Deutschlands. Seine Werke erscheinen auch als Film-, Comic- und Hörspieladaptionen und wurden in siebenundzwanzig Sprachen übersetzt.

 


Дата добавления: 2015-11-04; просмотров: 19 | Нарушение авторских прав







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