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Analytik des Erkenntnißvermögens. 9 страница

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Aber auch hier war die Wahrheit stärker als der mit ihr ringende Philosoph. Er mußte bekennen, erst mit Umschweifen:

Im Nervensystem objektivirt sich der Wille nur mittelbar und sekundär.

(W. a. W. u. V. II. 289.)

dann geradezu:

Also der Wille zu erkennen, objektiv angeschaut, ist das Gehirn; wie der Wille zu gehen, objektiv angeschaut, der Fuß ist, der Wille zu verdauen, der Magen, der Wille zu greifen die Hand, zu zeugen die Genitalien u.s.w.

(W. a. W. u. V. II. 293.)

An sich selbst und außerhalb der Vorstellung ist auch das Gehirn, wie alles Andere, Wille.

(W. a. W. u. V. II. 309.)

Verhängnißvoller Widerspruch! Denn auf der ersteren Ansicht, die in den letzteren Stellen so unbedingt widerrufen wird, ist Schopenhauer’s Aesthetik zum Theil aufgebaut. Dieser wird mithin durch den Widerspruch eine fast tödtliche Wunde von ihm selbst beigebracht.

Der wahre Sachverhalt ist, wie ich in meiner Philosophie gezeigt habe, kurz der folgende. Dem Willen zum Leben ist die Bewegung (innere Bewegung, Trieb, Entwicklung) wesentlich. Sie zeigt sich als Wirksamkeit. Ein bewegungsloser Wille ist eine contradictio in adjecto. Leben und Bewegung sind identisch und Wechselbegriffe. Im unorganischen Reich ist die Bewegung des Individuums ganz und ungetheilt, weil der Wille ein einheitlicher ist. Im organischen Reich dagegen ist die Bewegung eine resultirende, weil sich der Wille gespalten, Organe aus sich ausgeschieden hat. Im Thier nun ist die Spaltung eine derartige, daß der eine Theil der gespaltenen Bewegung nochmals auseinandergetreten ist in |

i472 ein Bewegtes und ein Bewegendes, in Irritabilität und Sensibilität, welche, zusammengefaßt und dann verbunden mit der ungespaltenen Theilbewegung, die ganze Bewegung, wie sie einheitlich im unorganischen Reich auftritt, ausmachen. Ein Theil der Sensibilität, also eine Bewegungserscheinung, ist der Geist. Je nachdem sich nun ein größerer oder geringerer Theil der Bewegung in ein Bewegtes und ein Bewegendes gespalten, oder was dasselbe ist, je nachdem ein kleinerer oder größerer Theil der Bewegung als ganze Bewegung zurückgeblieben ist, hat ein Thier einen größeren oder kleineren Intellekt.

Der menschliche Geist, wie der Intellekt des kleinsten Thierchens, ist hiernach nichts Anderes, als ein Theil der dem Willen wesentlichen Bewegung. Er ist sein aus ihm herausgetretener Lenker zunächst für die Außenwelt. Hieran knüpfe ich die Erklärung des Instinkts, der nichts Anderes ist, als der ungespaltene Theil der ganzen Bewegung.

Es ist also einerlei, ob ich sage: der Stein drückt seine Unterlage, das Eisen verbindet sich mit Sauerstoff, die Pflanze wächst, scheidet Sauerstoff aus und athmet Kohlensäure ein, das Thier ergreift seine Beute, der Mensch denkt, oder ob ich schlechthin sage: der individuelle Wille ist, lebt oder bewegt sich. Alles individuelle Leben ist nur individuelle Bewegung des Willens.

Hieraus erhellt, daß der zum Wesen des Willens gehörige Intellekt (Theil seiner Bewegung) gar nicht in ein antagonistisches Verhältniß zu ihm treten oder gar Macht über ihn erlangen kann. Ueberall in der ganzen Natur haben wir es nur mit Einem Princip zu thun, dem individuellen Willen, zu dessen Natur, auf einer bestimmten Stufe, der Intellekt gehört.

