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Thema: Die linguistische Landeskunde aus synchronischer Sicht

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  5. Vorsicht : Eier! !

1. Der soziokulturelle Wortschatz (SKW) im Fach „LL“.

2. Entstehung des soziokulturellen Wortschatzes in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

 

Das Lernziel im Fach „LL“ besteht heute nicht mehr nur in der Aneigung sprachlicher und kommunikativer Kompetenz, sondern auch im Erwerb der Fähigkeiten, sich in der fremden Kultur zu orientieren und sich in einer interkulturellen Situation sprachlich adäquat zu verhalten. Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es tiefgreifender Einsichten in die soziokulturelle Wirklichkeit und Geschichte des Zielsprachenlandes.

Geht man von der These aus, daß die Sprache ein bestimmtes Weltbild verkörpert, so sind Sprache und Kultur im weiteren Sinne als Phänomene zu betrachten, die sich nur in ihrer Wechselbeziehung ergründen lassen. Denn die Sprache erscheint einerseits durch ihre kumulative Funktion als Speicher und durch ihre kommunikative Funktion als Vermittler soziokultureller Inhalte. Andererseits verhilft die Kenntnis soziokultureller Daten den Lernern zum besseren Verständnis sprachlicher Erscheinungen. Zu diesen gehört in erster Linie die lexikalische Semantik mit ihren einzelsprachspezifischen Strukturierungen wie Wortbedeutung, Polysemie, synonymische Reihen, lexikalisch-semantische Felder und lexikalische Kombinierbarkeit. Darüber hinaus kann man über nationale Spezifika im Hinblick auf Verbalisierungsstrategien und sprachliche Varietäten, also unter stilistischem, pragmatischem, soziolinguistischem, textlinguistischem oder kognitivem Aspekt, sprechen.

Für das Ausbildungskonzept im Fach „LL“ ergibt sich aus dieser Erkenntnis die logische Folgerung, daß Linguistik und Landeskunde nicht als eigenständige, vom sprachpraktischen Unterricht abgesonderte Säulen verstanden werden dürfen. Ihre Aufgabe besteht vielmehr darin, einander unterstützend und bereichernd „den theoretischen Rahmen“ bereitzustellen „in dem die Studierenden ihre praktischen Kenntnisse, Lern- und später Lehrerfahrungen richtig einordnen und je nach Bedarf erweitern können“ (R.Hessky). Besondere Bedeutung kommt dabei dem Teil des Sprachsystems zu, in dem sich landeskundliche und linguistische Perspektiven kreuzen. Er wird von der linguistischen Landeskunde und von der Übersetzungswissenschaft erforscht und ist in der Fachliteratur als landeskundlich orientierte Lexik, als Lexik mit nationalkulturellen oder ethnospezifischen Bedeutungskomponenten bzw. als soziokultureller Wortschatz bekannt.

Entstehung des soziokulturellen Wortschatzes (SKW).

Der SKW ist im Wesentlichen durch sein nationales und historisches Kolorit gekennzeichnet. Die bezeichneten Inhalte sind national – bzw. landesspezifisch und vertreten bestimmte Zeitperioden. Folglich bildet der SKW keine feste Größe: Neue Begriffe finden Eingang, andere hingegen veralten und werden zu Archaismen.

Die Aufnahme neuer Begriffe in den SKW wird besonders durch politische und gesellschaftliche Veränderungen angeregt. Im Dritten Reich bestand beispielsweise die Tendenz, Teile des germanischen Wortguts wieder zu beleben. So wurden weibliche Reichsarbeitsdienstleistende „Arbeitsmaid“ genannt, wobei jeder Buchstabe des Grundwortes eine der Tugenden der deutschen Frau symbolisierte: Mut, Aufopferung. Idealismus, Demut. Dadurch wurde das verhaltete Wort „Maid“ mit neuem Inhalt erfüllt.