Schopenhauer erfaßte den Intellekt ebenso wenig an der Wurzel, wie die Vernunft. Wie er dieser nur die Function, Begriffe zu bilden etc., zusprach, so machte er den Intellekt zu einem zum Willen Hinzugetretenen, zu einem vom Willen gänzlich Verschiedenen, während er sich doch ganz im Allgemeinen hätte sagen müssen, daß die Natur immer nur Vorhandenes weiterbilden, Nichts aus Nichts entstehen lassen kann. Der Intellekt lag schon in der Bewegung des feurigen Urnebels der Kant-Laplace’schen Theorie.

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i473 Mit diesem Irrthum Schopenhauer’s sind zwei andere eng verknüpft. Der eine ist die Einschränkung des Lebens auf Organismen, welches Verfahren um so unbegreiflicher ist, als er doch allem Existirenden den Willen zum Leben zu Grunde legt. Damit durchlöcherte er mit eigener Hand diesen guten Ausdruck. Er sagt:

Nur dem Organischen gebührt das Prädikat Leben.

(W. a. W. u. V. II. 336.)

Lebendig und organisch sind Wechselbegriffe.

(W. i. d. N. 77.)

wogegen ich mit aller Entschiedenheit protestire. Alles was existirt, ohne Ausnahme, hat Kraft, Kraft ist Wille und der Wille lebt.

Der zweite Fehler ist die absichtliche Herabwürdigung des Gefühls, das, wie die Materie, unstät und flüchtig in seinem System herumirrt. Er sagt, das Gefühl allgemein besprechend,

der eigentliche Gegensatz des Wissens ist das Gefühl.

(W. a. W. u. V. I. 61.)

Die Vernunft befaßt unter den einen Begriff Gefühl jede Modification des Bewußtseins, die nur nicht unmittelbar zu ihrer Vorstellungsweise gehört, d h. nicht abstrakter Begriff ist.

(ib. 62.)

welche Erklärung das Gefühl zwischen Himmel und Erde schweben läßt.

Nachdem er es auf diese Weise herrenlos gemacht hatte, heftete er es, als es gebieterisch ein Unterkommen forderte, nämlich in der höchsten Steigerung als Gefühl der Wollust und des Schmerzes, ganz willkürlich direkt an den Willen.

Unmittelbar gegeben ist mir der Leib allein in der Muskelaction und im Schmerz oder Behagen, welche beide zunächst und unmittelbar dem Willen angehören.

(W. a. W. u. V. II. 307.)

Dies ist grundfalsch. Das Gefühl beruht einzig und allein auf dem Nervensystem, indirekt auf dem Willen. Lassen wir es dem Willen unmittelbar inhäriren, so müssen wir auch den Pflanzen und den chemischen Kräften Empfindung zusprechen. In der Natur trat es zuerst auf, als der Wille seine Bewegung änderte, oder mit anderen Worten, als das erste Thier entstand. Das Gefühl gehört zum Gefolge des Lenkers. Ein je größerer Theil der Bewegung – objektiv betrachtet – sich aus dem Willen als Nervenmasse ab|geschieden

i474 hat, desto größer ist die Empfänglichkeit für Lust und Unlust, Schmerz und Wollust. Im genialen Individuum erreicht sie ihren Höhepunkt. Ohne Nerven kein Gefühl.

Schopenhauer mußte den so klaren Sachverhalt verdunkeln, weil er den Intellekt vom Willen ablöste und ihn etwas gänzlich Verschiedenes sein ließ. – Der Geist, aus dem Willen herausgetreten, steht beim Menschen in dreifacher Beziehung zum Willen. Zuerst lenkt er seine Bewegung nach außen, dann läßt er seine Akte mit Lust und Unlust, Schmerz und Wollust begleitet sein, schließlich ermöglicht er ihm den Blick in sich selbst. Die letzteren Beziehungen sind von der größten Wichtigkeit. Bildlich ausgedrückt ist Wille und Geist ein blindes Pferd mit einem aus ihm herausgewachsenen, mit ihm verwachsenen Reiter. Beide sind Eines und haben folglich nur ein Interesse: die beste Bewegung. Trotzdem kann zwischen beiden eine Meinungsverschiedenheit eintreten. Der Reiter, der aus eigener Kraft gar keiner Bewegung fähig ist und ganz vom Pferde abhängt, sagt zu diesem: dieser Weg führt dahin, jener dorthin, ich halte diesen für den besten. Demungeachtet kann sich das Pferd für den anderen entscheiden, denn es allein hat zu bestimmen und der Reiter muß immer nach der gewählten Richtung hinlenken. Wäre nun der Reiter nur Lenker, so wäre sein Einfluß =0. Aber er ist mehr, er ist Schmerz- und Lustspender für den Willen. Hierdurch wird er immer mehr ein Berather, dessen Stimme ungestraft nicht überhört werden darf. Durch dieses eigenthümliche Verhältniß giebt es Menschen, deren Wille immer mit der Vernunft übereinstimmt. Aus dieser seltenen Erscheinung hat man aber fälschlich gefolgert, daß die Vernunft den Willen direkt bestimmen, ihn geradezu zwingen könne, was nie der Fall ist. Immer entscheidet der Wille selbst, aber durch die Erfahrung gewitzigt, kann er dahin kommen, daß er, mit Hintansetzung heftiger Begierden, seinem Berather stets folgt. So antwortet die ehrlich befragte Natur, die nie lügt.

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Nach dieser Abschweifung kehren wir zur Hauptsache zurück. Schopenhauer übertrug also den im Innern gefundenen, aber nicht nothwendig mit Geist verbundenen Willen auf alle Erscheinungen der Natur. Zu diesem Verfahren war er vollständig |

i475 berechtigt, aber die Ausführung mißlang ihm zum Theil, weil er von der Physik (im engeren Sinne), anstatt von der Chemie ausging.

Betrachten wir nämlich das unorganische Reich ganz unbefangen, so ist es aus nichts Anderem zusammengesetzt, als aus den einfachen chemischen Kräften, oder, objektivirt, aus den einfachen Stoffen. Diese Grundstoffe und ihre Verbindungen sind, nach meiner Philosophie, Individuen, d.h. jeder Grundstoff, sowie jede Verbindung von Grundstoffen, hat durch besondere eigenthümliche Eigenschaften eine bestimmte Individualität, welche sich von allen anderen abschließt, d.h. sich als Individualität behauptet, so lange sie kann oder will. Die Individualität wird zunächst dem ganzen Stoff, oder der ganzen Verbindung beigelegt, also z.B. allem Schwefel, aller Kohlensäure, dann auch der einzelnen Erscheinung, da der geringste Theil dieselben Eigenschaften hat wie das Ganze.

Die physikalischen Kräfte gehören nun zum Wesen dieser Individuen und haben durchaus keine Selbständigkeit. Man hat stets nur an den Körpern Undurchdringlichkeit, Schwere, Starrheit, Flüssigkeit, Cohäsion, Elasticität, Expansion, Magnetismus, Elektricität, Wärme u.s.w. wahrgenommen, noch niemals getrennt von ihnen. Schopenhauer machte aber eben diese Kräfte zur Hauptsache und warf alle chemischen Stoffe und Verbindungen in den einen Topf, Materie, an welcher sich die physikalischen Kräfte äußeren, um deren Besitz sie unaufhörlich kämpfen. Eine verkehrtere Betrachtung der unorganischen Natur ist nicht möglich. Weil er mit der Materie nicht in’s Reine kommen konnte, mußte er irren. Der Fehler erzeugte selbstverständlich viele andere, welche namentlich in der Aesthetik hervortreten, wie wir sehen werden.

Die gedachten physikalischen Kräfte sind nach Schopenhauer die untersten Objektivationen des Willens zum Leben.

Ihnen schließen sich die Pflanzen, Thiere und Menschen, als höhere Stufen, an. Die Pflanzen und Thiere sind aber nicht selbständige Objektivationen des Willens, sondern nur Scheinwesen: reine Objektivation ist lediglich die Gattung. Die höheren Thiere dagegen zeigen schon Individual- Charakter, und der Mensch ist geradezu»ein Objektivationsakt des Willens.«(W. a. W. u. V. I. 188). Auf all’ Dieses, was ich in keiner Weise gelten lasse, komme ich sogleich zurück.

i476 Die Frage, welche uns jetzt vor Allem beschäftigen muß, ist: Was sind diese Objektivationen des Willens?