Einen Bedeutungswandel anderer Art zeigen die Wörter „abfedern/soziale Abfederung“ und „abwickeln/Abwicklung“. Sie sind mehrdeutig und nur in einer Bedeutungskomponente soziokulturell markiert.Für das Wort „abfedern“ wird in Wörterbüchern nur die Bedeutung „einen Stoß durch Federung abfangen“ angegeben. Als „verbales Kind der deutschen Vereinigung“ hat es als Metapher euphemistischer Prägung eine zusätzliche Bedeutung erhalten und verspricht eine „weiche Landung“ bei „wirtschaftlichen Turbulenzen“. Das Wort wurde zum Sammelbegriff, der inhaltlich präzisiert werden muss. Die „Abwicklung“ als „ordnungsgemäße, schrittweise Abfertigung“ wurde um die Bedeutung „Schließung“, „Liquidation“, „Entlassung“ erweitert. Es entstanden zahlreiche Ableitungen und Zusammensetzungen, die sogar – was früher nicht der Fall war – auf Personen bezogen werden können, so etwa im Titel eines Beitrags von Köhler „Vom Abwickler, der kein Abwickler sein will“. Beide Begriffe haben somit ihre soziokulturelle Relevanz infolge einer Bedeutungserweiterung erlangt, die sich auf typische Merkmale der wirtschaftlichen Situation am Ostdeutschland der ersten Nachwendejahre bezieht. Mit Veränderungen der politischen und gesellschaftlichen Realität verlieren auch sprachliche Einheiten des SKW an Aktualität, verschwinden aus dem Sprachgebrauch und werden zu Historismen und Archaismen. Ein krasses Beispiel aus der jüngsten Geschichte bilden die sogenannten Nach-Wende-Archaismen wie“LPG“, „NVA“, „Jugendfreund“ u.a.m. Sie bezeichnen Realien aus der Ex-DDR. Für wissenschaftliche Zwecke und in der Sprachausbildung bleiben sie trotzdem von Bedeutung, denn sie sind Visitenkarten einer bestimmten Epoche und kommen in zahlreichen Texten und literarischen Werken vor. Außerdem ist zu beobachten, daß sie häufig wieder belebt werden.

So erscheinen in der Jugendprache einige Abkürzungen aus DDR-Zeiten mit neuer Bedeutung und neuer stilistischer Färbung:

KWV (kommunale Wohnungsverwaltung) – „kaputt, wüst, verrottet!“; PGH (Produktionsgenossenschaft Handwerk) – „Pech gehabt“.

Der Ausdruckswert dieser neuen Prägungen ist - ungeachtet ihres allgemeingültigen Inhalts – dadurch zu erklären, daß sie als Sprachspiele an die Ausgangswörter gebunden sind. Ein gutes Beispiel für die permanente Modifikation von SKW stellt der Gebrauch des Spottnamens der Deutschen „der deutsche Michel“ dar. Dieser Name wurde im 16. Jahrhundert von dem Publizisten Sebastian Franck in der abwertenden Bedeutung „einfältig-naiver Mensch“ geprägt. Im Zusammenhang mit den Ereignissen von 1848 hat er einen Bedeutungszuwachs erfahren. „Michel“ ist jetzt der „weltfremde, unpolitische, schlafmützige Deutsche“, wie eine Textstelle aus Heinrich Heines Gedicht „Michel nach dem März“zeigt:

„Derweil der Michel geduldig und gut

Begann zu schlafen und schnarchen

Und wieder erwachte unter der Hut

Von vierunddreißig Monarchen“.

Im 20. Jahrhundert ist der Name in etwas modifizierter Form als allegorische Gestalt eines Vertreters des Ohne-mich-Standpunktes anzutreffen, „des Herrn Ohnemichel, der keinen Gemeinsinn hat“. Konkrete Inhaltek der Ohnemichel-Kampagnen sind wiederum zeitgebunden. Um das Jahr 1950 hat man mit Hinweis, auf den Koreakrieg die Anhänger des Pazifismus, Neutralismus und der Ohne-mich-Bewegung als „Ohnemichels“ verhöhnt. Vierzig Jahre später, in den Wochen des Golfkrieges, wurde „die Haltung der Deutschen (selbst)kritisch mit „Drückeberger“ und „Ohne-Michel“ gekennzeichnet“.

Seit der Vereinigung Deutschlands, die jedoch die Spaltung der Nation durch die „Mauer in den Köpfen“ und „die Mauer der Sprache“ noch nicht beseitigen konnte, ist die Rede von zwei Michels: „Michel arm“ (Michel Ost), Fremder im eigenen Land, und „Michel reich“ (Michel West), der Ober-Deutsche, stehen sich – als Opfer, Besiegter und Verlierer der Einheit bzw. als Sieger – gegenüber“.

1997 endlich wird der wiedervereinigte „deutsche Doppelmichel“ in einer Karikatur festgehalten. Sie zeigt das neue Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen, das während der Hochwasserkatastrophe an der Oder und der gemeinsamen Rettungsaktionen entstanden ist: „Endlich schwitzt zusammen, was zusammengehört“. Diese Bildunterschrift ist als Anspielung auf eine Äußerung Willy Brandts im Herbst 1989 zu verstehen: „Jetzt wachse zusammen, was zusammengehöre“, die in der politischen Diskussion zum geflügelten Wort und gleichzeitig zum Anlass vieler Abwandlungen – meist im verneinenden Sinne – geworden ist.

Insgesamt lässt sich für den SKW die Tendenz nachweisen, daß sein Umfang und seine Verwendungshäufigkeit in gesellschaflich bedeutsamen bzw. kritischen Perioden und an Wendepunkten nationalhistorischer Entwicklung zunehmen. Im Mittelpunkt stehen dabei Begriffe, die besonders geeignet sind, eine bestimmte politische oder soziale Situation auf den Punkt zu bringen.Sie bilden oftmals zahlreiche Synonyme und lexisch-semantische Felder mit komplizierter Struktur und werden zu Schlüsselwörtern, die geeignet sind, „ein Problem auf den Begriff“ zu bringen. Sie sind „Stichwörter der geistigen Situation der Zeit“ und drücken ihr den sprachlichen Stempel auf. Sie „leben in Handels- und Kommunikationszusammenhängen“, „ziehen Kreise, haben Nachbarn, Gegenwörter, Konkurrenten“.

Eine solche Spitzenstellung in der Nach-Wende-Zeit haben „Ossi“ und „Wessi“ eingenommen, die neben der denotativen Bedeutungskomponente die Befindlichkeiten der Ost- und Westdeutschen sowie ihre Urteile und gegenseitigen Vorurteile zum Ausdruck bringen. „Ossi“ und „Wessi“ Beherrschen nicht nur seit nunmehr über zehn Jahren die Szene, sondern treten auch in zahlreichen Zusammensetzungen, Wortverbindungen und Redensarten auf, die ihren konnotativen Gehalt verdeutlichen und erweitern.

„Ossi“ – armer Ossi; doffer Ossi; hilfloser, wehleidiger, lahmer hinterwäldlerischer Ossi; rüde Ossis; Ossi, diese Lachnummer (1991); bekennender Ossi (1993); Ossi zum Anfassen (1997); der neue Ossi (1998); Jammer-, Bieder-, Erz-, Halb-, Original-, Show-, Super-, Vorzeige-, Besser-ossi (1992); Hochglanz-, Zitterossi (1994), Ost-Ossi (1997), Ossiland (1991), Ossiwitz (1993), Ossigefühl (1995), Ossi-Kind (1997), Ossi-Aborigene (1998). Als besondere Prägungen sind „Ossa“ (1992), „Yessi“ (1994) und „das Ossi“ (1997) zu nennen. Daraus wird ersichtlich, daß sich der SKW den aktuellen Entwicklungstendenzen der Sprache nicht entziehen kann. Das Femininum „die Ossa“ spiegelt, wenn auch mit ironischem Beiklang, die Tendenz zum nichtsexistischen Sprachgebrauch wider, während „Yessi“ (young eastern survivor) – die Bezeichnung eines „smarten und egoistischen“ Ostlers, dessen Ziel die „Enrichtung der Wohnung ohne DDR-Erinnerung“ und dessen Statussymbole BMW und Mobiltelefon sind – als Beispiel für die Amerikanisierung der deutschen Sprache gewertet werden kann.