Schopenhauer sagt:

Ich verstehe unter Objektivation das Sichdarstellen in der realen Körperwelt. Inzwischen ist diese selbst, durchaus bedingt durch das erkennende Subjekt, also den Intellekt, mithin außerhalb seiner Erkenntniß, schlechterdings als solche undenkbar.

(W. a. W. u. V. II. 277.)

Ich erinnere hier nur an bereits Erörtertes. Nicht nur ist, nach Schopenhauer, die Vielheit der Individuen ein Schein, sondern auch die Gattung, kurz jede reine Objektivation. Die Objektivation schiebt Schopenhauer nur deshalb als etwas Reales zwischen die zahllosen Individuen und den Punkt des Einen Dinges an sich, weil es doch wirklich zu absurd gewesen wäre, die optische Linse Raum nicht nur die realen Individuen einer Gattung, sondern auch die Gattungen selbst, aus eigenen Mitteln, hervorbringen zu lassen. Aber mit der Realität der Objektivation ist es ihm nicht Ernst und es ist nur dabei auf eine momentane Beruhigung des aufmerksamen Lesers abgesehen. In der That erzeugt auch der Raum die Objektivation des Willens. Wäre Schopenhauer consequent gewesen, so hätte er der Linse Raum eine Hülfslinse beigesellen müssen, deren ausschließliche Aufgabe gewesen wäre, die vom Raum erzeugte Objektivation zu zahllosen Individuen zu vervielfältigen; aber woher eine solche nehmen und wie sie benennen? Da lag die Schwierigkeit.

Wir haben es also mit Einem ungetheilten Willen zu thun, Einem Punkte, den der Raum zunächst zu Objektivationen, auf wunderbare, völlig unerklärbare, geheimnißvolle Weise auseinanderzerrt. Dann zerrt der Raum wieder diese Objektivationen, auf dieselbe wunderbare, unerklärbare, geheimnißvolle Weise, in unzählige Individuen auseinander. Schon aus der angeführten Stelle geht hervor, daß das Subjekt die Individuen und die Objektivationen aus sich herausproducirt. Noch deutlicher erhellt dies aus Folgendem:

Noch weniger aber als die Abstufungen seiner Objektivation ihn selbst (den Willen) unmittelbar treffen, trifft ihn die Vielheit der Erscheinungen auf diesen verschiedenen Stufen, d.i. die Menge |

i477 der Individuen jeder Form, oder der einzelnen Aeußerungen jeder Kraft; da diese Vielheit unmittelbar durch Zeit und Raum bedingt ist, in die er selbst nie eingeht.

(W. a. W. u. V. I. 152.)

Wie merkwürdig: noch weniger! Wo ist denn das Mehr oder Weniger zu finden? Wer bringt es denn hervor? Soll etwa damit ausgedrückt werden, daß die Objektivation frei von Raum, Zeit und Materie, aber nicht frei von der Form des Objektseins für ein Subjekt ist? Ja, das soll damit ausgedrückt werden! Aber wir werden in der Aesthetik sehen, wie völlig unhaltbar, ja wie unsinnig geradezu die Ideenlehre Schopenhauer’s ist.

Wir wollen indessen einen Augenblick von allem Diesem absehen und uns an die andere Erklärung der Objektivation, daß sie ein Willensakt des Einen Dinges an sich sei, klammern. Vielleicht gewinnen wir ihr, trotz Allem und Allem, eine günstigere Seite ab. Daß ein solcher Willensakt nicht im Entferntesten mit einem Willensakt des Menschen zu vergleichen ist, ist klar. Der Eine Wille wollte eine Eiche sein und die Eiche war da; er wollte ein Löwe sein und der Löwe war da. Es ist natürlich nur von dem Wesen der Eiche, des Löwen die Rede, nicht von Dingen, wie sie das Subjekt sieht, von Objekten. Ganz gut! Sie waren also da. Was lebt aber in ihnen? Hat der Wille immer einen Theil seines Wesens an jede Objektivation abgegeben und ist die letzte Objektivation der Rest seiner Kraft gewesen, so daß er vollständig in allen zusammengefaßten Objektivationen ist? Nein, sagt Schopenhauer, dies gewiß nicht.