„Wessi“ – Besserwessi (das Wort des Jahres 1991), Angeberwessi (1991); Dünkelwessi (1993); West-Wessi, Verständniswessi (1997); Wessi-Arroganz, Wessi-Brille, Wessi-Helfer (1991); Anti-Wessi-Stimmung, Anti-Wessi-Vorurtel (1993); Wessiphobie (1995); Wessi-Witz (1997).

In der Semantik dieser sprachlichen Einheiten zeigt sich die Asymmetrie in der Lage alten und neuen Bundesbürger des wiedervereinigten Deutschlands („Ossi-Wessi-Schieflage“), in ihr finden die typischen „Ossi-Wessi-Reaktionsmuster“ ihren Niederschlag. Nicht umsonst wurde das anzüglich und kränkend wirkende „Ossi“ vielfach als Unwort abgelehnt.

Neben den sprachlichen Manifestationen der deutsch-deutschen Probleme und Konfrontationen finden sich auch solche, die „Vokabeln des Zusammenwachsens“ genannt werden können: Außer dem schon vorgestellten „Doppelmichel“ (1997) gehören dazu „Gesamti“ (1991), „Gesamtdeutsche“ (1995), „Nordis“, „Osswessi“ (1992) und das weiter verbreitete „Wossi“ (1991), das würdigend für einen Wessi gebraucht wird, der in Ostdeutschland Fuß gefasst hat und von den Ostdeutschen im Gegensatz zum „Westimport“ akzeptiert wird. Aus der westlichen Perspektive wurde „Transwessit“ als Bezeichnung des anpassungsbereiten „neuen Ossis“ „bis zu seiner vollständigen Verwestlichung“ gebildet.

P.S. Die Beispiele sind dem GfdS-Band „Wörter der Jahre 1985-1995“ oder den entsprechenden Jahresbeiträgen aus dem „Sprachdienst“ entnommen.

 

VORLESUNG 6

Thema: Die linguistische Landeskunde aus synchronischer Sicht (Vortsetzung)

1. Bedeutungskonstitution des soziokulturellen Wortschatzes.

2. Historisches Hintergrundwissen beim Verständnis des soziokulturellen Wortschatzes.

 

Traditionell werden sprachliche Einheiten der Zielkultur, welche in der Ausgangskultur keine oder nur teilweise Entsprechungen haben, in äquivalentlose Lexik, konnotierte Lexik und Hintergrundlexik eingeteilt. Diese Einteilung hilft die nationalkulturellen Besonderheiten des einen Landes von dem eines anderen abzugrenzen. Bei der Bestimmung der semantischen Struktur des SKW unterscheidet man zwischen dem lexikalischen Begriff und dem lexikalischen Hintergrund. Die SKW-Einheiten, meist Realienwörter, deren nationalkulturelle Spezifik auf der begrifflichen Ebene liegt – z.B.: „DDR“, „BRD“, „Berliner Mauer“, „Montagsdemonstration“ – werden äquivalentlose Lexik genannt und als Kern des ganzen Korpus betrachtet. Sprachliche Einheiten, die fremdsprachige Äquivalente haben und sich davon nicht durch die begriffliche Bedeutungskomponente sondern auch durch sekundäre, den Begriff begleitende Inhalte, also durch den Lexikalischen Hintergrund, unterscheiden – etwa „Gymnasium“, „Lehrling“ und „ Mensa“ – zählen zur Hintergrundlexik. Wörter und Wendungen mit gleichem denotativen, aber unterschiedlichem konnotativen Gehalt fallen in die Kategorie der konnotierten Lexik. So kann das Wort „Quark“ in der deutschen Sprache negativ konnotiert sein, während es im Russischen immer neutral ist. Bestimmte Eigenschaften werden in beiden Sprachen mit verschiedenen Tieren assoziiert, z.B. „Rabenmutter“ und „зозуля” (“Kuckuck“). Aus dieser Einteilung allein lässt sich jedoch der didaktische Wert der SKW-Einheiten nicht immer bestimmen, zumal die Grenzen zwischen den Kategorien fließend sind. Was die äquivalentloseLexik angeht, so sind Realienwörter mit konnotativer Bedeutungskomponente bzw. mit reichem assoziativen Gehalt (Konnotationen im engeren und weiteren Sinne) von besonderem Wert. Beispielsweise enthalten das Anthroponym „Ludwig II.“ und die Namen der Königsschlösser „Neuschwanstein“, „Linderhof“ und „Herrenchiemsee“ emotionalwertende Obertöne, die mit der Persönlichkeit des Lieblingskönigs der Bayern und mit dem Ruf der in Bayern zu Kultstätten gewordenen Schlösser verbunden sind. Auch das Wort „Trabi“ verfügt im heutigen Deutsch über eine ausgeprägte soziokulturelle Komponente, die weit über die Bezeichnung des typischen DDR-Autos hinausgeht. Als „DDRmobil“ berühmt und wegen starker Luftverschmutzung berüchtigt, aus dem Alltag weitgehend verschwunden und durch das Denkmal in Chemnitz verewigt, stellt es – für die einen verfemt, für die anderen als Kultauto aufgewertet – ein Symbol der vergangenen Epoche dar: „Der Trabi ist tot, es lebe der Trabi!“

Die Spezifik vieler SKW-Einheiten (wie die Analyse des Wortschatzes des Dritten Reiches zeigt) besteht nicht in ihrer gegenständlichen Bedeutung, sondern in der sie durchdringenden emotionalen Atmosphäre sowie in der magischen Funktion, die ihnen oblag. Das verdeutlicht er am Beispiel der Wörter „Siegfriede“ und „Siegerfriede“. Sie sind einander zwar äußerlich sehr ähnlich, hatten jedoch vollkommen unterschiedliche Bedeutungen: „Frieden durch den Sieg Deutschlands“ das erste, „Frieden nach dem Sieg der Alliierten“ das zweite. Diese Bedeutungsunterschiede sind nur unter Berücksichtigung des historischen Hintergrunds verständlich. Auf landeskundlichen Hintergrundkenntnissen beruht auch das Verständnis zahlreicher expressiver und sprachökonomischer Wendungen sekundärer Nomination, in denen der soziokulturelle Inhalt periphrasiert oder metaphorisiert und durch die innere Form präsentiert wird. Da landeskundliche Hintergrundkenntnisse von besonderer Natur sind, d.h. kein vollständiges und hierarchisch geordnetes System darstellen, sondern in Form von lokalen Assoziationen existieren, können soziokulturell relevante Erscheinungen aus beliebiger Sicht nach unterschiedlichen Kriterien charakterisiert werden. Dazu einige Beispiele:

Eine Bescheinigung, die die Unschuld einer Person belegt, wird nach dem Waschmittel Persil als „Persilschein“ bezeichnet: Sie wäscht die betreffende Person weiß. Entstanden ist der Begriff im Zusammenhang mit der Entnazifizierung Deutschlands durch die Besatzungsmächte nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie ist mittlerweile in den Wortschatz der Standardsprache eingegangen. Auch andere Beispiele können in diese Kategorie eingeordnet werden. So bekam der Besoldungszuschlag für deutsche Beamte, die in die fünf neuen Bundesländer versetzt wurden, die bildliche und durch das Bestimmungswort des Determinativkompositums reich konnotierte Bezeichnung „Buschzulage“ („Busch“ – dichter tropischer Wald, Dschungel).

Das bemerkenswerte Verb „gaucken“ – „sich gaucken lassen“ wurde vom Namen des Leiters der Behörde zur Überprüfung der Unterlagen des DDR-Staatssicherheitsdienstes, Joachim Gauck, abgeleitet.