Nicht ist etwa ein kleinerer Theil von ihm im Stein, ein größerer im Menschen.

(W. a. W. u. V. I. 152.)

Der Wille zum Leben ist in jedem Wesen, auch dem geringsten, ganz und ungetheilt vorhanden, so vollständig, wie in Allen, die je waren, sind und sein werden, zusammengenommen.

(Parerga II. 236.)

Dies ist unbegreiflich und widerstreitet unseren Denkgesetzen. Schopenhauer nennt auch das Thema ein völlig transscendentes (W. a. W. u. V. II. 371), nachdem er auf Seite 368 gesagt hatte:

Die jenseit der Erscheinung liegende Einheit des Willens.... ist eine metaphysische, mithin die Erkenntniß derselben transscendent, |

i478 d.h. nicht auf den Functionen unseres Intellekts beruhend und daher mit diesen nicht eigentlich zu erfassen.

Dieses dritte uns vorkommende Haupt»eigentlich«wollen wir anmerken.

Aber nicht einmal bei der Ansicht, daß der Eine Wille in der Welt sei, ist Schopenhauer geblieben. Er sagt:

Metaphysik geht über die Erscheinung, d.i. die Natur hinaus, zu dem in oder hinter ihr Verborgenen.

(W. a. W. u. V. II. 203.)

Das Metaphysische, das hinter der Natur Liegende, ihr Dasein und Bestand Ertheilende und daher sie Beherrschende.

(W. i. d. N. 105.)

Und in der That, Schopenhauer ist transscendenter Philosoph, reiner Metaphysiker. Zwar nennt er seine Philosophie sehr oft mit großer Ostentation immanent, aber in einem vierten bemerkenswerthen»eigentlich«giebt er zu erkennen, daß er selbst nicht davon überzeugt sei:

Meine Philosophie bleibt bei dem Thatsächlichen der äußeren und inneren Erfahrung, wie sie Jedem zugänglich sind, stehen und weist den wahren und tiefsten Zusammenhang derselben nach, ohne jedoch eigentlich darüber hinauszugehen zu irgend außerweltlichen Dingen und deren Verhältnissen zur Welt.

(W. a. W. u. V. II. 733.)

Die Wahrheit ist, wie wir immer deutlicher sehen werden, daß er»eigentlich«immer den uferlosen Ocean befährt und»Nebelbänke und bald wegschmelzendes Eis«(wie Kant sagt) für neue Länder gehalten hat.

Also der Wille ist eine hinter der Welt lebende, ihr Dasein und Bestand ertheilende Einheit, an welche ich glauben soll, nachdem ich so klar in mir den individuellen Willen erkannt habe. Nein! Niemals! Wenn man überhaupt glauben soll, so glaubt jeder Einsichtige das Einfachere und zugleich Ehrwürdigere. Einfacher und ehrwürdiger als die Schopenhauer’sche Weltordnung ist aber ohne Frage der jüdisch- christliche Theismus, der in sich consequent und durchaus nicht absurd ist. Schopenhauer fordert Unmögliches. Ich soll erstens glauben, daß die Objektivationen des Einen Willens ohne Ausdehnung und Bewegung sind, zweitens, daß |

i479 der Eine Wille ihnen zu Grunde liegt, und daß sie doch wieder den Einen Willen nicht unmittelbar treffen, drittens, daß der Eine Wille hinter der Welt liegt. Eine außerweltliche Einheit mag eine Religion zieren, ein philosophisches System wird durch sie geschändet.

So rächte sich die geleugnete Individualität zum ersten Mal auf dem Gebiete des Willens. Wir werden sie noch vernichtendere Hiebe austheilen sehen.