Das in der inneren Form fixierte Merkmal verleiht der sprachlichen Einheit neben der inhaltlichen (sprachexternen) soziokulturellen Relevanz zusätlich eine sprachinterne soziokulturelle Relevanz. Sie beruht auf der spezifischen Darstellung des außersprachlichen Inhatls, die sich von Sprache zu Sprache aufgrung nationalkultureller Motivierungen unterscheidet. So wird im Deutschen seit 1997 Misserfolg, „Schwanken und Ins-Schleudern-Kommen“ des Gegners häufig als „Elchtest“ bezeichnet: „Er hat den Elchtest nicht bestanden“. Diese Formulierung geht auf einen öffentlichen Skandal in der Mercedes-Benz AG zurück, der dadurch entstanden ist, dass ein neuer Wagen des Unternehmens, die A-Klasse, einen international standardisierten Fahrzeug-Sicherheitstest, den sogenannten Elchtest, nicht bestanden hat. Nach deutlicher tritt sprachinterne soziokulturelle Relevanz hervor, wenn der sekundären Nomination eine SKW-Einheit zugrunde liegt. Solche Bildungen zeichnen sich dadurch aus, daß sie, ohne ihren Status als SKW-Einheiten zu verlieren, nicht nur nationalspezifische, sondern auch allgemeingültige Inhate bezeichnen können. Ein Beispiel dafür ist der Sozialkasper“ (1993), ein Begriff zur Verballhornung von Sozialarbeitern. So kann die nationale Spezifik sowohl auf der inhaltlichen als auch auf der formalen Ebene zutage treten. Hier lassen sich folgende Nominationsmuster feststellen:

1. Zur Bezeichnung neuer soziokultureller Sachverhalte wird im Sprachsystem bereits vorhandene Lexik mit nationalkultureller Komponente wieder aufgegriffen und aktualisiert, z.B.: „der moderne Gauck-Persilschein“ oder „Neugründerjahre“ – ein Begriff, in dem die wirtschaftliche Situation in Ostdeutschland Anfang der neunziger Jahre mit der Zeit des scheinbaren wirtschaftlichen Aufschwungs von 1870-1873 verglichen wird.

2. Neue Wörter entstehen als Analogiebildungen in Anlehnung an bekannte Lexeme: „Entstasifizierung“ zu Entnazifizierung, „entDDResieren“ zu entnazifizieren, „Berliner Republik“ zu Weimarer Republik.

3. Es gibt Einmalbildungen, die den Charakter von Wortspielen haben, z.B.: das 1993 vom Schauspieler und Kabarettisten Uwe Steimle geprägte Wort „Ostalgie“ für die DDR-Nostalgie der Ostdeutschen und für ihre wieder erwachte Sehnsucht nach Ostprodukten: „Ostschrippe – richtige Schrippe“.

In diese Kategorie fallen auch Anspielungen auf den Namen des ehemaligen Bundeskanzlers in Demonstrationen 1991: „Wir lassen uns nicht verkohlen!“, „Arbeit statt Kohllaps!“ (Kollaps), die Verballhornungen des faschistischen Jargons, z.B.: die in Victor Klemperers Tagebüchern fixierte Transformation der Abkürzung von „Luftschutzraum – LSR“ in „Lernt schnell Russisch!“ sowie Abwandlungen von stehenden Verbindungen und festgeprägten Sätzen. Beispielsweise wurde die berühmte Parole der Wende „Wir sind ein Volk“, die den Höhepunkt des nationalen Bewustseins und des Willens zur Vereinigung der Nation dokumentierte, in der Folgezeit, als die „Wir-sind-ein-Volk-Euphorie“ verflogen war, mehrmals transformiert. Die verlorenen Illusionen fanden ihren Ausdruck etwa in dem ungrammatischen Satz des Jahres 1994: „Wir sind zwei Volk“.

Zu den SKW werden auch die allgemein gebräuchlichen Schlüsselwörter gerechnet, die bestimmte Etappen in der Entwicklung einer Gesellschaft charakterisieren. Soziokulturell aufschlussreich sind dabei die Besonderheiten des Gebrauchs und Bedeutungsmodifizierungen. Dazu exemplarisch ein Beispiel für viele. Das politische Wort „Klasse“ wurde in der BRD zusammen mit den anderen Einheiten des Klassenkampfvokabulars seit 1950 stigmatisiert, gängig war die Vokabel „Sozialpartner“. 1991 taucht „Klasse“ mit der Verschärfung der wirtschaftlichen Situation in Ostdeutschland wieder auf. Während in den Medien die SED-Funktionäre als „first-class-Genossen der klassenlosen Gesellschaft“ angeprangert werden, „sehen sich viele in den östlichen Ländern in einer neuen „Zweiklassengesellschaft“, einem neuen „Zweiklassensystem“.

Unbestritten ist, daß der SKW große Verständnisschwierigkeiten in sich bergen kann. Aus der didaktischen Perspektive heraus stellt sich die Frage, welche Bestandteile des SKW für die erfolgreiche interkulturelle Kommunikation und die Rezeption verschiedener Texte unentbehrlich sind. Bei der Auswahl der SKW-Einheiten ist das historische Prinzip wichtig. Die zukünftigen Fremdsprachenphilologen sollten mit dem Sprachgebrauch der wichtigen Epochen bekannt gemacht werden: Für die deutsche Sprache des 20. Jahrhunderts sind das der Sprachgebrauch im Dritten Reich, die Sprache des geteilten Deutschlands sowie der Sprachgebrauch der Wende- und Nachwendezeit. Dabei ist dem aktuellen SKW Vorrang zu geben, weil er nicht immer oder erst nach Ablauf einer bestimmten Zeit in den Wörterbüchern fixiert wird. Da es kaum möglich sein dürfte, den gesamten SKW einer Epoche zu vermitteln, sollte darauf geachtet werden, die jeweiligen Schlüsselwörter auszuwählen und den Studierenden daneben ausreichendes historisches Hintergrundwissen an die Hand zu geben, um sie in die Lage zu versetzen, sich ihnen unbekannte Wörter im Kontext selbständig erschließen zu können. Dazu sind Kurse wie Landeskunde und Soziolinguistik besonders gut geeignet.

Bei der Wahl des SKW für den Unterricht müssen zudem seine strukturell-semantischen und stilistischen Besonderheiten berücksichtigt werden. Wörter, freie Wortverbindungen und idiomatische Wendungen des SKW können im Fach Lexikologie behandelt werden, wo sie einerseits zur Veranschaulichung semantischer Gesetzmäßigkeiten dienen, und die Studierenden andererseits mit den Besonderheiten des SKW aus semasiologischer und onomasiologischer Sicht bekannt gemacht werden. Zu diesem Korpus gehören unter anderem Sprichwörter, Slogans und Aphorismen, die in ihrer Gesamtbedeutung, in der Bedeutung einzelner Komponenten oder auf der formalen Ebene nationalkulturell geprägt sind, z.B.: „Nix Ossi, nix Wessi – Wir sind alle Nordis!“ – Slogan der Gewerkschaft in Mecklenburg-Vorpommern.

„Die Kleinen hängt man, die Großen läst man laufen“ – Sprichwort des Jahres 1992 im Zusammenhang mit der Debatte um den Honecker-Prozess.

Oft erscheinen bekannte Aussprüche in einer sprachspielerisch-modifizierten Form. Die neue Aussage gewinnt dadurch zwar an Expressivität, kann jedoch nur im Zusammenhang mit dem „Muster“ dekodiert werden: „Jetzt wäscht zusammen, was zusammengehört“ – Werbung des ersten gesamtdeutschen Waschmittels. „Deutschland eilig Vaterland; Deutschland einig Mutterland?; Deutschland einig Autoland! – Anspielungen auf ein Zitat aus DDR-Nationalhymne: „Deutschland, einig Vaterland: Dieses Zitat wird je nach Bedarf abgewandelt, um die Unzufriedenheit mit politischen Entscheidungen zum Ausdruck zu bringen, hier mit dem zu schnellen Gang der Wiedervereinigung, mit der unzulänglichen Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen und mit der rasanten Zunahme der Verkehrsdichte in den neuen Bundesländern. Diese Beispiele bieten aktuellen Stoff für Stilistik und Textinterpretation.


Дата добавления: 2015-11-30; просмотров: 94 | Нарушение авторских прав



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