—————

Wie steht es aber mit einer Einheit in der Welt? Nicht besser! Die Natur, die nie lügt, zeigt überall nur individuelle, sich entwickelnde Kräfte, welche die Idealität des Raumes und der Zeit, wie ich gezeigt habe, in keiner Weise zu bloßen Erscheinungen macht. Im Selbstbewußtsein entschleiert sich die Kraft als individueller Wille. Nur mit offenbarer Gewaltsamkeit können diese individuellen Willen zu Einem untheilbaren, verborgenen transscendenten Willen zusammengeschmolzen werden. Der Pantheismus ist unhaltbar. Nur der Materialismus hat die Welt scheinbar in eine einfache Einheit zusammengezogen. Ich habe aber nachgewiesen, daß derselbe keinen Grund hat; auch kann er sich auf die Dauer nicht halten.

Ich habe eine ursprüngliche Einheit gelehrt; sie ist jedoch unwiederbringlich verloren. In ein zertrümmertes transscendentes Gebiet muß die wahre immanente Philosophie eine reine einfache, ruhende, freie Einheit setzen. Unser Denken kann weder sie selbst, noch ihre Ruhe, noch ihre Freiheit, erfassen und begreifen. Wir können diese Einheit nur leicht streifen und müssen auf immanentem Gebiete mit einer Totalität individueller, mit strengster Nothwendigkeit sich entwickelnder Willen beginnen.

Der individuelle Wille ist eine Thatsache des inneren Bewußtseins, die vom Bewußtsein anderer Dinge zu jeder Zeit bestätigt wird. Ingleichen lehrt die Erfahrung immer und immer wieder den dynamischen Zusammenhang aller individuellen Willen. Dieser findet seine volle Erklärung in der vorweltlichen Einheit. Diese Einheit erklärt ferner durchaus genügend die Zweckmäßigkeit in der ganzen Natur und befreit von der verführerischen, einschmeichelnden, aber grundlosen Teleologie: das Grab einer redlichen Naturforschung. |

i480 Die Gefährlichkeit der Annahme eines mit höchster Weisheit begabten Weltbildners einsehend, bekämpfte der alte Kant schonungslos die Teleologie und vernichtete sie für jeden Einsichtigen. Die Zweckmäßigkeit eines jeden Organismus ferner beruht auf der Einheit des in ihm erscheinenden individuellen Willens, wie Schopenhauer vortrefflich ausgeführt hat. Eine Beurtheilung der Welt nach Endursachen ist nur insofern statthaft, als sich aus den wirkenden Ursachen (causae efficientes) eine gewisse Richtung ergiebt, gleichsam ein Punkt, in welchem sie in der Zukunft zusammenfließen werden. Doch ist bei Bestimmung solcher Punkte die größte Vorsicht nöthig, denn dem Irrthum ist dabei Thor und Thüre geöffnet. Die erste Bewegung der vorweltlichen Einheit, ihr Zerfall in die Vielheit, hat alle folgenden Bewegungen bestimmt, denn jede Bewegung ist nur die modificirte Fortsetzung einer vergangenen.

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Eine zweite, untergeordnete, jetzt noch bestehen sollende Einheit, welche so unhaltbar und unbegründet ist wie eine jetzt noch bestehende einfache Einheit in, über oder hinter der Welt, ist die Gattung. Es ist die höchste Zeit, daß dieser Begriff aufhört, seinen Unfug in der Wissenschaft zu treiben, und daß er schonungslos ausgewiesen wird. Schopenhauer, als reiner Metaphysiker, mußte ihn, wie die Naturkräfte, deren»geistermäßige Allgegenwart«ihm imponirte, so recht von Herzen und mit offenen Armen willkommen heißen, und wollen wir jetzt sehen, wie er ihn verwandte.

Sehen wir vor Allem davon ab, daß die Objektivation den Einen Willen nicht trifft; denn sonst ist eine Untersuchung von vorn herein ganz ausgeschlossen. Denken wir uns also eine reale Objektivation. Sie ist ein in die Wirklichkeit getretener Willensakt des Einen Willens zum Leben. Die reale Objektivation hat keine Gestalt, kann also höchstens nur gedacht, nicht angeschaut werden; denn wird sie angeschaut, so giebt der Raum nicht ihr Gestalt, sondern er zieht sie erst in viele Individuen auseinander, denen er Gestalt verleiht. Wie es aber kommt, daß ich einen vor mir stehenden Löwen z.B. nur einfach sehe – das wissen allein die Götter! Indessen es sei! Alle lebenden Löwen seien im Grunde nur Ein Löwe. Wo ist nun diese Eine Objektivation Löwe? Wo hält sie sich auf? Sie ist, nach Schopenhauer, in jedem einzelnen Löwen |

i481 ganz enthalten; dann aber ist dies doch wieder nicht der Fall: sie ist hinter allen Löwen, mit einem Wort, sie ist überall und nirgends, oder auch die Sache ist einfach transscendent, für menschliches Denken unbegreiflich.

Nehmen wir indessen an, sie könne irgend wie mit Denken ergriffen werden, so finden wir uns sofort in einer neuen Unbegreiflichkeit; denn die Objektivation hat keine Entwicklung. Sie thront in einsamer Ruhe, bewegungslos, unveränderlich, über den entstehenden und vergehenden Individuen. Sie ist, wie Schopenhauer sagt, der Regenbogen über dem Wasserfall. Dies ist gleichfalls transscendent, denn die Natur zeigt im organischen Reich immer und immer nur werdende Organismen.

Kurz, wir mögen die Objektivation drehen und wenden wie wir wollen, wir werden ihr Wesen niemals erfassen können, so wenig wie den Einen Willen. Jeder wird einsehen, daß das eifrigste Bemühen, die Objektivation zu erkennen, ohne Erfolg bleiben muß, weil die Schopenhauer’sche Philosophie auf den reinen Anschauungen a priori, Raum und Zeit, beruht, welche nicht gestatten, dem Ding an sich Bewegung und Ausdehnung zu geben. Raum und Zeit in Kant’scher Bedeutung, Ein untheilbarer Wille, Objektivationen ohne Gestalt und Entwicklung, – alle diese Principien sind Irrthümer, von denen jeder die anderen nach sich zieht, sind ein Sumpf von Irrthümern.

Dieser ganz und gar transscendenten Objektivation entspricht nun auch die Gattung bei Schopenhauer. Er spricht von einem Leben der Gattung, von unendlicher Dauer der Gattung, im Gegensatz zur Vergänglichkeit des Einzelwesens, vom Dienstverhältniß, in dem das Individuum zur Gattung steht, von Gattungskraft u.s.w. Er sagt:

Nicht das Individuum, sondern die Gattung allein ist es, woran der Natur gelegen ist.

(W. a. W. u. V. I. 325.)

Wir finden, daß die Natur, von der Stufe des organischen Lebens an, nur eine Absicht hat: die der Erhaltung aller Gattungen.

(ib. II. 401.)

Die Gattung, von der hier die Rede ist, ist also ebenso transscendent, wie die mit ihr identische Objektivation des Einen Willens auf organischem Gebiete. Was von dieser gilt, gilt auch von ihr, |

i482 und ich könnte deshalb das Thema fallen lassen, um es erst wieder in der Ethik aufzunehmen, wo die Gattung in einem besonderen Lichte erscheint. Indessen, der Begriff Gattung hat vor dem Begriff Objektivation den Vorzug, daß er ein sehr bekannter ist und von Jedem stets etwas sehr Einfaches darunter gedacht wird. Dieses Einfache durfte auch Schopenhauer nicht ignoriren und so sehen wir ihn denn, wider Willen, der Wahrheit die Ehre geben in den folgenden zwei ersten Stellen und im Schluß der dritten:

Die Völker sind eigentlich (!) bloße Abstraktionen, die Individuen allein existiren wirklich.

(W. a. W. u. V. II. 676.)

Die Völker existiren bloß in abstracto: die Einzelnen sind das Reale.

(Parerga I. 219.)

Demzufolge liegt das Wesen an sich jedes Lebenden zunächst in seiner Gattung; diese hat jedoch ihr Dasein wieder nur in den Individuen.

(W. a. W. u. V. II. 582.)

Letztere Stelle, im Ganzen, ist dagegen geradezu erbärmlich und schändet den Geist Schopenhauer’s. Wie gewaltsam wird in ihr die existentia von der essentia getrennt. Sie ist übrigens ein beredtes Beispiel der Weise, wie sich Schopenhauer etwas zurecht zu legen verstand, was er haben mußte. – Die Wahrheit ist, daß die Gattung nichts weiter ist, als ein ganz gewöhnlicher Begriff, der vieles gleichartige oder ähnliche Reale zusammenfaßt. Wie alle Stecknadeln unter den Begriff Stecknadel fallen, so fallen alle Tiger unter den Begriff Tiger. Von der Gattung in einem anderen Sinne sprechen wollen, ist durchaus verkehrt.

Hören heute sämmtliche Tiger auf zu sein, so ist auch die Gattung Tiger hin, und der sich etwa erhaltende Begriff (wie beim Vogel Dudu) kann durch kein reales Anschauliches belegt werden. Das Einzelwesen hat sein Dasein und sein Wesen nicht von einer erträumten metaphysischen Gattung zu Lehn. Es giebt nur Individuen in der Welt und jede Mücke eines Mückenschwarms hat volle und ganze Realität.

Ich schlage also vor, daß man in der Wissenschaft nicht länger von einem Leben der Gattung, Unendlichkeit der Gattung etc. spreche, sondern sich der Gattung nur als Begriffs, ohne irgend welchen Hintergedanken, bediene.

—————

i483 Mit allen diesen Irrthümern steht im engsten Connex die falsche Behauptung Schopenhauer’s: alle Ursachen seien Gelegenheitsursachen. Wir erinnern uns, wie gewaltsam er in der Erkenntnißtheorie zwischen die Kraft und die Wirkung die Ursache einschieben mußte, weil den Erscheinungen, als solchen, keine Realität zukommt. Dieser Fehler im Fundament erstreckt sich nun auch in die Welt als Wille.

Malebranche hatte gelehrt, daß Gott das allein Wirkende in den Dingen ist, so daß die physischen Ursachen es bloß scheinbar, causes occasionelles, seien. Dasselbe lehrte Schopenhauer, nur setzte er an die Stelle Gottes den Einen untheilbaren Willen. Natürlich mußte er die merkwürdige Uebereinstimmung hervorheben und W. a. W. u. V. I. 163/164 kann er nicht genug Worte des Lobes für Malebranche finden.

Ja, ich muß es bewundern, wie Malebranche, gänzlich befangen in den positiven Dogmen, welche ihm sein Zeitalter unwiderstehlich aufzwang, dennoch, in solchen Banden, unter solcher Last, so glücklich, so richtig die Wahrheit traf und sie mit eben jenen Dogmen, wenigstens mit der Sprache derselben, zu vereinigen wußte.

Allerdings hat Malebranche Recht: jede natürliche Ursache giebt nur Gelegenheit, Anlaß zur Erscheinung jenes einen und untheilbaren Willens.

Diese Erscheinung des Einen Willens erinnert lebhaft an die Erscheinung Jehovah’s auf dem Berge Sinai und im feurigen Dornbusch.

Und nun lese man das wahrhaft haarsträubende Beispiel W. a. W. u. V. I. 160/161. Man glaubt zu träumen. Die einfachen Wirkungen, welche aus der Natur des Eisens, des Kupfers, des Zinks, des Sauerstoffs u.s.w., dieser unorganischen Individuen von einem ganz bestimmten Charakter und mit wechselnden Zuständen, fließen, werden zu Erscheinungen der Schwere, der Undurchdringlichkeit, des Galvanismus, des Chemismus u.s.w., welche Kräfte allesammt hinter der Welt liegen und sich der Einen Materie abwechselnd bemächtigen sollen, gewaltsam gemacht.

i484 Wie wir oben gesehen haben, theilte Schopenhauer die Ursachen in: Ursachen im engsten Sinne, Reize und Motive. Sie sind sämmtlich wirkende Ursachen, aber als solche nur Gelegenheitsursachen. Nebenher laufen dann noch die Endursachen, welche er, obgleich er die Teleologie, wie Kant, verwirft, dennoch erklärt:


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